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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Achims Ausstand
© René Klammer
Der frischgebackene Privatier lächelt, nun muss er was sagen. Alles wartet, alles betet, hoffentlich wird's nicht allzu peinlich. "34 Jahre hab ich hier gearbeitet." Das eingefräste Lächeln wackelt, die Mundwinkel zittern. "Das sind, ich hab das mal überschlagen, rund fünfzigtausend Arbeitstage. Eine ganze Menge, man sollte das gar nicht meinen..." Die Pedanten rechnen nach, derweil sich Achim rhetorisch in der majestätischen Zahl wälzt. Aus den Reihen der Außendienstler ist zu vernehmen:
"Nee, Achim - du musst dich verrechnet haben..." Egal jetzt, es gibt Geschenke! Von der Redaktion einen Rahmen mit Fünf-Euro-Schein und viel Geist: "Im Notfall Scheibe einschlagen". Leider ist gar keine Scheibe da - zerdeppert beim Transport. So'n Pech. Die Außendienstler überreichen einen "Playboy". "Sind sehr anstrengend, diese Hefte", murmelt einer. - "Wieso?" - "Musst ja anstandshalber auch die Texte lesen." Hmm, höchste Zeit zum Anstoßen, findet
der Privatier und schlitzt mit zitternder Hand die Saft-Tüte auf. Er matscht ein bisschen, reicht tropfende Gläser herum. Kollege Spiekermann greift zu Sekt pur. Wer die Legenden noch nicht kennt, die sich um Spiekermann und Spirituosen ranken, kann sie an den Gesichtern der Umstehenden ablesen. Doch Spiekermann hat zum Lesen keine Lust, er hat einfach nur Durst. "Das ist ihr erstes Glas, seit...?" fragt einer, betont jovial. - "Jo, mal schau'n, was passiert, ne?" Man lacht, man trinkt, jemand
verliest ein unvermeidliches Gedicht. Alles reimt sich, alle freuen sich. Man klatscht.
"Ich glaube, manch einer hier", sinniert der Verlagschef, "beneidet Sie jetzt. Um die viele Freizeit, die Sie haben - Zeit für sich, Zeit für Ihre Hobbies..." Wieder sind alle Blicke auf den Privatier gerichtet, seine Mundwinkel haben sich stabilisiert. "Ja", würgt er. "Ich habe viele Hobbies." Trotz in seiner Stimme. "Ich lese gern... Und dann, also, dann hab ich ja auch meine Stammkneipe... Ich bin da Kassenwärter des Schumi-Klubs." Der Verlagsleiter räuspert
sich: "Tja, dann... alles Gute! Muss mich verabschieden, ich hab gleich noch eine Konferenz. Also!" Die Außendienstler weichen zurück, das "Also" hat sich vor ihnen in den Fußboden gebohrt wie eine abgeschmierte Rakete. Die Sekretärin trinkt ihren Sekt aus, stellt das Glas ab. "Wir müssen noch die Rechnungen fertigmachen - Achim, hilfst du mir?" Klar, letzte Amtshandlung: das freitägliche Eintüten. Dazu braucht Achim keinen PC, also symbolisches Ausloggen und Runterfahren. Oh, und
beinahe hätten wir die Schlüsselübergabe vergessen! "Können wir später machen, Achim - jetzt komm erstmal, die Post muss weg."
Eingereicht am 26. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.