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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Der Atem des Todes

© Sinco Venethos


Mit Sicherheit war ich der einzige Häftling, der das Ende des Fluges herbeisehnte. Nicht, weil ich Flugangst hatte oder klaustrophobisch war.
Nein, ich w-o-l-l-t-e nach Hades, dem imperialen Gefangenplaneten. Darum hatte ich mich der Widerstandsbewegung angeschlossen und den Einsatz gegen das Militärdepot auf Rik vermasselt. Und das hatte drei Rebellen das Leben gekostet.
Doch was waren drei Tote gegen meinen inneren Zwang?
Richtig. Nichts.
Vor allem, da ich dadurch seiner Ursache näher gekommen war.
Der Gefangene neben mir zuckte, als die Metallschotte krachend die Sichtluken des Raumers verschlossen. Also stimmte jenes Gerücht, das Hades als Ort unterhalb der Hölle bezeichnete und besagte, dass der ausgehöhlte Planet in einer Sonnenkorona schwebte. Kein Inhaftierter hatte je die Gelegenheit gefunden, die Wahrheit über den Planeten unter das Volk zu mischen - der Flug nach Hades wurde ausschließlich in e-i-n-e Richtung angeboten.
Eine Sirene malträtierte kurz meine Trommelfelle, dann überlagerte das aufbrüllende Triebwerk alle Geräusche. Während sich das Schiff gegen die Anziehungskraft der Sonne stemmte, dachte ich an meinen Plan. Rational betrachtet war er Wahnsinn. Doch ich wollte Gewissheit. Ein für alle mal!
*
Dem Schreien und Gequieke nach zu urteilen, verlor die Hälfte der Neuzugänge ihre Unschuld bereits in der ersten Nacht auf Hades. Meine beiden Zellenkameraden hatten ähnliches mit mir vorgehabt. Dabei hätten sie anhand meiner Clim-Drogennarben im Gesicht wissen müssen, dass mit mir nicht zu spaßen war. Sie würden nie wieder den Fehler begehen, einen Mann, der durch die Hölle des Clim-Entzugs gegangen war, zu unterschätzen - falls es den Ärzten gelang, sie wieder zusammen zu flicken.
Ich streckte mich im Bett und schloss die Augen. Seit ich den Planeten betreten hatte, war das Gefühl, dem Ziel nahe zu sein, verschwunden. Aber alle Spuren hatten mitten in die Höhle des Löwen gedeutet. Also musste dieser verdammte Stein hier sein!
Frustriert warf ich mich auf den Bauch, schlief ein und träumte.
*
Ich bin nicht ich. Ich bin er. Und er nennt sich Do'am. Er fragt sich, wie er den Tod empfinden wird. Der Schutzschirm, den er mit seinen Sinnen aufrechterhält, ächzt und schillert in allen Farben. Also wird er bald zusammenbrechen und die Energiestrahlen aus den Waffen der Angreifer werden ihr Ziel finden.
Doch Zeit spielt keine Rolle mehr, seit er das Shidan erschaffen hat. Do'am sieht auf den faustgroßen Stein mit den Symbolen seines Volkes. Er ist sein Vermächtnis und seine Rache, wenn eines Tages seine Saat aufgeht.
Do'am kapselt sich ab, leert seinen Geist und konzentriert sich auf den bevorstehenden Übergang. Aus dem hellen, nach warmer Minze duftenden Licht schält sich der Tod, dessen weißer Atem nach kühlen Glassäulen schmeckt und sich wie das runde Rauschen eines Wasserfalls anfühlt. Do'am gibt die Information an das Shidan weiter und transformiert.
Ich schreie.
*
Irritiert schreckte ich hoch. Es war immer noch Nacht und ich lag immer noch im Bett. Dafür hatte sich der Traum verändert, der mich seit meiner Pubertät jede Nacht heimsuchte. Zum ersten Mal hatte ich das Ende des Glatzköpfigen miterlebt. Und das Gefühl des Todes.
Mich fröstelte.
Gegen diese Erfahrung mutete der Drogenentzug wie das Kitzeln einer Feder an. Wichtiger als diese Erkenntnis war, dass sich der undurchdringliche Schleier gelüftet hatte, der seit der Ankunft auf Hades über meinem Geist gelegen war. Ich spürte das Shidan!
Aber damit war ich noch nicht am Ziel! Erst, wenn ich es in Händen hielt und Antworten auf meine Fragen bekam, würde ich Erfüllung finden - und keine Sekunde früher.
Ich entspannte mich und nahm mit dem Shidan Kontakt auf. Eine Wärme durchströmte mich, die mein Bewusstsein sanft bei Seite drängte. Ich spürte, wie es Bereiche in meinem Gehirn aktivierte, deren Existenz ich nicht einmal geahnt hatte.
Plötzlich veränderte sich die Realität. Die Wände meiner Zelle verschmierten, wurden zu reiner Energie, die ich mit Hilfe des Shidans mühelos durchdrang. Der Insasse der Nebenzelle wurde zu einem geometrischen Geflecht, das grün strahlte und nach blauer Farbe roch. Staunend betrachtete ich seinen Atem, der wie eine gelbe, bröcklige Feuersäule vor seinem Mund schwebte.
Das Shidan erweiterte meine Sinne, bis ich das komplette Innere des Planeten wahrnahm. Die Menschen empfand ich als Pyramiden, Kreise, Dreiecke und andere Formen, für die mir die Begriffe fehlten. Und jeder schmeckte anders. Und fühlte sich anders an. Mittendrin ragte einem Leuchtfeuer gleich das Shidan heraus und zerrte mich zu sich. Es löste mich auf, setzte mich auf einer anderen Ebene zusammen und verschwand aus meinem Geist.
Neugierig blickte ich mich um. Ich stand vor einer Höhle, aus der warmes Licht drang und mich einlud, weiterzugehen. Misstrauisch trat ich ein und traf auf mein hageres Ebenbild.
"Ich bin Do'am", begrüßte mich der Glatzköpfige, dessen Stimme wie ein kristallener Bergsee aussah. "Dein Vater!"
"Mein Vater ist tot", antwortete ich und stemmte mich gegen die penetrante Gutmütigkeit und Friedfertigkeit, mit der er mich einlullen wollte. "Ermordet von den Schergen des Imperators, genauso wie meine Mutter!"
"Ich weiß." Der Mann wirkte betrübt. Die ihn umgebende, gelbe Aura wurde violett. "Leider konnte ich nicht verhindern, dass meine Kinder …"
"Hör mit den Schwachsinn auf!" Wenn ich etwas nicht leiden konnte, dann war es Gelaber. "Komm zur Sache!"
"Ich bin dein Urahn!" Do'am lächelte mich an. "Ich habe den Zwang in deinen Genen verankert."
Er klang, als wäre es etwas Positives. Ich entzog mich seiner Aura, schlug zu - und fuhr durch ihn hindurch. Erneut ließ ich meinen Arm vorschnellen, mit identischem Ergebnis.
"Hör zu lächeln auf!", brüllte ich ihn an. "Um diesen Zwang zu bekämpfen, habe ich zu Drogen gegriffen, die mich fast in die Arme des Todes getrieben hätten!"
"Aber eben nur fast!" Er lächelte weiter. "Außerdem war es zum Wohle der Menschheit!"
"Scheiß auf die Menschheit!"
Do'am wurde ernst. Eine Welle der Traurigkeit schlug über mir zusammen. "Du hörst dich wie So'lig an!"
"Lass mich mit dem Imperator in Ruhe!"
"Du verstehst nicht!"
"Dann klär mich auf!" Die Umgebung wechselte und wir reisten in die Vergangenheit.
*
"Verdammt, Do'am!" So'ligs Aufschrei ähnelte dem Ausbruch eines Eisgeysirs. "Wieso sträubst du dich gegen meine Idee, die Wesen dieser Galaxis mit unseren mentalen Kräften zu unterjochen?"
Do'am spürte So'ligs Wut, schottete sich gegen sie ab. Er durfte sich nicht in sie hineinziehen lassen. "Weil dieser Plan gegen die hehren Prinzipien unseres Volkes verstößt! Wir Sorander leben seit Jahrmillionen in Frieden. Ohne Hass, Neid …"
"Scheiß drauf!" So'lig machte einen Schritt auf ihn zu. "Das Schicksal hat unser Raumschiff in diese abgelegene Region verschlagen. Es wollte, dass wir unsere Grundsätze ablegen und uns neu orientieren. Siehst du das denn nicht?"
"Wenn du zu deiner haarsträubenden Rechtfertigung schon eine der universellen Größen bemühst, solltest du bedenken, dass es uns auch auserwählt haben könnte, die Völker um die leuchtende Fackel der Moral zu scharen. Vielleicht wollte das Schicksal, dass wir die Populationen der Milchstraße mit unseren Idealen anstecken."
"Mich interessieren die Menschen nicht!" So'lig verlor langsam die Geduld. Do'am erkannte es an der Größe der Eisbälle, die seine Stimme bildete. "Du musst nur eine einzige Frage beantworten: Bist du für oder gegen mich!"
Do'am war schockiert. "Du weißt, dass ich niemals dafür sein werde, Lebewesen zu knechten!" Er ließ seine Worte wie einen Regenbogen aussehen. "Ich verstehe nicht, wie du solche Gedanken fassen kannst!"
"Ich nutze die Gunst der Stunde!" Die Eisbälle prasselten regelrecht auf Do'ams Körper. "Entscheide dich!"
"Du kennst die Antwort!"
"Dann stirb wie ein räudiger Cint!"
Do'am wechselte die Ebene, als er die ersten Ausläufer von So'ligs mentalem Angriff spürte.
*
"So'lig und du seid Aliens?"
Do'am nickte lächelnd. Diese Freundlichkeit zerrte an meinen Nerven. Meine Erfahrung hatte mich gelehrt, dass dahinter nur fiese Absichten lauerten. "Wie lange lebt ihr normalerweise?"
"Ein paar zehntausend Jahre."
"Das erklärt seine Langlebigkeit. In den Chroniken steht, dass er bei einer Expedition im Milchstraßenzentrum in ein hyperdimensionales Feld geraten ist." Ich schabte mit der Handfläche über meine Bartstoppeln. "Was ist nach dem Gespräch passiert?"
"Ich habe meine Erbsubstanz in mehrere Menschen integriert", antwortete er und schüttelte den Kopf. "Nein, du willst nicht wissen, wie dieser Vorgang funktioniert - dir fehlt grundlegendes Wissen."
Damit konnte ich leben.
"Obwohl mir klar war, dass So'lig meine Kinder jagen würde, hoffte ich, dass eines von ihnen mit Hilfe des Shidans zu mir fand." Er lächelte schon wieder. "Und nun ist dieser Traum mit dir wahr geworden!"
"Du meinst, So'lig hat meine Eltern niedermetzeln lassen, weil er wusste, dass sie deine Gene in sich tragen?"
Er nickte, während ich die Augen zusammenkniff und einen Entschluss fasste. "Wie kann ich mich an ihm rächen?"
"Rache ist eines Soranders nicht würdig!"
"Eines Soranders vielleicht nicht. Aber eines Menschens!"
*
Ich hatte Do'ams Plan nicht ernst genommen. Konnte es auch nicht. Er hatte mir doch tatsächlich erklärt, ich sollte mit So'lig das Gespräch suchen und ihn mit der Kraft meines Verstandes statt meiner Muskeln überzeugen. Was für ein Träumer! Wie viel Leid müsste So'lig noch über die Menschen bringen, bis Do'am einsah, dass man gegen ihn nur mit Gewalt erfolgreich war.
Ich seufzte. Wenigstens hatte er ein paar meiner neuen geistigen Fähigkeiten trainiert. Ein letztes Mal kontrollierte ich den Energiestrahler und den Anti-Psi-Schirm. Beide sollten mir den Imperator vom Leib halten. Jetzt musste ich nur noch den Schutzschirm überwinden, der sich um den Palast spannte.
Aber dazu hatte ich das Shidan! Ich veränderte die Realität und stand im Prunksaal. Bis auf den Imperator, der im Thronsessel lümmelte und vor sich hinbrütete, war er leer. Ich aktivierte den Anti-Psi-Schirm und wurde sichtbar.
"Deine Zeit ist abgelaufen!", fuhr ich ihn an. "Ich werde dich richten und die …"
So'lig applaudierte. "Hat mir gefallen, wie du dich nach Hades eingeschlichen hast." Seine Stimme sah wie eine verdörrte Lilie aus - das Zeichen für Langeweile. "Und wie du mit dem Shidan von dort abgehauen bist, war auch nicht von schlechten Eltern." Der Applaus versiegte. Er stand auf und kam einige Schritte auf mich zu. "Was mich jedoch am meisten beeindruckt hat, war, dass du den Tod von drei Rebellen emotionslos in Kauf genommen hast." Er lächelte. "Nicht, dass mich ihr Tod berührt hat, aber …" Er hielt inne, kratzte sich nachdenklich am Kinn, "diese Kaltschnäuzigkeit scheint mir doch im Widerspruch zu Do'ams Philosophie zu stehen. Meinst du nicht auch?"
"Nur, wenn man davon ausgeht, dass mich die Philosophie der Sorander beeindruckt!"
Er runzelte die Stirn und lachte. "Jetzt verstehe ich, warum dich der Geheimdienst nicht fassen konnte." So'ligs Stimme wurde zu Eiskristallen. "Wie war das? Du. Willst. Mich. Richten?" Er lachte laut auf. "Du?"
Ich zückte den Strahler. So'lig grinste und noch bevor die Waffe zu Boden polterte, wusste ich, dass der Anti-Psi-Schirm wirkungslos war.
Ich ging in Kampfstellung. "Beweise mir, dass du Ehre im Leib hast!"
Er hob die Augenbraue. "Oh, ein Kampf mit Fäusten. Wie altertümlich." Er überlegte. "Das verspricht unterhaltsam zu werden." Er brachte die Fäuste vor die Brust und begann zu tänzeln.
Sofort sah ich, dass er keine Ahnung vom Kämpfen hatte. Seine Bewegungen waren nicht geschmeidig genug und außerdem antizipierbar. Mit Rechts schlug ich zu und traf. Sein Kopf kippte kurz in den Nacken, Blut rann ihm aus der Nase. Er schrie vor Zorn, wischte das Blut ab und leckte daran. "Interessante Erfahrung!"
Ich setzte nach. Sein mentaler Angriff, mit dem er mir die Kehle zudrückte, stoppte mich. Ich röchelte, stemmte mich dagegen und verlor. So'lig wuchtete mich hoch, warf mich gegen die Wand, griff mit seinen parapsychischen Fingern um mein Herz, drückte es zusammen. Dunkelheit umfing mich, in das sich irgendwann Licht mischte.
"Gib mir das Shidan und den Code!"
"Ne-in!", presste ich hervor.
"Wenn du tausend Tode erleiden willst, erfülle ich dir diesen Wunsch." Die Eiszapfen seiner Stimme spießten meinen Körper auf. "Viel Spaß auf der Straße des Todes!"
Wieder wurde es dunkel, dann hell, um wieder dunkel zu werden. Einmal. Zweimal. Dreimal. Hunderte Male.
"Immer noch nicht genug?"
Langsam setzte mein Gehirn die Laute zu etwas sinnvollem zusammen. "Warte!", keuchte ich. Krämpfe schüttelten mich, drohten mich zu zerreißen. Feuerräder brieten meinen Körper, während mich Schwerter zerstückelten. Nicht einmal während des Entzugs hatte ich derart gelitten.
"Du gibst bereits auf? Du enttäuscht mich!"
Ich fischte den Stein aus seinem hyperdimensionalen Versteck, warf ihn So'lig zu und schrieb ihm den Code ins Gedächtnis.
"Na also, warum nicht gleich!" sagte er und wiegte das Shidan in seiner Hand.
Ich hustete.
"Was meinst du? Soll ich dir - so wie deinen Eltern - die Kehle durchschneiden?"
Hasserfüllt blickte ich ihn an und spuckte ihm einen Satz in seiner Muttersprache in sein hässliches Gesicht.
"Falsche Betonung!", kommentierte So'lig lachend und sprach den Satz korrekt aus. "Der weiße Atem des Todes schmeckt nach kühlen Glassäulen und fühlt sich wie das runde Rauschen eines Wasserfalls an."
Das Shidan aktivierte sich. Hellgrünes Leuchten strömte heraus und hüllte So'lig ein. Selbst ich spürte den Zwang, den es verbreitete, war aber dagegen gefeit. Ein erstaunter Ausdruck trat in So'ligs Gesicht, dann knickte er ein und krachte tot zu Boden. Meine Wut und meine Freude entluden sich in einem Aufschrei, als er transformierte.
Aus dem grünen Leuchten schälte sich ein traurig blickender Do'am und streckte die Hand nach mir aus. "Komm und ich erlöse dich!"
"Danke für das Angebot", sagte ich, griff nach der Waffe und schoss. Er löste sich auf, während das Shidan aufleuchtete und zerbarst.
"I-c-h erlöse mich selbst!"



Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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