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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Der Anruf
© Maria-Luise Kleineberg
Das Telefon schrillt. Es ist mir seit langem ein Rätsel, warum es gerade dann klingelt, wenn Frau sich auf dem WC oder unter der Dusche befindet, oder den Mund mit Pasta voll hat. Auch verstehe ich nicht, warum dann am anderen Ende die Gabi, der Tom, die Beate oder der Norbert sind. Reicht es nicht seinen Namen zu nennen ohne diese geschlechtsspezifische Artikelbezeichnung? Die Gabi? Ist doch klar, dass es nicht das Gabi oder der Gabi heißt. Halten die mich für blöd?
Das Telefon schrillt. Ich stolpere über den Katzenfressnapf ins Wohnzimmer. Ich habe vergessen mir die Handcreme abzuwischen und das Telefon flutscht mir aus der Hand. Doch es schrillt und schrillt ohne Rücksicht auf diesen unpassenden Moment.
"Ja bitte?" Niemand meldet sich. "Hallo, wer ist denn da?" Ich höre ein leises Rauschen und… "das Glück, hier spricht das Glück!" Wieder erklingt ein leises Rauschen. "Ich habe nicht verstanden, Herr oder Frau Glück?" Die Stimme am Telefon klingt fast kindlich. "Glück, hier spricht das Glück!" Diesmal meldet sich nicht die Glück oder der Glück, sondern das Glück. Ich werde ärgerlich und brülle in das Telefon. "Wollen sie mich verscheißern. Ich habe für
solch einen Schwachsinn keine Zeit. Was wollen sie von mir?" Eine sanfte Stimme am anderen Ende versucht mich zu beruhigen: "Das Glück meldet sich immer unverhofft. Es fragt nicht nach Zeit oder Gemütszustand". Mist, ich habe die Herdplatte vergessen auszuschalten. Der Brandgeruch der Spaghettis lassen mich noch ungehaltener werden. "Verdammte Sch…, mir brennt mein Essen an!" Ich nehme das Telefon mit in die Küche und hebe den Topf von der Platte. Müde und abgespannt lasse ich mich auf
den Küchenstuhl fallen. Ich hole tief Luft und meine Stimme wird eine Spur freundlicher: "Wollen sie endlich so gütig sein und mir verraten, wer sie sind und was sie von mir wollen?" "Das Glück, hier spricht das Glück. Ich will nichts. Das Glück entspringt nicht dem Wollen. Es ist Geschenk und dem zu eigen, der wenig will, weniger ist mehr und das ist Glück!" Ich stöhne laut. "Aber warum rufen sie ausgerechnet jetzt an und ausgerechnet mich?" Ich beginne neugierig zu werden, was
das oder wer das am Ende der anderen Leitung ist. "Ich, das Glück bin unberechenbar und ich erwähle, wen ich für würdig befinde; manche aber vergesse ich auch!" Mir wird seltsam ums Herz, meine Anspannung weicht und ich gähne in den Hörer. "Und haben sie sich bei mir nicht in der Leitung geirrt?" Die Vorstellung, mit dem Glück zu sprechen, versetzt mich in Hochstimmung, aber da ist auch noch ein Zweifel. "Ich bin das Glück und irre nie, das Dilemma ist, die Leitungen sind meistens besetzt.
Ich rufe an, aber da hebt keiner ab oder ich höre eine Besetzzeichen… also mit anderen, wichtigeren Dingen als dem Glück beschäftigt." Ein zartes, forderndes "Miau" und eine sanfte Berührung an meinen Beinen holt mich in die Realität zurück. Ich öffne schnell eine Dose Katzenfutter und schütte den Fressnapf voll. "Hallo Glück, bist du noch da?" Selten, dass das Glück mich anruft, Stille, ich höre nichts. "Hallo, hallo, Glück, bist du noch da?" Es knackt in der Leitung. "Hier
spricht Doktor Pechmann, ihre nächste Therapiesitzung müssen wir leider um eine Woche verschieben. Nehmen sie auch brav regelmäßig ihre Medikamente?"
Eingereicht am 26. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.