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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Das Konzert
© Verena Wolf
Das Summen, incantevole, das eine größere Menschenmenge immer verbreitet, erfüllte die Luft: Einige Stühle quietschten kurz, Programmhefte raschelten leicht in den Händen, ein Husten, geraunte Worte. Wie ich von der Bühne aus sehen konnte war der Saal bereits jetzt voll besetzt. Manche der Besucher schauten kurz zu der Bühne hin, streiften mich mit einem Blick, der weiter zu dem Vorhang glitt, vor dem die Kandidaten erscheinen würden. Ich war nervös, obwohl es für mich um nichts ging, um nichts als die Ehre der
Lehrerin natürlich. Ich war nervös für sie, für das Mädchen, besser die junge Frau, die jetzt mit vor Nervosität blassen Gesicht hinter dem Vorhang hervorspähte. Ich kannte sie gut, sehr gut. Wie viele Stunden hatte ich versucht, ihr meine Musik nahe zu bringen, in der Sprache der Notenschlüssel ihre Hände stumm zu führen, ihr bei zu bringen, dass Klavierspielen nicht nur das richtige Herunterdrücken korrekter Tasten ist. Kaum einer außer mir ahnte, wie hart sie für diesen Abend gearbeitet hatte, nicht nur die
letzten Wochen oder Monate, sondern sehr viel länger. Wie oft sie sich störrisch auf die Lippen gebissen, Tränen der Wut unterdrückt und wieder und wieder eine Stelle geübt hatte, bis ihre Hände endlich den Rhythmus beherrschten und umsetzen konnten. Niemand hatte ihr konzentriertes Gesicht so lange beobachten können wie ich, ihre Augen ins Leere gerichtet gesehen, während ihre Hände über die Tasten eilten. Viele würden nie begreifen, wie lang der Weg hierher gewesen war.
Gut, auch ich hatte es ihr am Anfang nicht leicht gemacht, es dauert bis ich Vertrauen habe. Doch mit hartnäckiger Geduld hat sie das erreicht und ich habe ihr damit gedankt, dass ich ihr nach und nach meine kleinen Geheimnisse verriet, ihr half, besser und besser zu spielen. Doch jetzt musste sie nicht mir beweisen, wie gut sie war, sondern den wichtigen Leuten dort unten. Ihr Wohlwollen konnte die Zukunft meines Mädchens entscheidend beeinflussen.
Vielleicht war ich mir darüber mehr im Klaren sogar als sie.
Die Leute warteten geduldig. Bewegung kam in die Menge, als der Vorhang zur Seite geschoben wurde und mein Mädchen mit der Dame, die durchs Programm führte auf die Bühne trat. Elegant sah sie aus mit dem dunklen Kleid anstatt der sonstigen Jeans, die Farbe fast das Schwarz, das ich trug. Die Dame begrüßte die Leute. Ich hörte nicht recht zu und beobachtete wie sich das Mädchen verbeugte, setzte, nervös wartete. Der Saal wurde still, diminuendo.
Nerven waren an diesem Abend genauso wichtig wie Begabung und Fleiß. Stumm versuchte ich sie zu beruhigen: Du kannst es, vertraue mir. Ihre Finger bebten als sie sie probeweise auflegte, ihre Füße testeten nervös die Pedale.
Ich würde ihr beistehen, so gut es ging, aber sie musste spielen. Sie allein. Die Menge schien von hier oben bedrohlich. Menge kann einen schwindelig machen, so schwindelig, dass man nicht spielen kann, so sehr man will. Sie sollen dich hören, darum sind sie hier, sagte ich stumm. Sie sind für dich, nicht gegen dich. Denke daran. Und jetzt spiel! Das Mädchen schluckte leicht, setzte die Finger auf, die ersten Töne erklangen - und mich verließ der Mut. Ja, es war das Stück, gut und ohne Fehler, doch durch ihre
Angst ließ sie es nicht atmen, sondern erstickte es. Lass es klingen, in mir und dir, bat ich. Es half nichts. Ich versuchte, es mit meinem Geist zum Klingen zu bringen. Keine Angst, Vergiss deine Angst!
Und endlich, endlich tat sie es. Sie öffnete sich, vergaß nicht die Menschen dort unten, doch ihre Bedrohung und spielte. Scintillante! Spielte für die Menschen, für sich, für mich, aber am meisten für die Musik. Auf einmal spürte ich die Melodie in mir, fühlte jede Note in mir tanzen. Ich summte leicht mit, lächelte. Jetzt konnte sie es schaffen, denn jetzt lockte mein Mädchen die Zuhörer in ihr Spiel, warf ein leichtes Netz aus Tönen über sie.
Die Musik floss aus ihren Fingern, scorrendo, hinaus in den Saal, bei den schweren Läufen tanzten ihre Hände meisterhaft leicht über die Tasten, die Synkopen kokettes Augenzwinkern. Schließlich hing der letzte Akkord in der Luft, verblasste bedauernd, zerging. Staccato-Applaus ihre und wohl auch meine Belohnung. Jetzt mit strahlendem Lächeln, während die Anspannung in Schüben von ihr abfiel, stand mein Mädchen auf, verbeugte sich mehrmals, ihr Augen lachten. Sie hatte es geschafft. Meine vielen in Pianissimo
gehaltenen Ratschläge und die Stunden zusammen waren nicht umsonst gewesen.
Noch andere spielten vor, natürlich. Geige, Flöte, Cello, erneut Klavier und noch vieles andere, aber ich blieb an meinem Platz, ganz in Gedanken versunken, hörte nicht recht zu. Als der offizielle Vortragsteil des Abends vorbei war, standen viele noch locker beisammen, aßen Schnittchen, tranken Sekt oder Orangensaft, unterhielten sich con tinto. Ich sah abseits von dem Trubel zu. In meiner dunklen Aufmachung war ich in dem Halblicht kaum zu sehen und wenige schenkten mir mehr Beachtung als ein abwesendes Lächeln.
Ich fühlte mich cis moll.
Einer der Kritiker war nicht nur von der Musik meines Mädchens, sondern auch von ihr selbst sehr angetan, wie ich gut von meinem platz aus sehen konnte.
Beide hielten ein Sektglas in der Hand, sie lachte Terzen und stieß mit ihm an.
Viele sprachen mit ihr, beglückwünschten sie mit vielen Worten zu ihrem Spiel. Das viele Lob machte sie manchmal verlegen. Meines war stets stiller gewesen. Sie wusste, wann ich zufrieden mit ihr war, konnte es mir anhören.
Wenn ich sie ohne Unterbrechung zu Ende spielen ließ, leise mitsang, war das meine höchste Auszeichnung für sie gewesen. Da capo mein Lob.
Als ich so zu ihr hinüberschaute, wurde mir klar, diese Tage waren vorbei.
Ich würde ihr nichts mehr beibringen. Sie würde anderswo hingehen, mit anderen arbeiten. Sie hatte es verdient. Trotzdem fühlte ich mich luttuoso.
Ich hatte mich an sie gewöhnt, Vielleicht würde sie ab und zu wiederkommen, mich besuchen, doch das war nicht das Gleiche. Mit diesen Abend hatte ich sie verloren. Aber das war nicht alles. Es schien mir, als ob mich bereits jetzt, kam dass meine Aufgabe vorbei war, alle vergessen hatten.
Stumm stand ich da in meinem eleganten Schwarzen, etwas abseits, aber doch nicht so weit weg, dass keiner hätte zu mir herüberkommen können. Ich fühlte mich überflüssig. Niedergeschlagen. Erwartest du, dass dir jeder um den Hals fällt, dir statt ihr? fragte ich mich spöttisch. Nein, aber ich wollte Anerkennung, nur ein wenig, obwohl ich wusste, wie kindisch, scordato diese Gefühle waren. Und gern hätte auch ich sie beglückwünscht, ihr meinen Stolz gezeigt, allein, aber es waren so viele Menschen da und dort hinten
stand mein elegantes Mädchen, schon so sicher in dieser neuen Welt und unterhielt sich angeregt. Leise zog ich mich weiter in die Schatten zurück, starrte vor mich hin. Ich weiß nicht wie lange, da hörte ich Schritte. Es hörte sich an wie - Ja, es war mein Mädchen, das geradewegs in meine Richtung kam. Zu mir etwa? Meine Zweifel schlugen in Freude um, als sie wirklich die zwei großen Stufen auf die Bühne heraufkam und mich glücklich anlächelte. "Wir haben es geschafft, weißt du das? Es ist noch nicht offiziell,
aber ich bin so gut wie sicher bei den Dreien dabei." Sie lächelte mich an. Natürlich bist du dabei, dachte ich.
Stumm standen wir uns gegenüber. Wir kannten uns so lange. Wir brauchten nicht unbedingt zu reden. Auch so spürte sie, dass ich ihr aus der Tiefe meiner Seele das Beste wünschte. Spielerisch schlug sie einen Akkord an. Ich wurde verlegen. Sie sagte, con dolcezza: "Danke. Danke für alles." Sie hob wie grüßend die Hand bevor sie ein, zwei Schritte rückwärts ging, immer noch lächelnd, sich dann umdrehte und rasch zu den anderen ging. Wieder stand ich allein auf der Bühne, aber das war egal. Mein schwarz
lackiertes Holz strahlte splendente wie schon seit Jahren nicht mehr.
Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.