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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Guten Abend, Herr Bankdirektor

© Jürgen Hutschalik


Prolog
Wie weit ist ein Mensch bereit zu gehen, um Gerechtigkeit zu erlangen? Beschreitet er den Weg der Rache, sucht er Ersatz für den Schaden, der ihm zuteil geworden ist, oder ist es einfach nur der manchmal irrationale Wunsch, nicht tatenlos zusehen zu müssen, wenn Dinge ihren Lauf genommen haben?
Der Plan war astrein. Fast schon genial. Dieter war sich sicher, dass nichts schief gehen konnte. Tausendmal hatten sie den Ablauf durchgespielt. Ihr Vorhaben war nicht unbedingt neu oder einzigartig, aber in dieser Perfektion wohl unübertroffen.
"Vorsicht! Er kommt!"
Heinz löschte das Licht in der 300 qm Villa an der Elbe. Es war dunkel. Draußen pfiff der Wind durch eine kühle Herbstnacht. Sie hörten das Klappen der Eingangstür. Schritte. Jemand summte ein Liedchen. In der Diele wurde es hell. Der Schatten eines kleinen dicken Mannes fiel in den Salon.
"Nanu? Es ist ja so kalt hier drin! Hat die gute Martha vergessen..."
Weiter kam Ado Jonan nicht. Pete knipste das Licht an.
"Guten Abend, Herr Bankdirektor!"
Direktor Jonan schaute zuerst überrascht, dann mit wachsender Furcht auf drei Männer mit schwarzen Strumpfmasken über dem Gesicht und schwarzen Lederhandschuhen an den Händen. Sie standen in der Mitte des Salons. Zwei von Ihnen bedrohten ihn mit Pistolen.
"Ganz ruhig, dann passiert Ihnen nichts!" Dieter musste unter seiner Maske grinsen. Wie genoß er es doch, einmal diesen dicken, arroganten Geldsack derart überrumpelt vor sich zu sehen. Es war umso mehr erfreulich, da Pete, Heinz und er im Grunde drei friedliebende Familienväter und die Pistolen aus dem Spielzeugparadies "Salzstein" nicht einmal mit Platzpatronen geladen waren.
"Was wollen Sie hier? Ich habe kein Geld im Haus! Im übrigen erwarte ich Besuch, der wohl bald hier eintreffen wird..." Jonan war sichtlich beunruhigt.
"Ihre Familie ist heute Vormittag für drei Wochen in die Skiferien gefahren. Die Haushälterin Martha hat bis morgen Nachmittag frei, sie erwarten keinen Besuch und der Sicherheitsdienst ist bis auf weiteres gekündigt." Heinz ließ sich genüßlich in einen der tiefen lederbezogenen Ohrensessel nahe dem Kamin gleiten. Mit spitzen Fingern entnahm er der Zigarrenkiste auf dem Beistelltisch drei besonders dicke Exemplare und verstaute sie in seinem weiten olivgrünen Overall.
"Gekündigt? Der Sicherheitsdienst?" Jonan schaute ungläubig auf die vermummten Gesichter.
Dieter lachte.
"Ja, Herr Direktor, wir haben uns die Freiheit genommen, Ihren Sicherheitsleuten ganz offiziell zu kündigen - mit Stempel und Unterschrift, wie es sich gehört."
"Aber wie - ?"Jonan konnte nicht begreifen, dass er in seinem Heim, das ihm stets so sicher und uneinnehmbar schien, schutzlos der Gewalt dreier Gewaltverbrecher ausgeliefert war.
"- wie wir an ihre Unterschrift gekommen sind? Das war gar nicht so schwer, wie sie vielleicht glauben."
Dieter dachte an die schriftlich gekündigten Hypotheken von Pete und Heinz. Er dachte auch an sein Kündigungsschreiben von der Bank - alle trugen sie die überdimensionalen Kringel des Ado Jonan.
Kündigung - ha! - Letztes Jahr hatte die Bank 950 Millionen Euro Gewinn gemacht. Doch das war Bankdirektor Ado Jonan nicht genug gewesen. Die Folge war, dass sie 250 Mitarbeitern gekündigt hatten, um, wie es hieß, unnötige Personalkosten einzusparen. Dieter unterdrückte die aufkommende Verbitterung: Neun Jahre Arbeit - und dann einfach auf die Straße gesetzt, weil der Bankenvorstand den Hals nicht voll genug bekam.
Pete und Heinz war es nicht besser ergangen. Als die beiden vor drei Monaten arbeitslos wurden, drängte die Bank als Hauptgläubiger sofort auf Zwangsversteigerung ihrer kleinen Einfamilienhäuser. Die beiden fanden natürlich keine andere Bank, die eine Umschuldung vollzogen hätte. So kamen ihre Eigenheime unter den Hammer. Die Erlöse hatten nicht einmal zum Begleichen ihrer Bankschulden gereicht.
Dieter fixierte sein Gegenüber.
Jonan schwitzte. Schweißperlen sammelten sich in den Falten seiner Stirn und rannen ihm an den Augenwinkeln herunter.
"Es ist ein Unterschied, ob man in der Zwickmühle steckt, oder ob man nur von oben die Fäden zieht, Herr Direktor, nicht wahr?" Dieter konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen.
"Wie meinen Sie - , hören Sie, ich kann Ihnen Geld geben! Wenn Sie meinen Safe suchen..."
Jonan keuchte angstvoll.
"Nein, wir suchen nicht Ihren Safe. Wir wollen kein Geld von Ihnen."
"Aber was -?" versuchte Jonan eine erneute Frage zu stellen.
"Ihre Schlüssel, bitte, Herr Direktor, und Ihre Brieftasche und Ihr Handy!" Dieter streckte ihm auffordernd seine Hand entgegen.
Fast schon erleichtert wühlte Jonan in seinem gestreiften Anzug nach der Brieftasche und reichte sie dem Maskierten. Also doch- ein Raubüberfall! Die Kerle hatten es auf sein Geld abgesehen! Aus seiner Hosentasche fingerte er ein kleines Schlüsselbund und ein winziges Handy und übergab es ebenfalls.
Dieter öffnete zuerst die Brieftasche, nahm sämtliches Geld heraus und legte es auf den protzigen Tisch. Jonan konnte sich keinen Vers darauf machen. Dieter betrachtete eingehend das Schlüsselbund, bevor es es zusammen mit der Brieftasche in seiner weiten Jacke verstaute. Dem Handy entnahm er die Chip-Karte und legte es neben das Geld auf den Tisch.
"Das sind nicht alle Schlüssel, Herr Direktor, wenn ich bitten dürfte..."
Jonan starrte auf den Maskierten. Dann wanderte sein Blick zu dem kleinen Sekretär in einer Ecke des Salons.
Dieter nickte Heinz zu.
Heinz ging zu dem mahagonifarbenen Pult, öffnete vorsichtig Fach auf Fach und wurde schließlich fündig. Er entnahm zwei größere Schlüssel an einem goldenen Kettchen.
Sorgfältig und behutsam verschloß er sämtliche Schubladen.
"Vielen Dank, Herr Direktor, wir werden Sie weiterempfehlen," meinte Dieter spöttisch.
"Ach ja, Sie werden sicher Verständnis dafür haben, dass einer meiner Freunde für fünf Minuten bei Ihnen bleibt, damit wir uns auf der Flucht nicht allzu sehr beeilen müssen."
Dieter nickte dem Bankdirektor kurz zu und verließ mit Pete zusammen das Haus. Heinz blieb stehen und schaute auf seine Uhr. Er hatte seinen Revolver wieder auf Jonan gerichtet.
"Hören Sie, Sie können Ihren Freunden ruhig folgen, ich verspreche Ihnen -!" Jonan schwieg, als er sah, dass der Maskierte den Zeigefinger an die Lippen hob.
Es wurden lange qualvolle Minuten für Bankdirektor Jonan. Doch schließlich blickte Heinz erneut auf seine Armbanduhr und wandte sich zum Gehen. Nur Sekunden später hörte Jonan die Eingangstür zufallen. Er stürzte sofort zum Telefon, hob den Hörer und wählte die Nummer der Polizei.
"Jonan, Schwanengasse 13, schicken Sie sofort jemanden vorbei. Ich bin überfallen worden," brüllte er aufgeregt in die Muschel.
Eine blecherne Stimme antwortete:"Polizeirevier 15, Wickersmann, bitte wiederholen Sie noch einmal, ich kann Sie nur schlecht verstehen."
Jonan hörte es rauschen und knistern. Im Hintergrund mischte sich Stimmengewirr mit dem Zuschlagen von Türen. Jemand rief etwas.
"Verdammt, mein Name ist Jonan. Bankdirektor Jonan. Ich bin überfallen worden."
"Sind die Täter noch im Hause?"
"Nein, nein, -"
"Sind Personen verletzt worden?"
"Nein, aber so hören Sie doch -"
"Sind Wertgegenstände entwendet worden-."
"Nur meine Brieftasche und meine Schlüssel- "
"Befand sich viel Geld in der Brieftasche -"
"Nein, die haben es einfach auf den Tisch gelegt-"
"Das Geld-?"
"Ja!"
"Also die Diebe haben sie überfallen und das Geld dann auf den Tisch gelegt? Es ist niemand verletzt worden und gestohlen wurde eigentlich auch nichts? Sagen Sie, haben Sie etwas getrunken?" Die Stimme im Hörer nahm einen forschenden Klang an.
"Nein, wie kommen sie darauf. Sie denken doch nicht etwa.....Ich bin Bankdirektor Jonan und ich bestehe darauf, dass sich hier augenblicklich jemand von Ihnen der Sache annimmt, sonst wird das Konsequenzen für Sie haben..." Jonans Gesicht schwoll rot an. Es kam nicht oft vor, dass man ihn - Bankdirektor Jonan - nicht ernst nahm.
"Ja, ja schon gut. Aber keine Angst. Ich schicke Ihnen jemanden vorbei. Meine Kollegen werden sich bei Ihnen melden." Es tutete in der Leitung. Jonan warf entnervt den Hörer auf die Gabel.
Auch Pete legte den Hörer auf. Dieter und er brachen in brüllendes Gelächter aus. Dieter schaltete das Tonbandgerät mit der Originalaufnahme der Polizeirevierhintergrundgeräusche aus. Heinz riß die Wagentür auf und nahm seine Maske ab.
"Wie ist es gelaufen?" fragte er die beiden.
"Hervorragend," antwortete Dieter. "Pete hat echt einen guten Job gemacht."
Pete wurde ein wenig rot.
"Mann, Leute, ich hab Fernmeldetechniker gelernt. War kein Ding, sich in die Leitung einzuklinken."
"Na, aber es war schon prima, wie Du den Polizisten gespielt hast. Ob er's geschluckt hat?"
"Auf jeden Fall," erwiderte Heinz. "Der ahnt nichts. Ich hab durchs Fenster gesehen. Er hat sich einen Cognac geholt und wartet jetzt auf die Polizei. Das kann ein bißchen dauern." Die drei lachten. Pete verließ den kleinen Kombi und eilte zum Telefonverteiler am Ende der ruhigen Seitenstraße. Dort entfernte er zwei Drähte von einer Zuleitung. Dann schloß er den Verteiler ordnungsgemäß und eilte zum Wagen zurück, wo es sich Heinz mittlerweile auf dem Rücksitz bequem gemacht hatte.
Gemeinsam fuhren sie in die Stadt. Unweit der Zentralbank parkten sie den Wagen. Zügig, aber nicht hastig legten sie die paar Schritte zum Eingang der Bank zurück. Dieter wusste genau wie man den Alarm entschärfen und die Tresortür öffnen konnte. Den zweiten Schlüssel vom stellvertretenden Direktor hatte sich Dieter noch während seiner Tätigkeit als Bankangestellter heimlich nachgemacht.
Die drei Freunde entnahmen dem Tresor in dieser Nacht haargenau die Geldbeträge, um die sie glaubten, von der Bank betrogen worden zu sein: Drei Jahresgehälter für Dieter und zweimal die Kaufpreise für zwei kleine Einfamilienhäuser, zusammen 435.000 Euro. Goldbarren, weiteres Geld und andere Wertgegenstände liessen sie liegen. Zuletzt zog Dieter Jonans Brieftasche aus seiner Jacke und stopfte ein paar Eintrittsbilletts von einer Spielbank der Umgegend hinein. Dann legte er sie unter das Regal neben den Goldbarren.
"So, das müßte reichen," meinte er lächelnd. "Eine bessere Spur gibt es nicht."
Lachend schlossen Sie den Tresor, verliessen die Bank und begaben sich mit dem Geld zu ihrem Auto. Sie verliessen die Stadt, fuhren noch ein paar Kilometer, dann hatten sie die alte Kiesgrube erreicht. Die Freunde suchten sich einen abgelegenen Platz. Dort hob Dieter mit den Händen eine kleine Mulde aus. Pete warf das Geld in das Loch. Heinz entzündete ein Streichholz. Doch als er das das Geld in Brand stecken sollte, zögerte er.
"Heinz, vergiß es!" ermahnte ihn Dieter." Sie würden uns jagen bis ans Ende der Welt- und sie würden uns kriegen. Die meisten der Scheine haben notierte Nummern und vergiß nicht- wir haben Familie."
Heinz nickte und warf das Streichholz in die Mulde. In kleinen blauen Flämmchen löste sich vor ihren Augen ein kleines Vermögen in Rauch auf.
"Halt!" rief Heinz plötzlich. Dieter und Pete sahen ihn erstaunt an.
"Wir können das Geld nicht behalten..," begann Dieter wieder, doch Heinz winkte ab. Er fingerte aus seinem Overall drei dicke Havannas und gab sie seinen Freunden.
"Ein Geschenk von unseren Herrn Direktor," schmunzelte er und entzündete seine Zigarre an den kleinen Flämmchen des verkümmernden Feuers. Dieter und Pete lachten und folgten seinem Beispiel.
Bankdirektor Jonan wurde am folgenden Morgen verhaftet. Man hatte seine Brieftasche im Tresor gefunden und ein paar dementsprechende Schlüsse daraus gezogen. Er saß drei Wochen in Untersuchungshaft, bis sich seine Unschuld herausstellte. Doch aufgrund der anfänglichen Verdachtsmomente wurde er seines Amtes enthoben.
Monate später fanden Pete und Heinz wieder Arbeit. Auch Dieter arbeitet wieder - als Sachbearbeiter in einer Versicherungsgesellschaft. Vor zwei Tagen hat er einen neuen Chef bekommen: Ado Jonan.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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