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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Soziale Kompetenz ist alles!
© Timo Trick
Endlich hatte ich das Abschlusszeugnis in der Tasche. Nun konnte ich mich voll und ganz der Jobsuche widmen. Aber das war leichter gesagt als getan. Denn von einem Absolventen, der gerade frisch von der Uni kommt, erwartet man nicht nur sehr gute Noten. Nein. Das wäre nun wirklich zu wenig verlangt. Der Absolvent sollte, wenn möglich, bereits Berufserfahrung mitbringen. Das stellte für mich kein Problem dar, denn ich war vor meinem Studium bei einem Beerdigungsinstitut in eine kaufmännische Lehre gegangen. Außerdem
war ich während meines Studiums nicht praxisfaul. Mir war es vergönnt in verschiedenen namhaften Unternehmen den Kaffee zu kochen.
Einziges Manko in meinem Lebenslauf war, wie mir viele Personalchefs bereits gesagt hatten, mir fehlte Auslandserfahrung. Denn erstens hatte ich für diesen Luxus kein Geld übrig und zweitens: Wieso sollte ich in ein fremdsprachiges Land gehen, wenn ich auf Deutsch dem Studieninhalt kaum folgen konnte? Also galt es nun dieses Defizit auf andere Art auszugleichen. Mit Freude registrierte ich, dass es "Schlüsselkompetenzen" geben soll, die den Einstieg ins Berufsleben erleichtern. Diese Schlüsselkompetenzen
nannte man, im Gegensatz zu den gewöhnlichen Berufskenntnissen, "weiche" Kenntnisse. Ich las neugierig alle Bücher zu den Schlüsselkompetenzen. Dabei lernte ich sehr viel über "Flexibilität", "Begeisterungsfähigkeit", "Stressresistenz", "Ausdrucksfähigkeit" und "Teamfähigkeit". Aber besonders angetan war ich von der "sozialen Kompetenz". Denn es hieß dort in einem Buch: "Wer im Ausland studiert oder gearbeitet hat, beweist dadurch vor
allem soziale Kompetenz." Jetzt wußte ich, ich brauchte in meinem Lebenslauf lediglich nach sozialer Kompetenz Ausschau halten. Und ich wurde bald fündig. Denn soziale Kompetenz beweist auch derjenige, der sich für gesellschaftliche Belange einsetzt und Verantwortung übernimmt. Ich schrieb also in meine Bewerbungen, dass ich an der Uni in verschiedenen Gremien saß, und im örtlichen Kleintier- und Geflügelzüchterverein Kassenwart bin. Immer mit dem Verweis auf meine soziale Kompetenz. Lange überlegte ich
auch, ob ich erwähnen sollte, dass ich in der ersten Klasse stellvertretender Klassensprecher war. Doch ich ließ es, da ich meine Führungskompetenz bereits gut dargelegt hatte. Ich schickte drei Bewerbungen ab und erhielt keine Woche später drei Einladungen zum Bewerbungsgespräch. Ich jubilierte. Ein Hoch auf die soziale Kompetenz! Alle drei Gespräche verliefen gut. Es gab immer nur einen Konkurrenten.
Doch ich bekam zwei Tage darauf drei Absagen. Wie konnte das nur geschehen? Zufällig kannte ich in allen drei Fällen meine Mitbewerber. Ich zermarterte mir mein Hirn nach einer logischen Erklärung. Und da fiel es mir nach einiger Zeit wie Schuppen von den Augen: Alle drei waren mir in ihrer sozialen Kompetenz überlegen. Meine erste Mitbewerberin war eine junge dynamische Blondine mit üppiger Oberweite, die der Personalchef nicht mehr aus den Augen ließ. In diesem Fall konnte es keine andere Erklärung geben: Diese
junge Frau war umgeben von einer Aura reinster sozialer Kompetenz, die für jeden Personalverantwortlichen offensichtlich sein musste. Beim Gedanken an ihr Dekolletee wurde mir auch klar, warum Schlüsselkompetenzen als weich charakterisiert werden. Der zweite Mitbewerber war mir in seiner sozialen Kompetenz bei weitem überlegen, da sein Vater mit Abstand der größte Kunde des Unternehmens war, bei dem er sich beworben hatte. Gegen ein "Kuki" anzutreten, wie Kundenkinder in der Geschäftswelt genannt werden,
war aus diesem Grund aussichtslos.
Nicht viel besser verhielt es sich beim dritten Fall. Denn der Personalchef war ein alter Bekannter von mir. Vor einem Jahr jobbte ich im Supermarkt und da sah ich ihn. Er klaute gerade einen Schokoriegel. Pflichtbewusst wie ich schon damals war, hielt ich ihn fest und alarmierte lauthals den Filialleiter, der wiederum kein Pardon kannte und die Polizei rief. Wie ich etwas später erfuhr, war der Kunde ein ärztlich attestierter Kleptomane, der sich in ständiger psychologischer Behandlung befand. Außerdem war der
Süßigkeitendieb Diabetiker. Er kam ohne eine Anklage davon, was sich auf meine Bewerbung aber nicht weiter positiv auswirkte.
Rückblickend waren diese drei Bewerbungsgespräche sehr wertvolle Schlüsselerlebnisse, denn ich weiß jetzt, dass ich noch schwer an meiner sozialen Kompetenz arbeiten muss. Zum einen werde ich mich bei meinen Bewerbungen auf Unternehmen konzentrieren, deren Personalchefs weiblich und partnerlos sind. Zum anderen suche ich in allen überregionalen Tageszeitungen per Annonce nach einem einflussreichen Unternehmer, der mich als seinen Adoptivsohn akzeptiert. Und drittens ignoriere ich jeden Ladendieb, immer im Bewusstsein,
dass es mein zukünftiger Chef sein könnte. Falls keine dieser Strategien zum Erfolg führen sollte, tritt Plan "B" in Kraft: letztlich doch noch Auslandserfahrung sammeln. Ich habe bereits zwei viel versprechende, lukrative Angebote erhalten. Entweder fahre ich nach Paris, um als Hilfslackierer den Eiffelturm aufzupolieren, oder ich gehe nach Lanzarote, wo ich als Plantagenarbeiter auf einer der letzten Kaktuslausfarmen die scheinbar unentbehrliche Auslandserfahrung sammeln darf.
Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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