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Flucht nach New York

© Monika Maas


"Mama bekomme ich noch etwas Süßes?" Lizzy schaute mich mit ihren glasklaren blauen Augen und ihrem schönsten unschuldigen Lächeln an. Normalerweise konnte ihr keiner widerstehen, aber der Tag war mal wieder schrecklich gewesen. Eine Katastrophe folgte der nächsten und ich war mit meinen Nerven am Ende.
"Nein, du hattest heute schon genug!" sagte ich barsch zu ihr. Beleidigt zog sie von dannen.
Ich bekam ein schlechtes Gewissen und dachte noch einmal über die vergangenen Stunden nach. Es hatte bereits am frühen Morgen angefangen. Wie jeden Tag weckte ich meine drei Kinder, legte saubere Sachen zum Anziehen hin, schmierte die Pausenbrote und bereitete das Frühstück vor. Irgendwann kamen alle, einschließlich meines Mannes Oliver, die Treppe heruntergestürmt, schlangen das Müsli herunter und verließen fluchtartig das Haus. Nun hatte ich eine Stunde Zeit, um selbst etwas zu essen und dann die hinterlassene Unordnung zu beheben. Dann musste ich zur Krankengymnastin in die Stadt, die seit drei Wochen vergeblich versuchte, die Muskeln meines Rückens zu entspannen. Als ich nach Hause kam, stand mein zweiter siebenjähriger Sohn Maximilian vor der Tür. Er hatte mal wieder die Religionsstunde vergessen und ich schickte ihn zurück zur Schule. Nach einer Viertelstunde, in der ich die hastig eingekauften Lebensmittel in den Kühlschrank packte, lief ich zum Kindergarten, um Lizzy abzuholen. Wieder zuhause bereitete ich ein von Ernährungswissenschaftlern empfohlenes Mahl vor, dass von meinen Kindern mit dem Ruf nach Ketchup gewürdigt wurde. Zwischenzeitlich rief mein Mann Oliver an, um mir mitzuteilen, dass aus meinem abendlichen Treffen mit meiner Freundin nichts würde. Er musste länger im Büro bleiben, da am nächsten Tag ein wichtiges Meeting stattfand.
So ähnlich verlief jeder der vergangenen Tage in den letzten Wochen. Es war nicht so, dass ich mir diese Familie nicht sehnlichst gewünscht hätte. Im Gegenteil - ich war im siebten Himmel bei unserer Hochzeit gewesen und unser Glück wurde durch die Geburten der drei gesunden und wunderschönen Kindern vervollständigt.
Aber der Wechsel von einer begehrten Chefsekretärin zur Ehefrau und Mutter war ziemlich rigoros gewesen. Kein Lob mehr vom Chef, wenn etwas schnell und gut erledigt worden war. Keine Chips- oder Cocktailorgien mehr mit den besten Freundinnen. Keine sündhaft teuren Schuhe mehr. Keine spontanen Trips mehr in die Sonne oder zum Skifahren in die Berge. Sogar ein gemütlicher Sonntagsspaziergang wurde mit den sehr aufgeweckten Kindern zur Tortur. Ich konnte mich selber nicht mehr leiden, weil ich ständig mit den Kindern schimpfte und fühlte mich als Versagerin.
Meine Überlegungen wurden durch einen lauthalsen Streit meiner Kinder unterbrochen. Ich verdammte sie wütend auf ihre Zimmer. Mir wurde leicht schwindelig und ich stützte mich auf dem Esstisch ab. Da fiel mein Blick auf ein rotes Kuvert inmitten der ungeöffneten Post. Er war an mich adressiert und neugierig öffnete ich den Umschlag.
"Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie in unserem Preisausschreiben über die Fernsehserie: -Sex and the City- den ersten Preis gewonnen haben. Wir laden Sie ein, mit Ihrer besten Freundin zehn Tage in einem Nobelhotel in New York zu verbringen. Flüge, Übernachtungen und Verpflegung sind selbstverständlich enthalten, sowie Einkaufsgutscheine in Höhe von 10.000 US Dollar. Bitte teilen Sie uns mit, wann Sie die Reise antreten möchten!"
Ich konnte es nicht glauben! Zehn Tage durfte ich auf den Spuren von Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte wandeln. Dies war meine absolute Lieblingsserie und ich verschlang jeden Bericht über die fünfte Hauptperson, der Stadt New York, mit größtem Interesse.
Meine Eltern erklärten sich bereit, zeitweise für die Kinder zu sorgen. Mein Mann versprach ein paar Tage Urlaub zu nehmen und meine beste Freundin Ivonne war sofort bereit, New York unsicher zu machen. Sie war wie ich neununddreißig Jahre alt, schlank, hübsch und seit ihrer Scheidung ständig auf Männerfang.
So saßen wir eine Woche später im Flugzeug nach New York.
Nach der Landung auf dem J.F.K. Airport wurden wir von einer netten Reiseführerin in Empfang genommen. Sie stand uns für den gesamten Aufenthalt zur Verfügung und sollte uns die Adressen und Aufenthaltsorte von Carrie und Co zeigen. Wir waren im "The Plaza" untergebracht; ein prachtvolles Luxushotel am Central Park, in dem nur die Reichen und Schönen einkehrten. Und genau so fühlten wir uns auch, als der Diener die Koffer in unsere Suite brachte.
Es war wie im Traum - am nächsten Tag gingen wir erst mal shoppen. Mit der U-Bahn fuhren wir zu Macy`s, dem größten Kaufhaus der Welt. Schon alleine die Kosmetikabteilung war so faszinierend, dass wir erst zwei Stunden später und mit etlichen Paketen beladen, dort wieder herauskamen. Dann ging es weiter zu "Saks" an der Fifth Avenue, dem Klassiker unter den Kaufhäusern. Voll bepackt fuhren wir danach ins Hotel zurück, um unsere Kostbarkeiten abzuladen und uns schließlich im Wellnessbereich des Hotels zu erholen.
"War der Hauptdarsteller nicht süß?" schwärmte Ivonne, als wir am nächsten Abend aus einem Broadway Musical kamen. Wir waren auf dem Weg ins "Jezebel", ein angesagtes Restaurant in der Nähe des Times Square. Es war alles so einfach, wenn man nur für sich selbst verantwortlich war. Es gab keine nörgelnden Kinder und keine lästigen Hausfrauenpflichten. Selbstverständlich hatte ich schon drei Mal zuhause angerufen und beim Einkaufen erwischte ich mich dabei, dass ich zuerst nach Sachen für meine Kinder und Oliver Ausschau hielt. Aus diesem Grunde hatte mich Ivonne auch am Morgen nach Victorias Secret geschleift. Dort gab es nur sündhaft teure Damenunterwäsche!
Doch bereits am nächsten Tag wünschte ich mir, dass sie den Pianospieler bei
Mc Donalds in der Nähe der Wall Street erleben könnten. Oder den Türsteher mit schwarzer Uniform und mit weißen Handschuhen, der jedem Besucher galant die Tür öffnete. Beim Schlemmen des Big Mäc- Menüs konnte man oberhalb der Verkaufstheke die aktuellen Aktienkurse verfolgen. Der nachfolgende Schiffsausflug zur Freiheitsstatue und nach Ellis Island wäre mit Oliver bestimmt erträglicher als mit Ivonne gewesen. Sie interessierte sich nicht sonderlich für Geschichte und so gingen wir am nächsten Tag getrennte Wege. Sie besuchte die für uns unerschwinglichen Läden der 5th Avenue und ich dafür die zahlreichen Museen am anderen Teil der Strasse. Als ich durchs Guggenheim Museum schlenderte und mir Kostbarkeiten von Cezanne, Van Gogh oder Pissaro ansah, kam ich mir vor wie Carrie. Es fehlte nur ein attraktiver reicher Künstler, der mich zum Essen einlud.
Am Abend traf ich mich mit Ivonne auf der Aussichtsplattform des Empire State Buildings.
Ein faszinierender Ausblick auf eine Stadt, die niemals schläft. Wir erinnerten uns an die Szene in unserem Lieblingsfilm "Schlaflos in Seattle", wo an dieser Stelle Meg Ryan den Rucksack des kleinen Sohnes von Tom Hanks findet und der Film sein Happy End bekommt.
Es blieb nicht aus, dass ich an meine Jungen und meine kleine Lizzy denken musste und ungewollt füllten sich meine Augen mit Tränen. Es war erst der vierte Tag verstrichen, aber die Sehnsucht nach meinen Kindern und nach meinem Mann wurde immer schlimmer.
"Du bist mir vielleicht eine", bemerkte Ivonne, "erst jaulst du mir die Ohren voll, dass du mehr Freiheit brauchst und dann hältst du es nicht eine Zeit lang ohne deine Familie aus."
In den folgenden Tagen wurde es immer schlimmer. Morgens kaufte ich mir in dem angesagtesten Schuhladen der Stadt ein Paar "Manolo Blahnik" und am Nachmittag gab ich den doppelten Betrag für Spielzeug in dem weltbekannten Spielzeugladen "F.A.O.Schwarz aus. "Wie sollen wir nur die ganzen Sachen mit nach Hause bekommen?", beschwerte sich Ivonne nicht zum ersten Mal. Unsere Interessen gingen immer mehr auseinander. Sie hatte am Vorabend in einer Bar einen zehn Jahre jüngeren Mann kennen gelernt und sich gleich mit ihm zum Essen verabredet. Mich bezeichnete sie als prüde, weil ich auf die Annäherungsversuche seines Freundes nicht eingegangen war. "Ich habe einen Mann, den ich liebe!", entgegnete ich ihr trotzig. Und wieder wurde mir bewusst, dass ich um nichts in der Welt in dieses Singleleben und der ständigen Suche nach dem "Mr. Right" zurückwollte. Bei "Sex and the City" war es unterhaltsam, den vier Frauen dabei zuzusehen. Aber wie schön war es, wenn ich trotz der anstrengenden Stunden mit den Kindern, abends an Oliver gekuschelt, den Tag noch einmal Revue passieren lassen konnte.
Ich hielt es nicht mehr aus. Ich wollte einfach nur noch nach Hause!
"Ich kann erst für übermorgen einen Rückflug nach Deutschland buchen ", erklärte mir unsere Reiseführerin. Sie bemerkte die Tränen in meinen Augen und versprach mir alles zu versuchen, doch noch einen früheren Termin zu bekommen. Es klappte am nächsten Tag und ich verabschiedete mich von Ivonne, die sogar noch ein paar Tage verlängern wollte. "Willst Du wirklich nicht bleiben? Ohne Dich wird es nur halb so schön werden", sagte sie. Ich bemerkte in ihrer Stimme, dass sie dieses nur aus Höflichkeit sagte. In Wirklichkeit war sie über meine Abreise erleichtert und freute sich auf die nächsten Tage mit ihrem neuen Freund. Ich konnte ihr nicht böse sein und dachte daran, wie die Lebensumstände unsere Interessen verändert hatten.
Bei meiner Ankunft am Düsseldorfer Flughafen sah ich meine Familie schon erwartungsvoll blickend an der Absperrung stehen. Es war ein schönes Gefühl, meine Kinder wieder umarmen zu können. Sie redeten wild durcheinander und jeder wollte über die vergangenen Tage ohne mich zuerst erzählen. Ich bekam einen Strauß roter Rosen von Oliver, dem die Erleichterung über meine vorzeitige Rückkehr ins Gesicht geschrieben stand.
In den nächsten Wochen war meine Familie aufmerksam zu mir wie nie zuvor. Die Kinder hörten auf mich und räumten sogar ihre Zimmer auf. Aber Kinder und leider auch Männer vergessen schnell und so war bald alles wieder beim Alten. Aber ich war trotzdem glücklicher als vor meinem Trip nach New York.
Sicher, es würde auch in Zukunft nicht einfacher werden, aber ich hatte einen Mann und Kinder, die mich liebten und für nichts in der Welt, würde ich das je wieder eintauschen wollen!



Eingereicht am 24. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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