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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Die Lösung

© Elisabeth M. Jursa


Seine Mutter starb, als er ein kleiner Junge war. Sein Vater kümmerte sich um den Haushalt, wobei ihm die größeren Kinder behilflich waren.
Erst Jahre später sah die Situation anders aus: Die älteren Kinder gingen bereits einer Arbeit nach und wohnten außer Haus, der Jüngste stand am Ende der Pflichtschule, und der Vater fand wieder eine Frau, die auch einen Sohn hatte. Bald stellte sich heraus, dass die beiden Teenager mit Ausnahme des Alters nichts gemeinsam hatten. War der eine für etwas begabt, konnte der andere nicht mithalten. Hatte der eine ein Interesse, missfiel es dem anderen. Stets wurde alles heruntergemacht und als minderwertig hingestellt. Der Vater schlichtete die Streitereien so gut es ging. Doch das Schicksal wollte es, dass er das nicht lange tun konnte, denn er starb eines Tages völlig unerwartet.
Der junge Mann zog sich immer mehr in sein Schneckenhaus zurück. Nach Abschluss der Lehre wurde er als Geselle übernommen. Niemandem war aufgefallen, dass er weder Freunde noch eine Freundin hatte und schon gar nicht, dass er erst tabletten- und nun rauschgiftsüchtig war. Wieder gab es Streit, und er musste das Haus der Stiefmutter verlassen. Inzwischen hatte er Burschen aus dem Drogenmilieu kennen gelernt, die er als Freunde betrachtete. Gemeinsam lieferten sie Exzesse. Als Folge davon verlor er seine Arbeit und flüchtete immer öfter in den Drogenrausch. Am Ende einer solchen Orgie fand er sich mit einer Leiche in seiner Wohnung wieder. Seine Freunde sagten einhellig, er hätte den Mord begangen. Er aber konnte sich an nichts erinnern, geriet in Panik und lief davon. Natürlich wurde er gefasst und verurteilt. Die Flucht war Beweis genug. Strafminderung wegen Unzurechnungsfähigkeit gab es nicht.
Da saß er nun und versuchte zu verstehen, wie alles gekommen war. Sein Leben konnte er nicht als schlecht bezeichnen, schließlich hatte er weder Hunger gelitten, noch war er ernsthaft krank gewesen. Aber Glücklichsein hatte er nie kennen gelernt mit Ausnahme einiger Stunden, in denen er high war und dies als Glücksgefühl empfunden hatte. Jetzt war er auf Entzug und wünschte sich lediglich, Frieden zu finden. Aber seine Mithäftlinge sahen in ihm junge, unverbrauchte Beute anderer Art - und Ruhe fand er nicht. Er übergab sich regelmäßig vor Ekel, Schmerz und Scham.
Langsam aber doch verstrich die Zeit, und er versuchte, sich sein Leben "danach" vorzustellen. Er wollte frei sein, Arbeit finden, eine kleine Wohnung haben, zurückgezogen leben. Vielleicht später einmal eine Familie gründen, wenn er aus dem Ärgsten heraus sein würde. Nie wieder wollte er Drogen nehmen, nie wieder seine alten Freunde wiedersehen, nie wieder so tief sinken... Waren seine Wünsche erfüllbar? Wo würde er Arbeit finden, wo eine Wohnung? Niemand nimmt einen Häfenbruder bei sich auf. Konnte er sich an seine Geschwister wenden? Für die war er längst gestorben. Mit einem Mörder hat keiner was am Hut. Um weit weg zu gehen und in der Fremde einen Neuanfang zu versuchen, fehlten ihm die finanziellen Mittel. Die Gefahr, auf der Straße oder wieder bei "solchen" Freunden zu landen, war demnach groß. Es musste doch einen Ausweg aus diesem Schlamassel geben. Der Kreis darf sich nicht schließen...!?!
Die "Lösung" kam noch vor seiner Entlassung in Form eines Infarktes, den er nicht überlebte.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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