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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Der Blitzkrieg Bop erreicht Bennigsen
© Nico Walser
1979 wurde ich Teil einer Jugendbewegung. Meine Erzeuger hatten mich mit "Twen Tours" in den Sommerferien nach Portsmouth verschickt.
Ich war 14 Jahre alt und reiste aus dem Provinznest Bennigsen am Deister direkt hinein in die Ausläufer der britischen Punkwelle. Natürlich hatten sich meine Eltern ausgemalt, ich würde dort endlich Vernunft lernen, die Flegeljahre hinter mir lassen, und ordentlich zum täglichen Englischunterricht gehen (in den Ferien! Pah!).
Als sie mich am Flughafen Hannover-Langenhagen wieder abholten, trauten sie ihren Augen nicht. Zurück kam einer, der sein ganzes Feriengeld ausgegeben hatte für Platten von the Clash und den Ramones. Sowie für eine zerrissene Armeehose, ein Netzhemd mit Button, Stickern und Sicherheitsnadeln. Zur Vervollständigung des Starter-Paketes für Punkrocker natürlich noch: Doc Martins Stiefel. Meine verfilzte Stachelfrisur roch nach dubiosen Haarversteifungsmitteln.
Das Schärfste aber war, ich hatte eine Sicherheitsnadel in der Wange! Ok, ok, ich will ehrlich sein: das war nur so getan als ob. Man konnte die Sicherheitsnadel so präparieren, dass sie scheinbar in der Backe steckte, indem man den spitzen Teil mit Tesa-Film umwickelte und im Mund verschwinden ließ.
Ja, nennt mich ruhig Weich-Ei, Baum-Umarmer, Reh-Streichler. Aber von Selbstverstümmlung hielt ich noch nie viel.
Ende der 70er Jahre verfehlte das aber alles nicht den gewünschten Effekt. Meine Eltern bangten um ihr soziales Prestige, denn in unserem Dorf gab es so viele Punkrocker denn nun auch wieder nicht, da fiel man also richtig schön unangenehm auf.
Als Erstes führte ich ein: das verzweifelte Bollern meiner Mutter an der Kinderzimmertür, wenn ich mal wieder laut Musik anhatte - "Hey Ho let's go!"
Als Zweites, ich fuhr regelmäßig in die "Rotation" nach Hannover und sah sie mir alle an: Ramones, Stranglers, Stray Cats. No sleep till Hannover.
Daraus resultierte Drittens: die Stilrichtung der Band musste sich ändern. Ja, ich spielte selbst Schlagzeug in einer Gruppe. Ich war nicht der Beste, aber der lauteste Trommler weit und breit!
Jahre zuvor hatte ich mit ein paar Schulkameraden zunächst damit begonnen, im Hobbykeller der Eltern mit Federballschlägern und leeren Waschmitteltrommeln zu unserer Lieblingsmusik herum zu albern. Bald wünschten wir uns alle zu Weihnachten Instrumente. Brav spielten wir den Eltern etwas vor: "Needles and Pins" oder von den Bee Gees "Massachussettes" (Eltern liebten so etwas).
Nicht lange danach waren im Konzert gewesen, bei AC-DC oder den Ramones und nichts war mehr, wie es war. Die Band wurde in "Frostschutz" umbenannt. Der Pogo ging ab und über Nacht spielte jeder in einer Band. Alle mutierten zu Kopfnickern. Keine Angst vor Schleudertrauma! "We can be heroes just for one day".
Ich will hier nichts nostalgisch verklären, es gab viel Streit zuhause, Scheidungskrieg, ich flog vom Gymnasium, das ganze Pipapo. Meine Eltern ließen mich schließlich als 17-jährigen per Gerichtsverhandlung ins Heim einweisen. Ohne meine Leidenschaft für die Musik hätte ich das wohl alles nicht so gut überstanden.
Von allen Bandmitgliedern bin ich der Einzige, der daraus einen Beruf auf der Bühne gemacht hat. Der Gitarrist hat ein Brauhaus eröffnet, einer arbeitet heute bei der Stadtverwaltung, und ein anderer schließlich unterrichtet jetzt Kinder.
Manch einer mag beim nun folgenden bekritteln, dass es in die mittlerweile abgenutzte Schublade des Schwelgens in kollektiver Erinnerungsseligkeit passt. Dennoch, erst neulich - nach 20 Jahren Pause - haben wir in der Original Schülerband-Besetzung wieder zusammen in einem Übungsraum gesessen und geprobt, um einen gemeinsamen Auftritt zu machen.
Ich saß nach langer Zeit wieder am Schlagzeug, spielte laut wie eh und je und da wurde mir klar, mich hat die Sehnsucht nie verlassen.
Eingereicht am 25. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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