Kurzgeschichtenwettbewerb Kurzgeschichten Wettbewerb Kurzgeschichte Schlüsselerlebnis   www.online-roman.de

Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

www.online-roman.de
www.ronald-henss-verlag.de

Vaterliebe

© Lilli Blu


"Deiner Mutter geht es nicht gut." Die Stimme klang so gänzlich anders und doch vertraut. Seit zehn Jahren hatte Nela sie nicht mehr gehört und doch sofort wieder erkannt. Die Stimme ihres Vaters. An die nächsten Stunden hat sie keine Erinnerung mehr. Sie weiß nur, dass sie irgendwann in der Wartehalle des Flughafens saß und darauf wartete, dass der Flug aufgerufen werden würde.
Das Flugzeug brummt leise vor sich hin. Alle anderen Passagiere haben sich in ihre Decken eingekuschelt und schlafen. Nela starrt vor sich hin. Ihre Gedanken sind in der Vergangenheit: ihre Mutter, die nach der Geburt von den Kindern ihren Beruf aufgab und sie alle groß zog. Ihr Vater, der beruflich sehr erfolgreich war und sich dennoch an den Wochenenden und abends ausschließlich mit ihnen beschäftigte. Nela glaubt, sie hatten eine behütete und unbeschwerte Kindheit. Sie bekamen Musikunterricht, waren im Sportverein, sangen im Chor und, und, und. Sie bestanden alle ohne Schwierigkeiten das Abitur und begannen danach zu studieren. Das Studium schlossen sie auch jeweils in der Mindeststudienzeit ab und fingen danach an zu arbeiten.... Nela kann sich noch gut an die stundenlangen Gespräche mit ihrer Mutter erinnern, die immer für die Kinder da war: jeden Mittag aßen sie gemeinsam in der Küche und jeder erzählte wie sein Schultag war. Ihr Vater war oft geschäftlich unterwegs, doch wenn er da war, nahm er sich ebenfalls sehr viel Zeit für jeden von ihnen. Für Nela war er ihr absolutes Idol. Er wusste alles, konnte alles, stand gerne im Mittelpunkt und wusste sehr gut zu unterhalten - ein richtiger Erfolgstyp. Dennoch denkt Nela auch stets mit einem leicht flauen Gefühl an ihre Kindheit. Sie hatte stets den Eindruck den Ansprüchen ihres Vaters nicht zu genügen. Er sagte ihnen zwar oft, wie stolz er auf sie sei und sie taten alles, damit er es sein konnte. Dennoch vergaß Nela nie diese Momente, wenn sie ihm mitgeteilt haben, dass sie das oder jenes bestanden hätten und der Vater sie in den Arm nahm und sagte " Ich bin sehr stolz auf Dich. Nachdem Du das jetzt so gut bestanden hast, könntest Du ja jetzt noch..." Es kam immer dieser Zusatz, es blieb nie bei einem einfachen "ich bin stolz auf dich". Es hat Jahre gedauert bis Nela das begriffen hat. Ihr Vater war jahrelang ihr großer Ratgeber, selbst als erwachsene Frau hat sie ihn um seine Meinung gefragt, wenn es um ihren Freund oder um einen neuen Job ging. Meistens gab er ihr seine Meinung auch ungefragt. Ihre Mutter hingegen war stets die gute Zuhörerin. Sie hat Nela und das, was Nela tat nie in Frage gestellt, sondern ihr durch Nachfragen bei ihrer Entscheidungsfindung geholfen. Sie hat auch Nela's Vater und seine Meinung in der Öffentlichkeit oder vor den Kindern nie in Frage gestellt, obwohl sich Nela - aus der Distanz betrachtet - sicher ist, dass sie sein Auftreten zuweilen unangebracht und auch verletzend fand. Erst Nela's Mann Paul brachte sie eines Tages zum Nachdenken, in dem er sie fragte, warum sie bei allem was sie täte stets eine positive Meinung ihres Vaters suchen würde um sich dann doch enttäuscht wieder von dem jeweiligen Vorhaben zurückzuziehen, wenn das berühmte "aber Du könntest jetzt ja noch ..." käme. Da begann Nela nachzudenken. In der Folgezeit begann sie immer öfter Entscheidungen zu treffen ohne dem Vater davon zu erzählen. Die Konsequenz war natürlich, dass sie auch immer seltener miteinander telefonierten. Ihr Vater ist kein großer Redner, es sei denn es geht um Fakten und um Ratschläge. Mit ihrer Mutter hat sie regelmäßig telefoniert, sie war immer über alles in ihrem Leben informiert. Und in ein paar Stunden würde sie beide wieder sehen ...
Der Krankenhausgang ist nur schwach beleuchtet. Die Nachtschwester winkt Nela durch und zeigt ihr mit einer energischen Armbewegung in welche Richtung sie gehen soll. Sie dreht sich nach rechts und dort am Ende des Ganges sieht sie eine schlanke Person auf einem Plastikstuhl sitzen, den Oberkörper vornüber gebeugt, das Gesicht zwischen den Händen vergraben. Sie geht auf ihren Vater zu und streichelt ihm leicht über die Schulter. "Hallo Papa". Ihr Vater schaut mit verweinten Augen auf und erhebt sich langsam von seinem Stuhl. Er schaut Nela etwas verunsichert an. Schüchtern nimmt er ihre Hand, Gefühle konnte er noch nie zeigen. Sie umarmt ihn: "Es wird alles gut." Er erwidert die Umarmung so gut er kann und setzt sich schließlich wieder auf den Plastikstuhl. "Was hat der Arzt gesagt?" Ihr Vater schaut sie verwirrt an: "Ich weiß nicht; ich solle warten und seitdem kam er nicht mehr." Eine vollkommen neue Situation für sie beide. Nela geht den Arzt suchen und überlegt, was als nächstes alles zu tun ist. Ihre Geschwister müssen benachrichtigt werden, sie muss ihrem Vater und sich ein Zimmer in der Nähe des Krankenhauses organisieren ... Auf dem Gang dreht sich Nela um und betrachtet ihren Vater, der immer noch auf seinem Stuhl sitzt. Jetzt, wo sie diejenige ist, die die Verantwortung für die Situation übernommen hat, spürt sie wieder Liebe, die sie für diesen Mann empfindet, der sie zusammen mit ihrer Mutter zu dem gemacht habe was sie heute ist. Liebe - und auch Stolz. Stolz auf sich.



Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



»»» Kurzgeschichten: Humor, Satire, Persiflage, Glosse ... «««
»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» Kurzgeschichtenund Gedichte «««
»»» HOME PAGE «««

Kunterbunte Blog-Empfehlungen
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Sammelsurium «««
»»» Sammelsurium «««
»»» Sammelsurium «««
»»» Sammelsurium «««
»»» Sammelsurium «««
»»» Attraktivitätsforschung «««
»»» Haarausfall «««
»»» Schmetterlinge «««
»»» Schmetterlinge «««
»»» Pusteblumen «««
»»» Wintergedichte «««
»»» Wintergedichte «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten Patricia Koelle «««
»»» Naturgedichte «««
»»» Liebesgedichte «««
»»» HOME PAGE «««