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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Regenzeit
© Bettina Cassing
Neun Stunden Flug lagen vor mir. Ich flog nach Hause, zurück nach Deutschland, was von nun an, wirklich meine Heimat werden sollte. Ich saß endlich im Flieger und nach dem Start vielen mir immer wieder die Augen zu.
Da waren sie wieder, die Bilder die ich sorgsam zu vergessen versuchte, weil ich immer noch nicht wahr haben wollte, was passiert war.
Aber ich sollte am Anfang beginnen.
Vor zwei Monaten machte ich mich auf den Weg, nach Nigeria. In ein besseres Leben wie ich dachte. Jahrelang hatte ich alles an Büchern, ob Reiseführer oder Roman, über Afrika regelrecht verschlungen. Aus den Informationen hatte ich mir eine Welt zusammengelesen, die ich viel erstrebenswerter empfand, als die, in der ich lebte. Ich mochte Deutschland, mit seiner Kultur und seiner Geschichte, nicht als meine Heimat ansehen. Afrika erschien mir so viel fantastischer.
Die afrikanische Kultur wirkte auf mich wesentlich großartiger, und die afrikanische Geschichte wurde nur grausam durch den "Weißen Mann", der alles geraubt hatte.
Ich glaubte, in Afrika einen größeren Gemeinschaftssinn zu finden, mehr Liebe und füreinander. Sowie eine Einstellung zum Leben die weniger verstaubt und verkrampft war. Zugleich sah in der afrikanischen Kultur mehr Lebensfreude und Temperament, sowie ein Leben im Einklang mit der Natur.
Mit all diesen Ideen und Empfindungen im Kopf, lernte ich einen Nigerianer kennen, und wie ich dachte, lieben. Am Anfang begriff ich noch nicht, dass ich mich nicht in ihn, sondern in seine Herkunft verliebte. Noch hatte ich keine Augen, für die negativen Aspekte unserer Beziehung. Und so kam es, dass ich nach einem Jahr beschloss, mit ihm nach Nigeria zu fliegen und ihn zu heiraten.
Mein Freund flog zwei Wochen vorher los, um alle Behördengänge zu erledigen, während ich mich, um die nötigen Impfen und Einreisegenehmigungen, in Deutschland kümmerte.
Für mich war klar, dass ich Deutschland damit für immer verlassen würde.
Nach neun Stunden Flug und einer Zwischenlandung in Ghana kam ich schließlich im Großstadtdschungel von Lagos an. Es dauerte eine Weile, bis ich den Zoll passiert hatte, denn hier lief alles nur mit ein paar US Dollar "Freundschaftsgeld".
Es war furchtbar heiß, die Luft stickig und es herrschte ein unheimlicher Lärm.
Das Stimmengewirr um mich herum, machte mich nervös. Zunächst verstand ich kaum etwas, denn das Englisch, das hier gesprochen wurde, hatte einen sehr eigentümlichen Akzent (dieser Slang hieß Broken). Den war ich zwar von meinem Freund schon gewohnt, aber es war mitten in der Nacht und ich war aufgeregt, weil ich nicht genau wusste, was mich erwartete.
Endlich durch den Zoll gekommen, sah ich Emutine, mit einigen Freunden, in der Flughafenhalle, auf mich warten. Ich freute mich riesig und hoffte erst mal auf ganz viel Ruhe und Schlaf.
Aber seine Freunde waren schon so gespannt auf mich, dass wir noch lange im Hotel zusammen saßen und ich viele neugierige Fragen beantworten musste.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Täglich lernte ich neue Familienmitglieder und Freunde kennen. Wurde quer durch den abenteuerlichen Hauptstadtverkehr von Lagos gekarrt. Emutines Freunde waren sehr bemüht, mir soviel wie möglich, von der Umgebung zu zeigen. Sie nahmen mich mit auf Märkte, in die Kirche, zu einem Konzert, des in Nigeria berühmt berüchtigten Fela und zu einer traditionellen Schamanen Weihung. Es gab einen ausgiebigen Besuch der Hauptstadt Lagos, mit dem Museum und dem Tierpark und ich besichtigte
sogar das Militärgelände, das normaler Weise für Touristen verschlossen blieb.
Wir fuhren auch zu einigen offiziellen Stellen, dort wurde dann ein bisschen "Freundschaftsgeld" bezahlt und ein paar Papiere ausgefüllt. Geschlagenen fünf Tage später wurden wir im nigerianischen Standesamt zu Lagos getraut.
Damit war der Zeitpunkt gekommen, das Hotel in Lagos zu verlassen, und zu Emutines Mutter, nach Benin City im Edo State, aufzubrechen.
Eine lange Fahrt, über holprige Sandpisten, erwartete mich. Im Auto wurde viel erzählt und gelacht. Sonny, Emutines Freund, dem das Auto gehörte, begann mir etwas Edo beizubringen, damit ich mich mit meiner Schwiegermutter unterhalten konnte, diese sprach nämlich kein Englisch oder Broken.
So langsam fing ich an mich richtig heimisch zu fühlen. All die verwirrenden Eindrücke, der letzten Tage, begannen zu weichen. Einige Dinge konnte ich nicht wirklich nachvollziehen, z.B. wie wenig behinderte Menschen, in dieser Kultur wert waren und wie man mit den Straßenverkäufern, ausschließlich Kindern, umging. Aber ich akzeptierte, das auch diese Seite zu Nigeria gehörte und das meine Zukunft in diesem Land lag.
Noch hatte ich nicht begriffen, das Emutine die Eheschließung nur als offizielle Aufenthaltserlaubnis für Deutschland sah.
Als wir endlich in Benin City ankamen, wollte ich nur noch schlafen, mein Kopf tat weh, ich war völlig übermüdet und mein traditioneller nigerianischer Kaftan klebte mir am Körper fest. Es war unerträglich heiß und da Regenzeit war, regnete es monoton vor sich hin. So das die sandigen Wege nur noch aus rotem Matsch bestanden, durch dessen Pfützen ich zum Haus ging.
Aber Ruhe fand ich noch nicht, erst musste ich noch die ganze Familie kennen
lernen. Nachdem ich meine gelernten Begrüßungsworte sprach, fiel meine
Schwiegermutter auf die Knie und weinte vor Glück. Das eine weiße Frau ihre Schwiegertochter geworden war und sie mit Ehrbietung, in der eigenen Sprache, begrüßte, war für sie unfassbar. Die Kinder der Familie starten mich mit riesigen Augen an und hatten ständig das Bedürfnis, meine Haut anzufassen. Ich war die Exotin, die ich nicht sein wollte, denn in meinen Augen gehörte ich zu ihnen. In meinem Herzen dachte ich, ich sei Afrikanerin. Noch war mir nicht klar wie anmaßend das war.
Die nächsten Tage waren sehr spannend. Ich lernte die Sitten und Gebräuche der Familie kennen. Das Leben im afrikanischen Buschland während der Regenzeit. Duschen unter freiem Himmel, ordentliches Essen mit den Fingern, die Benutzung von Erdlöchern als Toilette... Und vor allem das Überleben von über hundert Moskitostichen.
Edo wurde mir immer vertrauter, obwohl ich es einfach nicht schaffte, die Worte nasal genug auszusprechen, so dass sie eine ganz andere Bedeutung bekamen. Spätestens als die Kinder mir die falsche Bedeutung erklärten, gab es einiges zu lachen.
Das Einzige was mich störte war, dass mein Mann sich wie ein Pascha aufführte und die ganze Familie als seine Dienstboten behandelte. Trotzdem war für mich klar, ich war endlich fündig geworden, auf der langen Suche, nach einer Heimat.
Bis zu jener Nacht, die alles veränderte.
Ich war erschöpft und so beschloss ich früh zu Bett zu gehen. Da mein Mann schnarchte, stopfte ich mir Ohropax in die Ohren und fiel sofort in einen tiefen Schlaf.
So, dass ich zunächst gar nichts von den Ereignissen vor dem Haus mitbekam.
Plötzlich rüttelte Emutine mich wach, wickelte mir eine Rappa (Tuch) um und zog mich hinter sich her.
Ich war total perplex, verstand überhaupt nicht was passierte. Warum alle panisch, laut schreiend umher rannten, und was draußen für ein Lärm war. Wie in Trance tat ich alles, was man mir sagte.
Emutine schlug mit dem Yamstampfer (eine lange Holstanze um Yamwurzeln zu zerstampfen), ein Loch in die Decke und befahl mir hoch zuklettern. Als ich nicht reagierte, nahm er mich einfach hoch und befahl mir, mich den Rest hochzuziehen.
Ich war völlig aufgeregt und verstand nicht warum. Bis ich draußen Schüsse hörte.
Völlig in Panik, zog ich mich hoch und wollte, so weit wie möglich, weg von dem Loch, durch das ich geklettert war. Ich befand mich im Zwischenraum des Daches. Über mir war nur noch das Wellblech und unerträgliche Hitze. Als ich vorwärts gehen wollte, brach ich durch eine der Deckenverkleidungsplatten, verlor fast das Gleichgewicht, schaffte es aber mich zu fangen. Ich balancierte, nun vorsichtig über die Querlatten und bemühte mich, schnellstmöglich, in die hinterste Ecke zu kommen. Es war unerträglich heiß
und stickig da oben, unten hörte ich immer wieder Schüsse und das Geschrei der Kinder.
Zu allem Überfluss löste sich die Rappa ständig, so das ich sie immer wieder neu wickeln musste, um nicht nackt dazustehen. Vorsichtig taste ich mich immer weiter voran. Ich fühlte mich als würde ich neben mir stehen, das Ganze von außen betrachten und nicht wirklich anwesend sein. Ich zitterte und war Schweißnass, als ich mich endlich auf einen der Querbalken setzte und hoffte es wäre bald vorbei.
Ich hörte ein lauten Knall, Geschrei und immer wieder Schüsse.
Die Einbrecher hatten es geschafft, das schwere Metallgitter vor der Tür, aus der Mauer zu reißen und das Türschloss aufzuschießen.
Ich zitterte am ganzen Körper, als ich Mama Ouwi immer wieder vor Schmerz aufschreien hörte.
Emutine hörte ich nur immer wieder wimmern "Tut mir nichts, bitte tut mir nichts!" Immer wieder fielen Schüsse. Ich saß völlig hilflos, in meinem Versteck und wusste nicht was vor sich ging. Es kam mir vor, als ob die Situation ewig dauerte.
Plötzlich wurde es hell, einer der Einbrecher suchte mit Hilfe einer Taschenlampe den Dachzwischenraum ab. Ich versuchte, so still wie möglich, zu sitzen und mich hinter einem der Stützpfosten zu verstecken. Mein Herz raste, ich verkrampfte mich und hoffte nur, er würde wieder gehen.
Das tat er wenige Minuten später auch. Ich atmete auf und hoffte es sei alles vorbei. Als plötzlich der Yamstampfer immer wieder durch die Deckenplatten gestoßen wurde, und mit jeder Platte näher an mich heran kam.
Von unten hörte ich Mama Ouwi, die scheinbar versuchte das schlimmste zu verhindern. Dann fielen wieder Schüsse und es war plötzlich ganz still, bis auf das Geräusch des Yamstampfers.
Ich geriet in Panik, hinter mir war kein Platz mehr zu fliehen. Vor mir entstanden immer mehr Löcher und unten war es totenstill.
Direkt vor meinen Füssen tauchte der Yamstampfer auf und wenig später, lugte ein Mann durch das Loch. Er schrie mich auf Broken an: "Komm raus da, oder ich erschieß dich!" Er zerrte an meinem Arm. Die Tränen begannen über meine Wangen zu laufen und ich wünschte mir, mich in Luft aufzulösen. Er schrie mich wieder an": Los Spring endlich!".
Aber ich hatte Angst, es war hoch, mein Rappa hatte sich wieder gelöst und ich war fast nackt.
Ein zweiter Mann lud seine Waffe und zielte auf mich. Mama Ouwi sprang aus einer Ecke und schrie": Spring!". Sie war Blut überströmt und hatte überall am Körper offene Wunden. Emutine kauerte weiterhin auf dem Boden und weinte.
Ich schloss die Augen und sprang. Einer der Männer fing mich auf und hielt mich eine ganze Weile auf seinem Arm. Langsam ließ er mich, fest an sich gepresst, heruntergleiten und stieß mich vor den Türrahmen. Er zückte ein Messer und durchtrennte meinen Slip, jetzt war ich nackt.
In allen Ecken des Zimmers lagen die restlichen Familienmitglieder, auf dem Boden. Insgesamt fünf Männer, sorgten mit ihren Waffen dafür, das alle liegen blieben. Nur Mama Ouwi, sprang jetzt wieder auf einen der Männer zu, sie schrie ihn an, das er mich gefälligst in Ruhe lassen sollte und seine dreckigen Finger von mir zu lassen hatte. Einer der anderen drehte sich um und stieß ihr den Gewehrkolben in den Magen, sie sackte zusammen und fiel auf den Boden.
Ich wollte zu ihr, doch ich wurde noch fester an den Türrahmen gepresst.
Einer der anderen Männer kam, hielt mir eine Waffe an den Hals und schrie:
"Wo ist dein Geld?". Ich sagte ihm: "Alles was ich habe liegt in meinem Koffer". Wild schreiend schlug der Mann mir ins Gesicht: "Alles Geld will ich".
Ich versuchte zu erklären, dass ich nicht mehr hatte, aber er glaubte mir nicht.
"Du dreckige Hure lügst" schrie der Mann, dem ein Auge fehlte und der mich die ganze Zeit an den Türrahmen presste. Er griff mich am Oberarm und zog mich in ein anderes Zimmer.
Dort schmiss er mich auf das Sofa und hielt mir sofort wieder die Waffe an den Hals: "Sprich oder Du wirst sehen was Du davon hast".
Ich weinte und beteuerte immer wieder, dass ich nicht mehr Geld hatte. Der Einäugige beugte sich über mich, sein Atem stank nach Alkohol und mir wurde speiübel. Ich versuchte mich loszureißen, wurde aber nur noch fester ins Sofa gepresst. Ein der anderen Einbrecher kam dazu und hielt mich an den Armen fest. Der Einäuge öffnete seine Hose und erzählte er würde sich dafür an mir rächen, dass eine andere weiße Frau ihn abgewiesen hatte.
Grob wühlte er mit seinem Finger in meinem Unterleib und suchte angeblich nach Geld. Er machte sich wieder an seiner Hose zu schaffen, als gerade einer der anderen Männer schrie: "Lass sie, komm wir müssen weg, hier gibt's nicht mehr zu holen". Er zog den Einäugen von mir herunter. Dieser spuckte mir ins Gesicht, um dann wild fluchend zu gehen.
Es war vorbei. Mama Ouwi kam aufgelöst ins Zimmer, sie nahm mich in den Arm und weinte. Immer wieder bat sie mich um Vergebung. Eine ihrer Töchter kam und wickelt mich in eine Rappa. Alle standen um mich herum. Aber niemand kümmerte sich um Mama Ouwi, dabei hatte sie viel mehr Hilfe nötig. Denn ihr ganzer Körper war mit Wunden übersäht. Ihre Augen waren von den Schlägen zugeschwollen. Immer wieder hatte sie versucht, mich zu schützen und dafür immer und immer wieder Schläge einkassiert, während alle anderen damit
beschäftig waren, Stossgebete zu Himmel zu schicken.
Ich fühlte mich nicht wirklich anwesend und zitterte, und konnte meine Gedanken nicht sortieren. Was war geschehen? Es kam mir vor, als lägen die längsten Minuten, meines Lebens hinter mir. Und ich konnte nicht einmal sagen, was genau passiert war.
Ein Nachbar kam und bot an uns zur Polizei zu fahren.
Auf dem Weg dorthin erzählte man, dass der Überfall drei Stunden gedauert hatte. Es fiel mir schwer, das zu glauben. Ich war noch nicht wieder bei mir, fühlte mich immer noch so, als stände ich neben mir und betrachtete die Situation von außen. Alle waren schweigsam, die Gesichter aller wirkten erstarrt und unwirklich. Der Schock saß tief.
Dann, auf dem Polizeirevier Fragen über Fragen. Immer wieder Verständigungsprobleme, unglaubwürdige Gesichter, tiefe Verachtung von Seiten der einzelnen Polizisten. Es kam mir vor, als gäbe man mir die Schuld an diesem Überfall. Mama Ouwi versuchte auch hier, immer wieder mich zu schützen, so das ich mehr und mehr, den Eindruck bekam, die Angeklagte zu sein.
Die Zeit auf dem Revier kam mir noch endloser vor, als die Zeit die der Überfall gedauert hatte. Ich war müde, der Schock ließ mir immer wieder eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Draußen waren 30 Grad, aber ich zitterte unentwegt. Endlich gab sich der Polizist damit zufrieden, dass ich glaubte den Täter identifizieren zu können. Das Verhör nahm ein Ende.
Nachdem sich alle zu Hause ein wenig erholte hatten, kam nach und nach, die halbe Nachbarschaft. Auch Sonny hatte vom Überfall gehört und kam jetzt zum Haus. Alle waren neugierig und einige brachten Essen und boten ihre Hilfe an.
Einige Zeit später kam auch der Inspektor vorgefahren. Er stellte eine Reihe von Bedingungen, um seine Arbeit ausführen zu können. Er verlangte ein Auto, samt Chauffeur, und das ich bei jeder Recherche anwesend sein mussten. Zudem erwartete er für sich und seine Männer, täglich eine Mahlzeit, Bier und Zigaretten, sowie die ein oder andere Annehmlichkeit in Form von Geld. Dann würde er die Ermittlungen aufnehmen und den Hinweisen aus der Bevölkerung nachgehen. Emutine war unsicher und antwortete nicht.
Sonny zögerte keine Sekunde, er sagte alles zu, damit die Ermittlungen aufgenommen wurden. Er wusste, dass gerade Geld nach diesem heftigen Überfall, an allen Ecken fehlte. Hatten die Diebe doch alles mitgenommen was von Wert war: Geld, Fernseher, Radio, den Kühlschrankinhalt und vieles mehr.
Sonny fühlte sich verpflichtet, den Schaden und die Demütigung die seine Landsleute angerichtet hatten, wieder gut zu machen. Es wurde kein Wort darüber verloren, das Mama Ouwi gerade ihrer gesamten Existenz beraubt wurde, es ging plötzlich nur noch um Wiedergutmachung für mich.
Der Inspektor lächelte zufrieden. Wir verabredeten uns für 16.00 Uhr vor dem Revier.
Mama Ouwi fiel derweilen ständig auf die Knie und flehte mich um Verzeihung an. Immer wieder bat sie darum, ihren Sohn trotzdem nach Deutschland zu holen und ihr bitte, bitte zu verzeihen. Ich verstand das alles nicht und wollte am liebsten in Ruhe gelassen werden.
Ich hatte Angst davor mit auf Ermittlung zu gehen, den Männern wieder zu begegnen. Dabei wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht was mich erwartete. Der einzige der mir in dieser Situation half, war Sonny. Er setzte sich zu mir, versuchte mich durch kleine Späße aufzuheitern und versorgt mich mit Getränken. Er fragte immer wieder was er tun könne und bat mich zu erzählen was passiert war, Wie ich mich gefühlt hatte und ob die Angst inzwischen verflogen sei. Er erklärte mir, was ich von der Polizei zu erwarten
hatte. Die Polizisten arbeiteten nur, wenn sie ihre persönlichen Vorteile abgesichert wussten. Er erklärte mir, dass Menschenrechte in Nigeria nicht wirklich existierten, hier zählte nur das Geld.
Vieles von dem, was er erzählte, kam gar nicht bei mir an. Es riss mich aber dennoch aus meinem Schock und brachte mich auf andere Gedanken. Dafür war ich sehr dankbar und bekam so langsam wieder das Gefühl, dass ich noch existierte.
Der Tag zog an mir vorüber, bis es schließlich 16.00 Uhr wurde. Ein Nachbar kümmerte sich darum, dass Mama Ouwi ins Krankenhaus gebracht wurde, während Sonny uns seinen Wagen samt seiner Fahrkünste anbot.
Nach endlosen Diskussionen, wie es weitergehen konnte, stieg der Inspektor schließlich zu uns in den Wagen. Dann gab er eine Adresse an, zu der Sonny fahren sollte.
Es war der stadtbekannte Drogendealer. Der Inspektor wollte 50 Dollar von Sonny und verschwand, in dem mit Wellblech überdachten Bretterverschlag.
Die Hitze war unerträglich und der rote Sand wehte durch die Gegend. Immer, wenn wir in einer Straße hielten, kamen alle Anwohner aus ihren Häusern und Hütten, um zu sehen, was eine weiße Frau in Benins Armenviertel zu suchen hatte. Sofort stand eine Schar Kinder um das Auto herum, die einen versuchten ihre Straßenverkäufe dar zu bieten, die anderen hofften auf ein paar Kobo (Nigerianische Cents) oder Bonbons. Sonny versuchte sie zu vertreiben, blieb aber erfolglos. Sie sprangen erst zu Seite, als der Inspektor
laut fluchend aus der Hütte kam. Sofort bedeutete er Sonny zum Präsidium zu Fahren. Man würde Verstärkung brauchen, nachdem man wusste um wen es sich handelt.
Der Einäugige hatte noch in der Nacht versucht die Ware zu verscherbeln, um sich Drogen kaufen zu können.
So ging es nun mit einem Militärwagen zur Verstärkung tief hinein in das Armenviertel. Vor mehreren Häusern und Hütten, wurde gehalten. Immer wieder mussten alle aus dem Auto aussteigen und bei der Hausdurchsuchung helfen.
Matratzen wurden durch die Gegend geschmissen, Möbel verrückt, Inhalte von Schränken wild in den Raum geworfen.
Immer wieder sollte ich in den Sachen wühlen, identifizieren, ob mein Eigentum unter den Sachen versteckt war. Ich fühlte mich unwohl, mochte nicht in den Sachen fremder Menschen herumwühlen. Schon gar nicht, wenn die Menschen ihre Unschuld beteuerten. Immer und immer wieder schlugen die Polizisten, aber auch Emutine, auf die Menschen ein und bezichtigten sie als Lügner. In der fünften und letzten Wohnung, drückte der Inspektor so gar seine Zigarette, auf dem Handrücken einer Frau aus, die unter Tränen schwor,
sie und ihr Baby, wie auch der Vater ihres Babys, seien unschuldig.
In der zweistündigen Mittagspause konnte ich mich kaum wieder beruhigen, als auch schon der nächste Schock für mich bereitgehalten wurde. Diesmal war die ganze Polizei Mannschaft angerückt und es war Sonnys Aufgabe einen Transporter zu besorgen. Er gab Emutine Geld und dieser kam, mit einem in Nigeria üblichen Taxi-Bus, samt Fahrer, zurück.
Der Inspektor hatte einen Hinweis erhalten, und als alle an der entsprechenden Adresse ankamen, konnten vier von den fünf Tätern gefasst werden.
Nachdem alle in einer Reihe aufgestellt waren, musste ich einen nach dem anderen identifizieren. Dabei beschimpften mich die Täter auf übelste Weise.
Als ich vor dem Einäugigen stand und sagte, dass er der Anführer sei, spukte er mir ins Gesicht. Ich war stocksteif vor Angst und Ekel und alles fühlte sich so unwirklich an. Ich merkte nicht einmal, dass ich zitterte. Emutine wischte den Speichel aus meinem Gesicht und nahm mich in den Arm, Tränen begannen über mein Gesicht zu laufen. So schwach hatte ich mich noch nie gefühlt.
Unter Stockschlägen und Tritten beförderte man die Verbrecher in den Transporter und kettete sie an. Mit den anderen beiden Fahrzeugen vorweg, ging es zurück zum Präsidium. Dort warf man die Schuldigen in den Sand. Die Anwesenden, inzwischen alle die zu Emutines Familie gehörten, stand drum herum. Von allen Seiten hagelte es Fußtritte, Schläge wilde Beschimpfungen.
Es wurde gespukt und mit Steinen geworfen. Ich wurde immer wieder aufgefordert mitzumachen, schließlich sei ich am meisten erniedrigt worden.
Aber ich konnte nicht. Ich war erschreckt, von dieser unbändigen Wut, der man freien Lauf ließ, obwohl es Menschen waren, die man dort misshandelte.
Der Inspektor versuchte an seine Aussagen zu kommen, die Täter jedoch bestritten alles. Einer der Häftlinge kniete vor mir nieder und flehte um Gnade, er sei doch der jenige gewesen, der mich vor der Vergewaltigung bewahrt habe "Weißt Du nicht mehr". Ich wich zurück, wollte am liebsten weg, einfach nur noch meinen Pass wieder haben und zurück nach Hause.
Der Inspektor hatte die Nase voll, er schoss dem Einäugigen ins Bein. Als dieser schmerzerfüllt aufschrie, griff der Inspektor zu einer Flasche Insektengift und sprühte es sowohl in das verbleibende Auge, wie auch in die frische Wunde. Als er immer noch keine Aussage bekam, folgte das gleiche Prozedere mit den anderen Tätern.
Die einzige Polizistin vor Ort, kam mit Peitsche und Pistole auf mich zu.
Sie hielt mir beides entgegen und forderte mich auf, mich zu rächen. Völlig verschreckt wich ich zurück, unter verständnislosen Blicken aller Anwesenden. Sonny bat sie, die Dinge wieder wegzunehmen, denn als Europäerin sei ich diese Art der Rache nicht gewohnt. Verständnislos blickte sie ihn an und ging.
Endlich führte man die vier in ihre Zelle. Und wir fuhren nach Hause. Dort lag Mama Ouwi im Bett, als sie mich sah, wollte sie sogleich aufstehen und etwas zu essen machen. Sie ließ sich nur mit Mühe und Not daran hindern.
Ich saß in meinem Zimmer und wollte nur noch allein sein und in Ruhe gelassen werden. Eines der Kinder brachte mir Cola und Weißbrot zur Stärkung, aber ich mochte nichts essen.
Und wieder kam Sonny zu mir und versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln. Als er den Eindruck hatte, ich sei zu erschöpft, stellte er das Bett wieder auf und bat mich etwas zu schlafen.
Ich schlief sehr unruhig. Immer wieder warf ich mich hin und her und hatte die, vergangene, Nacht und auch die Verfolgungsjagd vor Augen.
Zudem war es entsetzlich heiß. Der Staat hatte mal wieder, für einige Stunden, den Strom abgestellt, sodass der Deckenventilator nicht arbeitete.
Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, stand wieder eine Fahrt zur Polizei auf dem Plan. Mir wurde schon beim bloßen Gedanken daran speiübel.
Wenigstens war es nicht so furchtbar heiß, der Regen hatte alles in rote Schlammmassen verwandelt.
Auf dem Revier angekommen, ging der Horror weiter. Ich wurde in die Zelle geführt. Es roch nach Urin und Erbrochenem, war stickig und dunkel. An der Wand hingen, an Ketten gebunden und blutüberströmt, drei der Täter. Der Vierte, so berichtet man, sei in der Nacht an den Folgen des Verhöres gestorben. Ich wollte gar nichts genaueres darüber hören.
Wenigstens hatte er ein Versteck gestanden und den Hinweis gegeben, wo sich der noch fehlende fünfte Mann aufhielt. Ich sollte mit in das Versteck fahren, um meine Sachen zu identifizieren und mitzunehmen.
Viel war nicht mehr da, ein paar Klamotten und kleiner Dinge. Schmuck, Videokamera, Geld und Pässe waren verloren.
Mittlerweile war es mir aber auch egal. Ich wollte nur noch weg.
Es sollte noch zwei Tage dauern, bis man meinem Wunsch nachkam und ich zur Botschaft fuhr. In diesen zwei Tagen bat ich darum, nicht mehr zum Polizeirevier mitzufahren. Meinem Wunsch wurde nachgegangen. Die Kinder bemühten sich, mir die Zeit zu vertreiben. Mama Ouwi war erneut im Krankenhaus, ihre Wunden hatten sich entzündet.
Sonny und Emutine fuhren mich zurück nach Lagos und besorgten einen Termin in der Botschaft. Dort wollte man mir die Geschichte vom Überfall nicht glauben. Man beschuldigte mich, meinen Pass verkauft zu haben. Nach langen Diskussionen, bekam ich ein Ersatzdokument, sowie die Bescheinigungen, die ich für die Legalisierung der Ehe in Deutschland benötigte.
Sonnys Freundin arbeitete für eine Fluggesellschaft und besorgte mir ein neues Flugticket. Ich übernachtete, ein letztes Mal, im Hotel und am nächsten Morgen brachten mich Sonny und Emutine zu Flughafen. Nicht ohne mich noch einmal daran zu erinnern, das ich die Ehe, legalisieren lassen musste. Denn Emutine könne ja schließlich nichts für die Vorfälle.
Mit jeder Stunde die ich weiter von Nigeria wegflog, wurde mir klar, ich war jetzt eine andere. Vieles was, vorher selbstverständlich war, geriet jetzt ins wanken. Nun war ich mir sicher, das mein Platz doch nicht in Nigeria war. Ich war keine Afrikanerin und würde nie hart genug werden, um in Nigeria überleben zu können. Ich hatte gelernt das jede Kultur, egal wo auf der Welt, immer auch ihre negativen Seiten hat, die man sich nicht schön Reden sollte.
Auch lassen sich die eigenen Wurzeln weder begraben, noch sollte man sie vergessen. Auf der Flucht vor seinen eigentlichen Problemen passiert es schnell, dass man die positiven Aspekte seiner Herkunft z.B. die Achtung der Menschenwürde, obwohl sie meines Erachtens wertvoller ist, als persönliche Rachegefühle, schnell vergisst.
Bis zum umstieg in Rom, schlief ich dann doch noch etwas.
Während des Umsteigens in den Flieger nach Düsseldorf, wurde mir jedoch wieder speiübel. Denn mir kam der Gedanke daran, das meine Mutter und meine Schwester, gleich am Flughafen, auf mich warteten. Sie wussten noch nichts von alle dem was vorgefallen war.
Mir graute vor den langen Erklärungen, auf die dann ungläubige Gesichter folgen würden.
Die letzten Tage gingen mir noch mal durch den Kopf, mit jeder einzelnen schrecklichen Minute.
Dann stieg ich aus dem Flugzeug und setzte mein "Sonntagslächeln" auf.
"Na, Schwesterchen, haben es die Nigerianer auch nicht geschafft dich fröhlicher zu machen?" Bei dieser Begrüßung war mir klar, das ich meiner Familie niemals erzählen konnte was wirklich vorgefallen war.
Jetzt wollte ich, trotz deutscher schwülwarmer Luft, nur noch ein heißes Bad, eine Flasche Rotwein und schlafen, schlafen, schlafen und vergessen.
Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.