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Eine Freundschaft geht baden ...

© Inge Rickert


Meine Freundin Sabine und ich haben den gleichen Arbeitgeber, den gleichen klassischen Musikgeschmack, lesen mit gleicher Begeisterung Bücher und fahren mit der gleichen Sehnsucht jeden Sommer in den sonnigen Süden. Aber sonst könnten die Gegensätze nicht größer sein: sie ist groß und durchsetzungsfähig - ich bin von jedem das Gegenteil. Sie ist schnell in ihren Handlungen, ich eher überlegt und halt langsamer. In den Dingen des alltäglichen Lebens stehen wir uns bei. Während Sie gute Ratschläge gibt, bin ich für die praktische Seite "zuständig". Sabine kann sich wegen eines Sehfehlers in einer fremden Umgebung nur schwer zurechtfinden. So haben wir viele herrliche Reisen zusammen erlebt, die weder sie noch ich jemals alleine gemacht hätten. Wir sind mit einem Flusskreuzfahrtschiff auf dem Rhein von Basel nach Nimwegen gefahren, waren zum Ponyreiten nach Wales (England), haben Spaziergänge an der Steilküste Cornwalls (England) gemacht, zu einer Bed-and-Breakfast-Tour durch Nordengland und Schottland gereist, wir waren zu Städtereisen nach Stockholm und London, zum Sommerurlaub auf die Mittelmeerinsel Zypern und mit dem Schiff weiter nach Alexandria, von dort per Bus nach Kairo. Und luxuriöse Kreuzfahrten durch die Ostsee, zu den Kanarischen Inseln und durch die griechische Inselwelt. Das Ziel unseres mehrwöchigen Sommerurlaubs ist vorzugsweise eine Insel im Mittelmeer: Sonne, Meer und Strand, historische Mauern und die landschaftlichen Schönheiten des Südens sind eine jährlich wiederkehrende Erholungsquelle. Im Laufe der Jahre hat sich eine Rollenverteilung ergeben, die für uns beide sinnvoll ist. Sabine holt sich in fließendem Englisch die notwendigen Informationen, während ich mit dem Stadtplan in der Hand die Orientierung übernehme. Im Hotel z.B. erledigt sie Reklamationen, ich zeige ihr, wo der Speisesaal ist. Wir können stundenlang auf unseren Sonnenliegen am Strand liegen und lesen, Bootsfahrten auf dem Meer unternehmen, griechische Stadtmauern erkunden, Einkaufsbummel durch die Läden der Altstadt machen Luxus eines "Mehrsternehotels" genießen. So hätte es auch noch jahrelang weitergehen können, aber dann gab es da einen Abend auf der griechischen Insel Kreta.
Kreta ist eine interessante Insel für sonnenhungrige Nordeuropäer. Viel Geschichtlichem begegnet man hier und die Meereswellen plätschern auch hier an den Strand der Hotelanlagen. Am letzten Abend unseres Aufenthalts hatten wir einen schönen Tisch auf der Terrasse mit Blick auf das vom abendlichem Schein der untergehenden Sonne verzauberten Meer. Mit dem Verzehren des letzten Dinners war Sabine mal wieder schneller als ich. Doch bevor ich den letzten Bissen der köstlichen Mousse au Chocolat vertilgt hatte, fragte sie mich, ob es mir wohl etwas ausmachen würde, wenn sie das obligatorische Trinkgeld schon auf den Tisch legen könne. An diesem Abend machte es mir tatsächlich etwas aus und ich sagte - entgegen meiner sonstigen Gewohnheit -: "Und wenn ich es nicht möchte, tu`s Du`s ja doch". Das hörte sich gewiss sehr bissig an, aber das musste nun mal sein. Na ja, etwas verlegen war sie dann doch. Sie gab dem Kellner trotzdem ein Zeichen, dass sie bezahlen wollte und rechnete mit ihm ab, während ich noch mein Dessert aß und mir vorkam wie ein unartiges Kind, das bestraft wird, weil es zu langsam ist. Beim Rückweg durch die Lobby zu unseren Zimmern fragte ich sie spontan: "Wollen wir uns noch ein bisschen in die Bar setzen? Mein Koffer ist fast fertig gepackt, ich habe Zeit." Vollkommen verdutzt sah sich mich an und meinte: "Also, ich nicht, aber wenn Du noch möchtest, kannst Du das ja tun". Und sie setzte hinzu: "Wenn Du kein griechisches Geld mehr hast, kann ich Dir was geben". Dabei hielt sie mir einen Geldschein auffordernd unter die Nase. Als ich vollkommen irritiert ablehnte, wiederholte sie ihr Angebot. Mir war dieser Auftritt vor allen Gästen ziemlich peinlich. Ein unbeteiligter Zuschauer hätte denken können, dass sie mich bezahlen wollte! "Nun nimm` schon, Du trinkst doch gerne etwas Gutes!" drängte sie. Es sollte ein schöner gemeinsamer Abschluss des Urlaubs sein und kein "Ein-Frau-Besäufnis"! Natürlich schätze ich ein gutes Glas Wein oder einen Cocktail, aber jetzt wollte ich mich bestimmt nicht alleine in d Sabine behandelte mich als wäre mein Wunsch nach einem Plauderstündchen am letzten Abend vor dem Abflug nach Hause ein unverzeihlicher Charakterfehler. Nur mit Mühe konnte ich sie überzeugen, dass ich keine alkoholischen Getränke zu mir nehmen wollte. Wir gingen über die kleine Uferstraße zu den Bungalows. Es war mir absolut unverständlich, warum sie meinen Vorschlag nicht annehmen wollte. Entgegen meinem sonstigen Verhalten habe ich sie systematisch nach allen Ablehnungsgründen gefragt, die mir einfielen. Das Ergebnis war: Sie hatte keine Kopfschmerzen, sie war nicht müde, sie wollte kein spannendes Buch weiterlesen, sie hatte ihren Koffer nicht mehr zu packen und sie wollte auch sonst nichts Dringendes erledigen. Der einziges Grund war: Sie wollte sich nicht mehr mit mir unterhalten!! Ich fühlte mich wie eine professionelle Reisebegleitung, die nach dem Abendessen entlassen wird, weil sie nicht mehr benötigt wird. Wir standen uns wie Fremde gegenüber: Sie verstand nicht, warum ich noch mit ihr reden wollte und ich war fassungslos, dass sie kein Interesse an meiner Anwesenheit hatte. Als sie mir dann zum wiederholten Mal einen griechischen Geldschein geben wollte, war meine Geduld zu ende: "Ich will nicht Dein Geld, sondern Deine Gesellschaft!" habe ich ihr entgegengeschleudert und bin zornig in mein Zimmer gegangen, ohne dass sie Zeit für eine Entgegnung hatte. Auch auf ihre mehr oder weniger lauten Klopfgeräusche und ihr Rufen habe ich nicht reagiert. Leider habe ich übersehen, dass die Terrassentür noch offen stand, von dort kam sie dann in mein Zimmer, um mir zu sagen, dass wir uns ja noch draußen unterhalten könnten. In der Meinung, dass sie sich vielleicht entschuldigen wollte, war ich damit einverstanden. Im Laufe des Gesprächs musste ich aber leider feststellen, dass sie das nicht beabsichtigte. Schade, das wäre die Gelegenheit für sie gewesen. Stattdessen holte sie uralte Themen hervor, die längst vergangen und vergessen waren. Wie immer habe ich ihr Spiel mitgespielt, war aber maßlos enttäuscht. Am näc hätte es die Ereignisse gar nicht gegeben. Für sie war die Welt wieder in Ordnung ("Inge hat sich wohl wieder beruhigt"). Für mich aber war eine ganze Welt zusammengestürzt. Wer bin ich für sie gewesen? Eine kostenlose hilfreiche Begleitung ohne persönliche Bindung? Habe ich jahrelang die Rolle einer Dienerin gespielt? Sind meine Wünsche so ohne jegliches Interesse für Sabine? Selbstverständlich bin ich immer bereit gewesen, sie zu wegen ihrer Sehschwäche zu unterstützen, aber nicht zu dem Zweck, dass ausschließlich ihr Wille geschieht. Rückblickend habe ich verschiedene Situationen betrachtet und endlich erkannt, dass sie meine Wünsche nur erfüllt hat, wenn sie mit den ihren übereinstimmten. In den Fällen, wenn ich ähnliche Vorschläge gemacht habe wie sie, hat sie abgelehnt, weil ihr z. B. der Zeitpunkt nicht passte. Das Marinemuseum durfte ich vormittags nicht besichtigen, während sie ein Buch im Cafe las (eine ihrer häufigen Angebote), sondern erst nachmittags als sie erschöpft war und sich ausruhen wollte. Gekrönt wird das Ganze dadurch, dass sie eifrig in einer Kirchengemeinde mitwirkt, aber sonst christliche Tugenden vermissen lässt. Nach der biblischen Auslegung "Mein Wille geschehe"!?. Sie ist außerordentlich geschickt in der Darstellung eines Sachverhalts zu ihren Gunsten - sie kann dem sprichwörtlichen Eskimo einen Kühlschrank verkaufen - , aber die Einsicht, dass sie mich ständig benachteiligt, hat sie nicht. Im Gegenteil, sie erzählt mir, wie nützlich es für mich ist, wenn ich das tue, was sie möchte. Eine verkehrte Welt, die ich erst jetzt langsam begreife. Mein Vertrauen in ihre Loyalität ist endgültig zerstört.
Wieder in Deutschland angekommen habe ich ihr einen Brief geschrieben, in dem ich diese für mich so schwerwiegenden Gründe aufgezählt habe. In einem mündlichen Dialog hätte ich keine Chance meine Argumente deutlich zu machen. Meine ursprüngliche Absicht, die Verbindung dauerhaft zu beenden habe ich nicht durchgeführt, weil ich die Möglichkeit einer Versöhnung offen lassen wollte. Ihre Antwort bestand dann aus Gegenbeschwerden über mein Verhalten und nur andeutungsweise gab es Eingeständnisse ihrerseits. Aber die deutliche Aussage war: Es ist doch alles in Ordnung, ich kann nichts finden, was ich ändern sollte. Sie ist sicherlich nicht absichtlich bösartig, aber ihr eigenes Wohlbefinden steht kritiklos an erster Stelle. Nach einiger Überlegung habe ich mich entschlossen, einen wohlkalkulierte Abstand zu halten - nämlich genau die Entfernung, aus der sie mir nicht mehr schaden kann. Und zwar zu meinem eigenen Schutz, damit ich nie wieder die Erfahrung machen muss, dass sie mich wie eine Marionette behandelt. Allerdings konnte ich diesen Schritt erst tun, nachdem ich bereit war, auf ihre Person zu verzichten. Nur die Erkenntnis, dass die unangenehmen Erlebnisse überwiegen, hat mich dazu gebracht, unsere langjährige Freundschaft tatsächlich so entscheidend zu verändern. Etwas, das ich schon lange hätte tun sollen, wenn ich nicht so "kurzsichtig" gewesen wäre.
Aber seit jenem letzten Abend auf der schönen Insel Kreta ist mir klar geworden, wie abhängig und leicht beeinflussbar ich war. Damit ist unsere Freundschaft im Mittelmeer zwar baden gegangen, aber über Wasser gehalten haben wir uns trotzdem.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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