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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Eine neue Kollegiatin beginnt zu verstehen

© Jan Söffner


1.
Beginnen möchte ich an einem Abend, da eine etwas nachlässig gekleidete Achtundzwanzigjährige in ein Graduiertenkolleg aufgenommen werden sollte; sich, kommend aus einer keine Grenze findenden einfältigen Stadt, der Perle unter den kulturwissenschaftlichen Sonderforschungsbereichen näherte, dem das Kolleg zugeordnet war. Hinter der letzten Zeile Nachkriegsmehrfamilienhäuser eröffnete sich, von einem Güterbahndamm sozialem Wohnungsbau blauweiß umsäumt, eine weltkriegsbombentrichterzerklüftete Ebene, bewachsen mit von sich selbst überfordertem Schilfgras. Das Ganze war von einem Schild in ein Landschaftsschutzgebiet verwandelt und wurde doch von einer Straße mittig durchschnitten. Umlagert war die Fläche zudem von Kleinbetrieben, an deren Wänden und auf deren Dächern von brav unangepassten Designerschulabsolventen an vermeintliche Trends angelehnte Reklameschilder hilflos für Begehrensfremdes warben. Im Zentrum des Ödlands lag eine den Landschaftsschutz missachtende Neubausiedlung. Als die neue Kollegiatin über die nicht genau bestimmbare Grenze in dieses Wohnparadies eintrat, hauchte mit ephemerem Mundgeruch das Gefühl sie an, einmal schon eine der Doppelhaushälften gewesen zu sein.
Die gesuchte Hausnummer fand sie an einem sandsteinersatzverkleideten, gleichermaßen an eine alte Festung und an einen an eine Festung gemahnenden Museumsbau erinnernden postmodernen Klotz in der Mitte der Siedlung. Ein takt- und erschreckend umstandslos auf ihren Klingeldruck antwortendes Schnarren bat herein in ein mit blank poliert eierschalfarbenem Marmorersatz aus Zementmasse und darin eingelassenen Steinsplittern verkleidetes Treppenhaus.
22.
Selbst der Moment, da Anouschka als ihr eigener Tod entstand und verging, kam ihr ziemlich bekannt vor.
2.
Neben dem Fahrstuhl eine Stockwerkliste, auf der die Namen von Rechtsanwälten, Privathaushalten, einem Kieser-Fitnessstudio, zwei Motivationstrainern, einer Hals-Nasen-Ohren-Ärztin, einem biochemischen Labor und der gesuchten Bibliothek sich gegenseitig anödeten. Der Fahrstuhl trug die Kollegiatin nach unten, von wo aus dumpf eine Technoversion von My Way darum bat, ein paar Dinge bereut zu haben, allerdings zu wenig, um diese zu erwähnen.
21.
Die Kollegiaten standen auf und gingen auf Anouschka zu. "Muh", sagten sie rhythmisch im Chor: "Muh... Muh... Muh..." und bildeten einen Kreis. Anouschka stach zu. Der erste zerplatzte wie ein blutgefüllter Luftballon. Sie lachte auf, als sie sich daran erinnerte, wie sich der Sterbende fühlte. Der zweite platzte auch, dann der dritte. "Muh... Muh... Muh..." ging es weiter und der Kreis um sie zog sich enger. Der Rausch war ein kurzer Moment der Seligkeit. Sie stach nochmal zu. Und noch einmal. So laut war das Muhen schon geworden, dass man die Aufforderung, nach Ibiza zu gehen kaum noch verstehen konnte. Dann ließ sie das Messer in sich selbst hinein zischen: Auch sie zerplatzte.
3.
Als die Tür sich aufschob, sah die Kollegiatin statt eines Vorraums direkt ein Pult vor sich, auf dem einzig ein Paar mit Wurstfingern besetzte Händchen lag, darüber ein Doppelkinn, auf dem ein breites, dümmliches Grinsen thronte, das weniger zur Begrüßung aufgesetzt als mit der Physiognomie des Pförtners verschmolzen schien. Jacke und Rucksack in einer Ecke zurücklassend, in der sich deresgleichen schon stapelte, Notebook und Spiralblock unter den Arm geklemmt, ging sie mit falscher Selbstverständlichkeit vorbei, während das Grinsen ihr ein Stückweit wie ein Suchscheinwerfer folgte und es in der Schwebe ließ, ob ihr Eintreten gewährt war oder missbilligt. Eine Funktion war er. Eine bloße Funktion. Mehr nicht. Gelassen ging sie weiter. Und mehr, viel mehr als das, sie tat es auf ihre Weise.
Direkt hinter dem Einlass hatte Nestlé einen Promotionstand aufgebaut, von dem die Musik ausging. Ein paar Studenten saßen auf dem Boden vor dem Begehrensspiegel, um den zwei mit Nestlé-Shirts und Nestlé-Höschen bekleideten Studentinnen zuzusehen, die auf einer in der Mitte durch einen Steg geteilten aufgeblasenen Wulstbahn an zwei Gummiseile gekettet waren, gegen diese um die Wette anliefen - um, bevor sie von diesen wieder zurückgezogen wurden, ein Klettkissen auf besagtem Steg ein Stückchen weiter nach vorne verschoben zu haben. Inzwischen tanzte man im Mondlicht und jeder fühlte sich warm und strahlend.
Wahllos ging die neue Kollegiatin in Richtungen, die sich offenbar über den eigenen Zweck nicht ganz im Klaren waren. Die Tische waren weitgehend unbesiedelt. Der Lageplan - eine DinA4 Kopie, die qua Tesafilm an einem Betonpfeiler klebte - verweigerte es, sich selbst zu verorten in jener majestätischen Anlage, als deren Teil er sich ausgab. Diese bestand augenscheinlich aus mittelgroßen raumähnlichen Orten, deren Anzahl, Ausmaße und Vernetzung wegen einer längst aus der Mode geratenen postmodern aufgelockerten Bauform und dazu passender Regalanordnung nicht auszumachen war. Mehrere Signaturschlüssel umgaben die Kollegiatin, und mit dem Gefühl einer instabilen Kinderwelt, in der alles plötzlich belebt sein kann und einen anspricht, pflanzten sich ihr die Worte ein: Nimm uns wahr. Sie sah hin. Die Signaturen taten das, was Signaturen immer tun; sie zeugten von einer langen Genealogie der Bibliothekare, die so an den während ihrer jeweiligen Amtszeit angeschafften Büchern ihre sinnlosen und doch emotionsbesetzten Duftmarken gesetzt hatten.
Bis zum am zweiten Eingang befindlichen Reisebüro tanzte man im Mondlicht, und, damit Sie den Tag mit einem weiteren schönen Lied verbringen dürfen, fuhr man dann nach Ibiza und hatte dort eine Party am Mittelmeer.
20.
Anouschka war ganz ruhig. Das Alternativlose hat immer etwas Heroisches, also Toposhaftes, für das sie sich schämte. Fast wäre sie umgekehrt, im letzten Moment, aber das wäre dann auch ein Topos gewesen, so nach dem Motto: Ich bin ja die tolle Wissenschaftlerin und kümmere mich nicht um die weltlichen Dinge und so. Sie kicherte im Weitergehen. Wie erwartet saßen die Professoren und Kollegiaten an den planlos aneinandergereihten Tischen, auf denen noch ein paar die Flyer für die Red-Bull-Flugshow lagen. Stumm, als wollten sie ihre Wesenlosigkeit zur Schau stellen. Das Schlimmste an unseresgleichen ist, dass es sich in nichts anderem als seiner Armseligkeit zu präsentieren verstehet und einem dabei fortwährend zu sagen scheint: Du bist eine von uns, du bist eine von uns, du bist eine von uns. Und in der Tat stellte Anouschka fest, dass die Kollegiaten angefangen hatten, diesen Satz im Chor zu sprechen, wie ein Echo aus ihren Gedanken. Es war klar; sie taten das, um sie zu verunsichern: Sie kannten ja Anouschkas Gedanken, wie sie selbst die ihren kannte, auch wenn sie im Moment Mühe hatte, sich daran zu erinnern; so dunstig war ihr Hirn. Du bist eine von uns, du bist eine von uns, du bist eine von uns. Du bist eine von uns. Bald zog sich der Satz zusammen und hörte sich an wie "Muh, Muh, Muh!" Sie stand alleine da. In der Hand ihr Messer. So musste es wohl sein. Sie sah in die Runde auf die muhenden Kollegiaten und erinnerte sich, dass sie aufstehen und einen Kreis bilden würden. Wie einfallslos.
4.
An einer großen Anhäufung scheinbar planlos aneinandergerückter Tische und Stühle vermeinte die neue Kollegiatin, den Vortragsraum zu erkennen, in dem das Kolleg, das ansonsten einer ihm gegenüber eher desinteressierten Allgemeinheit durch eine aufdringliche und sehr selten aktualisierte Website verfügbar war, sich bald durch Menschenkörper präsent machen sollte. Auf den Overheadprojektor hatte der Kulturbunker eine Folie gelegt, die für eine Party warb, wo das Bier nur einen Euro kosten sollte.
Sie schlug, um nicht den peinlichen Part der Erstgekommenen übernehmen zu müssen, den Weg in eine Regalflucht ein, legte Block und Notebook auf einen Ablagetisch, und da sie in dem angrenzenden Regalfach zufällig eine Monographie sah, die in ihr Dissthema zu passen schien, blätterte sie ein bisschen darin herum. Doch es wollte kein Gespräch aufkommen zwischen ihr und dem Text. Das Buch war auch in der Tat nicht viel wert. Uuohh, wir fahren nach Ibiza.
19.
Anouschka schlug die Augen auf, wenn man das noch Augen nennen konnte, die zwei Kugeln, die in ihrem Lager an dem monströsen Stück Schleim hingen, an dessen Stelle sie in einem anderen Zustand ihren Körper erwartet hätte. Sie war die Zersetzung, in der sie strampelte wie in einem Meer ihres eigenen Schleims. Sie war der Schleim. Fuji-Film hat keine Probleme mit mir. Der findet mich ja gut.
"Der Fuji-Film hat keine Probleme mit mir. Der findet mich ja gut", kam dumpf baggernd ein Dummstudi und daher, neben ihm die Studentin, die sich von ihm bebaggern ließ. Anouschka hielt sich unsinniger Weise die Ohren zu. Doch sie selbst war die Erinnerungen, die sie bedrängten. Aber seine Assistentin, diese Alina Tuffi, das ist ja meine Lieblingsfeindin. Als ich die das erste Mal gesehen hab, da hab ich gedacht: Das ist meine neue Feindin.
"Aber seine Assistentin, diese Alina Tuffi, das ist ja meine Lieblingsfeindin. Als ich die das erste Mal gesehen hab, da hab ich gedacht: Das ist meine neue Feindin."
Warum denn? Ich find die eigentlich ganz nett.
"Warum denn? Ich find die eigentlich ganz nett."
"Nett? Die ist doch total opfermäßig drauf. Zumindestens hab ich die nie anders erlebt."
"Naja, hast schon recht, ein bisschen behindert ist die ja irgendwie schon - aber Iiiihhh, was ist das da?"
Anouschka saß, ein unbeschnittenes Buch aus den Vierziger Jahren über einen unbekannten Philosophen aus den Dreißiger Jahren wie eine Puppe in den Armen zerquetschend an einem einsamen Ablagetisch und wimmerte sich lautlos etwas über die bedrückende Präsenz der Menschen vor. Ihr Mund stand offen, die Augen auch, und sie redete sich der Bequemlichkeit halber ein, nicht anders zu können als so dazusitzen.
Sie hatte gewusst, dass sie sie entdecken würden, diese Menschen, die sie viel zu gut kannte. Sie war die Menschen. Sie war die Kenntnis von ihnen. Und sie war doch auch der Zwang aufzustehen, der ihr einredete, das sei wichtig, denn es sei ohne Zweifel wichtig zu zeigen, dass alles in Ordnung ist, denn sonst würde sie hier nicht bleiben können.
Sie hangelte sich hoch, versuchte sich festzuhalten, in die Höhe zu graben, und gleichzeitig war sie doch auch der Rausch, der ihre Beine im Schleim versinken ließ. Ihr Verstand, der ihr sagte, dass sie sich unbedingt aus der Affäre ziehen musste, und der Schwindel, der sie auf dem grünen Acryllteppich hinschlagen ließ. Ihre Augen, die sich schlossen, um ihr zu zeigen, dass sie stärker waren und die Notwendigkeit, stärker zu sein.
"Schon gut", meinte der Dummstudi, "Die ist eher so ungefährlich. Die wohnt hier und scheißt immer in die Gegend der Inkunabeln. Pfeift sich irgend ein Zeug rein, um wach zu bleiben. Arbeitet an so einem opus magnum, sagt man. Irgendwie krass, nicht? Aber wen wundert das hier noch."
"Meinst du nicht, man müsste da irgendwie, also ich meine, die ist doch kurz vorm Abkratzen."
"Nein."
"Hörst du, sie will nicht."
"Naja, wenn du meinst."
Sie gingen weiter. Anouschka wusste, dass sie völlig unsicher und desorientiert waren und daher alles verhöhnen mussten. Um sich über sich selbst hinwegzuhelfen. Es war so fürchterlich banal. Aber wenn man die Menschen kennt, wenn man alles über sie weiß und es nicht nur vermutet, erkennt man, dass sie anders könnten, erkennt ihre Faulheit. Und dann geht es einfach nicht mehr anders: Man verachtet sie, wenn man sich von ihnen fernhalten kann. Und wenn man es nicht kann, dann hasst man sie. Und Anouschka konnte sich nicht fernhalten.
Sie nahm sie das Messer aus dem Versteck zwischen den Buchreihen und wartete.
5.
"... Markenhype drum gemacht, und da musste ich das dann halt mal antesten", saßen auf einmal, erdrückt von der Aufgabe, ihre Anspannung als coole Unanfechtbarkeit durchgehen zu lassen, die ersten zwei Kollegiaten im Besprechungsraum.
"Wie, was antesten?"
"Tequilla-Bier."
"Naja. Besser als gar kein Bier."
"Ein wahres Wort."
Beide trugen grobmaschige dunkle Pullover. Ein Oberschenkel wippte wie das funktionslose Evolutionsrelikt eines vormals kratzgewandten Hundehinterbeins. Stark genug, ohne dich zu leben, stark genug.
Die Neue spielte mit dem Gedanken, hinter ihrem Regal zu bleiben. Es kostete zu viel Seelenkraft, sich diesen im Heranwachsen eingefrorenen Jungwissenschaftlern vorzustellen, die - wie sie bereits verstand - noch weniger zählten als die Monographie, die sie gerade wegstellte.
Sie zitterte leicht, und plötzlich überkam sie das Gefühl, einen der Namen ihrer neuen Freunde zu kennen. Thorben. Thorben Jessa.
Ab und an kannte sie sogar den einen oder anderen Satz auch schon, noch bevor er geäußert wurde. Immer ganz knapp im Voraus. Aber bei der geistlosen Gesprächsmechanik zweier irgendwas erwartender Halbbekannter ist das wohl nichts besonderes.
18.
Ein letztes Mal hatte sie versucht, es festzuhalten, das Wissen, es Aufzuschreiben, zu ordnen. Die ekelhafte klebrige Präsenz des je verfügbaren Wissens in eine Allgegenwart zu verwandeln, damit sie Ruhe gäbe, damit sie endlich Ruhe gäbe.
Anouschka drückte die Tasten an ihrem Laptop und versank in das Ballerspiel, dessen Funktionen sie kannte, zu denen sie in kurzen Momenten wurde. Sie wurde zum Blut, sie wurde zu den Monstern, sie wurde zum Mündungsfeuer. Bang bang bang bang.
Die Inkubation war vorbei. Die Erkenntnis soweit fortgeschritten, dass es nahezu keine Lücken mehr gab. Wenn sie las, fiel die Schwärze der Buchstaben sie an und die Wörter zerplatzten in Gedanken, die augenblicklich ihre eigenen waren, aus einer anderen Zeit. Die sie selbst schon gewesen war. Sie wusste, wie es war, Regal zu sein, wie es war, Bildschirm zu sein, wie es war Pixel auf dem Bildschirm zu sein, wie es war Mündungsfeuer zu sein. Doch in einem kurzen glücklichen Moment wurde sie noch einmal zu einer bloßen Funktion. Ein letztes Mal. Dann brach es wieder ein. Das Dasein als Tastatur, als flimmernde Eindrücke und als Programmierer des dummen Ballerspiels. Es war soweit. Alles war Wissen. Sie brauchte es nur zu wollen, schon war es da. Nur aus Hohn würde sie in der Bibliothek bleiben. Hohn über all die anderen Formen ihrer selbst.
6.
Über Fuji-Film, der übrigens der Doktorvater in spe der neuen Kollegiatin war, redend und seine überhebliche Art, lachend über seine gespielte Allwissenheit und seine tatsächliche Unkenntnis in Fragen der Medientheorie, kurz darauf und schon am Tisch sitzend plötzlich die beiden jungen Männer begrüßend, gerade so, als hätten sie über diese getuschelt und nicht über den Professor, gelangte eine mädchenhafte Zweiheit in den Raum und setzte, nach einem eigentümlich halberotischen "Na, Ihr?" und knapp dahingenuschelter Begrüßungserwiderung, ihr Gespräch fort. Refika, wusste die Neue sofort. Refika Ratiopharm. Sie hasste sie augenblicklich und es war ihr, als wäre sie der hellgrüne Acrylbezug des Stuhls, den Refika nun unter sich zusammendrückte. Oder präziser: Der Druck selbst, der entlang der Acrylmaserung gerillte Druck, der hilflos versucht auf sich aufmerksam zu machen aber niemanden kennt außer sich selbst. Eine Welt, die nichts ist als Druck.
17.
Strong enough, to live without Youhou, strong enough, sang ein Lied und fühlte sich gut. Anouschka wollte es nicht verstehen, aber sie verstand es, sie wusste alles. Sie hielt sich die Ohren zu und versuchte sich darauf zu konzentrieren, den Nostradamus, der vor ihr lag, nicht zu kennen. Aber sie kannte jede der lächerlichen Visionen den dummen Glauben an die eigene Bestimmung, an die Kündung. Der Text war einfach nicht mehr ernst zu nehmen. Sie konnte nicht mehr in den Zustand zurück, da es nur die Ahnung gibt. Ihr Wissen breitete sich aus. Es gab keinen Ausweg mehr.
Schon lange glaubte sie nicht mehr zu schreiben, um ihr Wissen mit einer anderen Form ihrer selbst zu teilen. Es ging nur noch darum, es zu ordnen. Wahrscheinlich, um es sich vom Leibe halten zu können, indem sie es unter Kontrolle gebracht hätte. Auch wenn das vermutlich nur eine dumme Hoffnung war. Eine Hoffnung aus alter Zeit, in der das Wissen noch magische Kräfte hatte. Oder aus der etwas jüngeren Zeit, da es nicht offenbar war, sondern geschaffen werden musste. Jedenfalls war es ihre letzte Hoffnung.
7.
Als kurz darauf zwanzig Menschen den Raum mit zum Teil im Foyer begonnenen Gesprächen, einem Beamer und dem im folgenden immer wieder aufs Neue scheiternden Versuch, diesen anzuschließen, ausfüllten, fühlte sie sich unwillkürlich an das Vorstellungsgespräch erinnert, dem sie sich hatte unterziehen lassen, vor Menschen, denen ihr Fehlen nun nicht auffallen wollte. ‚Ich habe das große Glück', war auf einmal in ihr Hirn geschrieben wie Verse aus einem Ohrwurm. Oder wie das penetrante "Think different", was das einzige war, das der Beamer zu Stande brachte. Über dieser Präsentation ließ eine Uhr die Zeit vergehen. Was blieb ihr als Uhr auch anderes übrig.
"Ich habe das große Glück", begann der Kollegsleiter, nachdem sich alle gesetzt hatten, und wartete auf ein allseitiges Verstummen: "Ich habe das große Glück, Sie zu unserer heutigen Sitzung begrüßen zu dürfen. Und bevor uns nun Frau Alina Tuffi etwas erzählen wird zum Thema: Der entrückte Körper der Mystikerinnen, ist das richtig? ... Ich sehe, wenn ich das richtig deute, Zustimmung... nein, doch nicht?"
"Ist gut. Machen Sie nur." Es war eine entschieden zu zage und zu glückliche Stimme: Dünn wie teures Porzellan, das bei einem Verwandtenbesuch die Aufmerksamkeit von dem Gespräch auf die Angst ablenkt, man könne es fallen lassen oder schlicht zerdrücken, und auch nur halb vernehmlich, doch augenblicklich präsent wie eine schüchterne Kinderblockflöte aus ansonsten stets stillem Nachbarhaus.
"Sagen Sie!", meinte der Kollegsleiter.
"Gleich. Entschuldigen Sie bitte", sagte die Stimme, freundlich wie eine gehemmte Flughafenansage.
"… gut, also reden wird über ein anderes, aber wohl der Entrückung verwandtes Thema - geht das inzwischen mit diesem Projektor?" - "Nein", trieb die Stimme ihre fragile Unantastbarkeit weiter vor sich her: Nein, sie müsse sich sehr entschuldigen, trotz aller Beteuerungen des Hausmeisters würde der Beamer immer noch nicht richtig funktionieren, ein falsches Kabel hätte man ihr offenbar gegeben, man müsse wohl leider darauf verzichten, die Bilder seien aber sowieso vorwiegend als illustrativ zu betrachten gewesen. "gut, dann werden wir sehen; - möchte ich noch ein paar kleinere Fragen betreffs der Organisation klären." Und nach Erwähnung eines Kooperationswunsches, den ein anderes Kollegs, das unerwartet fast das selbe Thema zu haben schien wie das anwesende, geäußert hatte, und nachdem man sich unter den Professoren darauf geeinigt hatte, dieses Faktum zu begrüßen und ansonsten nichts weiter zu unternehmen, sollte Alina dann mal loslegen.
16.
Unerwartet leicht war es, einen Anfang zu finden. Er musste in der Frage münden, ob es einen Gott gab, mehrere oder gar keinen. Sie begann mit den heiligen Texten der drei monotheistischen Religionen. Ließ ihr Wissen sich vor ihr ausbreiten. Es war ein Gefühl der Macht, das sie gewann, als alles ihr klar wurde, jede Fälschung im Wissen, jeder Irrtum, die vergangenen Zeiten sich in ihre Gegenwart stahlen und stanken und staubten und Seuchen verbreiteten.
8.
"Ja", sagte Alina und gab ihre Liebe jemandem, der sie ebenfalls lieben sollte. Die neue Kollegiatin drückte das unwillkürliche Gefühl von Refikas über nackte Haut streichendem und dabei unmerklich in Glaswolle sich verwandelndem chinesischen Seidentuch in eine andere Sinnesdimension: "Mein Thema ist die physische Realpräsenz Christi als mystisches Erleben der Allgegenwart Gottes, bei den Praktiken der Flagellanten und Flagellantinnen im dreizehnten Jahrhundert." Ich werde überleben, ich werde überleben, jaja.
Nun musste erst einmal hervorgehoben werden, dass das Projekt noch in einer sehr frühen Phase war, so dass man also noch nicht zu große Erwartungen haben dürfe.
"Umso besser; dann wird die Diskussion mehr bringen können."
"Ja." Alina begann, indem sie kurz auf ihre sorgsam zurechtgerückten Zettel sah und schüchtern lächelte: "Also: Wie Sie sicherlich alle wissen, war das nicht immer bewußte Ziel des Flagellantentums gleichsam ein Schauspiel der Buße, das einem zürnenden Gott mehr noch als irgendwelchen anderen Zuschauern dargeboten werden und die Leiden Christi im Sinne präsentischer Aktualisierung nachvollziehen sollte. An der daraus sich ergebenden Situierung des Körpers in den Heilsplan wird verständlich einerseits die Engführung der Physis mit der anagogischen Erlösung, andererseits ihre möglichst deutliche Sichtbarmachung im Nachvollzug des Golgathageschehens."
15.
"Man könnte hier natürlich auch mit Butler sagen, das Abjekte et cetera pipapo, aber ich finde, das bleibt mir noch zu sehr bei Foucault: So nach dem Motto Sexualisierung des weiblichen Körpers. Und ich finde irgendwie, da sind wir doch eigentlich langsam drüber weg, oder?", kam ein Gespräch ins Stocken und erwartete Fortführung.
Thorben gehorchte: "Genau. Ich will ja jetzt nicht lästern über Leute, die das immer noch ständig... Vielleicht haben die ja einen ganz netten Charakter und so."
Das Gespräch befahl Alina zu lachen und Thorben lachte mit.
Billiger Kaffee stand in Pappbechern vor ihnen und ödete sich selbst an, wie die Mondlichttänze, die der Nestléstand auch in die Caffeteria sandte. Eine Frage schob sich dazwischen und entwich Alina: "Aber lassen wir das mal. Worüber willst du mit mir reden?"
Alina erschrak über die eigene Frage und Peinlichkeit beobachtete sie wie eine plötzlich von irgendwoher aufgetauchte Videokamera auf einer Party.
Ein Schweigen machte sich unerträglich. Alina lenkte ein:
"Ah. ... Ich hoffe, du fandest meinen Vortrag... Also das mit der Realpräsenz, du fandest doch auch nicht übertrieben, oder soll ich da vielleicht lieber sagen Imitatio Christi?"
"Nein. Ich."
"Ist schon in Ordnung. Nicht? Weil, das mit der Realpräsenz, da baue ich ja so ein bisschen schon drauf auf. Und, naja, weißt du, am Abend, und das fand ich schon irgendwie ziemlich kraß, ist auch noch der Braun zu mir gekommen und hat gesagt, das, was ich da mache, das hätte der Müllermilch zum Teil auch schon geschrieben. Dabei war das bei mir ja schon ein bisschen anders gefasst, eben, mit der Realpräsenz. Ich hab dann danach ja auch wie gesagt noch mit dem Fuji-Film drüber gesprochen, und der hat dann zum Glück gesagt, dass er dahinter steht..."
Eigentlich hatte Anouschka aus ihrem Versteck kommen wollen und Thorben Alinas unglückliches Liebesleben in allen Details erzählen wollen und mal sehen, wie sie reagiert hätte. Doch der Plan war ihr fad geworden. Wozu sich das antun? Und die Fadheit wurde zu einem Schlamm. Und sie selbst verwandelte sich in diesen Schlamm.
Es war zu diesem Zeitpunkt, da sie sich vornahm, ihr Wissen in ein Werk zu verwandeln.
9.
"Vor diesem Hintergrund wundert nicht die panegyrische Darstellung der täglichen Geißelungen, wie sie, und das wird der erste Hauptgegenstand meiner Untersuchungen sein, wie sie also in dem Kloster des Ordo Sanctae Clarae zu Padua um das Jahr 1250 dargeboten wird. Als Leittext dient mir hier eine bislang von der Forschung bislang nicht gewürdigte mittelhochdeutsche Epistel, die den Bamberger Klarissen offenbar in instruktiver Absicht übersandt wurde - verfaßt vermutlich von einer bayrischen Händlerstochter, die nach Italien verheiratet und dort verwitwet dem Paduaner Orden beigetreten war. Ich gehe, da ich den transkribierten Wortlaut nun leider nicht an die Wand werfen kann, am besten gleich zu den Konkreta über. Naturgemäß war es den Nonnen verwehrt, an den öffentlichen Selbstgeißelungen teilzunehmen, was in diesem Kloster allerdings nur dazu führte, einen Teil der Quadragesima zu nutzen, sich im Schutz der Klostermauern den andernorts unter Flagellanten üblichen dreiunddreißigeinhalb Tage (bekanntlich angelehnt an den Lebensjahren Christi) anzupassen und damit eine Bußpraktik zu üben, die durchaus auch unter Häresieverdacht hätte geraten können." Sie nahm einen kleinen Schluck aus einem Wasserglas, schenkte aus der Bonaquaflasche nach, lächelte, statt dem konkreten Publikum, etwas Allgemeinem und dahinter befindlichen zu, so dass die neue Kollegiatin sich kurz als die eigentlich Adressierte fühlte, und sprach sanft weiter, den Kopf leicht geneigt, als schmiege sie sich an Weiches.
14.
Das letzte Gespräch, das Anouschkas Handy ihr mit seinem Mozart-Gequieke aufgezwungen hat, traf sie auf dem Weg zurück in die Bibliothek. "Hast du denn schon Freundschaften geknüpft in deinem Kolleg?", fragte ihre Mutter, da sie wollte, dass es ihr gut geht: "Ihr habt es ja, was das angeht, zum Glück viel besser als wir damals. Was für ein Aufstand immer, wenn man mit irgendwem wollte! Hast du da schon jemanden gefunden? Es ist doch so viel schöner, wenn man da jemanden hat, mit dem man zwischendurch immer mal kann!" Sie seufzte und Anouschka erkannte sie: "Und ich will doch, dass es dir gut geht." Einen Moment lang blieb sie, das Handy am Ohr, stehen wie gelähmt. "Ich will ja gar nichts wissen, nur ob es ein Mann oder eine Frau ist." Da endlich ließ Anouschka das Ding fallen und zertrat es. Quitt. Frei. Sie lachte auf offener Straße. Frei. Erkannt.
Dann wurde ihr schal.
Als sie seinen Zwischenraum durchquerte, sah der Pförtner ihr zu wie eine Tür.
10.
"Entschuldigen Sie. Offenbar trugen die Schwestern während der gesamten Fastenzeit den Rücken frei und setzten ihn zwischen Matutin und Vesper der Sonne aus, Zitat, ‚daz ir wizer lip rote wart', wie schon, Zitat, ‚cristi suezer lip zuo golgata'. Man benutzte nun Geißeln aus Lederriemen, je mit drei Knoten versehen, in die wiederum scharfe Bleistücke eingelassen waren. Mit ihnen wurde die sonnenverbrannte Haut dreimal täglich, Zitat, ‚geslagen auf daz bluote', wobei unter den lieblichen Düften der ‚bluotrunst' das Stabat Mater angestimmt wurde. Manche, also der Schwestern, hielten sich die Wunden mit Essig offen. Auch kasteiten sich einige ‚tougene' noch ein viertes oder auch fünftes Mal. Die Verfasserin fügt allerdings hinzu, dass diese Praktiken nur zwei Jahre aufrechterhalten wurden, da sich die Zahl der bußfertigen Schwestern offenbar zusehends dezimierte. Und dies, obwohl sie sich angeblich an Ostern mit guten Ölen salbten." Sie schluckte. "Wie ich im Folgenden ausführen möchte", samtete die Stimme lächelnd weiter, "haben wie es hier mit einer Aktualisierung des Passionsgeschehens am Leib der Schwestern zu tun. Vor dieser Folie lässt sich die These ableiten, die ich im Folgenden voranbringen möchte, nämlich, daß qua Übersteigerung des Schmerzes angestrebt wurde: das Erleben der göttlichen Allgegenwart, verstanden als Präsenz des All-Einen im Raum des Körpers. ..."
Und da geschah es der neuen Kollegiatin, dass sie plötzlich Alinas Spiegelbild sah, umsäumt von den Body-Care-Fläschchen diverser Marken, das rote Kostümchen auf dem dünnen Körper zurechtzupfend, das Seitentuch sich an den schmalen Hals legend; und sie wusste, dass dies Alinas unwillkürliche Erinnerung war, von der diese sich gerade abzulenken trachtete. Gläsern und starr wie Karaffen sahen die Professoren die Vortragende an und die Kollegiatin wusste, wie unwert Alina sich fühlte. Das heißt: Sie erinnerte sich daran.
Alina Tuffis Stimme redete immer weiter. Dann unvermittelt, nachdem man schon mehrmals hätte glauben können, sie sei nun fertig, sagte sie: "Ja. Das war's dann."
Es folgte ein weder langes, noch kurzes, noch heftiges, noch lasches Tischklopfen, dem es kaum gelang, sich davon zu lösen, alles schaffen zu können, genau wie die tollen dressierten Affen und von weiteren wollen-sollen-Unreflektiertheiten, wie man sie auf deutschen Schulen eben für Kreativität zu halten lernt.
"Ja, vielen Dank, Frau Ratiopharm", meinte der Kollegsleiter, "für diesen, ja, doch aufschlussreichen Vortrag. Ich denke, da wird es jetzt noch eine Menge Fragen geben. ... Herr Mediamarkt?"
Ein Mann mit weit auseinanderstehenden Glupschaugen rückte sich auf dem Stuhl in eine versteifte Position: "Ja, erstmal vielen Dank noch einmal für den reichhaltigen Vortrag. Allerdings möchte ich, Sie ahnen es vielleicht schon, an der Sache mit der Allgegenwart noch einmal einhaken. Sie haben Ihren Ausführungen ja gewissermaßen eine Spielart des Neuplatonismus zugrunde gelegt, die in dieser Form - nämlich dem Ziel der Einheit mit Gott qua Aufhebung der als, ähm, als Abfall von der göttlichen Ordnung gedachten Zergliederung der Welt - erst bei Meister Eckhart, nun ähm aufkommt. Haben Sie das? ... Ja gut. Sehen Sie da also nicht vielleicht ein kleineres Problem?"
Nein. Sah sie nicht, sprach eine Meinung sich aus. Weil der Neuplatonismus ja durchaus präsent war.
"Unbenommen. Aber ja gerade nicht in dieser Form. Verstehen Sie, was ich meine?"
"Ja" klang es gedämpft wie einer Schneenacht: "ich finde, ich habe ja jetzt eben gezeigt, ja, daß eben schon."
"Hmhm." Professor Mediamarkts Stirn war in Falten geworfen, was ihn auf ungewollt sympathische Weise kurzfristig einem Mops ähneln ließ.
13.
Entgegen aller Grundschullehrerbehauptungen hilft das Hineinversetzen in andere nicht gegen die Verachtung anderer. Statt dessen verachtet man nur mit besseren Argumenten.
Anouschka stieg vor dem Lidl in die Straßenbahn ein. "Rücksäcke sind praktisch, nicht? Besonders für andere Leute", sagte eine Frau.
"Kluge Sprüche sind witzig, nicht? Besonders für andere Leute", antwortete Anouschka natürlich nicht, da sie nicht im metaphorischen Sinne schlagfertig war. Nur im konkreten; und sie genoss die Erinnerung an den Schmerz, den sie in ihrem früheren Leben erlitten hatte. Es war ein betäubender Schmerz, der die Nasenscheidewand mit kräftigem Schmatzen vom Nasenbein abgelöst und dieses hatte knacken lassen. Und dann auch noch das Gefühl der Hilflosigkeit, wenn die Umstehenden aus Angst und Überrumplung bloß dastehen und schweigen. Anouschka stieg an der nächsten Haltestelle aus. Ohne schlechtes Gewissen. Sie war frei. Es war großartig, auch dieser Faltenklumpen gewesen zu sein, alles, was sie tat, sich selbst zu tun. Wenn es niemanden gibt als sich selbst, dann gibt es auch keine Schuld.
11.
Es folgten ein paar freundlichere Fragen, die allerdings in die Themenverwandtschaft eher Eingeheiratetes betrafen. Bald schon kündigte der Kollegsleiter den geselligen Teil des Abends an, bei dem sich in einem lockereren Rahmen bestimmt die eine oder andere Frage noch vertiefen lassen würde und alle standen auf, um einem jener Restaurants entgegenzugehen, die sich darauf spezialisiert haben, teuer und schlecht zu sein, so dass sie immer über enorm viel verfügbaren Platz gebieten, der dann von professoralen Sekretärinnen problemlos reserviert werden kann. Da man aber noch viel zu organisieren und viele unterschwellige und uneingestandene Ängste auf anderen Schauplätzen auszutauschen hatte, standen einzelne Gruppen noch lange bei einander. Die Nestlé-Promotion-Mädchen, halbnackt und auf dem Kopf eine silberne Schaumstoffkaffeetasse, beendeten ihren Arbeitstag, indem sie erfolglos versuchten, denjenigen Kollegiaten, die keine Gruppe gefunden hatten, ein Gewinnspiel anzudrehen. So dauerte es ewig, bis alle aus dem Raum waren.
Um ihnen nicht doch noch zu begegnen, ist Anouschka an jenem Abend so lange hinter ihrem Regal geblieben, bis man die Musik abgestellt und sie eingeschlossen hatte.
12.
Ein paar Tage später schrieb sie eine Mail an eine Jugendfreundin, die ich in ihrem Laptop gefunden habe. Darin steht nach ein paar Entschuldigungen, dass sie sich seit vier Jahren nicht mehr bei ihr gemeldet hatte:
"Es kommt mir ja selber blöd vor. Vielleicht werde ich ja auch gerade nur verrückt. Aber ich hab Beweise. Also: Es ist so, dass ich hier alles selber einmal gewesen bin. Alle Leute, die es hier gibt, alle Eindrücke, die sie haben und die ich selber habe. Alles, was sich abspielt, seit ich hier angekommen bin, weiß ich schon im Voraus: Ich erinnere es aus einer Art früherem Leben. Ich weiß, das hört sich jetzt doof an, aber es kommt mir so vor, als entstehe ich mit jedem Tod neu. Und zwar immer als irgendetwas hier. Ein Mensch, ein Eindruck, der dann aber nicht später lebt, sondern immer wieder die selbe Zeit. Es ist, als hätte man mich in ein Spiegelkabinett gestellt, in dem ich auch noch die Spiegel selbst bin. Nur dass ich alles so erinnere, wie eben jemand anders, der an dieser Szene teilnimmt. Oder als irgendein Eindruck. Im Augenblick zum Beispiel kann ich mich daran erinnern, wie es ist, nichts weiter zu sein als die Kursivfunktion im Wordprogramm. Immer wieder auf Befehl Buchstaben kursiv setzen. Dann wieder recte. Und so weiter.
Verstehst Du: Alles um mich rum, bin nur ich selbst. Es gibt da einfach keine Systemumwelt zu der Welt, in die ich hier geraten bin. Halt mich bitte für verrückt, das wäre mir ehrlich gesagt lieber. Aber, wie gesagt: Ich habe Beweise. Jeder Sinneseindruck, jede Hirnfunktion, bin ich mal gewesen. Was für eine Zeitverschwendung, eigentlich. Alles immer nur für mich selbst. Deshalb schreibe ich Dir auch. Denn hier kann ich ja mit niemandem reden. Beziehungsweise ich kann es auch gleich lassen, weil ich rede dann ja wieder nur mit mir selbst. Auch du kommst mir jetzt gerade so vor, als ob du..."



Eingereicht am 26. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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