"Hast du schon mal Gottes Nähe gespürt?", hatte ich ihn gefragt. "Ja", hatte er gesagt, "schon oft."

"Ich nicht", hatte ich geantwortet. Dabei glaubte ich wirklich an Gott, aber vielleicht glaubte ich nicht genug an ihn. Vielleicht waren meine Gebete zu albern um erhört zu werden.

Derselbe Junge, den ich damals gefragt hatte, ob er jemals Gottes Nähe gespürt hatte, war mein Freund. Genau gesagt war er es gewesen. Denn er starb vor kurzem bei einem Autounfall. Für mich brach die Welt zusammen. Wir hatten doch schließlich unsere Zukunft zusammen geplant. Wir wollten heiraten und eine Familie gründen und dann kam der denkwürdige Abend, an dem er von einer Party nach Hause fuhr. Ich saß neben ihm im Auto, leicht angetrunken und bester Laune.

Er war nüchtern. Doch der andere Autofahrer nicht. Er bremste uns die ganze Zeit, bedrängte uns. Ich fluchte lauthals, er wurde am Steuer allmählich nervös.

Und dann sah ich nur noch den Baum und spürte nichts mehr als das schwarze Loch der Bewusstlosigkeit.

Das nächste, was ich hörte, waren die Worte: "Er ist tot." Drei einfache Worte, einfach und gleichzeitig so grausam. Ich konnte nicht glauben, was ich da gehört hatte. Tot. Tot. Tot!

Wie eine Irre verbrachte ich die nächsten Tage und Wochen. Ich lief ziellos durch die Gegend, redete nicht, aß nicht, lebte nicht. Ich war wie ausgestorben, eine gefühllose Seele.

Bis ich es begriff.

Die Nächte waren am schlimmsten. Das Bett war kalt, meine Arme leer, meine Hände hatten nichts, woran sie sich klammern konnten.

Und dann kamen die Tränen, erst ganz langsam, dann immer schneller, bis sie mich zu ertränken drohten. Ich weinte, so viel, dass ich es nicht für möglich gehalten hätte. Es war warm draußen. Nächtelang saß ich am Fenster, betrachtete den Mond, der zu- und wieder abnahm und wieder zunahm und fragte mich, ob es wohl ungerecht war oder einfach Schicksal, dass man ihn aus dem Leben gerissen hatte.

Und dann, eines Nachts, als ich wieder weinend auf dem Balkon saß und die Einsamkeit in meinem Herzen mich marterte, als das kkalte Auge des Vollmonds auf mich herabsah und ich mich fragte, was ich nur tun sollte, da ward mir eine Antwort gegeben.

Es war keine Antwort, die man hätte beschreiben können. Kein Gedanke, kein wirkliches Gefühl, nur der Eindruck, Gott sei hergekommen um mich zu trösten.

Die Illusion eines Armes, der sich einem um die Schultern legt und einer Hand, die einen streichelt. Und etwas wie Worte, die man nicht wirklich wahrnimmt, die sich einem aber ins Herz brennen. Es war ein Trost, wie ihn mir niemand hätte geben können, als hätte jemand tief in mir etwas berührt und geheilt.

Wie ich so dasaß und den Mond anstarrte, ließ die Einsamkeit von meinem Herzen ab und machte Raum für ein unglaubliches Gefühl der Kraft. Für einen zeitlosen Augenblick fühlte ich mich lebendig auf eine Weise, die mir völlig fremd war.

Und aus diesem Gefühl heraus erwuchs in mir eine vage Hoffnung, der Hauch einer Zuversicht.

"Hast du jemals Gottes Nähe gespürt?", hatte ich ihn gefragt. "Ja", hatte er gesagt, "schon oft."

Ja, dachte ich, auch ich habe schon einmal Gottes Nähe gespürt.