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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Kleines Leben

© Janine Beltrame


Es war Sonntag. Daniel stand am Fenster, fuhr sich permanent durch die tiefschwarzen halblangen, zerzausten Haare und sah nervöse, diesige Rauchschwaden durch die Lüfte ziehen, gleich seinen düsteren Gedanken.
Blauweiß gemusterte Kleider lachender tanzender Mädchen flatterten fröhlich hin und her, während nebenher laufende Musikanten imposant ihre farbenfrohe Frühlingshymne aufführten und begeisterte Menschenmengen lautstark das Spektakel beobachteten, welches sich unter seinem Fenster abspielte. Es war wie jedes Jahr Frühjahrsfest. Er sah es nicht. Bewölkt und grau bedeckte der Aprilhimmel den bevölkerten Marktplatz, kurz davor Regenschauer auszuschütten. Beinahe unmerklich schlich er aus dem Haus, hetzte in die nächste Seitenstraße. Ihm entgegen schlendernde Passanten bemerkten ihn nicht, doch er war daran gewöhnt. Seit Wochen wandelte er nur noch als Gespenst umher. Er war bereit im Album des Vergessens allmählich zu verstauben. Schlammiger Morast klebte an seinen schwarzen Sonntagsschuhen als Daniel den Plattenbau betrat, der hoch hinaus als gewaltiges Monstrum der Sachlichkeit in den erdrückenden Wolkenhimmel ragte. Stumm, steif und seinem Leben auf der Flucht hastete er die Treppen hoch, rannte, sprang, jagte eine Stufe nach der anderen, während sich seine von schlaflosen Nächten geröteten Augen mit Tränen füllten, seinen Blick überschwemmten und ihn für einen Augenblick schwanken ließen. Stürmisch stieß Daniel die Dachtür auf. Er war am Ziel. Das Ziel war das Ende. Schon längst stand sein Entschluss dem Ende einen Anfang zu setzen. Nun war es soweit. Was sollte seine unnütze Existenz auch noch auf dieser trostlosen Welt? Verloren war alles, was er jemals besessen hatte, sofern man dergleichen sein Eigen nennen kann. Zögernd schritt Daniel voran, bis er den Rand des Daches erreichte. In der Dachrinne stand das Regenwasser der letzten Tage.
Schwammig und stinkend. Schmerzende Erinnerungen stachen in seine Brust. Er wollte sie verdrängen, doch sie klammerten sich fest, fesselten den Verstand an fieberhafte Bilder. Etwas würgte ihn, doch er kämpfte dagegen an, siegte und biss sich in seine schmalen, ernsten Lippen, wie er es immer tat, wenn Tränen ihn verraten wollten. Allmählich fasste er sich, dachte an sein Vorhaben, blickte in die Tiefe und holte tief Luft. Eine Bewegung und alles gehört zur Vergangenheit, in der nahenden Zukunft von monoton sprechenden Nachrichtenreportern als Schreckensmeldung des Tages dokumentiert. Ohne Gefühl, ohne Trauer. Nur in Kürze und Knappheit informierend. Es war ihm gleichgültig. Gedankenleer erhob er sich, um den letzten Schritt zu tun.
Jetzt oder nie! Daniel schloss die Augen. Ganz nah stand er dem Abgrund, spürte ihn, den Abgrund seiner selbst. Frische Schleier der Nordwinde spürte er in seinem dem Horizont zugewandtem Gesicht um in seinem Haar zu spielen.
Die Luft schmeckte sauber. Daniel blinzelte nach unten. Plötzlich entdeckte er ihn. Winzig klein und leuchtend rot. Unbeholfen und hektisch zappelte er mit allen Kräften im sumpfartigen Gewässer der Regenrinne, sich mit aller Kraft gegen das Ertrinken wehrend. Was brachte ihm das Leben? Wofür kämpfte er? Da bahnte sich mit einem Mal ein glitzernd zarter Sonnenstrahl durch das undurchdringliche Gemisch aus trüben Wolkenschichten, erhellte augenblicklich die Umgebung und tauchte sie in goldene Farben. Daniel bückte sich ganz nah an das zappelnde Objekt in der Regenrinne. Es schrie eisern nach Leben. Doch warum ? Weshalb kämpfte er mit all seiner Kraft, über dies es noch verfügte gegen diesen dichten, schwarzen Samtvorhang, der gemächlich seine kleinen vor Anstrengung schmerzenden Sinne bedecken und entnehmen würde? Dennoch rettete er den schwarz gepunkteten kleinen entkräfteten Körper aus der bräunlichen Brühe der Rinne. Kraftlos und starr saß er, sich in der Wärme der Sonne aalend auf der Innenseite seines Zeigefingers. Der reine und frische Frühlingswind umspielte zart sein weiches Profil. Daniel schmeckte den Beginn der bunten Blütezeit, süß wie der Fruchtsaft einer Melone auf seiner Zunge konnte sich an diesen Geschmack nicht satt fühlen und vergaß die Welt. Zögernd begann der kleine Marienkäfer seine ersten Krabbelversuche und es kitzelte zärtlich bei jeder Bewegung, wie eine Feder auf seiner Haut. Kindlich erfreute er sich an diesem Anblick. Verirrte Frühlingsvögel zwitscherten ihr Lied der Schöpfung auf einem Winkel des Daches ohne sich um das kleine Schauspiel des Lebens zu kümmern. In allen Tönen färbten sie die Lüfte und er nahm alles wahr. Wieso erst heute, wieso erst jetzt? Beschützend hielt er den Käfer in seiner Hand ging zielstrebig der Euphorie entgegen und lief in sein Leben. Buntgekleidete Menschengruppen feierten ausgelassen die Auferstehung der Lebenskraft Frischgesprossener Knospenstände und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen im Taumel aprillaunischer Himmelsmächte. Neugeschöpfte Kräfte ließen befremdete Menschen einander zulächeln und Freundschaften schließen. Schleichend tauchte die Abenddämmerung die umliegenden in die Jahre gekommenen Bauwerke in goldenen Nuancen. Für diesen Moment schien alles verzaubert und wie ein vollendetes Ölgemälde für immer verewigt im Schein des Moments zu sein



Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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