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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Stille hinter den Wänden oder Wenn ich dich nicht mehr finde ...

© Kathleen Strobach


Plexington war großartig. Die wenigen Autos, die die Straßen des kleinen Ortes durchquerten, ließen den Kindern und Jugendlichen viel Freiraum um ihren alltäglichen Beschäftigungen nachzugehen. Ob man nun die Bänke an den Straßen besetzte, sich mit Straßenkreide auf den langen Wegen verewigte oder die Idylle des großen, grünen Parkes genoss. Das Leben in Plexington war unbeschwert und frei. Jeder kannte einander, ließ sich auf Gartenfeste oder Grillpartys einladen, redete hier und da über seinen Nachbarn und ging seinem Tagesgeschehen nach. Plexington war keine große Stadt, lag weit ab von dem großen Treiben und dem Chaos, das in den großen Metropolen herrschte. Luise, Susann und Jessie liebten ihren Ort. Hier waren sie sie selbst, erschufen sich ihre kleine eigene Welt und hingen ihren Träumen vom Fliegen nach. Mit siebzehn Jahren hatten sie nun wohl den Höhepunkt ihrer Pubertät erreicht, und sie genossen diese Zeit. Was jetzt in ihrem Leben an der Highschool zählte, waren Jungs, ein perfektes Aussehen und natürlich Mode- und Stylingtipps. Jessie war in diesen Sachen der absolute Profi. Ständig toppte sie den gerade angesagten Schuldress mit ausgefallenen Frisuren und wild zusammengestellten Farbkombinationen. Luise hielt sich in Sachen Kleidung lieber unauffällig im Hintergrund. Und Susann? Susann war die Nummer Eins in der Clique, die Anführerin, die stets Ideen einbrachte und die Gruppe von neuen Vorhaben überzeugte. Sie überraschte stets mit neuer figurbetonter Kleidung, ließ ihr langes, blondes Haar in den Nacken fallen und verzauberte jeden Jungen ihrer Schule mit einem Augenaufschlag. Doch seit kurzem war nichts mehr wie es war. Susan sprach kaum ein Wort mit den anderen, ließ sich nicht mehr zu Neuem faszinieren und bei ihrem täglichen Cliquengespräch über die Außenseiter der Schule hielt sie sich dezent im Hintergrund. Selbst ihren großen Traum, den diesjährigen Abschlussball zu moderieren, gab sie auf. Jessie und Luise fragten sich schon seit Wochen, was denn mit ihr los sei. Sie war einfach nicht meh schon seit Monaten Schluss war, und sie es eigentlich sichtlich überwunden hatte. Sie war eine eifrige Schülerin und kam aus einem guten Elternhaus, in dem ihre Eltern sie pflegten und hegten, wie ein zerbrechliches Glas hüteten, ihr aber doch genug Freiraum ließen. Susann liebte ihre Eltern, Adam und Mary. Luise war oft neidisch darauf, denn sie hatte niemanden, der sie noch jetzt mit einem Gutenachtkuss ins Bett brachte und ihr das Frühstück servierte.Oft fragten Luise und Jessie sich, ob es wohl die Umstellung sei, denn schließlich erwartete Susanns Mutter eine kleine Tochter und sie bekam somit ein Schwesterchen. Aber Susann freute sich darauf, das hatte sie den Beiden anfangs deutlich zu verstehen gegeben. Sie wussten nicht, was mit ihrer Freundin los war, wussten sich keinen Rat und nahmen ihre Gleichgültig als Phase hin. Sie kamen einfach nicht mehr an sie ran und ließen die Zeit den Lauf der Dinge bestimmen.
Es war ein herrlicher Tag in Plexington. Die Sonne schien heiß, ließ den Asphalt auf den Straßen schmelzen und zu leichtem Dampf aufsteigen. Die Vögel saßen verspielt auf den Zweigen der grünen Bäume und pfiffen vergnügt ihr Lied. Der Duft des Sommers lag in der Luft, als die drei Mädchen den Schulbus mit ihren Sportbeuteln verließen und den großen Schulhof bis hin zum Eingang der Schule überquerten. Die Sonne brannte auf ihre vorgebräunten Haut und ließ sie mit großer Freude die Schule betreten. Denn heute war kein gewöhnlicher Tag. Aufgrund der nun schon seit Wochen andauernden Hitze hatte ihr Dozent beschlossen, einen Ausflug ins nahe gelegene Freibad zu unternehmen. Die Klasse sammelte sich in ihrem Lehrraum. Die Schüler rutschten aufgeregt auf den spärlichen Holzbänken umher, ließen ihre Taschen auf die Tische fallen und warteten mit lautem Geschwätz auf die Ankunft ihres Lehrers. Der wartete bereits hinter dem Schulgebäude und ließ nun die Jugendlichen durch den Rektor auf den Hof bitten. Jessie und Luise hatten große Mühe auch Susann hinaus in die Sonne zu bekommen. Sie war von Anfang an nicht begeistert von diesem Ausflug und hatte ihre Antipathie deutlich zum Ausdruck gebracht. Jessie spannte Susann unter ihre Arme und so folgten sie der Menge hinaus. Das grelle Licht das hinter den wenigen Wolken hervorbrach, stach in ihre Augen und ließ sie die ersten Meter blind der Klasse folgen. Rektor Skinna zählte die Schüler und wünschte allen einen schönen Aufenthalt beim Baden. Die Klasse tobte und mit lautem Geschrei machten sie sich zusammen mit schnellen Schritten auf den Weg zur Badeanstalt. Hundert steinige Meter lagen vor ihnen, bis sie ihre Sachen aus, die Badehosen anziehen und ins kalte Nass springen würden.
Susann lauschte beifällig den Gesprächen ihrer beiden Freundinnen und gab gelegentlich ein teilnahmsloses "Ja" oder "Nein" von sich. Sie sah gen Himmel. Die Sonne ließ ihr die Schweißperlen auf der Stirn stehen und sie wünschte sich meilenweit weg. Wenige Minuten später erreichte die Meute die große Liegewiese des Freibades. Decken wurden ausgerollt, die besten Plätze reserviert und hier und dort stritten sich einige Mädchen, wer denn die Auserwählte von Alex, dem Klassenschwarm sei. Jessie und Luise breiteten ihre Sachen am rechten Rand des Beckens gleich neben den Büschen aus. Hier hatten sie alles gut im Blick und hatten eine Quelle, die ihnen Schatten spendete, wenn es ihnen zu heiß wurde.Die ersten Schüler sprangen mit lautem Getöse in das erfrischende Wasser und ließen große, springende Tropfen auf die Handtücher der Mädchen fallen. Susann setzte sich mit leerem Blick neben ihre Clique, zog die Beine an und klemmte ihren Beutel zwischen Knie und Bauch. Sie hatte keine Lust auf diesen Trubel. "Was ist denn los? Hopp, hopp. Ausziehen!", forderte Jessie sie aus und gab ihr einen freudigen Klaps auf die Schulter. Susan legte ihren Kopf auf die Knie und schloss die Augen, während sie die Stimme des Dozenten vernahm und sich dadurch ablenken ließ.
"Lass sie, wenn sie nicht will. Wir haben es lange genug versucht.", sagte Luise gleichgültig, schob ihre Kleidung sortiert zur Seite und legte ihr Fußkettchen ab. "Na komm!", deutete sie auf Jessie. "Lass uns das Wasser testen!" Mit großem Gelächter hörte Susann sich die Beiden entfernen und mit lautem Planschen ins Wasser eintauchen. Dozent Myckel beobachte Susann mit Skepsis. Schon lange viel ihm auf, dass mit dem Mädchen etwas nicht stimmte. Sicher war sie noch immer eine gute Schülerin, aber ihre Leistungen ließen doch sehr nach und sie schien immer mehr in sich selbst zu versinken. Aber so waren wohl die Mädchen in diesem Alter, dachte er, während er nun auch in seinen legeren Shorts ins Wasser stieg. Mit Tränen in den Augen dachte Susann an früher zurück, als sie, Jessie und Luise noch klein und unschuldig waren. Alles war perfekt. Sie wurden von allen umhegt und alles war schnell vergessen, wenn sie einmal böse waren. Die Klasse tobte und schrie, ließ Bälle übers Wasser gehen und war vergnügt. Susann wandte sich ab, obwohl sie gern die Freude im kühlen Nass geteilt hätte.Der Nachmittag ging schnell vorüber. Kurz nach vier sammelten sich die Jugendlichen, wurden noch einmal gezählt und nach einer kurzen Verabschiedung machte sich jeder in eine andere Richtung auf, um den Heimweg anzutreten. Der Weg zurück verlief ruhig zwischen den Mädchen. Kaum ein Wort fiel und vor den Haustüren trennten sich ihre drei Wege. Für Susann war dieser Tag noch lange nicht vorbei und mit einem Schauer, der ihr über den Rücken lief, betrat sie das Haus...
Der nächste Tag begann mit einem Dröhnen aus Richtung des Nachbarhauses. Familie Meyer, die kürzlich nach Sancover zog, ließ ihre Nachmieter bei der Hitze der Sommersonne ins Haus einziehen. Susann hatte die Nacht hinter sich gebracht und stand benommen vor dem großen Badezimmerspiegel. Sie sah schlecht aus. Trotz der täglichen Sonneneinstrahlung war sie blass und hatte noch mehr an Kilos verloren. Ihre Hosen und Kleider passten längst nicht mehr richtig. Sie stieg unter die Dusche, warf sich danach in ihren langen Rollkragenpullover und legte ein bisschen Rouge auf, um ihren weißen Teint etwas Farbe zu geben. Es ist Zeit. Sie musste sich beeilen. Schnell holte sie ihre Tasche, die auf der kleinen Kommode im Flur lag, griff nach der Flasche und trank auf dem Weg die enge Treppe hinunter einen Schluck Wasser. Wie jeden Morgen stand Mary mit den fertigen Frühstücksbroten in der Küche bereit. Sie sah so glücklich aus mit ihrem Babybauch. Beiläufig steckt Susann die Stullen tief in ihre Tasche um sie am Nachmittag wieder entsorgen zu können. Sie verabschiedet sich und beschleunigt ihre Schritte. Die Luft ist wieder warm an diesem Tag und der Himmel hatte nichts von seiner strahlendblauen Farbe verloren. Von weitem rollt bereits der Schulbus an und Luise und Jessie warteten vor dem Busstop auf ihre Freundin. Die Begrüßung erfolgt förmlich. Die Mädchen betreten ihren Bus und die Fahrt beginnt. Susann sieht träumend aus dem Fenster und ihr schmales Gesicht lässt einen traurigen Film auf den Scheiben entstehen...Die großen Türen der Schule öffnen sich mit Krachen und die Horde strömte ein. Fenster wurden aufgerissen und die Hitze wie ein Geist aus den Räumen vertrieben. Susann lässt sich auf die hintere Bank neben Maik fallen. Wie hatte sie es nur wieder hierher geschafft?!Der Dozent betritt die Klasse mit seinem üblichen prüfenden Blick. Seine Augen wanderten durch die Reihen und blieben an Susann hängen. Sie sonderte sich immer mehr von den anderen ab und schaute orientierungslos aus dem Fenster. Mit ernster Miene lie reide schrieb der diese fünf Buchstaben an die Wand. "Was ist Macht?", fragte er, forderte die Schüler zur aktiven Mitarbeit auf und bat um Definitionen. "Wenn die Lehrer einen Schüler dazu drängen, bei Höllentemperaturen im Klassenraum zu verharren!", schrie Alex und die Klasse grölte. "Wir können nicht jeden Tag ins Freibad!", beruhigte Myckel seine Zöglinge. "Susann, was ist Macht aus deiner Sicht?", fragte er jetzt um das Mädchen wieder ein Stück weit in den Tagesablauf zu integrieren. "Wenn ein Dämon dich beherrscht, und du dich nicht von ihm befreien kannst!", schrie sie und lief aus dem Klassenzimmer. Mit einem lauten Knall viel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Jessie und Luise sahen sich fragend an. Die Schüler fielen in intensives Reden und Gelächter trat aus den hinteren Reihen. "die dreht durch und rennt nur noch in Lumpen rum!", schrie einer der Jungen. Myckel verließ den Raum und sah Susann um die Ecke in Richtung Ausgang laufen. Er war sprachlos. Was war los mit diesem Mädchen?! Er tritt zurück in die Klasse und erneut beruhigte er seine Schüler. Am nächsten Tag blieben Jessie und Luise allein in der Schule zurück. Susann war heute nicht erschienen. Bei ihrem täglichen Gerede auf dem Pausenhof war sie heute das absolute Thema. "Ich weiß nicht, was sie sich einbildet. Sie hält sich wohl langsam für was Besseres!", meckerte Luise. "Und dreht langsam durch. Warum auch immer. Aber wenn sie uns nicht haben will, bitte, das kann sie haben." Und so verbannten sie für diesen Tag ihre Freundin aus ihren Gedanken während Susann sich fest in der Decke ihrer Bettes vergrub und mit den Tränen kämpfte. Mary sah oft nach ihrer Tochter, und nun als Susann wieder einmal ihren Rekord von 35 Minuten unter der Dusche gebrochen hatte, sah sie sich gezwungen, doch einmal mit ihrer Erstgeborenen zu reden. Sie öffnete die Badezimmertür und Sonnenlicht fiel durch das Fenster bis in den Flur. Erschrocken wich Susann zur Seite und bedeckte ihren Körper mit einem Handtuch. "Was ist los mit dir Susann? Du fehlst heute in der Schule, isst kaum noch und bist verändert.", sagte sie mit dem Gedanken an die Wasserrechnung und die vielen Besorgungen für das neue Kinderzimmer. "Ich weiß, dass es eine neue Situation für dich ist, dass du ein Schwesterchen bekommst. Aber glaub mir, daran wirst du dich gewöhnen. Ist sie erst einmal da, wirst du sie lieben. Selbst Papa hat sie jetzt schon fest in sein Herz geschlossen." - "Das hat damit gar nichts zu tun. Mach dir keine Sorgen.", entgegnete Susann, griff nach ihrer Kleidung und verließ prompt das Zimmer. Kopfschüttelnd blieb Mary allein zurück. "Mutti liebte Papa", und das wollte sie nicht zerstören. Sie wollte sich auf keinen Fall in ihre kleine Famil Beine an und ließ ihren Kopf auf die Knie sinken. Ihr langes Haar verbarg ganz ihr Gesicht.
Zum Abendbrot erschien Susann nicht.
Die Nacht näherte sich schließlich und sie brauchte viel Zeit um sich darauf vorzubereiten. Die Abenddämmerung wechselte mit tiefer, schwarzer Stille und die einst fröhlichen Vögel tauschten mit zirpenden Grillen. Nur der Mond spendete ein wenig Licht und ließ die Schatten der Bäume gespenstig erscheinen. Es war spät. Die Zeiger der Uhr hatten bereits die Zehn passiert und Susann wälzte sich nervös von einer zur anderen Seite. Fest krallten sich ihre Hände in die Decke. "La, le, lu, nur der Mann im Mond schaut zu..." Susann folgte den Zeigern der kleinen Uhr und lauschte ihrem Takt. Reglos verharrte sie in der Stille. "Mama und Schwesterchen schlafen in Ruh, sind sorglos, frei, gar nicht wie du..." Und mit einem leisen Knacken öffnet sich jetzt die Tür ihrer Zimmers und Papa tritt ein. "Hallo Prinzessin, schläfst du schon!?", flüsterte er behutsam. Fest kniff Susann ihre Augen zusammen, doch wie oft hatte sie feststellen müssen, dass ihr das nicht half. Adam ließ die Tür ins Schloss fallen und drehte den Schlüssel herum. Die Tür war zu und du Wände rückten bedrohlich näher. Ruckartig zog er Susanns Bettdecke zur Seite, ließ seinen Gürtel aufspringen und befreite sich von seinem lästigen Beinkleid. Susann träumte sich davon, so konnte sie am wenigsten Schaden nehmen. Sie war da und war es doch nicht. Adam ließ sich auf sie fallen, drückte ihre Hände in das Laken des Bettes, zerrte ihr Nachthemd beiseite und drängte sich zwischen ihre Beine. "Nein Papa!", bat Susann still und Adam schlug ihr mit der Hand ins Gesicht. "Mama, meine arme Mama. Mein armes Schwesterchen. Sie dürfen nicht wissen, dass ich böse bin. Sie haben Papa lieb. Mama darf nicht wissen, dass ich böse bin.", dachte Susann und kniff die Lippen zusammen. Und ruckartig drang er in sie ein. Mit heftigen Stößen und Gestöhne ließ er seine kleine Prinzessin unter Schmerzen und Tränen in eine Taubheit fallen. Und er sang: "La, le, lu, nur der Mann im Mond schaut zu...!" Er entledigte sich seines Sekretes, erhob sich, schloss seine Hose, strich Susann flüch Sie blieb allein zurück. Reglos verharrte sie in ihrer Position und schlaflos blieb sie liegen, bis die Sonne sich am nächsten Morgen hinter den Bäumen erhob. Wo war nur ihr Papa hin, der ihr früher Gutenachtgeschichten vorlas, ihr Zuckerwatte kaufte und ihr die kleinen rosa Puppen schenkte!? "Warum liefen die Dinge so, wie sie laufen? Warum laufen sie soweit, dass ich sie nicht mehr ertragen kann, dass ich sie nicht mehr sehen kann!?" Am nächsten Morgen spülte sie sich die letzte Nacht mit einer langen Dusche vom Körper.
Blass und krank stieg sie die Treppe herunter. Mary und Adam frühstückten bereits und planten den Aufbau des Babyzimmers. "Na Prinzessin, hast du gut geschlafen?", fragte Adam und zwinkerte ihr unbemerkt zu.
Susann verließ ohne Worte das Haus und irrte in den leeren Straßen umher, während die anderen den Weg zum Unterricht antraten.In der Schule verstummte das Gerede über Susann noch lange nicht. Einst die Queen des Schulhofes, war sie nun noch eine graue Verrückte, die keiner verstand. Am Nachmittag zogen Jessie und Luise sich an ihren Lieblingsplatz zurück und kletterten auf die große Brücke, die sich quer über den See von Plexington bog. Hier waren sie oft mit Susann, als sie sie noch verstanden. "Was ist nur los mit ihr? Ich versteh das nicht.", sagte Jessie. "Sie hat wohl jetzt bessere Dinge zu tun, als sich mit uns abzugeben.", stellte Luise fest und zusammen dachten sie an ihre gemeinsame Zeit zurück, als sie zu dritt mit kleinen Steinschleudern über Fische hergingen, den Regentanz studierten und von Timothy träumten. Sie hatten alle so viel vorgehabt. Was war nur los. Stunden später, als die Beiden sich mit ihren Inlineskates auf der Straße vergnügten, kehrte auch Susann an ihren heiligen Platz zurück, ließ ihre Beine vom Geländer baumeln und hörte dem Rauschen des Wassers zu. Wie oft hatte sie hier mit Jessie und Luise gesessen, als sie noch nicht böse war. Sie hielt nichts von diesem sinnlosen Getrinke der Jungen in ihrer Klasse, aber heute griff auch sie zur Flasche und betäubte ihren Schmerz mit diesem Alkohol, der ihr jetzt so gut tat.
Am Abend zog sie sich zurück und schrieb einen langen Brief an ihre Freundinnen und ließ einen Zettel für ihre Mama unter dem Kopfkissen zurück, bevor ihr Geist wieder Besitz von ihr ergriff.
Der nächste Tag hatte begonnen und Susann war wieder nicht zur Schule erschienen. Selbst Mary hatte ihre Tochter heute nicht zu Gesicht bekommen. Sie stieg die lange Treppe hinauf, hielt sich den Bauch und besorgt schaute sie in Susanns Zimmer. Es war leer. Erstaunt fand sie den Zettel ihrer Tochter und las mit fragendem Blick: "Liebe Mama. Ich war böse. Papa hat mich doch lieb. Bitte verzeih mir." Sie rannte die Treppe herunter, griff nach dem Telefon und versuchte Adam zu erreichen. Er war nicht mehr in der Firma. Wie sollte sie diese Nachricht deuten?
Zum selben Zeitpunkt ließ Susann ihren Brief vor die Haustür Jessies fallen, zog sich zurück und suchte erneut ihren heiligen Ort auf. Wieder setzte sie sich auf das Brückengeländer und betäubte sich mit dem Alkohol. Er half ihr in ihre kleine Welt zurück. Die Luft war mild an diesem Tag und roch nach Wasser. Es war wieder brütend heiß und die Sonne schmerzte auf ihren blauen Flecken, die ihr Shirt freigab. Plötzlich erhob sich erstes Donnergrollen und Blitze zuckten auf. Ein mächtiges Sommergewitter zog auf und ließ im nächsten Moment einen Regenschwall auf sie fallen. Auch in Susann entstand ein Gewitter. Der Regen lief ihr die Stirn herunter und ließ ihrer Haarsträhnen matt im Gesicht kleben. Ihr Tränen verschmolzen mit den Tropfen aus den Wolken und das sanfte Rauschen des Wassers übertönte ihr Schluchzen. Langsam ließ der Regen nach und formte einen Regenbogen, der der Form der Brücke gleichte. Vorsichtig erhob sie sich und stellte sich auf ihre wackeligen Beine. Benommen nahm sie den letzten Schluck aus der Flasche, ließ ihre Hände vom Geländer gleiten, sah hinauf in die Sonne und ließ sich dem Regenbogen entgegenfallen. Und so konnte sie fliegen. Ihre Gedanken verstummten und sie tauchte ein in den Strudel der Endlosigkeit und ließ nur ihre geschunden Seele zurück...
Besorgt rannte Mary in der Küche auf und ab, als nun endlich Adam das Haus betrat. Haltlos stürmte sie ihm entgegen: "Wo ist Susann? Ist ihr etwas passiert?!"- "Ich weiß es nicht, ich habe sie noch nicht gesehen!" Und so ließ die Nacht die Beiden besorgten Eltern allein zurück, ließ sie Telefonanrufe tätigen und schließlich abwarten, in der Hoffnung, dass Susann jeden Moment das Haus betrat. Schließlich war sie jung, und wollte sicher auch mal etwas erleben. Mary war blind.
Am nächsten Morgen lief eine Schlagzeile durch den kleinen Ort Plexington, in dem bis heute der Frieden herrschte: "Selbstmord - Junges Mädchen stürzte sich in den Tod! Die siebzehnjährige Susann Walters beendete mit einem Sprung in den Riversea ihr Leben". Mit einem Schrei ließ Mary die Tageszeitung auf die Küchenfliesen fallen. Das konnte nicht war sein. Nein, nicht ihre Susann!! Warum hatte sie niemand informiert? Im nächsten Moment klingelten zwei Polizeibeamte in Gesellschaft Adams an der Tür. "Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Ich wollte ihr doch nicht weh tun!", schrie Adam Mary an und schloss sie schluchzend in seine Arme. Wie ein Schleier viel es Mary von den Augen. Sie stieß den Vater ihrer Kinder von sich und rannte hinaus. "Ich habe alles und doch nichts gesehen!", schrie sie innerlich.
Zur gleichen Zeit trafen sich Luise und Jessie, betraten den kleinen Flur vor Luises Zimmer und ließen sich kopfüber aufs Bett fallen. Susann hatte doch tatsächlich einen Brief für sie dagelassen. Ob sie sich für ihr Verhalten entschuldigen wollte?! Jessie streckte sich und betätigte mit ihrer linken Hand den kleinen Schalter des Radios auf Luises Schränkchen. Musik erklang. Es war Susanns Lied : "Fly into another world". Susann liebte dieses Lied. Gespannt öffnete Luise den kleinen Umschlag und legte ein weißes Blatt Papier frei. Ahnungslos begann sie erfreut zu lesen: Liebe Freundinnen, ich habe euch immer lieb gehabt. Ich wart immer gut zu mir. Es tut mir leid, dass ich nicht für euch da war. Papa kam jede Nacht zu mir und bedrängte mich. Aber er hatte mich doch lieb. Ich war böse. Mama liebt Papa und Mama und Schwesterchen werden krank, wenn Papa nicht mehr da ist. Ich musste schweigen und ich schweige für immer. Schweigt auch ihr still und seid für immer bei mir. Ich werd euch nie vergessen. Eure Susann!" Geschockt und bestürzt ließ Luise den Zettel aus ihrer Hand gleiten. Im selben Moment ertönten die Nachrichten im Radio und die Tagesschlagzeile erklang: "Junge Susann Walters stürzt sich in den Tod. Selbstmord eines Teenagers." Mit lautem Geschrei, riss es die beiden Mädchen von den Betten. "Nein!!" Tränen rannen ihre Gesichter hinab und fassungslos starrten sie einander an. "Warum haben wir es nicht gesehen. Warum waren wir da, wo sie nicht war. Warum müssen wir erst jetzt verstehen!?" Mit tiefer Bestürztheit nimmt auch Dozent Myckel die Tageszeitung im Schulsekretariat in die Hände, während ihm Rektor Skinna einen betroffenen Blick zuwirft.
Tiefe Trauer geht durch den kleinen Ort Plexington, öffnete die Augen für die Wahrheit und lässt Tränen verrinnen. Im nächsten Winter bleiben von Susann zwei rote Rosen auf der gefrorenen Eisdecke des Riversea.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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