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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Viva la Vida

© Petra Armgart-Klinke


Malin schreit auf. Ihr Schrei verhallt ungehört, löst sich auf in der smogvernebelten Luft von Mexiko-City. "Die Zeitschrift wird eingestellt!" Fassungslos starrt sie das Handy an. "Kein Geld für meine Auslagen!" Malin schlägt die Hände vors Gesicht. Die Kamera, zentnerschwer zwischen ihren Brüsten, zwingt sie in die Knie. Ihr Herz pumpt, sie atmet heftig, springt auf, spuckt in den Gulli.
Vorbei die Faszination für kandinskybunte Marktstände, vorbei das Prickeln beim Anblick exotischer Kürbisbäuche und pikanter Würzfeuer. Wochenlang stand Malin in dieser Kulisse, das Objektiv zuckte von links nach rechts, der Finger am Abzug. Sie saugte die Eindrücke dieses Landes durch die Linse, fing schmetterlingsbunte Frauen und smogvertreibende Jakaranda-Bäume ein.
Ein Traumjob dieser Auftrag fürs Reisemagazin. Alles aus eigener Tasche bezahlt. Sie zieht die Glut ihrer Zigarette bis zum Filter, stößt Rauch aus dem Mund, als könne sie ihr Problem wegpusten. Angst treibt sie über die Straße, Angst, die sie wie Schmeißfliegen umkreist. Reifen quietschen. Malin stolpert über den Bordstein, rudert mit den Armen. Ein harter Schlag gegen den Kopf, dann Dunkelheit. Was ist los?
Sie findet sich wieder im bunt gefächerten Umhang einer Frau. Ihre Hände spüren kaltes Metall. Eine Krücke? "Au!" Sie reibt sich die Stirn, versucht aus dem Wirrwarr aus Stoff, Perlen und Blüten zu kriechen. Ihre Kamera hängt verfangen zwischen bunten Ketten. Malin murmelt eine Entschuldigung, starrt auf ein schwarz geflochtenes Kunstwerk über strahlenden Augen. "Eine gelungene Vorstellung!" In stoisch, heroischer Haltung steht die Frau vor Malin. "Wow, ein schillernder Paradiesvogel, und diese Augen ... so viel Lebenslust! Malin greift zur Kamera. Ohne nachzudenken drückt sie auf den Auslöser. Klick, klick, immer wieder. Es funktioniert nicht. "Nein!" sie schreit entsetzt auf, dreht hier, drückt dort, schüttelt die Kamera durch. "Der verdammte Sturz, KAPUTT!!!" Die Frau greift Malins Arm, schaut sie an. "Die Zukunft hat viele Gesichter. Für den Schwachen das Unerreichbare. Für die Furchtsamen die Unbekannte. Für die Tapferen die Chance." Was weiß die von meiner Zukunft? Malin ist verwirrt, die Frau stützt sich auf ihre Krücken, geht. Malin spürt ein Kribbeln, es zieht über Rücken, Arme, bis in die Fingerspitzen. Sie schaut sich um. Die Frau verschwindet im Hauseingang.
Malins Herz hämmert. Ihr ist schwindelig. Ein angenehmer Schwindel. Ein Schwindel, der müde und gleichgültig macht, ihren Körper zu Boden zieht. Die blaue Fassade des Hauses tanzt vor ihren Augen. Unter ihren Lidern drehen sich Lichtpunkte. Sie kreisen, kreisen, kreisen. Sie spürt etwas hinter sich. So nah, dass sie den Atem über ihren Nacken streifen fühlt. "Blau hält böse Geister fern!" Die Frau steht vor ihr, winkt sie ins Haus. In Malin breitet sich Gleichgültigkeit aus. Auf wackeligen Beinen folgt sie.
Drinnen scheint die Zeit stehen geblieben. Tontöpfe, alte Holzmöbel vor dem steinernen Kamin. Die Frau füllt zwei Gläser, prostet ihr zu, stürzt es in einem Zug herunter. Malin macht mit. Hustend ringt sie nach Atem. Die Frau lacht, schenkt nach und trinkt. Das zweite Glas geht leichter runter. Sie spürt den Tequila in der Kehle brennen, schließt die Augen, atmet durch. Malin sehnt sich danach ihre Angst zu teilen, sie kleiner zu machen. Aber wie albern, sie kennt die Frau kaum. Außerdem strahlt sie Stärke aus, scheint keine Angst zu kennen. Als sie die Augen öffnet, ist sie allein. Von ferne erklingt fröhliche Musik. An der Tür steht der Rollstuhl, daneben die Staffelei. Malins Hände gleiten über die Leinwand. Ein Selbstporträt. Zweimal die gleiche Frau, Hand in Hand, das Herz liegt frei.
Nebenan auf dem Bett liegt das Stahlkorsett. Sie nimmt es hoch, legt es um ihren Körper. Malin dreht sich im Kreis, tanzt mit dem imaginären Partner. Lachen lässt sie erstarren. "Si, si bailar, tanzen!" Die Frau steht im Türrahmen, ihr lachen schallt durch den Raum. Malin wird rot, legt das Korsett zurück, richtet die Bettwäsche als gelte es ihr Leben gerade zu rücken. "Verzeihung!" "Warum?" Die dunklen Augen strahlen. "Es gibt meiner Wirbelsäule Halt, die Malerei meinem Leben!" Sie lässt sich in den Rollstuhl fallen, das Gesicht verzerrt. "Komm, lass uns feiern!"
Malin steht im blumengeschmückten Innenhofes. Marimba-Musiker spielen, die Tische sind gedeckt. Es duftet nach Kokosnuss und Grenadinepunsch. Der Rollstuhl umgeben von lachenden, tanzenden Menschen. Die Frau erzählt, gestikuliert. Ihre Faust ist geballt, öffnet sich wie eine erwachende Blume. Malin trinkt, tanzt, doch der Kummer des Tages lässt sie nicht los. Neben ihr ein alter zahnloser Mann. Sein Blick wandert zum Rollstuhl. "Sie hat uns vieles voraus. Nur wer bereit ist sich zu biegen, auch nach dem größten Unwetter den Kopf zu heben, wird weiter wachsen. Er zwinkert ihr zu. "SIE richtet die welke Blüte in Dir. Glaub an das Unfassbare!" Malin starrt ihn an. Er lacht. Sie will etwas sagen, doch der Schwindel kehrt zurück. Vor ihren Augen drehen sich Menschen im Kreis, lachen, starren, zeigen mit Fingern auf sie. Dann wird's schwarz.
Etwas klatscht in ihr Gesicht. "Hallo, aufwachen!" Malin öffnet die Augen, erst links dann rechts. Sie ist verwirrt. Verschwommen erkennt sie den zahnlosen Mann. Sie sieht sich um. Eine Bordsteinkante, die Straße, überall Passanten. Das Objektiv liegt zerbrochen vor ihr. Sie steht auf, fühlt eine innere Ruhe. Der Mann hilft. "Danke, alles in Ordnung!" Er zwinkert ihr zu. Malin fühlt sich gut, ordnet ihre Sachen, geht. Vor einem Haus bleibt sie stehen. Die blaue Fassade hält böse Geister fern. "Woher weiß ich das?" An der Wand das große Plakat. Strahlende Augen unter einem schwarz geflochtenem Kunstwerk lächeln sie an. In Malins Kopf läuft ein Film läuft ab, bunte Bilder. "Ich kenne dich!" sagt sie, liest den Namen, die Zahlen darunter, 1929 -1954. "Unmöglich!" Malin flüstert, doch die Worte schneiden durch den Kopf wie ein Schwert. Sie sinkt auf die Knie, starrt das Plakat an. 'Viva la Vida' steht in fetten Lettern über dem Kopf. Es lebe das Leben, sie verfolgt erneut Bilder des Films. Stück für Stück setzt sich das Puzzle zusammen. Die bösen Geister sind fort. Malin überlegt, begreift beschämt das Unfassbare.



Eingereicht am 23. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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