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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Ein knochiger Fisch in Steinbrei
© Maja Ludwig
Der Geruch von angeschmortem Fahnenstoff hängt mir in der Nase. Ich sehe die hellgrüne Tür vor mir, sie ist aus Metall und sehr schwer zu öffnen.
Das war auch volle Absicht, denn keinem Schüler sollte es so einfach gelingen.
An jenem Tag stand sie weit auf, eine dichte Menge von Kindern drängelte sich davor und Geschrei durchkreuzte den niedrigen Kellergang, der mit braun rissigem Linoleum ausgelegt war. Meine Neugier packte mich, hastig stopfte ich meine Bestecktasche in den Ranzen, ich war gerade vom Mittagessen gekommen.
Ich erinnere mich, wie ich zu den anderen Kindern trat und versuchte, durch die unruhigen Rücken vor mir einen Blick in den Heizraum meiner Schule zu werfen. Bisher hatte ich den großen Kessel darin immer nur flüchtig sehen können, aber die Geschichten, die über ihn im Umlauf waren, standen in nichts dem Märchen von Hänsel und Gretel nach. Trotz eventuell drohender Gefahr zog mich demzufolge meine Ungeduld mehr und mehr in den Kellerraum hinein.
Der gewohnheitsmäßig eher knurrige Hausmeister im dunkelblauen Arbeitskittel hielt die Kinder mit seiner eindringlichen Stimme davon ab, sich die Finger an heißen Rohren zu verbrennen. Aber er scheuchte sie nicht hinaus, wie er es sonst immer tat.
Da erkannte ich, was er den Flammen zum Fraß vorwarf. Manche von den Dingen, die dieses Schicksal unmittelbar vor sich hatten, fanden jedoch unerwartet Rettung, denn sie wurden von meinen Schulkameraden eifrig wieder aus dem Heizraum hinaus getragen.
Blaue und weiße Hemden und Blusen, rote Fahnen oder solche, auf denen das Schwarz, Rot und Gold die Ähren, den Hammer und den Zirkel umschloss. Stapel von Pionierausweisen, alte Wandzeitungen, Papiernelken, bedruckte Wimpel, Bilder von Persönlichkeiten, die zuvor von den Schulwänden herab Respekt gefordert hatten, mittendrin Akten in braunen Papphüllen und die leeren Vordrucke für Urkunden.
Einer meiner Freunde drängte mich beiseite und rannte mit seiner Ausbeute zu seinem Ranzen. Er hatte eine zerknüllte Fahne ergattert und einige alte Schulbücher, ich sah auch ein blaues Halstuch unter seinem Arm flattern. Das kam mir seltsam vor, denn nur Wochen vorher hatten wir zusammen an einer Pfütze im Matsch gespielt und die Tücher als Schlammschleuder benutzt. Gerade der Reiz des Verbots hatte uns zum Missbrauch der Pionierhalstücher angestachelt. Nun behandelte es mein Spielkamerad beinahe wie einen Schatz
und bewahrte es offensichtlich vor den Flammen.
Denn darin landete alles, was die Schüler nicht schnell genug durch lautes Brüllen für ihre Kinderzimmerwände und geheimen Schubfächer verlangten. Der Hausmeister stand verdächtig grinsend an der Ofenklappe und stopfte hinein, was ihm in die Finger geriet. Vor ihm warteten jene Dinge in Kartons und Körben, welche die Lehrer oder älteren Schüler in den letzten Tagen zusammengesammelt hatten. Offenbar benötigte die Schule sie nicht mehr.
Anstatt wie meine Mitschüler weiter in den Raum zu stürmen und Schätze zu erobern, staunte ich sprachlos die merkwürdige Situation an. Und besann mich der vielen eigenartigen Unternehmungen, die die Erwachsenen in den letzten Monaten gestartet hatten.
Meine Eltern schrieen grundsätzlich wütend den Fernseher an, wenn gewisse Politiker darin auftauchten, aber die Gestalten verloren ihren Gleichmut und ihre Eintönigkeit dadurch nicht. Über der Zeitung schimpften die beiden unerbittlich, am Ende lag sie meist in Fetzen auf dem drahtigen Teppich und ich wusste nicht mehr, mit welchen Bildern ich meine Hefte ausgestalten sollte. Oft gingen wir in gesammelter Familie abends noch in die Stadt und schoben uns dort mit vielen anderen Menschen durch die Straßen, Kerzen
in den Händen, ich hatte ständig Angst, mir würde jemand die Haare anzünden. Es gab dann emotionsgeladene Kundgebungen und in der Schule waren sämtliche Lehrer unruhig, besonders wenn ihre Schüler Fragen stellten, die diese Aktionen betrafen. Ich erinnere mich nicht mehr, was sie antworteten, ich erinnere mich überhaupt nur schwach, was sie uns versuchten, zu erklären. Eine allgemeine Stimmung der Rastlosigkeit bewegte damals nicht nur die Luft.
Ein leichtes Vibrieren übertrug sich auf mich, ohne es tatsächlich bewusst zu bemerken, stand ich unter dem Bann von aufziehenden Veränderungen und genoss das unbekannte Gefühl eines Kitzels voll Verheißung und Abenteuer.
Eins weiß ich noch genau : ich verließ den Heizungskeller mit leeren Händen und ärgerte mich ein paar Stunden später, dass ich nicht wenigstens eine Fahne in Besitz genommen hatte. Sie hätte gut zu dem Fisch gepasst, den mein Vater mir am selben Tag mitbrachte. Es war ein Fisch in Stein, ein Fossil. Dunkelbraun rote splittrige Knochen, verdreht in Sandstein gepresst.
- Was haben denn ein altersschwacher Fisch und olle DDR - Fahnen miteinander zu tun? , fragt mich mein guter Freund, der Barkeeper meiner Stammkneipe. Ich hatte ihm die Geschichte gerade erzählt.
Es ist ziemlich spät nachts, nur noch wenige Gäste hocken in dem stickigen Raum vor ihren halbleeren Gläsern. Ich sitze an der Bar und die Gedanken in meinem Kopf spazieren langsam in Erinnerungen, die noch nicht von hohem Alter verzerrt sind.
- Und komm mir ja nicht damit, es sind Symbole für irgendwas hochtrabend wichtiges ...! , fügt er noch hinzu.
Ich winke ab.
- Nein, nein. Wenn, dann steht beides sowieso für die Nichtigkeit aller äußerlichen Symbole oder Hüllen..... . Innerhalb von Tagen können die jeden Sinn, alle Bedeutung verlieren, Körper können innerhalb von Sekunden zerfallen.
Winfried, der Barkeeper, verdreht die Augen.
Ich grinse ihn an,
- Aber darum geht es mir gar nicht. , meine ich, um ihn zu beruhigen.
Ich habe nämlich nicht vor, ihm schon wieder einen philosophischen Vortrag zu halten, bei dem am Ende heraus kommt, dass ich keine Ahnung von Philosophie habe.
- Um was dann? , fragt er nun.
Ich überlege ein bisschen und antworte :
- Wenn ich jetzt auf die letzten Jahre zurückblicke, ist es nur bezeichnend, dass ich das Fossil gerade an diesem Tag bekommen habe....
. Irgendwie fühle ich mich mit dem Fisch verbunden. Ich bin wie er, die Zeit hat mich angefressen und abgekratzt...
- Die Zeit nach der Wende?
Ich nicke.
- Du redest, als wärst du schon so alt wie ich..., spottet Winfried, ..
aber hör mal, du mit deinen paar zwanzig Jahren könntest dich ruhig in anderen Launen suhlen als Selbstmitleid.
Ich will ihm widersprechen, aber er fährt fort,
- Zerfallende Gesellschaft, Familienkrach, ausgestorbene Geisterdörfer, Werte der Bedeutung beraubt, keine lebensbejahenden Perspektiven, keine Zufriedenheit, nur Bequemlichkeit, Grottenstimmung überall, das korrupte Politikerpack, Geld hier, Geld da, aber immer zu wenig, die Nerven der Menschen bis auf ihr Skelett entblößt wie dein magersüchtiger Fisch ..... blabla... und so weiter und so fort.... weißt du, wie oft ich das hier zu hören kriege?? Lass das bloß sein! Dieses Wühlen in der Zeit steht dir überhaupt
nicht!
Ich lache und pruste, weil ich gerade einen Schluck Wodka getrunken habe.
- Du verstehst mich völlig falsch ... - ich will doch gar nicht jammern, das mache ich ohnehin nur in Gegenwart meiner Katze, die schnurrt dann wenigstens. Aber stell dir doch mal vor, du bist so ein Tier in Stein gebacken... wie kuschelig sicher! Da kann dich keiner angreifen. Dann findet jemand deinen netten Steinkollegen und dich und beginnt plötzlich, mit Pickeln und Pinseln an dir herum zu sticheln. Ihn interessiert nur dein Knochenbau, dein Innenleben.
Winfried sieht mich an, als wäre ich jetzt endgültig verrückt geworden.
- Du bist unmöglich....!! Was soll ich denn damit anfangen??? , fragt er, gießt sich einen Schnaps ein und trinkt ihn in einem wilden Zug aus.
- Alles, was mir in den letzten Jahren passiert ist, hat mich zu so einem Fossil gemacht....., auf die Essenz reduziert, mein Knochengerüst freigelegt. Damit bin ich konfrontiert...
- Fühlst du dich antik, oder was? Veraltet mit deinen Ansichten? Weil du ein Ostkind bist?
Ich schüttle den Kopf und schleuse ein Nicken in die gleiche Bewegung.
- Vielleicht..., manchmal, aber das ist es nicht. Es wird nur etwas anderes von mir gefordert, etwas, worauf ich nicht vorbereitet war. Ich muss Stellung zu dem beziehen, was ich will. Das macht mich verletzlich.
Wie meinen Freund in Stein. Aber ich habe ja noch einen Halt, keine Sorge, da geht s mir so wie dem Fisch. Ohne den Sandstein wäre er längst zu Staub zerfallen... , ich habe meine Geschichte.
- Dich soll mal einer begreifen...., nee, nee, aussichtslos. Möchtest du, dass ich dir nun applaudiere oder soll ich dich lieber richtig besoffen machen?
- Lass es, Winnie. Wer sagt denn außerdem, dass es etwas Schlimmes ist, sich wie ein Fossil zu fühlen? Im Gegenteil! -- Fossile sind selten und wertvoll! Also....
- ... kannst du stolz auf dich sein, ja ja, und jetzt halt die Klappe!
Ich proste ihm zu und trinke auf sein Wohl.
Eigentlich weiß ich selber nicht, wie ich mich fühle und warum mir ausgerechnet mein alter Steinfisch eingefallen ist. Ich komme mir eben reichlich dünn vor, - nicht dünn wie ein magerer Körper, hungrig oder so, sondern dünn wie Wassersuppe, schwach, als hätte ich transparente Haut. Als könnte immer jeder in mich hinein sehen und da lesen, wie es um mich bestellt ist und wie ich aufgebaut bin. Wie ich funktioniere.
- Du bist zu ehrlich! , sagen viele, Du musst mehr spielen. , fügen sie dann an und ich weiß nicht, was oder mit wem.
Scharfe Konturen, bloßgestellt, keine gefüllten Zwischenräume, fasriges Gebröckel. Etwas in mir ist immer brüchig. Wie die braunen Knochen meines Fisches, die verrosteten Eisenspänen ähneln. Oder wie glühendes Papier in einem Ofen des Heizungskellers.
Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.