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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Netz, Zylinder, roter Rauch

© Karl Kloiböck


Wir hatten uns im Internet kennen gelernt. Mario mailte mit Witz und Geist. Später verriet er mir seinen Beruf: Magier. Als wir uns nicht mehr aufs Schreiben beschränkten und telefonierten, bezauberte er mich mit seiner Stimme. Mit einer Mail sandte er mir sein Bild. Ein Mann, Mittdreißiger, sportliches Aussehen, dunkle Haare und - blaue Augen. Seiner Einladung konnte ich nicht widerstehen, kratzte Geld fürs Benzin zusammen, und fuhr zu ihm. Er nahm mich mit zu seiner Vorstellung in einem Tingeltangel in der Vorstadt.
"Gut, dass du gekommen bist, Ines", sagte er, "meine frühere Assistentin wollte die Gage immer sofort ausbezahlt haben. Nun ist sie weg. Du kannst mir aushelfen. Ich muss dem Publikum etwas bieten. Nur mit dem Zauberstab auf den Zylinder klopfen und einen Hasen Männchen machen lassen, das genügt den Leuten nicht."
"Und - was soll denn ich dabei? Ich habe keine Erfahrung."
"Das erkläre ich dir gleich. Da ist ein Kostüm, Größe 38, das wird dir passen. Du bist 'Die zersägte Jungfrau'."
"Willst du mich auf den Arm nehmen?"
"Nein, dich kennt hier niemand. Bei deiner Vorgängerin haben immer ein paar Herren bei der Ankündigung laut gelacht."
Sein Auftritt war nicht so glänzend wie der Boden seiner Frackhose. Ein paar Frauen im Publikum sahen mich scheel an. Mario war ja ein Bild von einem Mann. Nach der Vorstellung drückte er sich mit mir an der Bar vorbei, wo ihm manche Damen fragende Blicke zuwarfen.
"Heute keinen Durst?", rief ihm der Barkeeper nach.
Mich wunderte es auch. Kaum waren wir in seiner Junggesellenbude angekommen, verwandelte er sich in einen hungrigen Wolf, der über mich herfiel. Zu nichts anderem hatten wir Zeit und die Nacht wurde heiß.
Am Morgen war es mit der Zauberei vorbei. Er konnte nicht einmal mehr ein Häschen Männchen machen lassen.
Mario riss mich aus meinen Gedanken. "Viel habe ich nicht zum Frühstück da. Magst du Kaffee und Kekse?"
"Gehen wir nicht in ein Café?"
"Tut mir Leid. Ich habe nicht so viel Geld bei mir."
"Ist keine Bank in der Nähe?"
"Das schon, aber die lassen mich nicht mehr abheben."
Beim Frühstück beklagte er seinen Geldmangel. Er hatte nicht nur Schulden, Apparate für neue Kunststücke wollte er auch anschaffen.
"Ines, du hast mich auf eine Idee gebracht. Wir werden gemeinsam zu einer Bank fahren."
"Und du glaubst, auf meine schönen Augen hin werden sie dir ein neues Darlehen geben?"
"Nein, ich dachte an eine Geldabhebung - ohne ein Konto für mich in Anspruch zu nehmen. Dich sehen sie dabei gar nicht. Du wartest vor der Bank in deinem Auto, stellst aber nicht den Motor ab!"
"Du bist verrückt!"
"Aber nein. Das geht ganz leicht. Die Kassierer haben doch die Anweisung, kein Leben in Gefahr zu bringen." Er griff sich meine Strumpfhose, die noch neben dem Bett lag, und zog sich ein Bein über das Gesicht. "Erkennst du mich?"
"Nein, so kenne ich dich nicht! Schau in den Spiegel, wie lustig die Beine schlenkern. Was ist, wenn der Kassierer einen Lachanfall bekommt, sich den Bauch halten muss, und keine Hand frei hat, um dir das Geld zu geben?"
Mario zog sich die Strumpfhose vom Kopf. "Dann springe ich hinüber und bediene mich selbst. Jetzt komm. Schon am Nachmittag führe ich dich groß aus."
Aus seinem Requisitenkoffer nahm er einen Trommelrevolver, den er samt meiner Strumpfhose in einen Plastiksack steckte.
"Mit deinem Wagen fahren wir in die nächste Stadt. Dort ist im Außenbezirk eine kleine Bankfiliale. In einer halben Stunde sind wir reich."
Ich schüttelte zweifelnd den Kopf. Eine kleine Aufbesserung meiner Finanzen konnte ich allerdings ebenfalls gut vertragen.
Vor dem Geldinstitut war ein Behindertenparkplatz frei. Mario meinte, die paar Minuten könnten wir riskieren, dabei zog er sich die Strumpfhose über. Seine Augen strahlten mir durch ein großes Loch entgegen, das er mir am Abend beim ungestümen Ausziehen in den Beinling gerissen hatte. Ich lachte und drehte ihm den Rückspiegel entgegen.
Wütend zerrte er das Gewebe herunter, sah sich im Wagen um und entdeckte auf der Sitzbank einen leinenen Einkaufsbeutel. Mit dem in der Hand sprang er aus dem Auto, lief auf das Portal zu, zog ihn über den Kopf - und prallte gegen einen Pfeiler. Er kam zurück, eine Hand gegen die Stirn gepresst, die andere drückte den zusammen geknüllten Stoff gegen seine blutende Nase.
"Gut, dass du nicht hineingekommen bist", empfing ich ihn, gab Gas und fuhr um die nächste Ecke. "Du hast ja Plastiksack und Revolver vergessen. Und ohne Sehschlitze hättest du die Kasse gar nicht gefunden."
Auf einem kleinen Platz mit Brunnen hielten wir. Mario stieg aus, wusch sich das Blut ab und schmiss den Beutel in einen Papierkorb.
"Dann machen wir das eben anders. Ich nehme eine Geisel."
Über so viel Einfallsreichtum konnte ich nur staunen. "Du willst in eine Bank, in der viele Kunden stehen? Womöglich wartest du noch in der Schlange, bist du an die Reihe kommst."
"Nein, das riskiere ich nicht. Du wirst meine Geisel sein. Wir nehmen wieder eine kleine, ruhige Filiale. Am Anfang soll man ja bescheiden sein."
Von der Ablage nahm er meine Sonnenbrille und wickelte sich den Schal als Turban um den Kopf. "Zuerst gehst du hinein, dann stürme ich nach und bedrohe dich. Drei Straßen weiter sind wir am Ziel."
Kaum stand ich vor der Kasse, kam Mario herein und rief: "Überfall!"
Als er mir vor der verschüchterten Kassiererin den Revolver an den Kopf hielt, schrie ich "Hilfe!", und zur besseren Wirkung setzte ich hinzu: "Ich bekomme ein Kind!" Dabei legte ich eine Hand auf den Bauch.
"Lassen Sie die unschuldige Frau los, ich gebe Ihnen das Geld", stammelte die Dame hinter dem Schalter.
Eilig lief ich hinaus und startete das Auto. Nach einigen Minuten kam Mario. Erschrocken blickte er auf den Wagen der Müllabfuhr, der uns den Weg versperrte, und rannte davon. Das Letzte, was ich vom großen Zauberer sah, war sein Verschwinden hinter einer roten Rauchwolke, die aus dem Plastiksack quoll. Mit den Geldbündeln hatte er ein Alarmpaket eingepackt.
Auf das Zersägtwerden bei der Abendvorstellung verzichtete ich und fuhr heim.
Drei Tage später besuchten mich zwei Herren und zeigten mir ein Foto. Ob ich diesen Mann kenne?
"O ja", musste ich zugeben, "aber nur flüchtig."
"Das ist er auch noch", bestätigte lächelnd einer von ihnen.
Ihr Ersuchen, einige Zeit einen von ihnen bestimmten Aufenthalt zu nehmen, konnte ich nicht abschlagen.
Ich habe zwar jetzt nur einen Raum zur Verfügung, aber neben dem Bett einen Tisch und einen Sessel und viel Zeit zum Schreiben.



Eingereicht am 24. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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