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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Die Heimkehr

© Birgit Krenn


Ein letzter Blick in den Spiegel, bevor ich aus dem Fahrstuhl steige. Ich bin zufrieden. Das Make-up sitzt. Das Kostüm kaschiert meine Schwachstellen, vermittelt Integrität und Kompetenz, nicht zu weiblich, unaufdringlich, dezent. Eine gepflegte Erscheinung. Die bald jüngste Dozentin der Fakultät. Ich lächle mir aufmunternd zu. Ich werde sie nicht enttäuschen. Meine Finger umkrallen einen Zettel in meiner Jackentasche. Meine Hände schwitzen leicht. Ich muss ihn nicht lesen um zu wissen, was darauf steht. Nur eine kleine, mentale Hilfestellung, oder wie ein Lehrer von mir zu sagen pflegte: "Wir werden das Schwein schon schlachten, auch wenn es quietscht." Wie unpassend. Mir entschlüpft ein nervöses Kichern. "Reiß dich zusammen.", denke ich. "Ich bin die jüngste Dozentin der Fakultät. Ich bin erfolgreich. Ich bin beeindruckend. Ich bin wundervoll." Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich an der Wohnungstür läute. Keine Schritte, die sich nähern. In der Wohnung bleibt es still. Ich warte einen Augenblick und gerade als ich ein zweites Mal klingeln möchte, höre ich eine tiefe Stimme, die ungehalten "Kommen sie endlich herein" brüllt.
Der beißende Geruch von kaltem Rauch kratzt in meiner Kehle, als ich das Zimmer betrete. Mich räuspernd unterdrücke ich einen Hustenreiz. Dick hängt der graue Dunstschleier in der Luft, frisst sich sofort in meine Kleider, mein Haar, brennt in meinen Augen. Es stinkt, als ob er seit Tagen nicht mehr gelüftet hätte. Der Raum ist mit schweren Vorhängen verdunkelt, durch die ein schwacher Lichtstrahl auf den Schreibtisch fällt. Dahinter thront er in einem wuchtigen Ledersessel, das Gesicht von einer grauen Wolke verhüllt. Seine kleinen, gelben Zähne sind das Erste was ich von ihm sehe. "Beißerchen" denke ich unwillkürlich. Dann, sein schmutziges Grinsen. Er gibt mir nicht die Hand. Macht sich gar nicht erst die Mühe mich willkommen zu heißen. Stattdessen mustert er mich abschätzig. Von oben bis unten und wieder zurück. Seine Augen sind kalt. Sein Blick überheblich. Das also ist der Mann, der mich jahrelang beschäftigt hat, manchmal bis zur Erstarrung. Ich kenne seine Schriften auswendig. Jedes Wort, das er jemals von sich gegeben hat. Er hat mich inspiriert. Mich vorangetrieben, wenn ich zu müde war, aufgeben, alles hinschmeißen wollte. Immer wieder dieser Traum, ihm eines Tages gegenüber zu stehen. Von Kollege zu Kollegin. Geschätzt und respektiert. All die Jahre. All die Anstrengungen, die Verzichte. Alles seinetwegen.
Der Widerwillen ist ihm anzusehen. Keine langen, schlanken Beine, kein üppiger Busen, der ihn für seinen Zeitaufwand entschädigt. Ich fange an mich zu entspannen. Für einen Augenblick fühle ich mich diesem widerwärtigen Chauvinisten überlegen. Ich weiß, dass er stärker ist als ich, mich zermalmen wird, mit seinen scharfen Worten, seinem wachen Verstand und seinem unerschöpflichen Wissen, das ich, selbst durch jahrelange harte Arbeit immer noch nicht erreicht habe. Es macht mir nichts aus. Nicht mehr. Ich weiß, wer ich bin, was ich geleistet habe - und ich habe Werte. Die Zeiten in denen mich Worte beeindrucken konnten sind vorbei. Mich beeindruckt nur noch Menschlichkeit. Im Übrigen, auch seine Zeiten sind vorüber. Er braucht das Interview genau so sehr wie ich. Niemand interessiert sich mehr für ihn. Sein Name ist in Vergessenheit geraten. Nur deshalb duldet er mich, damit er seinen Namen wieder auf Papier gedruckt sehen kann. Dafür würde er alles tun. Er weiß, dass ich es weiß.
Er fordert mich nicht auf Platz zu nehmen, bietet mir nichts zu trinken an. Ich stelle meine erste Frage. Ich bin vorbereitet. Ich bin immer gut vorbereitet. Sofort fällt er mir ins Wort, kann es gar nicht erwarten mich zu demütigen. Schwingt beeindruckende Reden. Will mich klein halten. Er hat Erfolg. Meine Fragen kommen mir nichtig und unzulänglich vor. Wochenlange Vorbereitungen, durchgearbeitete Nächte zerschmelzen wie Schnee unter seinen hitzigen Worten. Er lässt mir kaum eine Chance. Er hat eine schöne Stimme. Dunkel und kehlig. Sehr männlich. Wenn ich ihn nicht kennen gelernt hätte, nur am Telefon mit ihm gesprochen hätte, hätte seine Stimme mich erregen können. Seine Stimme erregt mich. Bemerkt er es? Spott. Er atmet den Spott und die Verachtung für mich durch jede Pore seines Körpers aus. Er hat die Fäden fest in der Hand. Grobe, breite Hände, die hart zupacken können. Er ist noch nicht alt, nur vergessen und dennoch alles beherrschend. Der ganze Raum ist durchdrungen von ihm. Seiner Macht, die sich von der Außenwelt zurückgezogen hat, zusammengeballt auf 56m². Sie braucht die Luft auf, zwängt sich in die Gegenstände, drängt aus den Ritzen des Fußbodens, rieselt aus den staubbedeckten Büchern und geht doch nicht weiter als bis zur Wohnungstür. Draußen, auf der Straße, würde sie sich verlieren, aber hier in seinen vier Wänden ist sie gewaltig, alles verschluckend, dass nur einen Anflug von Schwäche zeigt. Dieses Interview ist eine Farce. Ich bin schon längst erledigt. Er schwelgt in seinen Worten, genießt den Triumph zu sehr um mich hinauszuschmeißen. Irgendwann denke ich, dass ich aufstehen sollte und gehen. Meine Selbstachtung bewahren. Ich muss mir das doch nicht gefallen lassen. Doch ich hab mich längst verkauft. Jeden Tag, an dem ich mich bemühte zu gefallen. Das Richtige zu sagen, das Richtige zu tun. Jeden Tag an dem ich sein wollte, was ich nicht bin. Stark, unverwundbar, so verdammt selbstbewusst nach außen hin, nur niemals Schwäche zeigen. Ich will nicht gehen.
Es fühlt sich heimlich, lustvoll an. Eine kleine Sünde, die ich mir hier leiste. Keiner sieht es, keiner weiß etwas davon. Nur er und ich. Ich werde mir schon etwas zusammenbasteln, wenn ich erst alleine bin, mein Verstand wieder funktioniert. Ein letzter Versuch. Ich improvisiere ein wenig. Versuche ihn herauszulocken aus seiner Selbstgefälligkeit. Kratze sein Ego an. Das ist leicht. Ich möchte, dass er wütend wird. Fast sehne ich mich nach seinem Zorn. Ich lächle glücklich, als es gelingt. Er ist nicht mehr zu halten. Seine Augen glühen voller Wut. Dann sagt er es. Endlich sagt er es. "Sie sind ein Nichts!" zischt er verächtlich und die Spucke tropft ihm dabei auf seinen kostbaren Eichentisch. Wohlig rekle ich mich unter seiner Abscheu. Ich fühle mich vollkommen gelöst. "Sie sind doch nicht einmal den Dreck unter meinen Nägeln Wert". Mir dreht sich der Kopf vor Glück. Endlich einer, der es ausspricht. Endlich einer, der mir nichts einreden will, den ich nicht mehr täuschen muss. Wie eine gewaltige Welle schlagen seine Beleidigungen über mir zusammen und ich ertrinke in einem Meer aus Räucherstäbchen, Selbsthilfebüchern, Hare Krishna und Feng Shui. Ich möchte hier nie wieder weg, von dieser erregenden Stimme, die mich endlich sein lässt, was ich bin. Dass ich mich nicht mehr strecken muss, nach all den Unmöglichkeiten. Fast möchte ich weinen vor Glück. Wann habe ich mich zum letzten Mal so frei gefühlt?



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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