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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Der Finderlohn

© Tim Gwiasda


Bill saß neben seinem Wagen vor einem kleinen Lagerfeuer, in einer der einsamsten Gegenden der Welt, einer namenlosen Wüste im mittleren Westen der USA. Er war seit neuestem wieder einmal alleinstehend, von seinem anspruchslosen Job als Baustellengehilfe frustriert und suchte in dieser Ödnis Vergessen und einen befreienden Rausch. Ihm war es auch recht egal, sollte er die Alkoholkur nicht überstehen. Genau genommen, war das sein Plan. So wie sich die Sonne auf den Horizonten zu bewegte, neigte sich auch der Inhalt seiner Whiskeyflasche. Mit jedem Schluck schlang sich die Welt enger um Bill, bis es ihm erschien, als sei er der einzige Mensch auf diesem Planeten. Die letzten nagenden Gedanken spülte der Alkohol in die abgelegensten Bereiche seines Bewusstseins. Gegen den Kotflügel gelehnt genoss er mit einem feisten Grinsen auf dem Gesicht den Nebel, der ihn umgab und suhlte sich in der Illusion von Unbesiegbarkeit.
Grade als er sich ganz weit weg wähnte, holte ihn ein Geräusch auf die Erde zurück. Urplötzlich fand er sich in der U-Bahn wieder, umgeben von Menschen, die panisch ihre Taschen durchwühlen, auf der Suche nach der Quelle eines nervenden Pieptons, die heutzutage so gut wie alle elektronischen Geräte von sich geben. Handys, Armbanduhren, Pager, Musikabspielgeräte und so weiter. Da Bill sich stets eisern gegen modernen Schnickschnack verweigert hatte, verunsicherte es ihn um so mehr, ein solches Artefakt der Zivilisation hier draußen im Nirgendwo zu hören. Es widersetzte sich allen Bemühungen, ignoriert zu werden, wurde im Gegenteil sogar noch lauter, so dass Bill nichts anderes übrig blieb, als seinen Platz in den Wolken zu verlassen und den Unruhestifter ausfindig zu machen. Zwischen den Klamotten in seinem Rucksack wurde er schließlich fündig. Ein Autoschlüssel, dessen Anhänger in einem grellen Blau blinkte und in anschwellender Lautstärke einen quakenden Piepston von sich gab. Nach kurzem Stutzen erinnerte sich Bill, den Schlüssel bei seiner Ankunft in der Wüste unweit von seiner Lagerstätte gefunden zu haben. Dabei hatte er sich noch gewundert, wie jemand so blöde sein konnte, seinen Wagenschlüssel hier draußen liegen zu lassen, und vielmehr, wie zum Geier dieser jemand danach wieder weggekommen war. Bill hatte schon mal davon gehört, dass es Schlüsselanhänger gibt, die auf Pfeifen reagieren, falls ihre Besitzer sie im heimischen Chaos nicht mehr ausfindig machen können. Eigentlich waren diese Dinger schon lange wieder aus der Mode und außerdem hätte das ja bedeutet, dass der Pfeifer sich in der Nähe befand und Bill ihn hätte pfeifen hören müssen. Im Moment hatte er jedoch nicht das geringste Interesse, sich darüber Gedanken zu machen, zumal diese ohnehin von dem ohrenbetäubenden Krach übertönt worden wären. Er wollte einfach seine Ruhe und suchte verzweifelt nach dem Ausschalter, dem Batteriefach oder irgend einer anderen Möglichkeit, das Ding zum Schweigen zu bringen. Ein sinnloses Unterfangen, wie ihm schien. Nicht nur, dass sich keine Knöpfe an dem Anhänger befanden, er wies noch nicht einmal eine Schweißnaht oder ähnliches auf. Er war vollkommen eben, wie eine Murmel oder ein Hühnerei. Selbst wenn Bill darüber nachgedacht hätte, wäre es ihm unmöglich gewesen zu erklären, wie das Gerät so einen Lärm machen konnte, denn ein Lautsprecher fehlte ebenfalls. In letzter Verzweiflung griff er nach einem Stein, um dem Gejaule ein Ende zu bereiten. Er holte eben aus, als... "Entschuldigung." ...er zu Tode erschreckt um ein Haar ins Feuer gefallen wäre.
"Oh, das tut mir leid, ich wollte ihnen keine Angst einjagen." Eine Gestallt löste sich aus den Schatten eines nahen Felsens und schritt gemächlich auf Bill zu. "Wie ich sehe, haben sie meinen Schlüssel gefunden." Die Stimme war grollend tiefe, dennoch bemüht sanft und beschwichtigend zu klingen. "Wenn sie ihn mir zurückgeben, bin ich auch sofort wieder verschwunden. Es liegt mir fern, ihre Privatsphäre zu stören." Aus dem rechten Ärmel eines schlichten dunkelbraunen Mantels streckte sich Bill eine Hand entgegen, die, abgesehen von der immensen Größe, einem Frosch hätte gehören können. Nicht nur aufgrund der Farbe, sondern auch wegen der Schwimmhäute und den knubbeligen Fingerspitzen. "Nar, nar", stammelte Bill und drückte den Schlüssel an die Brust, als sei es sein kostbarster Besitz. Das Wesen seufzte schwer und ließ den Arm, zusammen mit seiner gesamten Erscheinung, wieder sinken.
Bill robbte auf dem Rücken bis zu seinem Auto, den Blick starr auf den Eindringling gerichtet und die Hände krampfhaft um den Schlüssel gelegt. "Hören sie", sagte das Wesen, nun nicht mehr ganz so sanftmütig, "Heute ist mein letzter Tag in dieser Gegend und ich würde nun gerne wieder nach Hause. Wenn sie also so gütig wären?" Bill schüttelte hektisch den Kopf. Nicht als Reaktion auf die Frage, vielmehr auf die Situation im Allgemeinen. Der Fremde kam einen Schritt näher, die Hände nun in den Manteltaschen und das Gesicht durch die breite Krempe eines Hutes verdeckt. "Ich habe solche Situationen schon zigmal miterlebt", sagte er, "und glauben sie mir, es ist für sie das Beste, wenn sie mir einfach wiedergeben, was mir gehört und vergessen, dass wir uns begegnet sind." Noch immer wie paralysiert hatte Bill gar nicht bemerkt, dass der Schlüssel aufgehört hatte zu piepsen. Alles war nun bedrohlich still und das machte nichts besser, eher im Gegenteil. "W-w-was, w-wer?" brachte er gequält hervor. "Ich sehe schon", sagte die Gestalt, "sie sind einer von der Sorte. Nun gut, mir soll es recht sein. Wenn sie alles so genau wissen wollen, für mich macht das keinen Unterschied. Was dagegen, wenn ich mich bediene?" Er setzte sich auf den Boden, was an einen zusammenklappenden Campingstuhl erinnerte, griff nach der Whiskeyflasche, nahm einen kräftigen Schluck und ließ es sich hörbar schmecken, während Bill ihn durch furchtgeweitete Augen beobachtete. Sein Gast war groß, mindestens zweieinhalb Meter, so dürr, dass der Mantel an ihm schlackerte als sei er zum trocknen aufgehängt, und sein Gesicht, das kurz im Schein des Feuers unter dem Hut hervorblitzte, war eben so grün wie seine Hände. "Ein guter Tropfen", sagte er mit einer Stimme, die einer rollenden Straßenwalze nicht unähnlich war. "Die meisten von Deiner Sorte begnügen sich mit dem billigsten Fusel. Aber ich nehme, was ich bekommen kann. Immerhin kann ich ja schlecht bei Wal-Mart reinmarschieren und mir selber was besorgen." Er hob den Kopf ein wenig und grinste Bill mit den größten und gelbsten Zähnen an, die man jemals außerhalb von England gesehen hatte . Langsam begann sich Bill an das Bild zu gewöhnen, das sich ihm bot. Sein Blutdruck befand sich nur noch im ungesunden, nicht mehr im tödlichen Bereich. Es gelang ihm sogar, einen halben Satz hervorzubringen. "Kommst du von..." Der Fremde setzte die Flasche ab, streckte einen Finger der linken Hand in die Höhe und vervollständigte die Frage. "...von dort oben? Ja." Dann nahm es einen weiteren langen Zug und hielt Bill die nun leere Flasche entgegen. "Hast du vielleicht noch mehr davon?"
Es brauchte einige Momente, bis Bill sich selber dazu überreden konnte, den Kofferraum zu öffnen und dem Besucher eine neue Flasche zu reichen. Sicherheitshalber fasste er sie bei der Übergabe am äußersten Ende, zog die Hand dann sofort wieder zurück und setzte sich zögernd an die gegenüberlegende Seite des Feuers, den Schlüssel immer noch in der Hand. "Wie heißt du?" fragte Bills ungeladener Gast, um die peinliche Stille zu überbrücken, die sich über die Gesellschaft gelegt hatte. "Bill", antwortete Bill knapp, bemüht, direkten Augenkontakt zu vermeiden. Die Augen seines Gegenüber waren zwar im Schatten des Hutes verborgen, aber in seiner Fantasie hatte er sich bereits Dinge ausgemalt, die er lieber nicht bestätigt wissen wollte. Er zog es daher vor, den Hinterreifen seines Wagens anzustarren und dadurch entging ihm, dass der andere lächelte. "Sie heißen alle Bill", sagte er leise. "Bitte?" "Oh, nichts Besonderes. Ich finde es nur bemerkenswert, dass alle Leute, mit denen ich gesprochen habe, Bill, John oder George hießen. Langweilige Menschen von einfallslosen Eltern. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum es so lange gut ging." Seine Stimme schien durch den Whiskey nur noch tiefer und rauer zu klingen. Er nahm einen weiteren Schluck und bemerkte den fragenden Blick von Bill, der nun zum ersten Mal direkt auf ihn gerichtet war. "Na, überleg doch mal", antwortete der grüne Riese auf die nicht gestellte Frage, "wer würde dir glauben, wenn du von dieser Nacht erzähltest? Eben. Den anderen hat auch niemand geglaubt. Zumindest niemand, dessen Intellekt ausgereicht hätte, um nicht auf die falschen Fährten reinzufallen, die ich gelegt habe." Er nippte erneut an der Flasche und bot sie dann Bill an, der sie skeptisch anblickte. "Keine Angst", sagte der Fremde, "ich trage wahrscheinlich weniger Keime mit mir herum als deine üblichen Saufkumpanen. Ich wurde vor meiner Reise hierher gründlich desinfiziert. Das ist Vorschrift." Schließlich griff Bill zögernd nach der Flasche und nahm einen zaghaften Schluck, nachdem der die Öffnung so gut wie möglich mit dem Ärmel seines Hemdes abgewischt hatte. Die Nüchternheit, die sich bei dieser Begegnung schlagartig eingestellt hatte, wich allmählich einer tauben Gleichmütigkeit, als Bill sich einzureden begann, es sei alles nur ein Traum. Sein Selbstbewusstsein wuchs mit jeder Minute, in der er einem offensichtlich extraterrestrischem Wesen gegenüber saß, sich mit diesem seinen Whiskey teilte und immer noch am Leben war. Ab dem Punkt, an dem sich der Verstand ausklinkte und eh alles egal wurde, beschloss Bill, die Konversation aufzugreifen.
"Lass es mich noch einmal zusammenfassen", sagte Bill, "Wenn ich das richtig verstanden habe, kommst du von einem Planeten, der so weit entfernt ist, dass ich es mir nicht vorstellen kann, dessen Namen ich nicht aussprechen könnte, genau so wenig wie deinen, weshalb ich dich Quork nennen soll, weil das so schön weltraumisch..." "Kosmisch" "...weil das so schön kosmisch klingt, und du bist beruflich hier seit, ehm, wie lange?" "Einhundert und sechs Jahren, in etwa." "Einhundert und sechs Jahren. Und heute ist der Tag deiner Abreise, und als du noch einmal losgegangen bist, um Verpflegung für den Rückflug zu besorgen, sind dir die Schlüssel aus der Tasche gefallen?" "So ist es." "Hmhm." Bill sah gedankenverloren auf den Boden der inzwischen fünften leeren Whiskeyflasche. "Und das ist kein blöder Scherz?" "Nein." "Hmhm." Bill betrachte Quorks Schlüssel in seiner Handfläche. "Wirklich nicht?" "Wirklich nicht." "Einhundert und sechs Jahre?" "Ja." "Hmhm." Bill warf die leere Flasche hinter sich und steckte den Schlüssel in seine Brusttasche. "Darf ich dich was fragen, Quork?" "Bitte." "Wie alt bist du?" "Nach eurer Rechnung genau neunhundert Jahre." Bill traute sich nicht zu fragen, aber Quork wusste auch so, was ihm unter den Nägeln brannte. "Bei mir zuhause vergeht die Zeit sehr viel langsamer als hier. Nach unserer Rechnung bin ich erst vierunddreißig und mein Aufenthalt hat nur vier Jahre gedauert." "Moment", sagte Bill, "ich bin vielleicht nicht der Hellste, aber ich weiß, dass man immer den Bedingungen seiner Umgebung ausgesetzt ist. So viel Astrophysik bekommt man auch durch die Magazine in den Wartezimmern beim Arzt mit." "Richtig", sagte Quork, "jede Stunde, die ich hier mit dir verbringe, kostet mich etwas mehr als einen Tag. Daher habe ich auch die meiste Zeit in meinem Raumschiff verbracht. Es verfügt über einen Zeitgenerator, der heimische Verhältnisse erzeugt. Frag mich aber bitte nicht, wie das funktioniert, es würde mich in Verlegenheit bringen." "Du weißt es selber nicht?" Quorks hob die Achseln. "Weißt du wie dein Videorekorder funktioniert?" Bill sah ihn verdattert an. "Nein, aber wenn der kaputt geht, brauche ich mir auch keine Sorgen zu machen, dass mir innerhalb von zwei Jahren sämtliche Zähne und Haare ausfallen und mir ein meterlanger weißer Bart wächst. "Och, unsere Technik ist sehr zuverlässig. Ich benutze zum Beispiel immer noch den ersten Satz Glühlampen. Apropos Lampen, hast du vielleicht noch ein Schlückchen in deinem Fahrzeug?" "Was? Oh ja, natürlich. Ich habe noch einen Kasten Bier dabei." Bill rappelte sich auf und verlor daraufhin beinahe das Gleichgewicht, wodurch ihm unmissverständlich klargemacht wurde, dass er sich ab jetzt lieber etwas zurückhalten sollte, wollte er nicht unversehens umkippen, denn das Gespräch versprach interessant zu werden.
Bill nippte an einer Wasserflasche, in der er mehrere Schmerztabletten gelöst hatte, während Quork mit wachsender Begeisterung eine Dose Lager nach der anderen leerte. Inzwischen hatte er den Hut abgenommen, weil er ihn zu jucken begann. Sein Vorbesitzer habe es mit Hygiene nicht so gehabt, meinte Quork, und er trage ihn auch nur, um etwas diskreter in Erscheinung zu treten. Eigentlich nur Makulatur, dachte Bill, wenn man an die drei Meter groß ist und die Statur eines Klettergestells hat. Als er aber seinen Kopf sah, musste er eingestehen, dass der Hut doch so einiges für sich hatte. Ohne ihn wäre Bill sicher schreiend in die Wüste gerannt und hätte sich irgendwo eingegraben. Nun war er froh, dass das Feuer nur noch dämmeriges Licht bot. Quorks Kopf sah aus wie eine grüne Kartoffel, die jemand weichgekocht und dann erfolglos versucht hatte zu eine Birne zu formen. Die Augen waren groß wie Tennisbälle, strahlend weiß, hervorstehend und die unproportional kleinen Pupillen zitterten darin hektisch umher, was ihm, wie Bill zwischendurch erfuhr, ein größeres Sichtfeld beschert. Ein evolutionärer Vorteil, auf den Bill aber dankend verzichten würde. Die Haut war von ungeheurer Elastizität, so dass Quork buchstäblich über das ganze Gesicht grinsen konnte, was er mit zunehmendem Alkoholspiegel auch ausgiebig tat. "Ich muss zugeben", sagte Quork, schon merklich angeheitert, "du hast einen besseren Geschmack als die meisten anderen, die ich getroffen habe." Mit lautem Zischen öffnete sich die nächste Dose und der Inhalt verschwand in seinem breiten Maul. "Danke", sagte Bill. "Wie kommt es eigentlich, dass nur Schwachköpfe mit euch gesprochen haben?" "Mit mir", sagte Quork, "Ich bin der einzige, der hergeschickt wurde. Ich kann dir sagen, warum. Ich habe mich möglichst nur in solch abgelegenen Gebieten aufgehalten, um unerkannt zu bleiben. Hierher verirren sich normalerweise nur Menschen, die in der realen Welt nicht klarkommen. Nichts für ungut." "Kein Problem." "Meistens waren es zufällige Begegnungen, wie diese hier. Hin und wieder ist es ja auch ganz nett, mal mit den Einheimischen zu plaudern. Dummerweise konnten die meisten damit nicht umgehen, sind gleich zur Polizei oder zu den Medien gelaufen und haben sich in aller Öffentlichkeit zum Affen gemacht, wie ihr es so schön formuliert." "Und die Entführungen und Experimente?" Quork winkte ab. "Das habe ich ganz am Anfang ein paar Mal gemacht. Ließ sich nicht vermeiden. Anatomische Studien und so, du verstehst? Habe aber niemandem etwas angetan und die Geschichten über Analsonden und so ein Blödsinn haben sich die Trittbrettfahrer ausgedacht, um sich aufzuspielen. Diese kranken Spinner. Mal im Ernst. Ich fliege doch nicht Millionen Lichtjahre durch die Galaxis um euch in den Hintern zu gucken." Quork nahm einen tiefen Schluck aus seiner Bierdose und fuhr dann fort. "Es gab danach immer mal wieder jemanden, der mich vorbeifliegen sah, weil ich unvorsichtig war. Aber das alleine reicht ja nicht, um in die Schlagzeilen zu kommen, also haben sie auch noch eine Entführung dazugedichtet. Deshalb sind so viele Entführungsberichte im Umlauf. In Wirklichkeit waren es nicht mehr als ein halbes Dutzend. Da hatte ich ganz schön was ins Rollen gebracht. Irgendwann tauchten Berichte aus Gegenden auf, in denen ich noch nie gewesen bin. Das kam mir aber auch sehr recht, denn eine bessere Tarnung gibt es doch nicht. Wenn die Menschen überall auf der Welt UFOs sehen, wird die Chance immer geringer, dass sie das einzige echte finden. Da hätte ich mir den Stress mit den Kornkreisen auch schenken können." "Die sind tatsächlich von dir?" sagte Bill. "Nur die Idee und die ersten Prototypen, wenn du so willst. Es war das selbe wie mit den Entführungen. Ein Selbstläufer, der immer größere Ausmaße annahm. Einige Nachahmer haben das wirklich clever angestellt und führen die Wissenschaftler heute noch an der Nase herum. Köstlich."
Bill hatte seine Wasserflasche geleert und fühlte sich schon fast wieder nüchtern. Er stocherte mit einem Stock in der Glut des runtergebrannten Feuers. "Und was ist mit den anderen Geschichten, die man sich so erzählt?" fragte er. "Na, zum Beispiel, dass ihr den Menschen ihre Intelligenz gebracht hättet." Quork schüttelte seinen Kartoffelkopf und grinste blöd. "Nee, keine Ahnung, wer das war. Aber eines sage ich dir, wenn wir der Menschheit die Intelligenz gebracht hätten, hätten wir anständige Arbeit geleistet. Hahaha!" Quork verfiel in lautes, besoffenes Lachen, das Bill eigentlich in seiner Ehre als Teil der menschlichen Spezies hätte beleidigen müssen, aber unter den gegebenen Umständen und in Anbetracht der Tatsache, dass er selber keine hohe Meinung von seiner Rasse hatte, stimmte er einfach mit ein. Der Alkohol tat sicher sein Übriges dazu. "Dann habt ihr also auch nicht Elvis", fragte Bill, nachdem sie sich beide wieder eingekriegt hatten. "Natürlich nicht", sagte Quork, "das hätte ja auch wenig Sinn gemacht. Ist dir an meiner Stimme nichts aufgefallen?" "Sie ist tief." "Und weißt du auch, warum sie das ist?" "Äh, weil du ziemlich groß bist? Mein Cousin ist auch über zwei Meter und wenn der anfängt zu brüllen, bringt man lieber alles zerbrechliche in Sicherheit." "Nein", sagte Quork, "das ist nicht der Grund. Es ist die Atmosphäre." Quork sah Bill an, als sei damit alles erklärt, Bill erwiderte seinen Blick mit wenig Verständnis darin. Quork seufzte, fuhr dann fort. "Die Atmosphäre auf meinem Planeten besteht hauptsächlich aus Helium." Bill schien es noch nicht kapiert zu haben, aber Quork war geduldig mit ihm. "Hast Du schon mal Helium eingeatmet? Sagen wir, aus einem Luftballon?" Bill nickte. "Und was passiert dann?" "Die Stimme wird höher." "Siehst du", sagte Quork, "warum sollten wir einen Sänger klauen, der bei uns zuhause klingen würde wie Mickey Maus?" Beide sahen sich für einen Moment an, dann brachen sie erneut in schallendes Gelächter aus.
Als sie ausgelacht und sich die Tränen weggewischt hatten, sagte Quork: "Aber ich habe mir alle seine Platten eingepackt." "Von Mickey Maus?" fragte Bill. "Nein, von Elvis. Es gibt doch einige Dinge, um die es schade wäre." "Wie meinst du das?" "Das willst du nicht wissen", wiegelte Quork ab. "Ich muss auch langsam gehen. Wenn du mir bitte meine Schlüssel?" "Nein, nein", sagte Bill leicht erzürnt. Sätze wie ‚Das willst du nicht wissen' machten ihn schon immer rasend. "Ich will es wissen. Das hat was mit deinem Auftrag zu tun, oder? Bereitest du eine Invasion vor, oder so was? Wie in diesen Filmen?" "Quatsch", sagte Quork, "habe ich dir nicht deutlich genug erklärt, dass du die Fantasie deiner Artgenossen nicht für voll nehmen darfst? Was Hollywood sich da aus den Fingern gesaugt hat, wird bei meinen Leuten nur für zerrissene Zwerchfelle sorgen. Ich habe ein paar von den Filmen mitgenommen. Zum Schießen!" "Was dann?" Bill ließ nicht locker. "Was ist dein Auftrag?" Quork wurde für einen Moment sehr still. Dann sagte er:"Es ist ja eigentlich egal. Dir wird ohnehin niemand glauben, also was soll's. Wir sind Resteverwerter." "Was?" "Schrotthändler, wenn du so willst. Wir werden hinter euch aufräumen. Ich war hier um zu berechnen, wie lange es noch dauern wird, bis ihr euch selber auslöscht. Danach kommen wir, sammeln den ganzen Müll ein und recyceln ihn, damit dieser Planet sich möglichst schnell von euch erholt. Das machen wir schon seit Ewigkeiten. Es springt auch ganz gut was dabei rum." "Das heißt also, dass es mit uns zuende geht?" "Ziemlich bald sogar. Meine Analyse der politischen Lage, der Umweltdaten und der menschlichen Faktoren hat ergaben, dass... nein, lieber nicht." "Doch, doch", sagte Bill, nun putzmunter und wieder auf den Beinen, "ich will es wissen. Wie lange haben wir noch?" "Menschen neigen dazu, Blödsinn zu machen, wenn sie wissen, wie viel Zeit ihnen noch bleibt. Ich kann nicht verantworten, dass du vorher noch jemanden umbringst oder eine Bank ausraubst." "Was würde das für eine Rolle spielen, wenn wir am nächsten Tag eh alle tot sind?" "Es wäre moralisch verwerflich. Das ist ja das Problem mit euch Menschen. Eure Moral lässt schwer zu wüschen übrig. Dazu kommt noch euer Hang zu Gewalttaten, die letztendlich euer Schicksal besiegeln wird." "Ich habe noch deine Schlüssel", sagte Bill in einem Ton, den man mit ein bisschen schlechten Willen als erpresserisch hätte bezeichnen können. "Ich kann ihn dir wegnehmen", sagte Quork wenig überzeugend. "Wäre das nicht unmoralisch? Nein, das würdest du nicht tun. Du kannst mir also sagen, wann unsere Zeit gekommen ist und friedlich nach Hause fahren, oder du bleibst hier und kannst deine Prognose persönlich überprüfen. Wie sieht es aus?" Quork ließ wieder einen seiner herzhaften Seufzer hören, stand auf und kramte in den Taschen seines Mantels. Er nahm einen kleinen Block und schrieb mit einem Kugelschreiber eine kurze Notiz darauf. "Ich mache dir ein Angebot", sagte er, "weil ich was für dich übrig habe und du mit mir den Platz an deinem Feuer geteilt hast. Außerdem bin ich dir wohl einen Finderlohn für den Schlüssel schuldig." Er riss ein Blatt von dem Block, faltete ihn zusammen und klemmte ihn hinter den Scheibenwischer von Bills Wagen. "Auf diesem Zettel habe ich das Datum notiert. Plusminus drei Tage. Ob du ihn liest oder nicht, überlasse ich dir, aber ich bitte dich, vorher eine Nacht darüber zu schlafen." "Kann ich dir trauen?" "Du hast keine andere Wahl", sagte Quork, griff in die andere Manteltasche und zog ein silbrig glänzendes Gerät hervor, das ein schrilles Summen von sich gab, kurz bevor Bill bewusstlos zu Boden fiel.
Als er wieder aufwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Seine Zunge klebte am ausgetrockneten Gaumen und er hatte den Geschmack von alten Socken im Mund. Unter größten Anstrengungen gelang es ihm, den Kopf zu heben und bereute es im selben Moment. In seinem Schädel schien schwerer Seegang zu herrschen, der sein Gehirn immer wieder hin und her trieb. Jede weiter Bewegung bescherte ihm mehr Schmerzen als die vorherige. Zu seinem Glück lag er im Schatten seines Wagens, so dass ihm die Sonne nicht noch mehr Leid zufügen konnte. Durch verquollene Augen betrachtete er seine Umgebung, die nur langsam Konturen annahm. Der Anblick von unzähligen leeren Bierdosen und Whiskeyflaschen brachte Erinnerungen hervor, mit denen sich sein Magen gar nicht einverstanden erklären wollte und sich ungefragt neben dem Vorderreifen seines Inhalts entledigte. Mit Mühe und Not schaffte es Bill, sich zum Kofferraum zu schleppen, wo er ein Frühstück, bestehend aus Wasser und Aspirin, zu sich nahm. Langsam schlich sich der Gedanke an ihn heran, dass er den vergangenen Abend nicht alleine verbracht hatte, aber Details blieben ihm verwehrt. Nach einer halben Stunde, in der er haufenweise gute Vorsätze, bezüglich des Verzichts alkoholischer Getränke, geschlossen hatte, warf er seinen Rucksack in den Kofferraum und setzte sich hinters Steuer. Er fuhr los, hielt jedoch bereits nach hundert Metern wieder an, als er den kleinen Zettel hinter dem Scheibenwischerblatt entdeckte. Er entfaltete ihn und als er las, was darauf geschrieben stand, fand die Erinnerung ihren Weg zu ihm zurück. Er blickte sich in alle Richtungen um, obwohl ihm klar war, dass er nichts entdecken würde, klopfte seine Taschen nach etwas ab, von dem er sicher wusste, das es nicht mehr da sein würde. Dann schob er den Zettel in seine Tasche und fuhr diebisch grinsend in die nächste Stadt, um einen Kredit aufzunehmen, den er im Leben nicht zurückzahlen könnte.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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