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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Spiel mit den kleinen Männchen ...
© Elisabeth Merey-Kastner
Du wolltest von deinem Vater erzählen, sage ich zu Paul.
Ja, von meinem Vater, sagt Paul.
Ich schenke nach. Wir trinken.
An jenem Abend also führe ich Selbstgespräche. Ich weiß, ich muss mich entscheiden, fährt Paul fort. Um die Spannung, die ich kaum noch aushalten kann, abzuschwächen, schlage ich mit der Faust auf ein Kissen ein. Diese Tätigkeit beruhigt mich. Das Kissen dämpft die Schläge, sie tun nicht weh, das gleichmäßige, dumpfe Geräusch lenkt mich ab. Während ich auf das Kissen einschlage, platzt eine Naht des Überzugs. Ich bemerke es zu spät. Die Daunenfüllung schwebt in der Luft, klebt am Teppich, am Sofa. Ich lasse mich
auf das Sofa fallen, liege ruhig. Das dumpfe Schlagen, das ich nicht mehr selbst verursache, wird lauter. Es wächst zu einem Dröhnen. Ich springe auf. Ein Schwarm von aufgescheuchten Federn zieht in ruhige, dunkle Ecken. Es dröhnt. Ich laufe auf und ab. Federn kitzeln meine Nase. Ich niese. Laufe ins Bad. Will Kitzeln und Niesen von meinem Gesicht waschen. Aus dem Spiegel starrt mir ein weißhaariger Mann ins Gesicht. Vater, ruf ich, Vater.
Paul trinkt sein Glas leer. Ich schenke nach.
Die weißen Haare haben mich erinnert. Mein Gesicht, sagt Paul. Es fällt mir schwer… Ich stehe also vor dem Spiegel und rufe ´Vater´. Das Dröhnen hört auf. Er war ein trauriger, stiller Mann. War in Kriegsgefangenschaft gewesen. Abends musste ich beten: Lieber Gott, gib uns unseren Vater wieder. Ich kannte ihn lange nicht. Meine Schwester kannte ihn. Wenn ich schlimm war, drohte sie: Wart nur, bis der Vater wieder da ist.
Plötzlich weiß ich, woran mich das Dröhnen erinnert. Ich sagte schon, er war ein stiller Mann. Sprach wenig. Nie laut. Eines Abends sitze ich auf dem Holzboden der Stube, spiele mit Zinnsoldaten. Meine Großmutter hatte sie mir geschenkt.
Spiel Paulchen, sagte sie. Nicht mit Puppen sollst du spielen. Du bist doch kein Mädchen, Paulchen. Spiel mit den kleinen Männchen hier, sagte sie.
Mein Vater kommt von der Arbeit nach Hause. Ich drehe mich um. Will ihn begrüßen. Ich sehe, er zittert. Aus diesem Zittern hebt er dann den schwer beschuhten Fuß und stampft die Zinnsoldaten in den Holzboden. Einige springen weg. Er hechtet ihnen nach und stampft sie so fest in den Boden, dass sie nicht mehr flüchten können.
Nicht mein Sohn, nicht in diesem Haus, schreit er.
Ich habe Angst und verkrieche mich unter den Tisch. Jemand räumt die Zinnsoldaten weg. Ich habe sie nie mehr wieder gesehen.
Wir schweigen. Ich öffne die zweite Flasche.
Ich erinnere mich, sage ich. Du warst der erste Wehrdienstverweigerer in N. Warst Tagesgespräch.
Ja, sagt Paul. Am nächsten Tag habe ich nein gesagt.
Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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