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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Der Traum der Rosen
© Nadine Reiband
Diese Geschichte beginnt in einem kleinen Dörfchen - das, abseits gelegen von all dem Trubel der Welt, sich inmitten von Wäldern, Seen und bunten Wiesen befand.
In diesem Dorf wohnte ein junges Mädchen. Ihr Name war Laina. Sie war ein zartes Wesen, bildhübsch und sehr klug für ihr junges Alter. Laina wohnte in einem kleinen Häuschen inmitten des Dorfes. Dort wohnte sie alleine, denn ihre Eltern waren schon früh gestorben. Laina hatte also schon früh gelernt, für sich Selbst zu sorgen und nach sich selbst zu schauen. Sie verrichte ihre tägliche Arbeit, verdiente etwas Geld, sorgte sich um den kleinen Garten, der hinter dem Haus war, nahm sich Zeit, um zu lesen, zu malen.
Laina war immer nett, lieb und zuvorkommend. Keine konnte - selbst wenn er wollte - ein schlechtes Wort über sie sprechen.
Wenngleich Laina - von außen betrachtet - ein gar vollkommenes Bild zeigte, so war das doch ein trügerisches Bild. Jeder der sie sah und über sie sprach meinte, sie hätte das Glück zuhause einquartiert und das Lachen und Leben seien steter Gast in ihrem beschaulichen Heim. Nun ja, manchmal war das auch so. Manchmal aber auch nicht. Denn obgleich Laina nicht ungern alleine war, manchmal fühlte sie sich doch sehr einsam. Ihr war es doch zuweilen leid, stets alleine zu sein, alleine zu essen, zu arbeiten, schlafen
zu gehen, im Frühjahr alleine die Samen in die Erde zu geben, im Sommer alleine die Erbsen zu pulen, im Herbst alleine die Blätter in die Lüfte zu schmeißen und im Winter alleine den Schneeflocken beim Fallen zuzusehen. Und nicht nur, dass sie einsam war. Manchmal spürte sie einen Druck auf dem Kopf, beinahe Schmerzen. Es drückte etwas.
"Was soll ich nur tun? Was ist es denn, das ich brauche? Warum nur bin ich so oft so einsam und warum drückt mein Kopf so sehr", fragte sich Laina zuweilen in einer traurigen Stunde. "Am besten ich hole mir Rat von den anderen im Dorf." Gedacht, getan. So ging sie durchs Dorf und suchte ihre Freunde und guten Bekannten auf um ihnen ihr Leid zu klagen und sich Rat und Hilfe zuholen.
"Guter Rat ist nicht teuer," sagte der Bäckermeister Leopold. Laina mochte ihn, weil er immer so lustig war und die Gespräche mit ihm stets eine heiter Note hatten. "Nimm ein Stück Zuckerkuchen mit, - siehst du sie schönen Zuckerrosen darauf - genieß ihn zuhause in deiner guten Stube und freu dich des Lebens. Du wirst sehen, der Zucker wird die aufheitern und deine Einsamkeit vertreiben."
Doch Zuckerkuchen half nicht wirklich.
"Wer sorgen hat, hat auch Likör", verriet ihr der Winzer Sebastian. Und er gab ihr eine Flasche Rosenblütenlikör mit. Der helfe bestimmt.
Doch auch der half nicht.
"Ach, Laina", sagte die Schneiderin Martha: "Du bist doch so ein schönes, zierliches Wesen. Trage ein paar schöne Kleider, mach dich hübsch. Und es wird dir gleich viel besser gehen."
Aber das passierte nicht.
Auch der wundervolle Schmuck, den ihr der Schmuckmacher Bert aus echtem Rosenquarz angefertigt hatte, half nicht wirklich.
"Komm zu uns und arbeite mit," sagte die Kindergärtnerin Maria. "Du wirst sehen, wenn du mit den Kindern zusammen bist, dann verfliegen deine trüben Gedanken wie im Fluge." Laina probierte auch das aus. Doch nichts passierte.
"Nein, nein, ich weiß was du brauchst," sagte die Gärtnerin Elsbeth. Und sie gab ihr drei Kisten von Rosenstöcke mit, die Laina pflanzen und pflegen und hegen sollte.
Das machte Laina natürlich Spaß und dir Rosen wuchsen und gediehen auch. Aber einsam war sie dennoch. Und der Kopf drückt immer noch. Und es schien immer schlimmer zu werden.
Was Laina nicht wusste: Elsbeth war nicht nur Gärtnerin. Sie war auch eine Magierin. Sie wusste, was Laina braucht. Und mit den Rosen in Lainas Garten pflanzte sie symbolisch auch in Lainas Herz, was wirklich das Ziel der Suche war und das war auch der Grund, warum es Laina immer schlechter ging und sie sich endlich wirklich auf die Suche machte...
"Du brauchst einen Mann," sagte der schöne Fleischermeister Willibald.
"Einen Mann?" Laina wusste nicht so recht. Aber einen Versuch wäre es wert. Vielleicht hat Willibald ja Recht und der Grund ihrer Einsamkeit ist wirklich der, dass sie keinen Mann hat.
So machte sie sich auf die Suche nach einem Mann.
Das war ein hartes Stück Arbeit. Denn dem ersten, dem sie unter die Finger kam, der forderte sie auf eine nie gekannte Weise. Doch war es das, was sie wollte? War sie nun weniger einsam?
Nicht nur dieser Mann war eine Veränderung in ihrem sonst so beschaulichen Leben. Auch hatte sie seit dieser Zeit immer wiederkehrende Träume, die zwar nie gleich waren, aber doch immer etwas ähnlich. Laina verstand nicht, was die Träume ihr sagen wollten, doch verstand sie, dass es nach jedem Traum Zeit war, weiterzugehen. Sie war offensichtlich, so begriff sie rasch, nicht am Ziel, sondern nur an einer Raststätte entlang ihres Weges.
Was das für Träume waren?
Laina hatte der Magierin aus dem Dorf nicht nur die Rosen im Garten zu verdanken, nicht nur den Antrieb zur wahrhaftigen Suche. Die Rosen der Magierin hatten den Träumen Einlass gewährt in Lainas Innerstes. Es waren Rosenträume. Und sie wuchsen und gediehen im Inneren Lainas.
So träumte Laina in der Zeit bei dem ersten Mann von einer roten Rose, blutrot und im Begriff abzusterben.
Der zweite Mann war ein Künstler. Und er betrachtet Laina stets mit einem künstlerischen Blick. Und er malte sie in Öl und Aquarell und formte sie in Ton und schnitzte sie aus Holz. Ansonsten sah sie der Mann nicht. Und Laina war wieder unglücklich. Und träumte von einer weißen Rose, die im Begriff abzusterben war.
Der dritte Mann war ein sehr gebildeter Lehrer. Und er wollte Laina zu einer standesgemäßen Frau machen. Sie bekam neue Kleider von ihm und eine neue, angemessene Frisur und sie durfte nicht mehr arbeiten und den Garten versorgen, sie sollte nur noch in der Stube sitzen und lesen und sich bilden und klug daherreden. Und Laina wurde immer trauriger. Das kann es nicht sein, sagte sie, nachdem sie einen Traum von der roten und weißen Rose hatte, die sich verhakt hatten und mit aller Gewalt voneinander los wollten
und schon im Begriff waren, abzusterben.
Der vierte Mann war ein Denker. Und der dachte und dachte. Das hatte sein gutes. Denn er wollte Laina nicht verändern. Aber er wollte sonst auch nichts. Außer denken. Und der Traum der grünen Rose, die im Begriff war, abzusterben, ließ sie aufbrechen.
Ein eifersüchtiger Teufel war der fünfte Mann. Nichts durfte sie mehr alleine machen und dauernd musste sie im Rede und Antwort stehen, was sie tut, denkt und sogar träumt. Und der Traum der gelben Rose gab ihr das unmissverständliche Zeichen: Sie war im Begriff abzusterben.
Der nächste Mann verfing sich wohl in den Dornen, denn er hing an ihr wie eine Klette am Rockzipfel. Laina konnte keine Sekunde alleine sein. Und sie zerbrach beinahe an der Last, zwei Leben zu leben. Doch der Traum der rosafarbenen Rose, die im Begriff war, abzusterben, ließ sie ihre Sachen packen und Abschied nehmen.
Auf den nächsten Mann ließ sie sich nur ein, weil es ihr mittlerweile zur Gewohnheit geworden war: Sie hatte sich an einen Mann an ihrer Seite gewöhnt. Wenngleich es auch immer der falsche war. Etwas in ihr sagte ihr, dass sie dem Ziel nahe sei, aber eben nur nahe.
Dieser siebte Mann war weder gut noch böse, noch leidenschaftlich, noch sonst was. Er war einfach nur langweilig. Laina langweilte sich mit ihm. Täglich, nächtlich, immer.
Eines nachts wachte sie auf. Etwas hatte sie zart an der Schulter berührt. Wer?
Die Augen geöffnet erschrak sie: Da stand ein schwarzer Mann neben ihrem Bett und lächelte sie an. Den Finger auf den Lippen, Stillschweigen zu bewahren. Er reichte ihr eine blaue Rose...
Und dann nach einer Weile - Laina war nun zu sich gekommen, reichte er ihr die Hand und führte sie aus dem Haus. Es hatte geregnet und die Straßen schimmerten in einem weißen Licht: Straßenlampen leuchteten ihr den Weg aus der dunklen Gasse, in der sie gelebt hatte und mit jedem Schritt, den sie aus der Dunkelheit ins Licht tat, fiel ein blaues Rosenblatt nach dem andern ab.
Laina fand sich wieder in einem kleinen Raum - sie wusste nicht, wo sie war. Plötzlich eben war sie da. Ruhig und angenehm war die Atmosphäre, ein sanfter Duft zog durch den Raum, ansonsten herrschte vollkommene Stille. So still, dass sogar jeder Schritt, der nicht gegangen wurde, zu hören war.
Laina schaute sich um und erblickte einen großen Spiegel, der viel größer war, als sie selbst. Er war überhangen mit einem großen weißen Tuch, man sah nur etwas von seinem wunderschön mit vielen silbernen Rosen verzierten Rand.
Eine Stimme sagte zu ihr: "Bitte setz dich doch vor den Spiegel." Laina tat wie ihr geheißen. Und auf einmal flog ein kleiner Schmetterling daher und setzte sich auf ihren Arm. "Lange schon bist du nun auf der Suche. Wir haben dich losgeschickt, damit du endlich deine Einsamkeit loswirst. Und weil man durchs Tun besser lernt und versteht, haben wir dich all diese Erfahrungen machen lassen. Nun wird es dir sicher leichter fallen, meinen Worten zu folgen. Du wirst sie verstehen, weil du begonnen
hast, nach innen zu hören und nicht mehr nach außen."
"Es ist also nicht ein Mann, den ich brauche" fragte Laina.
"Nein, wonach du suchst ist dein Seelengefährte. Und den kannst du erst finden, wenn du etwas Wesentliches begriffen hast; aber zuerst möchte ich dir erzählen, was es mit den sieben Männern und den sieben Rosen auf sich hatte."
Und der Schmetterling erzählte ihr, dass die rote Rose, die ihr beim ersten Mann im Traum erschienen war, wohl Freude und Schönheit heißt, aber auch Begierde, Leidenschaft. Doch wenn dir Gier zu groß werde, dann stirbt das Leben. Und endloses Leid ist die Folge.
Und die weiße Rose beim zweiten Mann bedeutet Unschuld, Jungfräulichkeit und Anmut, doch ein Verharren in Idealen lässt das Leben verwelken. Denn dann wird es nicht gelebt, sondern nur die Ideale leben. "Dein Wunsch nach geistiger Entfaltung, nach einem Leben fern der Einsamkeit erfüllte sich bei diesem Mann nicht.
Die beiden verhakten Rosen waren dir als Zeichen geschickt worden, dass sich hier zwei Menschen in ihrer Unvereinbarkeit vereinen wollen: Gegensätzlichkeit in ihrer ganzen Fülle tritt immer dann auf, wenn sich die Lebensziele zweier Menschen nicht decken und einer zugunsten des anderen sein eigenes Lebensband loslässt. Aber das ist nicht gut - wie dir die welkenden Blumen zeigten: Das Leben wird abgeschnitten, der Mensch vertrocknet und verdörrt und lebt als hohle Schale, als vertrocknete Blume, als Staubfänger
weiter. Lebenswünsche wollen verwirklicht werden, nicht brach liegen gelassen.
Der Denker dachte nur an sich und dich und hoffte und bangte in seinen Gedanken. Doch es ist das Leben, welches gelebt werden soll, nicht nur der Traum.
Und der Eifersüchtige hatte in sich selbst keine Liebe und zapfte von dir ab, was er nicht selbst sich geben konnte. Doch andere zu missbrauchen ist nicht gut und sich über den anderen zu definieren ist auch nicht gut. Nur wer aus sich selbst heraus lebt und den anderen achtet, der vermag den Wunsch zu leben und seinem Leben Sinn zu geben.
Denn was es heißt, ein trauriges, langweiliges Leben zu führen, das zeigte dir der siebte Mann. Kannst du dir vorstellen, welch immensen Schaden die Langeweile anrichtet?
Und bei diesem letzten Mann hast du ja wohl selbst schon gemerkt, dass du nichts für ihn empfindest, sondern einfach nur da bist bei ihm, weil du dich ans Zusammensein gewöhnt hast. Aber sonst war nichts. Nichts. Und das ist unter keinen Umständen die Basis für ein gemeinsames glückliches Leben."
"Nun möchte ich dir ein Geheimnis verraten. Oder besser gesagt: Es ist dein Geheimnis."
Gespannt schaute Laina den Schmetterling an.
"Nimm den seidenen Schal vom Spiegel und schau hinein."
Und Laina schaute hinein
Und erblickte eine wunderschöne Rose. Die Tränen traten ihr in die Augen.
"Weißt du wohin du schaust?"
Laina schüttelte den Kopf.
"Du schaust in dich; das ist in dir: eine wunderschöne Rose."
Lange betrachtete Laina diese Rose, fasziniert und erschreckt zugleich von der Schönheit und der Stärke, von der innewohnenden Vergänglichkeit und Schwäche.
"Das was du gesucht hast, um deine Einsamkeit zu besiegen. Es warst du selbst, den du finden wolltest. Es warst du selbst, den du lieben wolltest. Es bist du selbst, der dir am Herzen liegt.
Du hast die irdische Leidenschaft in dir und die himmlische Vollkommenheit. Du bist Zeit und Ewigkeit zugleich. Leben und Tod sind in dir, Fruchtbarkeit und Jungfräulichkeit. Die Rose in dir spiegelt das Mysterium des Lebens: das Mädchen, das zur Frau werden soll, damit es Schönheit, Grazie und Freude, aber auch Leidenschaft und Sinnlichkeit leben kann. Die Göttin in dir schickt dich auf die Suche nach dem innersten Zentrum in dem du nichts finden kannst außer dich selbst. Die Rose in dir möchte nach außen strahlen,
was da ist: Du bist schön und begehrenswert - du bist klug und kompetent.
Bedenke immer, welch kostbaren Schatz du in dir trägst.
Ein Schatz von unglaublichem Wert.
Die Rose, die die transzendente Liebe in sich trägt, eine Quelle, die nie versiegt.
Sei du selbst, sei die Rose, die du bist. Lass dich nicht zur Mimose degradieren oder zum Veilchen.
Sei wachsam, deine Knospen bergen unwahrscheinliche Früchte in sich. Doch zuviel Wasser der Gefühle könnten sie ertränken.
Sei wachsam, und schütze dich: dein Wesen ist stark und biegsam, doch ein zu eisiger Wind könnte dich erfrieren lassen.
Sei wachsam, deine Blätter sind fest und stabil, aber zum Tragen von schweren Lasten völlig ungeeignet.
Sei wachsam, dass du dich nicht deiner Dornen entledigst, weil du meinst, sie seien überflüssig oder gar unnütz: Weil du meinst, man hat keine Dornen, an denen sich andere verletzen könnten. Sie sind das, was du für dein Leben brauchst. Sie schützen dich, vor dem was du nicht willst, sie helfen dir, zu holen, was du für notwendig erachtest.
Sei wachsam in deinen Gedanken: Du bist ein liebes Kind, keiner weiß ein böses Wort über dich zu sagen. Doch werde die, die du in dir immanent bist. Gib dein Prinzessinnenkrönchen ab und werde Königin - Königin deines Lebens.
Sei wahrhaftig und nicht gut."
Irgendwann, irgendwie - sie war wieder zuhause. Saß in ihrem Rosengarten und hörte bei jedem Anblick ihrer tausend Rosen: "Sei wahrhaftig und nicht gut."
Und das war sie von dann auch. Sie war wahrhaftig. Nicht mehr gut und lieb. Sie hörte auf sich und spürte, was sie braucht und was nicht. Die Einsamkeit kam nur ab und an noch bei ihr vorbei; dann aber ließ Laina sie freudig herein, um zu sehen, was sie ihr Neues mitgebracht hatte. Das Leben gewann an Spannung. Und auch der Druck am Kopf war weg - kein Krönchen mehr, dass da durch seine Last drückte und schmerzte; Laina hatte dieses imaginäre Krönchen, das da lange Jahre auf ihrem Haupt saß, abgenommen und vor
dem Spiegel liegen lassen und war zur Königin geworden. Und als Königin hatte sie keine Krone mehr nötig. Sie hatte ihre Stellung ohnehin gefunden. Das stieß so manchen ab - doch mancher fand genau das sehr anziehend. So darf es keine Verwunderung sein, dass der Seelengefährte Lainas nicht lange auf sich warten ließ.....
Ende
Für alle männlichen Leser: Natürlich kann aus Laina ein Leander werden, der sich ebenso auf die Suche nach dem Wesentlichen macht, an zahlreichen Frauen hängen bleibt und schließlich begreift, dass es um ihn selber geht. Und auch er kann etwas ablegen; nämlich seine Ritterrüstung, mit der er so viele Frauen "gerettet" hat, um endlich zum König zu werden. König seines Lebens! Sei wahrhaftig - und nicht gut - hört auch er eine Stimme flüstern.....
Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.