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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Jugenderinnerungen
© Hannelore Sagorski
Zufrieden liegt Paul auf der Gartenliege, hört dem Gezwitscher der Vögel zu, und beobachtet seinen Sohn, wie er andächtig sein Moped putzt. Ein leichtes Schmunzeln huscht über sein Gesicht, denn als er im Alter seines Sohnes war, gab es für ihn nur eine Leidenschaft, Autos und Motorräder.
Es war Ende der sechziger Jahre im Kohlenpott. Paul war gerade siebzehn geworden, machte eine Ausbildung zum Schlosser, und lebte mit Mutter und Stiefvater in einer Bergbausiedlung. Seine beiden älteren Brüder waren schon ausgezogen, und so musste er allein die ständigen Tobsuchtsanfälle seines Stiefvaters ertragen. Solange er denken kann, gab es Schläge, aber nicht nur einen Klaps oder eine Ohrfeige. Am schlimmsten war, wenn der Alte seinen Ledergürtel aus der Hose zog, und damit auf ihn einschlug. Paul konnte
mitunter tagelang nicht sitzen, oder auf dem Rücken liegen, und das alles nur, weil er vergessen hatte die Milch zu holen oder die Schuhe vom Alten zu putzen. Noch heute hört er die Stimme seines Stiefvaters, wie sie dröhnt, "ich werde aus dir einen richtigen Mann machen, und wage es ja nicht zu heulen, dann gibt es noch mehr Dresche." Irgendwann hat Paul auch nicht mehr geweint, es waren einfach keine Tränen mehr da.
Da Paul sein ganzes Lehrlingsgeld zuhause abliefern musste, arbeitete er nebenbei öfters in einer kleinen Zweiradwerkstatt. Viel konnte er nicht verdienen, aber es genügte ihm zu Schrauben, und sog den Öl- und Benzingeruch ein, wie eine Droge. Eines Tages bot der Meister ihm eine gebrauchte Kreidler an, er könne auch in Raten zahlen. Paul lehnte das Angebot traurig ab, wie sollte er das Moped ohne sein Lehrlingsgeld bezahlen? Aber dieses Moped setzte sich in seinem Kopf fest, und der Wunsch es zu besitzen wurde
von Tag zu Tag stärker. Er konnte kaum noch schlafen, und zermarterte sich das Hirn, wie er in den Besitz dieses affenstarken Mopeds kommen konnte. Schließlich kam er zu dem Entschluss, dass es auch reichen würde, wenn er nur die Hälfte eines Lehrlingsgeldes zuhause abgeben würde, und machte den Kauf perfekt. Stolz fuhr er nach Hause, um seinen Eltern von seinem Kauf zu berichten. Ärger würde es schon geben, und so schlich er erst mal zum Küchenfenster um die Stimmung seines Stiefvaters zu testen. Wie fast immer,
saß der im Unterhemd am Küchentisch, meckerte über das Essen, und kippte ein Korn nach dem anderen in sich hinein. Paul wollte sich gerade abwenden, da hörte er seinen Stiefvater lallen, "du Gerda, wenn der Paul sein Geld abliefert, da werden wir beide mal ne richtige Sause machen." "Ach Bruno, ich finde, du solltest dem Jungen nicht immer das ganze Geld abnehmen", hörte er seine Mutter sagen. "Der Bengel zahlt, oder er fliegt raus", pöbelte sein Stiefvater zurück. Paul hatte genug
gehört. Leise schlich er in sein Zimmer, verfluchte seinen Stiefvater, von dem er eigentlich auch nichts anderes erwartet hatte. Aber er begann innerlich zu rebellieren gegen diesen Mann, der ihn jahrelang geschlagen und gedemütigt hatte. Paul kann sich nicht erinnern, jemals ein Lob von ihm bekommen zu haben. Und dem soll ich meine sauer verdiente Kohle in den Hals stecken, damit er noch mehr saufen kann, dachte Paul. In dieser Nacht beschloss Paul seinem Stiefvater nie wieder auch nur einen Pfennig von seiner
Kohle zu überlassen.
Ein paar Tage später war Zahltag, und Paul lieferte fast seinen gesamten Lohn in der Zweiradwerkstatt ab, nur ein paar Mark behielt er für sich, schließlich wollte er mit seiner Neuerwerbung auch ein bisschen durch die Gegend fahren, angeben und ein paar Mädels aufreißen. Als er vom Hof führ durchströmte ihn ein unbeschreibliches Glücksgefühl, Schmetterlinge tanzten durch seinen Bauch. Er war stolz wie nie zuvor in seinem Leben, sein erstes eigenes Moped. Aber je näher er seiner Behausung kam, desto mehr schlug
seine Freude um in Unwohlsein, und sogar eine gewisse Angst machte sich breit. Wie würde sein Alter reagieren?? Auf keinen Fall würde er das Moped dulden, aber was würde er machen, ihn verprügeln, ihn rausschmeißen, oder ihm sein Moped wegnehmen? Paul war auf alles gefasst, als er die Küche betrat. Sein Alter hatte schon gewartet, und schnauzte ohne einen Gruß, "Kohle raus"! Als Paul nicht sofort reagierte, wurde er lauter, "hast du mich nicht verstanden, Kohle raus" brüllte er. " Ich
habe mir ein Moped gekauft, und von mir wirst du nie wieder einen Pfennig sehen", schrie Paul laut. Seine Stimme spiegelte aber den Angstzustand wieder, in dem Paul sich gerade befand. Sein Stiefvater stutzte kurz, sah ihm grinsend ins Gesicht, und sagte, "ach, sieh mal einer an, der Bengel wird aufmüpfig, das werde ich dir schon austreiben". Blitzschnell griff er zur Kornflasche, und schleuderte sie auf Paul. Nur haarscharf flog sie an seinem Kopf vorbei, und zerschellte unter einem lauten Knall
an der Wand. Als Paul wieder zu seinem Stiefvater blickte, war dieser aufgestanden, und begann seinen Gürtel aus der Hose zu ziehen. Paul wusste, was jetzt kommen würde, aber er wollte sich nie wieder von seinem Stiefvater verdreschen lassen, und so verließ er fluchtartig das Haus. Er fuhr zu seinem Bruder, der ihn auch aufnahm und vor seinen Stiefvater schützte, so dass Paul nicht wieder nach Hause zurück musste.
Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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