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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Bürotraum
© Bärbel Dorn
In einer Ruhepause im hochsommerlich warmen, sonnendurchfluteten, mittäglichen Büro, bei einer beinahe wahrhaftigen Siesta also, hatte ich einen Traum.
Gönnerhaft und konziliant erschien mir mein Projektleiter, der mir aus dem wahren Leben als ein eingefleischter Phlegmatiker mit stark cholerischen Zügen in Erinnerung ist. Er ist eine wahre Radfahrernatur, katzbuckelt vor der Geschäftsleitung, setzt uns Projektmitarbeiter permanent unter Druck und lässt uns im Regen stehen, wenn sich die Misserfolge wieder häufen.
Doch nun erschien er mir gönnerhaft und konziliant, seine ausgesuchte Freundlichkeit machte mich stutzig, seine Erscheinung war so diffizil, dass, trotz der sommerlichen Hitze im Büro, an die sich meine Haut erinnerte, in meinen Traum glaziale Kälte einzog und ich die Arme um den Oberkörper schlang.
Meinen Projektleiter störten die eiszeitlichen Stimmungen scheinbar nicht im Geringsten, er fühlte sich pudelwohl und beharrte nachdrücklich darauf, mit mir die Chancen unseres permanent gefährdeten Projektes zu prüfen. Da er weiterhin ungewöhnlich maßvoll, zurückhaltend und verbindlich sein Anliegen artikulierte, war ich aufgeschlossen und kramte in meinem Schreibtisch nach dem Entwurf einer Analyse.
Diesen Entwurf, der auch ein Konzept für Veränderungen enthielt, hatte ich außerhalb der Traumrealität gewissenhaft in meinem Schreibtisch verborgen, da ich darin sehr deutlich die Anzeichen für das Scheitern des Projektes aufzeige. Ich trug den Schreibtischschlüssel an einem Bändchen um den Hals und weihte niemanden in mein klarsichtiges Geheimnis ein, zu argwöhnisch beobachtete der Projektleiter mein Tun, das ihm sowieso unpassend und anstößig erschien und dessen Wirkung er vorsorglich kanalisierte, indem er
mich zum Eigenbrötler abstempelte.
Aber jetzt im Traum umgarnte mich seine Nachgiebigkeit, er wirkte so interessiert, dass ich den Schlüssel vom Hals nahm, die Lade öffnete und dem Projektleiter mein Konzept vorlegte. Er nickte, als er die Analyse las, runzelte die Stirn und ich drehte den Schlüssel zwischen den Fingern und die Argumente stumm zwischen den Lippen. Nachdem der Projektleiter einige Minuten für das Studium meiner Veränderungsvorschläge verwendet hatte, wandte er sich wieder mir zu, immer noch gönnerhaft und konziliant, bekundete
mir seine Sympathie, lobte die Ausgewogenheit der Vorschläge und meinte, so ließe sich unser Projekt in Ordnung bringen.
Selbst im Traum war ich über seine entgegenkommende, nach Übereinstimmung strebende Haltung verwundert. Als überzeugter Optimist wollte ich aber nicht misstrauisch sein und war zu weiterer Zusammenarbeit bereit.
Im Traum änderte sich das Erscheinungsbild unseres Projektes. Der Projektleiter vermittelte allen Mitstreitern seine Gewogenheit und Verbundenheit.
Nach meinem Plan wurde die Projektstruktur begradigt, Aufgaben wurden klar formuliert und der Termindruck vermindert. Anfangs waren die Mitarbeiter skeptisch, reserviert und argwöhnisch. Zu oft hatten sie ihre Hoffnungen an derartige Anzeichen von scheinbarer Liberalität und Harmonisierung geknüpft, doch der Schein trog jedes Mal und es blieb der schale Geschmack einer anstößigen Posse.
Doch mit unaufhörlicher Beharrlichkeit verfolgten der Projektleiter und ich unsere Ziele und bewiesen, dass der Wandel kein vorgeblicher, scheinbarer war.
Das Stigma des erfolglosen Projektes verlosch, die Kollegen begannen, sich ins Mittel zu legen. Jeder gab sein Bestes, Trittbrettfahrer hatten in unserem Team nun einen schwierigen Stand. Nüchtern wurde in unseren Projektbesprechungen der Arbeitsstand bewertet, kein heikles Thema mehr ausgespart und immer wieder das weitere Vorgehen überprüft.
Im Traum fühlte auch ich mich jetzt prächtig, längst war ich kein Außenseiter mehr. Unser Projektleiter erwies sich als wahre Frohnatur, immer neue Facetten lernte ich an ihm kennen, so dass ich im Traum, wenn auch nur im Geheimen, von ihm zu träumen begann.
Die veränderten Arbeitsmethoden machten unsere Geschäftsleitung misstrauisch. Die Kritik war zunächst unterschwellig, scheinbar auf das Wohl und den Erfolg des Projektes gerichtet. Als Schmarotzer wollte das Management sich unseren Erfolg zu Eigen machen. Angesichts der Misserfolge anderer Projekte, die weiter mit den alten Methoden arbeiteten, versuchte die Geschäftsleitung eine Abwertung unserer Leistungen, sie argumentierte dabei so verstiegen, dass sie behauptete, mit weniger Nachgiebigkeit und permanentem
Leistungsdruck wären noch größere Erfolge möglich gewesen.
In meinem Traum prallten die wahrhaft unrealistischen Argumentationen, Forderungen und Ansinnen jedoch an uns ab, wir waren eine eingefleischte Gemeinschaft geistesverwandter Mitarbeiter und erzielten einen traumhaften Erfolg.
Ich schrak aus meinem Traum, als die Bürotür geöffnet wurde und mein Projektleiter, in grotesker Hektik und um törichte Autorität bemüht, seine Forderungen schreiend formulierte: "Die Geschäftsleitung fordert..., bis morgen muss unter allen Umständen..., keine Diskussion..."
Der Schlüssel zu meiner Schreibtischlade fiel zwischen uns auf den graublauen Teppich. Hastig setzte ich meinen Fuß darauf, der Projektleiter runzelte die Stirn und schrie durchs Büro: "Wieder mit Privatkram beschäftigt... Auf Kosten der Kollegen..." Ich wartete, bis die Bürotür zufiel, dann verbarg ich den Schlüssel wieder unter meinem Pullover.
Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.