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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Warmer Schnee

© Barbara Vigl


Die kleine Stadt, auf die eher die Bezeichnung Dorf zutrifft, liegt auf einem der zahlreichen Hügel und grenzt an einen Tannenwald. Die Einrichtungen sind spärlich. Neben typischen Gebäuden wie Kirche, Volksschule, Kindergarten, Gemeindesaal und Gemeindeamt gibt es nur noch einen Lebensmittelladen, ein Restaurant, einige Milchbauern und einen kleinen Friseurladen.
Alles in allem ein Dorf für ältere Leute, die sich von ihrem anstrengenden Leben ausruhen, oder für Touristen, die dann in den Zimmern, über die das Restaurant verfügt, übernachten und sich der "Schönen Natur" erfreuen, aber nichts für Jugendliche. Der einzige Ort, an dem sich die Halbwüchsigen treffen können, ist die Kneipe, eine ehemalige Wäscherei. Wenn man seine Nase fest an das dunkle Holz der Wände drückt, steigt einem manchmal noch der schwache Geruch von Kernseife in die Nase. Der kleine Raum ist bäuerlich eingerichtet und besitzt keine große Auswahl von Getränken. Trotzdem ist die Kneipe stets von frustrierten Jugendlichen überfüllt, die hier versuchen, dem langweiligen Alltag ein anderes Gesicht zu geben.
An jenem Abend ist viel los gewesen, und Lea, die mit ihren Eltern zusammen die Kneipe besitzt und kellnern muss, betrachtet missmutig den letzten Gast, der immer noch keine Anstalten macht, zu gehen. Sie weiß, dass es Jonathan heißt. Dass er seit Monaten in einem Zimmer des Restaurants wohnt. Dass er um die 20 ist und hier keine Freunde hat. So ist das eben im Dorf, jeder kennt jeden und die alten Weiber zerreißen sich das Maul über den neuen Kinderwagen der Nachbarin oder die viel zu kurzen Röcke der jungen Mädchen. Es gibt sonst nicht viel, über das man reden könnte. Es ist wirklich Jonathan, der hier sitzt und mit trunkenen Augen Lea, welche die Tische wischt, nachstarrt.
Sie ist so hübsch. Nur noch wir beide sind da. Ist das kein Zeichen, dass sie sich manchmal zu mir umblickt? Ob sie weiß dass ich nur wegen ihr hier bin?
Lea wirft das Wischtuch hinter den Tresen und sagt zu Jonathan :"Tut mir Leid, wir schließen jetzt." Das ist gelogen, aber sie will ihn loswerden. Er schaut zu ihr hoch und murmelt etwas in sein halbgeleertes Glas. "Das bedeutet, du musst jetzt gehen!" wiederholt sie etwas lauter. "Wenn du mir einen Kuss gibst, gehe ich!" lallt Jonathan. Lea seufzt. Auch das noch. Sie will ihn nicht küssen, den widerlichen Geschmack von Bier und Vodka nicht schmecken müssen. Aber sie ist so unendlich müde und will doch nur schlafen gehen. "Na schön.", antwortet sie zögernd. Es kostet sie viel Überwindung, aber zumindest steht er jetzt, wenn auch bedrohlich schwankend, auf. Sie öffnet die Türe und Schneeflocken wirbeln herein. Jonathan muss sich auf dem Weg zum Ausgang mehrmals auf eine Tisch oder Stuhl stützen, um nicht zu stürzen. An der Tür bleibt er stehen. Widerstrebend drückt Lea ihm einen Kuss auf die Wange, schiebt ihn hinaus und schließt eilig die Tür. Erleichtert legt sie den Riegel vor und ist froh, dass sie mit einem Kuss auf die Wange davongekommen ist. Jonathan hat, so plötzlich vor die Tür gestellt, den flüchtigen Kuss kaum gespürt. Doch sie hat ihn geküsst, da ist er sicher.
Der Weg ist nicht lang, Jonathan kennt ihn genau, er ist ihn bei jedem Wetter gegangen, bei Tageslicht oder Dunkelheit. Der Marktplatz starrt ihm leer und kalt entgegen, zu dieser Stunde ist niemand mehr unterwegs. Natürlich nicht, hätte die in die Jahre gekommenen Bürgermeisterin jetzt streng behauptet, zu dieser Zeit gehört man, ob alt oder jung ins Bett. Das letzte Stück Weges führt durch den Wald. Während Jonathan sich durch den Schnee kämpft, denkt er an Lea. An das schöne Gesicht und den frechen Haarschnitt. An ihre Hände, die das Wischtuch halten. Ein Nebel legt sich vor seine Augen und in diesem Nebel tanzt Lea und lacht. Berauscht stürzt Jonathan in den Schnee.
Ich werde hier auf sie warten. Wenn der Tanz vorbei ist, wird sie mich holen kommen, und ich werde ihre weiche Haut spüren.
Jonathan liegt zwischen mehreren Tannen und hat die Augen geschlossen.
Jetzt ist sie hier, ich spüre ihre sanfte Hand auf meiner Wange.
Schneeflocken legen sich auf sein Gesicht und schmelzen auf seinen Lippen.
Sie liegt neben mir, näher, als ich es je gehofft hatte. Sie küsst meine Nase, meine Stirn meine Lippen und meine geschlossenen Augen.
Die Wärme weicht aus Jonathans Körper und der Schnee hüllt ihn vollends ein und nimmt sein glückliches Lächeln auf.
Jetzt zieht sie die Decke über unsere sich liebenden Körper. Meine Lea.
In dem einseitigen Klatschblatt, das die Gemeinde jede Woche verteilt, erscheint eine Vermisstenanzeige, daneben Jonathans Foto. Niemand hat ihn gesehen, und das Dorf bleibt stumm. Nur der Schnee flüstert es manchmal einem einsamen Spaziergänger zu, doch wer lauscht schon auf Botschaften von dem Schnee?
Die Monate vergehen, und man hört auf, über den Mann, der keine Freunde hatte, zu reden. Die Zeitung ist am hartnäckigsten, sie ist die Letzte, die Jonathan aufgibt. Es wird still. Nur der Schnee hört nicht auf zu flüstern und im Frühling, als er endlich geht, lässt er Jonathan zurück.



Eingereicht am 26. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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