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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Stromausfall

© Sabine Eva Rädisch


Es war kalt in dem kleinen Appartement im 1. Stock; so kalt, dass Roman nicht einmal den Mut aufbrachte, einen Arm aus dem Schlafsack zu strecken und nach seinem Pulli zu greifen, den er wenige Stunden zuvor über den Bürostuhl geworfen hatte. Bestimmt hatte die Schiekofer mal wieder die Umwälzpumpe ausgeschaltet. Sein Blick fiel auf den Radiowecker, kurz vor halb fünf Uhr morgens. Er zögerte den Augenblick hinaus, bis er wirklich dringend aufs Klo musste. Drei, zwei, eins... jetzt! Er sprang aus dem Bett, griff sich den Pullover und sauste ins Bad.
"Blöde Kuh", murmelte er, während er sich auf der eiskalten Klobrille niederließ. Die Schiekofer war schuld; ihretwegen schlief er im Schlafsack, den er einst für einen Campingurlaub in Nordnorwegen gekauft hatte; ihretwegen konnte er auf dem Örtchen nicht die Radiozeitung lesen, zumindest nicht jetzt im Winter. Auch im Sommer fand die Schiekofer genügend Möglichkeiten, ihn, ihren Mieter, zu schikanieren. Und Roman ließ es sich gefallen. Meistens. Er mochte sein Appartement. Was er nicht mochte, waren Auseinandersetzungen, und so versuchte er, der tagaktiven Frau Schiekofer aus dem Weg zu gehen.
Er überlegte. Zum Aufstehen war es noch zu früh, zum Weiterschlafen zu kalt.
Eine Wärmflasche wäre eine Lösung gewesen, hätte er nicht schon seit seiner Kindheit eine unerklärliche Abneigung gegen die wabbeligen Gummidinger gehegt. Nein, etwas Elektrisches sollte es sein, und so kam ihm eine Idee.
Er machte sich an seinem schier unerschöpflichen Fundus alter Elektrogeräte zu schaffen. Gar Erstaunliches förderte er zu Tage, vom defekten Haarföhn über die Nachttischlampe, die seine Schwester beinahe das Leben gekostet hatte, das angeschmorte Kabel eines längst vergangenen Bügeleisens und die kleinen batteriebetriebenen Scheibenwischer, die man an der Brille befestigen konnte. Allerdings besaß Roman nur Sonnenbrillen, auch so eine fand er, mit Blinklichtern auf beiden Seiten, von einer altersschwachen Knopfzelle gespeist. Und schließlich, ganz hinten im Kleiderschrank, wartete der Heizlüfter auf ihn, ein lustiger Kasten aus Siebzigerjahrefurnier.
Behutsam hob er ihn ans Licht und schob den Stecker in die Steckdose. Voller Freude über seinen genialen Einfall senkte er den Zeigefinger auf die Einschalttaste, höchste Stufe. Und dann - ein Blitz in der Tiefe unter den Lüftungsschlitzen, und das Zimmer lag im Dunkeln. "Verdammt." Jetzt erinnerte er sich, warum er damals das Gerät unten im Kleiderschrank verstaut hatte. Er hätte es entweder gleich reparieren oder wegwerfen sollen. Täuschte er sich, oder hörte er Schritte im Treppenhaus? Er fröstelte, nicht nur wegen der Temperatur. Egal, er musste in den Keller, wie immer, wenn ihm wegen seiner Basteleien die Sicherung herausgeflogen war. Sollte die Schiekofer am Ende schon wieder putzmunter sein? Roman wickelte sich den Schlafsack um die Schultern und schlich, die Leuchtbrille im Haar, so leise wie möglich hinaus auf den Flur. Zwei, drei Stufen knarrten, er wich ihnen im schwachen Schein, den die Straßenlaterne hereinwarf, so gut wie möglich aus. Nur noch ein paar Schritte bis zum Sicherungskasten, redete er sich zu.
Sie schrie, bevor er selbst Zeit fand, zu erschrecken. "Schscht!", machte er und legte eine Hand auf ihre Schulter, aber sie schüttelte ihn ärgerlich ab.
"Mensch, Roman!"
"Ach du", sagte er erleichtert.
Es war Nella aus dem zweiten Stock, sie zupfte an seinem Schlafsack. "Du siehst gespenstisch aus! Warst du das mit der Sicherung? Ich konnte nicht schlafen und habe gelesen, als das Licht ausging."
Er nickte in die Dunkelheit. Dabei rutschte ihm die Brille aus dem Haar, die Lichter glimmten nur noch schwach.
Nella griff nach der Brille und kicherte. "Bin ich froh, dass du nicht Frau Schiekofer bist."
"Ich auch."
Er kannte sie nicht gut, sie grüßten sich im Treppenhaus. Jetzt stand sie neben ihm in einem Mickymaus-Shirt, es war so gut wie dunkel, ihre Hand legte sich über seine auf dem FI-Schalter.
"Ist dir auch so kalt?", fragte sie.
"Mhm."
"Ganz schön geizig, unsere Vermieterin, was?"
"Mhm."
Sie stiegen hintereinander die Treppe hoch zu seiner Wohnungstür. Er griff kurz an die Stelle, wo seine Hosentasche mit dem Schlüssel sein sollte. Aber er trug natürlich Jogginghosen, der Schlüssel war in der Jeans, die Jeans über dem Bürostuhl, der Stuhl in seiner Wohnung hinter der geschlossenen Tür. "Mist. Und wo krieg ich jetzt um fünf Uhr morgens einen Schlüsseldienst her, noch dazu am Sonntag?"
"Die kommen auch nachts, du kannst bei mir telefonieren."
"Ja, aber was das kostet - hast du Werkzeug im Haus?"
"Schon möglich." Er hörte ein Lächeln heraus und folgte ihr nach oben.
Ihre Wohnung war etwas größer als seine, hatte einen kleinen Flur und mindestens zwei Zimmer. Die Tür gleich neben dem Eingang führte ins Schlafzimmer, Nella ging hinein und er fragte sich, ob sie ihr Werkzeug unter dem Bett aufbewahrte. Als er es sah, verwarf er den Gedanken: das Bett war sehr niedrig, aber breit, darauf viel weicher Flanellstoff in warmen Tönen.
"Willst du nicht bei mir übernachten?"
"Schon möglich", sagte Roman. Nella nahm den lila Schlafsack von seinen Schultern, versteckte ihn unter den erdigen Farben und zog Roman hinter sich her, mitten hinein in die Wärme.



Eingereicht am 25. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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