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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Mannwerdung

© Claudia Fortunato


Verzweifelt knautschte er die Tüte in seinen schwitzigen Händen hin und her.
Hierbei lugte er immerzu vorsichtig um die Ecke des großen mit Süßigkeiten bepackten Regals als wäre dies seine Deckung, sein kleiner eigener Schutzwall. Um die Mittagszeit war hier ein reger Verkehr. Das machte ihn noch nervöser als er ohnehin schon war und er tippelte auf der Stelle. Es sah aus als wäre er schon zum Startschuss bereit, doch irgendetwas hemmte ihn. Geschlagene 10 Minuten hatte er nun schon mit sich gerungen: Sollte er sie fragen? Er hatte so etwas noch nie getan. Was wäre, wenn sie ihn auslachte, ihn einfach nicht ernst nehmen würde? Von eben solchen Gedanken gequält hüpfte er hinter seiner Schutzmauer wie auf heißen Kohlen. Ja man konnte ihm die Hitze im Gesicht ablesen. Hochrot und von Schweißperlen glitzernd sprang im der Kopf fast vom Hals.
Immer noch raschelte die Tüte zwischen den Fingern. Es ließen sich sogar schon einige Risse ausmachen, durch welche einer der angenehmsten und verführerischsten Düfte schlich, die er bisher kannte. Bei diesem Geruch fiel Beherrschung schwer. Ein Fuß stand schon beiseite, als er ihn hastig zurückzog. Er versuchte, tief durchzuatmen, die Leute hätten es wohl eher für einen Asthmaanfall gehalten, wäre ihnen die Zeit dazu nicht zu teuer gewesen. So hasteten sie weiter ohne großes Aufsehen an ihm vorbei.
Verkrampft hielt er diese schillernde Packung in den Händen. Mit jedem Luftsog strömten mehr und mehr Verlockungen an seine Nase. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, die Tüte aufzureißen und ihren wunderbaren Inhalt hemmungslos an Ort und Stelle zu verzehren. Doch jetzt spürte er doch einige Blicke um ihn herum - verachtende, fragende, besorgte. Na toll! Man hatte ihn bemerkt, seine Mission war aufgeflogen. Leb wohl geliebter Mut, nun bist du von mir gegangen. Nun hatte er nichts mehr zu verlieren, bis auf die Tüte, die ihm, vom Schwitzen benässt, drohte, aus den Fingern zu rutschen.
Ein letzter tiefer Atemzug und entschlossen stapfte er um das hohe Regal herum, direkt auf die große blonde Frau zu, die sehr beschäftigt erschien zwischen Kartons und Schachteln. Eine Armlänge entfernt blieb er stehen und blickte zu ihr herauf. Sie hatte ihn nicht registriert. Wie auch, sie schien etwas zu zählen und ihre in Falten gelegte Stirn ließ auf höchste Konzentration schließen. Da zupfte er energisch am untersten Ende ihres weißen Kittels. Verärgert und murrend blickte sie zu ihm herab und quälte sich ein Lächeln ab: "Hallo, wie kann ich dir helfen?" Jetzt war seine Chance, jetzt oder nie. Er raffte allen Mut zusammen, langte mit der linken Hand in seine Hosentasche; mit der rechten krallte er sich noch immer an das bunt glitzernde Objekt seiner Begierde. Ausdrucksstark hielt er beide Arme so hoch er konnte und fragte dann doch relativ piepsig: "Guck mal Tante, reicht das..." er hob die linke Hand noch etwas höher, "...für die Gummibärchen?" Dabei wedelte er mit der Tüte, die, von seinem Gequetsche beschädigt, kaum noch als solche erkennbar war.
Sie lächelte freundlicher und ungezwungen. In ihren Augen spiegelte sich fast schon eine Art von mütterlicher Fürsorge. Oh, der arme Kleine kann noch nicht rechnen! Nun ging sie in die Hocke, was die beiden Verhandlungspartner auf eine Stufe brachte.
Alle Angespanntheit fiel von ihm ab. Das war ein Sieg erster Klasse!
Yippieh, sie hatte ihn verstanden. Tatsächlich war er so kühn gewesen, sie anzusprechen, einfach so. Man konnte fast mit ansehen wie seine Brust anschwoll und sein Kopf immer höher ragte. Ja, es war ein Fünkchen stolz, das man in diesem Moment in seinen Augen aufblitzen sah. Wenn ich weiter solche Fortschritte mache, werde ich sicher bald ein Mann sein. Innerlich triumphierend ging er mit der Verkäuferin an der Hand zur Kasse. Die Tüte schwang luftig auf und ab, schimmerte noch auf dem Förderband.



Eingereicht am 25. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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