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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Aufgewacht
© Lisa Kruse
"Schatz, hast du die fünf Euro aus meinem Portmonee genommen", fragte Bernd Tordsen seine Frau Tanja.
"Du fährst immer einkaufen. Ich brauche kein Geld, wenn ich nirgends hin gehe", antwortete Tanja müde und genervt.
"Dann hat der Bengel es wieder geklaut!" Bernd war wütend und so ratlos, er konnte nur noch resignierend mit den Achseln zucken. Was sollten sie dagegen machen? Immer wieder bediente sich ihr ältester Sohn Sascha aus den Börsen seiner Eltern. Dabei brauchten diese es für die Familie so dringend. Das Konto war leer, und erst in fünf Tagen ging wieder Geld ein. Die Vorräte waren fast restlos aufgebraucht.
"Ich kann nicht mehr," stöhnte Tanja verzweifelt, als Bernds Frage ihr richtig bewusst wurde. Dieser neue Tiefschlag brachte förmlich das Fass zum überlaufen. Sie verschloss sich dem chronischen Geldmangel gegenüber, um sich zu schützen. Dafür regte sie sich über die sichtbaren Mängel ihrer Umgebung auf. "Sieh nur wie es in der Stube und in der Küche wieder aussieht. Dabei habe ich keine Kraft mehr!"
Blass und verzweifelt, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf stand sie vor ihrem Mann. Bernd zog sie in seine Arme, spürte wie sie zitterte und ihr ganzer Körper sich eiskalt anfühlte.
"Ich mache das nachher. Leg dich hin, damit du warm wirst."
"Wenn ich mich hinlege, bekomme ich nur Hustenanfälle. Ich gehe nach drüben und wickle mich in eine Decke." Tanja schlurfte regelrecht in das Nebenzimmer, in dem sie ein kleines Büro eingerichtet hatten. Sie wickelte sich in ihre zerschlissene Wolldecke, bevor sie sich auf den alten Drehstuhl setzte und schaltete den betagten Computer an. Er war eines der letzten Zeugnisse besserer Zeiten, als sie noch ihren eigenen Betrieb hatten. Den Drehstuhl hatten sie zusammen mit alten Schrankteilen, aus denen
man noch etwas bauen konnte, auf dem Sperrmüll gefunden und wieder hergerichtet. Ein Sekretär aus der Vorkriegszeit, ein Erbstück von Tanjas Tante und ein aus Schrankwänden, gezimmertes Gerüst für die Computeranlage, ergänzte das Büro. Hierher zog Tanja sich zurück, wenn die Verzweiflung für sie überhand nahm.
Bernd folgte ihr und fragte: "Soll ich dir den Heizstrahler aufstellen?"
"Nein, die Decke muss reichen. Der Strahler verbraucht zuviel Strom und wir können uns nicht noch höhere Stromkosten leisten. Es reicht völlig, wenn ich mit dem Computer Strom verschwende."
Das Heizöl war ihnen vor über einer Woche ausgegangen und es war gerade mal Ende Januar. Sie mussten irgendwie noch mindestens zwei Frostmonate überstehen.
"Sag mal, wie spät ist es? Ob die Post schon durch ist?", fragte Tanja, als Bernd gehen wollte.
" Es ist gleich elf. Ich werde mal nachsehen. Wartest du auf etwas bestimmtes?"
"Meine Bewerbung bei dem Steuerberater ist jetzt schon drei Wochen weg, da müsste bald die Absage kommen." Das Computerspiel wurde gerade geladen und Tanja war mit ihren Gedanken auf dem Weg in ihre virtuelle Welt, die sie etwas von ihren Sorgen ablenkte und ihr bisher immer noch ein wenig Antrieb und Kraft gegeben hatte.
Bernd ging in die Wohnstube, wo er sich auf das Sofa setzte und gedankenvoll, aber blicklos in die Vergangenheit schweifte: Seit sieben Jahren waren Tanja und er nun schon auf der Suche nach einer Arbeitsstelle. Selbst Aushilfsjobs waren auf dem Lande, wo sie lebten, nicht zu finden. Gab es mal einen, hatten sie auch keine Chance. Erst vorigen Monat hatte Bernd sich bei einer größeren Bäckerei als Fahrer vorgestellt. Er wurde abgelehnt, weil er arbeitslos war. Der Job sollte an einen Rentner oder als Zweitjob
vergeben werden. Doch bisher hatten sie scheinbar noch niemanden gefunden. Jedes Mal, wenn Bernd einkaufen musste, sah er den Aushang und in ihm stieg ein zynisches Lachen hoch, sobald er das Schild sah. Na, sollten die doch glücklich werden mit ihrer kurzsichtigen Firmenpolitik. In Filialen dieser Bäckerei würde er nie wieder kaufen, selbst wenn er es sich leisten könnte.
Die Dummheit der Geschäftsleute und Politiker kannte in seinen Augen keine Grenzen mehr. Jeder Arbeitslose war doch ein Käufer weniger! Und weniger Käufer bedeuteten weniger Umsatz und weniger gezahlte Steuern. Was wiederum für alle steigende Kosten bedeutete und noch mehr Entlassungen nach sich zogen. Begriff denn keiner, dass jede Entlassung, jeder Arbeitslose weniger Geld im Wirtschaftskreislauf bedeutete? Aber nein, alle Welt redete vom Aufschwung, nur wurden Stellenabbau betrieben, um die Kosten zu senken.
Statt mit Arbeitsplatzschaffung die Steuer- und Sozialkassen zu entlasten, die dann sogar über die Löhne wieder aufgefüllt wurden. Wenn dann mal eine Stelle besetzt werden sollte, bekamen die sie, die sowieso schon in Lohn und Brot standen und das Geld jetzt zur Sicherheit noch horteten. Warum musste es Zweiteinkommen geben, oder beide Ehepartner arbeiten? Das waren Jobs, die den Familien fehlten, die gar keine Arbeit hatten, so auf Staatskosten leben mussten und die Kosten für alle in die Höhe trieben. Asozial
beschimpfte man ihn und seine Familie. Aber waren nicht in Wirklichkeit die asozial, die Familien wie seiner, den dringend benötigten Job wegnahmen? Zwei Jobs in einer Familie sollten erst erlaubt sein, wenn die Arbeitslosenzahl unter einer halben Million gesunken war. Alles andere war weder sozial, noch zeugte es von Solidarität, die doch allen abverlangt wurde.
Mit einem Job könnte er seinen Kindern auch ein Taschengeld geben und niemand brauchte mehr stehlen. Bernd konnte seinem dreizehnjährigen Sohn schon verstehen, auch wenn es falsch war, was Sascha tat. Innerhalb der Familie sollte man sich nehmen können, was man brauchte. Aber weil es ihnen nicht möglich war und um seinen Sohn vor schlimmeren Taten außerhalb der Familie abzuhalten, bezichtigte er ihn des Diebstahls, mit den Folgen von Strafarbeiten und Hausarrest. Bernd fühlte sich so schlecht, weil er so hart
zu seinem Ältesten sein musste, aber es diente gleichzeitig der Abschreckung für die beiden jüngeren Geschwister. Irgendwie musste er ihnen klar machen, dass man nicht einfach nehmen durfte, ohne wenigstens Bescheid zu sagen. Aber wenn Sascha wusste, es war noch genügend Geld da, fragte er. Nur wenn er genau wusste, Bernd würde nein sagen, nahm er sich ohne zu fragen. Sascha kämpfte gegen die Hänseleien seiner Klassenkameraden, darum nahm er das Geld, auch wenn es ärger bedeutete. Doch wie sollte ein Kind, das
zudem mitten in der Pubertät steckte, gegen derartigen Mobbing ankommen? Weil Bernd sich der Lage bewusst war, in der sein Sohn stecke, konnte er es nachfühlen. Er hätte es so gerne geändert, aber es war für ihn aussichtslos. Doch keine Verzweiflung der Welt berechtigte zu nehmen, was einem nicht gehörte oder gegeben wurde. Das mussten die Kinder lernen!
Bernd saß bewegungslos da und hatte vom grübeln Kopfschmerzen bekommen. Immer wieder und wieder wälzte er die Probleme der Familie, fand aber keine Lösung.
"Selbst wenn ich heute noch eine Arbeit finde, kann ich sie nicht annehmen. Der Benzintank vom Auto ist genauso leer wie die Öltanks. Es ist kein Pfennig mehr da, um zu einer Arbeitsstelle zu kommen, die außerhalb des Dorfes liegt", murmelte er mit Tränen in den Augen, vor sich hin. "Wie soll sich je etwas ändern, wenn ich nichts machen kann?" In ihm schrie alles vor Wut und Enttäuschung. Es brachte ihn so in Rage, dass er sich irgendwie verausgaben musste. Also begann er mit ganzer Kraft
die Wohnstube zu säubern. Danach stürzte er sich in die Küche, wo er schrubbte und schwungvoll die Schranktüren auf und zu schlug.
Als es Zeit wurde Marica, seine jüngste Tochter vom Kindergarten zu holen, hatte er sich immer noch nicht abreagiert. So marschierte er mit forschem Schritt los. Dummerweise ging er so schnell, dass er zu früh ankam. In der Vorhalle wateten bereits andere Mütter und Bernd konnte jetzt die schälen Blicke und spitzen Unterhaltungen nicht ertragen, so wartete er lieber draußen.
Als die Kinder endlich vom Spielzimmer in den Flur stürmten, war Bernd durchgefroren und klapperte mit den Zähnen. Marica konnte er unter den Kindern noch nicht entdecken, also spielte sie wohl noch auf dem Klettergerüst, dass sie so liebte. Er wartete noch einen Augenblick, bis sich das Gewühle im Flur gelegt hatte und schlängelte sich dann an den aufgeregten Kindern mit ihren Müttern vorbei, zur Garderobe. Hier stellte er sich still in eine Ecke und wartete, bis der enge Raum sich etwas geleerte. Die Mütter
waren ganz auf ihre Kinder konzentriert und hatten keine Zeit ihn herablassend zu mustern. Sobald er eine Gelegenheit sah, schnappte er sich Maricas Sachen und ging ins Spielzimmer, wo er nach ihr rief. Schnell flitzte sein kleiner Wirbelwind auf ihn zu, drehte auf halben Weg aber wieder um, da sie ihre Basteleien vergessen hatte. Als Bernd sie endlich anziehen konnte, erzählte Marica ihm von ihren Erlebnissen.
"Liona hat heute Geburtstag und die anderen Kinder feiern heute nachmittag mir ihr eine Party. Darf ich da auch hin", fragte sie hoffnungsvoll.
Bernd schnürte es den Hals zu.
"Schätzchen, du bist doch gar nicht eingeladen. Wenn man nicht eingeladen ist, kann man auch nicht auf eine Party gehen", flüsterte Bernd mit rauer stimme.
"Warum bin ich denn nicht eingeladen", die Enttäuschung der Kleinen brach ihm fast das Herz.
"Die Leute mögen uns nicht leiden, darum wollen sie nicht, dass du mit ihren Kindern spielst." Es nutzte doch nichts das Kind zu belügen, und wenn es ihm noch so weh tat.
"Warum mögen die uns denn nicht leiden?"
"Mama und Papa haben keine Arbeit und die Leute sagen, wir leben auf ihre Kosten. Darum mögen sie uns nicht."
"Du arbeitest doch zu Hause, warum sagen die denn du arbeitest nicht?"
"Weil ich kein Geld damit verdiene, wie andere Väter in ihrem Beruf."
"Warum?"
"Es gibt hier keine Arbeit, mit der ich Geld verdienen kann."
Inzwischen hatten sich der Vorraum und die Garderobe geleert, und Bernd verließ mit
Marica als letztes das Gebäude.
Froh es überstanden zu haben und dem Ort zu entkommen, atmete er tief durch.
"Papa, wo gibt es denn eine Arbeit mit der du Geld verdienen kannst?"
"Wenn ich das wüsste, wären wir schon lange nicht mehr hier."
Wegen Maricas kurzen Beinen musste er langsam gehen, was zu seiner bedrückten Stimmung passte. Um sich abzulenken konzentrierte er sich ganz auf Maricas Geplapper.
Tanja saß wieder ihrem Büro und siedelte. Als Bernd grade weg war, klingelte es an der Tür. Erst wollte Tanja gar nicht öffnen. Sie hatte durch ihr Fenster den Gerichtsvollzieher erkannt. Aber wenn er noch einmal kommen müsste, entstanden weitere Kosten und sie würde ja gerne am liebsten sofort allen Gläubigern ihr Geld geben. Aber sie hatte doch keines! Vorzuwerfen hatte sie sich nichts. Sie lebten so sparsam, wie es irgendging. Sobald ein Cent übrig war trug sie ihn als Abzahlung zu jeweils dem Gläubiger mit
der geringsten Rechnung, damit wenigstens die nicht mehr durch Gerichtskosten anstieg. Aber es reichte einfach nicht.
Traurig schlurfte sie zur Tür und öffnete.
"Frau Kruse, ich brauche mal wieder eine Unterschrift von Ihnen," sagte Herr Hollinger, der Gerichtsvollzieher.
"Ja, kommen sie herein", bat Tanja, wobei sie den gewohnten Schein der Tatkraft nicht mehr aufrecht halten konnte.
Sie gingen ins Wohnzimmer und wie üblich sah Herr Hollinger sich um, ob sich etwas verändert hatte.
"Die Telekom ist es diesmal", sagte er entschuldigend, denn er kannte die Familie jetzt schon seit neun Jahren. Damals hatten sie noch das Subunternehmen und bauten bei ihm im Auftrag der Firma Beg bei ihm neue Fenster ein. Bernd Tordsen hatte wirklich gute Arbeit geleistet. Zudem hatte er das Paar später durch den Konkursantrag geleitet und erkannte, wie verzweifelt sie waren. Der Verlust der Firma hatte nicht an den Tordsens gelegen, sondern an den Auftragsfirmen, die entweder erst pleite gingen,
ins Ausland abwanderten oder sich Billigarbeiter aus dem Ostblock holten. "Können sie denn nicht einen Privatkonkurs beantragen", versuchte er der jungen Frau zu helfen.
"Das setzt doch voraus, dass man wenigstens minimale Raten regelmäßig an die Schuldnerberatung zahlt. Wobei das regelmäßig das Problem ist, was ich nicht kann", Tanja unterdrückte mehr schlecht als recht die aufsteigenden Tränen.
"Da haben sie Recht. Dabei leben sie schon so bescheiden. Ich würde Ihnen wirklich gerne helfen", bedauerte Herr Hollinger.
"Ja, aber uns kann nur ein Sechser im Lotto helfen, wobei wir uns Lottospielen gar nicht leisten können, oder ein unbekannter Erbonkel in Amerika. Eine Arbeit würde zwar auch helfen. Doch die zu finden, ist noch unwahrscheinlicher als der Sechser oder der Erbonkel," resignierte Tanja. "Sie haben nicht zufällig eine Arbeit für mich?"
Bedauernd schüttelte Herr Hollinger nur mit dem Kopf und nach den Formalitäten verabschiedete er sich: "Ich weiß ja, dass ich wieder kommen muss. Aber keine Angst! - Sollte ich irgendwo eine Stelle für Sie oder Ihren Mann finden, melde ich mich sofort," versprach er aufmunternd.
"Ohne Ihren Aktenkoffer sind Sie auf jeden Fall ein gern gesehener Gast", bekräftigte Tanja, denn sie mochte diesen Mann, den sie nun zur Haustür begleitete.
In ihrem Büro, konnte Tanja ihre Hoffnungslosigkeit nicht mehr unterdrücken. Sie fuhr den Computer herunter, schaltete alle Geräte aus und ließ ihren Tränen freien Lauf. In ihrem Tränenstrom und Geschluchtze hörte sie, wie die Hintertür zur Küche klappte und Bernd mit Marica nach Haus kam. Da ging auch schon die Bürotür auf und ein kleiner Wirbelwind, verpackt in einen dicken Schneeanzug flog auf Tanja zu.
Marica hatte auf dem Heimweg ihre Fröhlichkeit wieder gefunden. Sie vergab schnell, aber vergaß nie etwas. Den Beweis hatte sie erst vor kurzem, als nach Jahren mal wieder Schnee lag, angetreten. Kurz vor ihrem zweiten Geburtstag, hatte sie bei ihrem Onkel etwas angestellt und er hatte ihr gedroht. Nun war er gerade zu Besuch gekommen, als der Schnee lag.
"Onkel Kai, wenn ich jetzt unartig bin, fährst du dann mit mir Schlitten", hatte sie gefragt.
"Wieso willst du denn unartig sein", hatte dieser entrüstet zurück gefragt.
"Als du es mir versprochen hast, war ich unartig gewesen."
"Was - wann?"
"Na damals, bei euch, im Sommer, als ich Molly am Schwanz gezogen hatte, hast du gesagt, wenn ich es noch einmal mache, fährst du mit mir Schlitten."
"Aber - aber das ist doch schon so lange her! Wieso weiß sie das noch? Da war sie doch noch keine zwei Jahre alt!" Obwohl alle erstaunt waren, mussten sie lachen und Kai blieb nichts anderes übrig als sein Versprechen zu halten. "Dazu musst du aber nicht unartig sein. Im Gegenteil, wenn du artig bist, fahre ich viel lieber mit dir Schlitten", hatte Kai ihr dabei erklärt.
Nun rannte Marica auf ihre Mutter zu, um sie zu begrüßen, als hätten sie sich tagelang nicht gesehen. Doch direkt vor Tanja stoppte Marica ihren Lauf.
"Mama! Warum weinst du? Tut dir etwas weh", fragte das Kind mit zittriger Stimme.
"Ja, Mama tut das Herz weh." Tanja nahm Marica in die Arme, drückte sie fest an sich und versuchte die Traurigkeit in den Griff zu bekommen. Tanja wusste nicht, ob sie sich an das Kind klammerte, oder das Kind an sie.
"Hallo - erst einmal", flüsterte Tanja und küsste Marica zärtlich. "Hattest du einen schönen Tag im Kindergarten?"
"Wir haben gemalt und gespielt", erklärte Marica mit sehr ernstem Gesicht, während ihre Mutter ihr den Schneeanzug und die Stiefel auszog. "Und Liona hat Geburtstag. Aber ich bin nicht eingeladen."
"Oh, das ist schlimm, nicht war."
"Ja, aber ich bleibe lieber hier, wenn die uns nicht leiden mögen. Dann mag ich die eben auch nicht mehr leiden!"
"Ach, mein kleiner Spatz, ich habe dich so lieb", Tanja hielt das Kind auf dem Schoß und musste neue Tränen unterdrücken. "Was hältst du davon, wenn Papa dir ein Brot macht?"
"Au ja, ich hab ganz mächtig Hunger!"
"Na, dann laufe zu ihm!"
Wieder alleine, stützte Tanja den Kopf auf die Hände und stierte blicklos vor sich hin. Nur ein Wort hallte in ihren Gedanken immer und immer wieder: Warum? - Warum finden wir keine Arbeit? Warum müssen wir so leiden? Warum können wir unseren Kindern nichts geben? Warum habe ich überhaupt Kinder bekommen, wenn ich sie nicht versorgen kann? Warum lebe ich überhaupt? Warum gibt es überhaupt Leben? ... So setzte sich eine schier endlose Fragekette zusammen, und auf keine der vielen Fragen fand Tanja eine Antwort.
Marica erzählte ihrem Vater, dass Mama weinte und nachdem er die Kopie vom Gerichtsvollzieher gefunden hatte, konnte er sich denken, was in seiner Frau vorging. Er selbst fand schon lange keine Worte der Hoffnung und Aufmunterung mehr. Auch er verzweifelte und wäre am liebsten geflohen. Doch es gab keinen Ort der Besserung versprach. Aber heute hatte er noch ein wenig Kraft, damit er sich um die Kinder kümmern konnte. Es würde andere Tage geben, wo er da saß, vor Verzweiflung unfähig etwas zu tun oder zu denken.
Sein Anfall würde später kommen, dass ahnte er schon. Dann war Tanja in der Regel etwas stärker, damit sie die Kinder beaufsichtigen konnte. Denn mehr tat er jetzt auch nicht.
So hielt er das Kind von Tanja fern, damit sie wieder zu sich fand und ihn später ablösen konnte. Die anderen beiden Kinder, Sascha und Marcel waren inzwischen auch aus der Schule gekommen. Sie hatten nur auf ein "Hallo" bei ihrer Mutter hereingeschaut, da Bernd ihnen auftrug ihre Mutter in Ruhe zu lassen.
So saß Tanja alleine vor ihrem Sekretär. Die Fragen plagten sie und während sie nach Antworten suchte, flossen immer wieder Tränen des Selbstmitleids über die aussichtslose Lage. Eine zentrale Frage setzte sich in ihrem betrübten Hirn fest: Warum lebe ich überhaupt? Mein Leben hat doch gar keinen Sinn. Ich kann weder meinen Kindern noch meinem Mann oder mir selbst ein Leben geben, das sich zu leben lohnt. Ich bin unfähig den Haushalt zu führen oder irgendeine Arbeit zu machen. Mein Leben hat doch jedes Recht
auf Existenz verloren. Ohne mich wären alle viel besser dran. Bernd könnte sich eine Frau suchen, die seiner Wert ist. Die Kinder bekämen dann eine Mutter die sich auch richtig um sie kümmert. Meine Mutter bräuchte sich nicht mehr über mich ärgern. Vor allem aber bräuchte das Amt nicht mehr für meinen Unterhalt zahlen. Die ganze Gesellschaft hätte nur Vorteile von meinem Tod.
Aber wie stelle ich es an? Erschießen brächte nur Ärger und Sauerei. Erhängen, dazu fehlt mir auch der Mut. Gegen einen Baum fahren, zum einen kommt mir da bestimmt der Selbsterhaltungstrieb in die Quere und zum anderen braucht die Familie das Auto dringend. Es bleiben nur Medikamente. Ja, meine Medikamente! Im Beipackzettel stand doch, eine Überdosierung kann zum Herzstillstand führen! Das ist doch genau das richtige. Die Pillen machen mich erst müde, das weiß ich, dann schlafe ich ein und merke gar nicht, wenn
mein Herz stehen bleibt.
Zwar ist das Haus nicht so wie ich es gerne hinterlassen würde, aber was soll es, ich bin doch schon als Schlampe abgestempelt. Wenn ich tot bin, stört es mich nicht, was die Leute über mich sagen. Die Kinder und Bernd haben davon doch nur Vorteile, dann werden sie bemitleidet, weil sie ja eine so schlechte Mutter und Ehefrau hatten.
Also, genau der richtige Zeitpunkt, genau der richtige Plan, los geht es!
Tanja ging mit der letzten Kraft die sie hatte, in die Küche und holte sich eine Kanne Wasser. Dann holte sie ihre Tabletten aus der Schublade, ganz unten im Sekretär, denn sie hatte schon lange auf sie verzichtet.
Die Krankenkasse hatte die Kostenübernahme gestrichen und die Sachbearbeiterin vom Sozialamt sah die Medikamente nicht als zwingend an. Da sie wegen der Krankenreform die Kosten nicht mehr tragen konnte, bewahrte sie alle Medikamente für absolute Notfälle auf. Arztbesuche gab es nur noch für die Kinder, da die noch alles frei hatten.
Tanja legte die Tabletten vor sich hin und sah sie eine Weile an. Dann gab sie sich einen Ruck und drückte gleich 30 Stück von allen drei Sorten aus der Folie. Sie mischte die Tabletten durcheinander und nahm eine Handvoll in den Mund. Sie musste die Tabletten mit viel Wasser runterspülen, damit sie nicht im Hals stecken blieben. Dann holte sie tief Atem und schüttete sich den Rest in den Mund. Wieder zwei Gläser Wasser hinterher. Es war getan! Nun saß sie betäubt und gefühllos da und rührte sich nicht.
Nach einer Weile stand sie auf und ging unbemerkt von ihrer Familie ins Schlafzimmer, wo sie sich auszog und ins Bett legte. Sie fühlte sich absolut nicht schläfrig, wie sie erwartet hatte. Dafür stellte sich ein Gefühl der absoluten Schwerelosigkeit ein.
Hä, dachte sie, beim autogenen Training hatte es nie geklappt, aber jetzt, so toll habe ich mich noch nie gefühlt. Das ist ja, wie... ja, als ob ich viel zuviel getrunken hätte. Nur schaukelt weder das Bett, noch ist mir übel! Tanja grinste selig vor sich hin. Ein Dunas ohne Nebenwirkung. Komisch!
Tanja lag da und erwartete einzuschlafen. Dabei hörte sie gespannt auf ihren Herzschlag, ob er nicht endlich aussetzte. Nichts geschah. Sie schloss die Augen und versuchte einzuschlafen.
Sie sah in ihrem Inneren eine saftig grüne Wiese, über die sie schlenderte, direkt auf einen wundervollen alten Wald zu. Neben ihr liefen Tiere aller möglichen Arten. Darunter waren auch welche, die sie noch nie gesehen hatte. Kühe mit einem langen Fell wie bei Schafen, kurz vor der Schur. Nicht wie die Highlandrinder, die in der Gegend gehalten wurden. Das Fell fühlte sich auch an wie Schafwolle. Dann liefen da Schweine mit langen Beinen und einem Euter wie von einer Kuh. Und aus dem Wald kamen Rehe, so groß
wie Elche.
Was hatte das alles zu bedeuten?
Auf einmal sah sie Menschen alle Nationalitäten, die forschten und welche die lehrten. Sie sah riesige Bauerngehöfte, auf denen viele Menschen einer Arbeit nachgingen und sehr viel mehr Wald, als es jetzt gab. Die Gebäude in den Städten sahen ganz anders aus als jetzt. Es gab viel mehr Glas an ihnen und sie waren viel höher. Fahrzeuge schwebten eben über den Boden und hoch oben in der Luft. Die Straßen waren belebt von Menschenmassen, die geschäftig dahineilten. Alles war hell und freundlich. Auf einmal änderte
sich das Bild, es wurde dunkel und bekam einen rötlichen Schimmer. Die Menschen befanden sich im Krieg und töteten einander wahrlos. Gruppen fielen erst über andere Gruppen her und schließlich wendeten sie die Gewalt gegen die Mitglieder der eigenen Gruppe. Bis schließlich ein unbeschreiblicher Sturm die Menschen wegfegte und vernichtete.
Tanja lag ganz still und wagte sich nicht zu rühren. Was geschah mit ihr? War das eine Botschaft? Was sollte sie bedeuten? Sie wagte kaum zu atmen. War sie schon tot und stand vor den Toren zum Himmel und zur Hölle? Ihren Körper konnte sie noch spüren, und auf einmal bemerkte sie einen Krampf in ihrem rechten Bein. Wenn ich Schmerz verspüre, bin ich auch nicht gestorben, dachte sie.
Ganz langsam schlug sie die Augen auf und setzte sich auf. Gegen das Kopfkissen gelehnt überdachte sie noch einmal alles was sie gesehen hatte. Hatte sie geträumt? Aber sie hatte doch gar nicht geschlafen! Träume blieben auch nie so deutlich bestehen, wenn sie sonst erwachte. Eine Botschaft? Hatte etwa sie eine Botschaft bekommen? Sie glaubte es nicht. Doch etwas anderes konnte es ihrer Meinung nach gar nicht sein!
Langsam, prüfend, ob nicht der Kreislauf nach den vielen Pillen verrückt spielte kletterte sie aus ihrem Bett, zog sich bequeme Sachen an und ging vorsichtig in die Küche. Hier holte sie sich einen Liter Milch aus dem Kühlschrank, setzte die Packung direkt an die Lippen und trank die eiskalte Milch in tiefen Zügen.
"Ach, das war gut!" stöhnte sie genussvoll.
"Das Essen ist gleich soweit." Ertönte Bernds Stimme vom Herd her. "Du bist ja ganz blass und schwankst so, geht es dir noch nicht besser?"
"Doch, aber mir ist etwas schwindelig."
"Dann leg dich wieder hin, ich bringe dir nachher das Essen."
"Weißt du eigentlich wie sehr ich dich liebe?"
Grinsend werkelte Bernd in den Töpfen herum, als Tanja sich umwandte und mit ihrer Milchtüte im Schlafzimmer verschwand.
Diesmal setzte Tanja sich mit ausgestreckten Beinen, angezogen auf ihr Bett und trank langsam den Rest der Milch aus.
Was hatte die Botschaft zu bedeuten? Woher kam die Botschaft?
Tanja glaubte nicht an Gott, wie es in der Kirche gepredigt wurde. Für sie gab es nur die Natur, die alles geschaffen hatte. Ob es die Erde war, irgendein anderer Stern oder Planet, ja sogar das ganze Universum war ein Produkt der Natur. Alles was geschah, war für Tanja ein Teil ihres Werkes, an dem die Natur ständig weiter arbeitete. Sie kannte nicht das Ziel, aber die Natur kannte es und das war für sie ausschlaggebend.
So kam Tanja zu dem Schluss: Die Natur hat nach und neben vielem anderen den Menschen geschaffen. Jedes Wesen das die Natur schuf, musste einen Zweck haben. Und sicher hatte sie die Menschen nicht geschaffen um ihr Werk zu vernichten, wie er es tat. Der Mensch handelte meistens doch im Gegensatz zu dem, was von der Natur beabsichtigt wurde. Aber was beabsichtigt die Natur?
Tanja wurde ganz unruhig und hielt es in ihrem Bett nicht mehr aus. Sie wollte aufschreiben, was sie für sich herausfand. So schlüpfte sie aus dem Zimmer, in ihr Büro. Doch auf dem Weg dorthin sah sie noch kurz in der Küche vorbei.
"Schatz, ich gehe ins Büro, mir ist da etwas eingefallen, dass muss ich unbedingt aufschreiben."
"Gut, ich bring dir das Essen dann dorthin."
"Was ist eigentlich mit den Kindern, haben die schon gegessen?"
"Schon lange, die sind bereits im Bett."
"Wie spät ist es denn?" Der Blick auf die Küchenuhr bestätigte Tanjas aufkeimende Vermutung. "Ups!"
Es war nach neun Uhr. Sie musste doch länger weggetreten gewesen sein, als es ihr vorgekommen war. Doch davon ließ sie sich jetzt nicht mehr beeindrucken. Der Gedanke zu sterben, war verschwunden. Tanja konnte nicht begreifen überhaupt jemals auf solchen einen Gedanken gekommen zu sein. In ihr war nur eines: Das Wissen, eine ganz besondere Aufgabe zu haben. Doch die musste sie noch herausfinden.
Tanja war schon ganz ungeduldig, als sie ihr Tagebuch hervorholte, in das sie stets alle Sorgen und Erkenntnisse, alles Glück und jeden Erfolg aufschrieb.
Sie hatte es in den letzten Wochen nicht mehr in die Hand genommen, da es schon überquoll vor Hoffnungslosigkeit und Selbstmitleid. Eine Seite überschlug sie, denn vom heutigen Tage an begann für Tanja ein neues Leben. So begann sie zu schreiben. Alles berichtete sie ihrem engsten Vertrauten, dem Tagebuch. Das Schlimme und von jetziger Sicht fassungslose des Tages, über die Botschaft bis hin zu dem was sie schon herausgefunden hatte.
Irgendwann hatte Bernd das Essen neben ihr abgestellt und war so leise verschwunden, wie er gekommen war. Es war schon ganz kalt geworden, als Tanja es schließlich fand. Bernd hatte noch Bauchfleisch in der Gefriertruhe gefunden, dazu hatte er die letzten Zwiebeln aus dem Garten, gedünstet und einen Brotkanten dazu gelegt, da er wusste, wie gerne Tanja ihn in die Bratensoße tunkte. Tanja schmeckte das kalte Essen so gut, wie schon lange nicht mehr. Voller Genuss kaute sie das Fleisch durch.
Als ihr der Gedanke kam: Genau, einige Tiere haben einfach den Zweck als Nahrung für andere zu dienen. So wie die Pflanzen als Nahrung dienen. Sie sind schließlich auch lebende Wesen, auch wenn der Mensch ihnen jedes Gefühl und Bewusstsein absprach. Woher nahm der Mensch eigentlich dieses Wissen? Er konnte doch gar nicht wissen wie ein anderes Wesen fühlt und ob es denkt. Vielleicht hatten diese Wesen nur eine andere Art zu denken und zu fühlen. Schließlich handelten sogar die Pflanzen, indem sie sich nach der
Sonne richteten, Früchte trugen und sich fortpflanzten. Ich habe vielleicht eine Vorstellung davon, wie etwas ist, aber wissen kann ich es nicht wirklich. Heute Morgen noch war meine Welt schwarz und aussichtslos. Jetzt ist sie trotz der Dunkelheit draußen, hell und voller Farben, dabei hat sich nur meine Einstellung geändert, nicht aber die Situation oder die belegbaren Tatsachen. Kein Mensch kann tatsächlich belegen, ob eine Pflanze etwas fühlt, ganz einfach, weil wir ihre Sprache nicht sprechen. Wer sagte
denn, dass man nur mit Hilfe von Tönen oder Gebärden sprechen kann. Zumal sogar erwiesen ist, dass der Mensch ein recht unvollkommenes Gehör hat. Auch seine Augen sind im Gegensatz zu vielen Tieren unterentwickelt. Man könnte sogar davon ausgehen, dass der Mensch in vielen anderen Fähigkeiten gegenüber Tieren und Pflanzen im Nachteil ist, weil sie nicht so weit entwickelt sind. Dafür hat der Mensch eben die Fähigkeit seine Umgebung besser an seine Bedürfnisse anzupassen. Er hat sich dadurch Vorteile herausgenommen,
die weder von den Tieren noch von den Pflanzen so leicht zurückgefordert werden können. Doch dass er sich zu viel herausgenommen hat, zeigt sich in der Selbstvernichtung die immer deutlicher zu spüren ist. Der Mensch hat sich selbst den für ihn wichtigen Lebensraum zerstört. Nun überziehen sogenannte Katastrophen den Planeten. Doch sind es wirklich Katastrophen? Oder sind es so etwas wie die sieben Plagen, die schon in der Bibel erwähnt wurden? Geschickt von der Natur, um die Menschen zu zügeln. Gut, es gibt
Erklärungen dafür, was Auslöser für die Katastrophen ist. Aber wer hat denn die Erklärungen geschaffen? Der Mensch doch nicht! Ihm wurde nur die Gabe verliehen sie zu erkennen. Und die Gabe hat er erhalten, um den Willen der Natur zu erkennen. Der Mensch bildet sich zu viel ein, so dass er die Sprache der Natur nicht mehr versteht.
Ganz leise öffnete sich die Tür zum Büro und Bernd schaute nach Tanja. Er wollte ihr "Gute Nacht" sagen. Doch als er merkte, dass Tanja ihn weder hörte, noch Notiz von ihm nahm, zog er sich genauso leise zurück, wie er gekommen war.
Dabei ist der Mensch doch nur ein Werkzeug der Natur, das ihr helfen soll die Evolution voranzutreiben, schreib Tanja in Ihr Tagebuch. Doch was tun sie? Zerfressen von Neid und Missgunst gieren sie nach Macht. Töten die eigenen Brüder und Schwestern wegen Dingen, die absolut nichts mit den Aufgaben zu tun haben, für die sie geschaffen worden sind. Eingebildet und egoistisch kennen sie nur noch die eigene Position und die eigene Meinung, an denen sie zwanghaft festhalten. Wie Kain Abel aus Neid und Missgunst tötete,
töten sie ihre Mitmenschen. Um ihre Vorstellungen durchzusetzen, die allein für sie gültig sind, nicht aber für andere und schon gar nicht für die Natur.
Es wird gesagt, das Leben sei ein einziges Paradoxon. Unter den heutigen Vorstellungen vom Sinn des Lebens und der Existenz, den Moralvorstellungen, die der Mensch sich selbst und andere unterwirft; und den Zwängen denen wir unterworfen sind oder die wir uns aus Sicht unseres Gewissens auferlegen, kann dies schon stimmen. Beseitigt man aber diese Hürden und ergibt sich ganz dem Willen der Natur, so werden sich viele Paradoxen auflösen.
Sie fragte sich: Was sehe ich denn als paradox an? Die Art und Weise, wie unsere Politiker die Wirtschaftskrise beseitigen wollten. Ja, das ist ein hervorstechendes Paradoxon! Doch sicher gibt es noch viele andere, die ich bei mir suchen kann. Wenn ich etwas ändern will, so muss ich bei mir anfangen und als Beispiel fungieren. Dafür muss mir klar werden, was mir gefällt, was ich ändern will und ich muss meine Ziele dann wirklich leben. Welche Ziele sind es wert, gelebt zu werden?
Tanja begann sich die Stichpunkte und Gründe zu notieren:
Glück - was macht mich denn glücklich und wie erreiche ich es?
Zukunft - wie soll sie aussehen; was erwarte ich von ihr?
Werte - fest steht, Geld hat keinen wahren Wert, man kann wirkliche Werte auch nicht damit, noch mit sonst irgendetwas messen. Was ist also für mich wirklich wertvoll?
Erfolg - was ist das und wie zeigt er sich?
Moral - was ist das und welche moralischen Werte sind wirklich sinnvoll?
Frieden - setzt voraus, dass man keinen Streit provoziert. Was führt denn überhaupt zu Streit?
Natur - fest steht, sie hat mich vor dem Tod an der Überdosis bewahrt und hat mir meine Aufgabe gezeigt. Wie kann ich lernen ihren Willen und Weg zu verstehen und dementsprechend handeln?
Wie kann ich andere dazu bringen selbst einmal über diese Dinge nachzudenken?
Inzwischen graute schon der morgen, Tanja war so vertieft in ihre Überlegungen, dass sie erschrak, als sie merkte wieviel Zeit vergangen war. Da sie für den Augenblick genug Punkte auf ihrer Liste hatte, die es aufzuarbeiten galt, ging sie ins Bett. Wenn diese Fragen immer noch dieselbe Gültigkeit für sie besaßen, nachdem sie darüber geschlafen hatte, wollte sie nicht länger daran zweifeln und die Ziele, die ihr von der Natur gezeigt worden waren, in die Tat umsetzen. Mochten sie noch so unerreichbar erscheinen.
Als Tanja sehr viel später wieder erwachte, strahlte die Sonne aus einem wolkenlosen, blauen Himmel. Der Blick aus dem Fenster zeigte ihr die ersten erblühten Schneeglöckchen. Sie wusste, dieses alljährliche kleine Wunder der Natur war so oft, ohne dass sie ihm eine Beachtung geschenkt hatte, an ihr vorübergegangen. Das Glück, dass sie empfand war ihr erster Schritt in eine neue Zukunft und der größte Erfolg, den sie je verspürt hatte. Sie erkannte das kleine Glück, das ihr auf all ihren Wegen geschenkt wurde
und welch mächtige Verbündete die Natur für sie war.
Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.