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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Der Ring

© Von Runhild Wiu Laubmann


Ich habe nicht gedacht, dass mein Großvater so aussehen wird.
Ich weiss auch nicht, wie ich mir ihn vorgestellt habe: er liegt im Sarg, wie ein Schlafender... oder vielleicht... wie ein männliches Schneewittchen. Aber nicht so.
Meinen Großvater habe ich sehr geliebt. Er war ein kluger, gebildeter Mann.
Sehen sie, und hier haben wir sofort wieder dieses Problem mit der inneren Vorstellung! Sie denken jetzt sicher: groß, dunkelhaarig vielleicht, Brille, selbstsicher usw.
Nichts dergleichen: er war klein, graublond, die Haare mit Birkenhaarwasser sorgfältig von links nach rechts über die dünnen Stellen gekämmt, Hosenträger, Bauchansatz, zweifacher Kriegsteilnehmer, deutschnational, treuer und gehorsamer Ehemann,
am Sonntag zum Frühschoppen, Karten spielen mit Freunden am Dienstag.
Alles in allem: ein in sich ruhender Mensch, sein Leben wohl geordnet, pünktlich und zuverlässig. Man mochte ihn und ich ganz besonders.
Am Montag war er einfach eingeschlafen und " tot aufgewacht".
So wünschte er es sich immer. Wer im Himmel oder wo auch sonst dafür zuständig war, hatte ein Einsehen mit ihm. Vielleicht hat er sich gedacht: der alte Mann war sonst bescheiden, sein letzter Wunsch wird ihm nun erfüllt.
Heute ist Mittwoch und er liegt im Sarg.
Nein, eigentlich ist er es nicht, ganz bestimmt ist er es nicht! In Romanen steht immer etwas von einer sterblichen Hülle.
Jetzt weiß ich, wie das gemeint ist mit dieser Hülle: seine liegt hier wie die Haut einer Schlange, die nun nicht mehr benötigt wird.
Ich weiß schon, was sie jetzt denken: die Jugend von heute wird immer herzloser. Das Mädchen redet von dem Tod ihres Großvaters, als ob es ein Bild betrachten würde.
Da täuschen sie sich aber gewaltig. Ich m u ß einfach so denken, sonst breche ich vor den vielen Leuten in Tränen aus. Das will ich nicht, denn die Menschen um mich herum sind wie alle in ihrem tiefsten Inneren Voyeure, sonst gäbe es die ganzen Zeitungen nicht: immer auf Sensationen aus. Würde ich nun meinen Kummer zeigen, die aufgesparten Tränen fließen lassen, würde man mich anstarren.
Mein Großvater hat einmal in meinem Poesiealbum geblättert und die Sprüche durchgelesen, sie wissen schon, diese frommen Lügen, die man als Teenager so gerne glaubt:
Sei wie das Veilchen im Moose,
Bescheiden, sittsam und still
Und nicht wie die stolze Rose,
Die immer bewundert sein will...
An ihrem Nicken sehe ich, sie kennen den Krampf. Jedenfalls gab es da einen Spruch, den er gerne hatte. Er lautete in etwa so:
Vieles hören, wenig sagen,
seine Not nicht jedem klagen,
Stille sein in Leid und Glück
Ist ein großes Meisterstück!
Dann sah er mich verschmitzt an und sagte, mir über das Haar streichelnd: "Das wird meine Kleine wohl nie fertig bringen, nicht wahr? Du musst Freude und Schmerz gleich rausposaunen, sonst platzt du ja!"
Sehen sie, deshalb bewahre ich nun die Beherrschung - ihm zuliebe. Er wird von oben herabsehen und stolz auf mich sein, wohl wissend, dass ich es ihm zuliebe tue.



Eingereicht am 24. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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