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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Schlüsselerlebnis im Doppelpack

© Gisela Schäfer


Sie fuhren an einem sonnigen Sommertag mit den Fahrrädern über einen Wanderweg ins Nachbardorf zum Einkaufen, der achtjährige David voraus, dahinter der sechsjährige Simon und Christina, die Mutter der beiden Blondschöpfe, hinterher. Auf halbem Wege, etwa 3 km von ihrer Wohnung entfernt, stand eine Bank.
"Sollen wir da Rast machen?", rief David nach rückwärts. "Ich möchte etwas trinken." Simon ergänzte: "Und ich habe Hunger."
Christina lachte. "Na, gut. Aber nur kurz, wir haben nicht so viel Zeit."
Die drei stiegen ab und stellten die Räder am Wegesrand ab. Die Mutter holte die Trinkflaschen der Kinder und eine Butterbrotdose hervor, und alle drei setzten sich für zehn Minuten auf die Bank. Während die Jungen aßen und tranken, bemerkte Christina, dass sich im Nordwesten - also in der Richtung, die sie beim Fahren hinter sich gehabt hatten - in der Ferne schwarze Wolken auftürmten. Hoffentlich kamen sie nicht allzu schnell näher! Sonst würden sie noch in den Regen geraten.
Als Simon sein Butterbrot aufgegessen hatte, drängte die Mutter zum Aufbruch. Während der Weiterfahrt drehte sie sich wiederholt um und registrierte sorgenvoll, dass sich hinter ihnen schon der halbe Himmel mit Regenwolken bezogen hatte. Noch wirkten sie nicht allzu bedrohlich, weil die Sonne sie noch mit ihren Strahlen erhellte. Aber der Regen war unausbleiblich, das war klar.
Der Einkauf war schnell erledigt. Als die drei das Geschäft verließen, sah der Himmel düster und bedrohlich aus. Die heranziehenden schwarzen Wolken hatten das Sonnenlicht verschluckt und ließen die Landschaft unfreundlich und farblos erscheinen.
"Wir müssen uns beeilen", sagte Christina. "Es gibt gleich Regen. Zieht euch schon mal etwas über!" Sie holte aus ihrem Rucksack, den sie immer bei sich hatte, Jacken für die zwei hervor. Dann radelten sie los. Diesmal machten sie keine Rast unterwegs und traten kräftiger in die Pedalen.
"Ich glaube, wir schaffen das noch", meinte David.
Er hatte Recht. Kurz bevor sie ihr Haus erreichten, kam plötzlich ein heftiger Wind auf, der Vorbote des Regens. Als die ersten Tropfen fielen, waren sie daheim angelangt. Rasch die Räder in die Garage gestellt!
Als Christina die Haustür aufschließen wollte, wurde sie unruhig. "Wo ist denn mein Schlüssel?" Er war weder in den Hosen- noch in den Jackentaschen, nicht in ihrem Einkaufskorb, den sie hastig durchwühlte, und auch nicht im Rucksack.
"Vielleicht hast du ihn im Geschäft liegen lassen", mutmaßte David. "Oder an der Bank", sagte Simon.
"Ich muss zurück", seufzte die Mutter. "Dann müsst ihr so lange bei Krings bleiben." Das waren die Nachbarn. Sie liefen rasch hinüber. Es goss mittlerweile in Strömen. Gottlob war Frau Krings zu Hause und erklärte sich sofort bereit, die beiden so lange bei sich zu behalten, bis Christina zurück war.
"Soll ich Ihnen einen Schirm leihen?", fragte sie mit einem Blick nach draußen.
"Das ist unbequem beim Radfahren", erwiderte Christina. "Nein danke. Ich bin ohnehin schon nass." Dann fuhr sie los, so schnell sie konnte. Der Regen hatte sich mittlerweile zu einem richtigen Unwetter ausgeweitet. Dicke Tropfen prasselten nieder, spritzten von dem befestigten Weg bis zu den Pedalen hoch, liefen ihr in den Nacken. Die Kleidung klebte ihr am Körper. In der Ferne hörte man es donnern, und der Wind schien von allen Seiten zu kommen. Er erschwerte ein zügiges Vorwärtsfahren und peitschte ihr die Nässe ins Gesicht. Gut, dass die Kinder wenigstens im Trockenen waren!
Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich die Bank erreichte. Sie stieg ab und suchte sorgfältig das Gras an der Stelle ab, wo sie gesessen hatten. Und da lag das vermisste Stück tatsächlich, - ein Stückchen seitlich! Erleichtert, dass sie nicht noch bis zum Nachbarort zu fahren brauchte, steckte sie den Schlüssel in ihre Hosentasche. Dort war er sicher.
Der Rückweg war noch einmal sehr beschwerlich, da sie jetzt gegen den Wind anfuhr. Der heftige Regen hatte zwar ein wenig nachgelassen, aber sie fror in ihrer nassen Kleidung. Wie hatte es nur passieren können, dass sie den Schlüssel verloren hatte? Sie erinnerte sich jetzt, dass sie ihn zuerst in der Hosentasche gehabt und ihn dann in den Korb gelegt hatte. Er musste rausgefallen sein, als sie nach der Trinkflasche und der Butterbrotdose gekramt hatte.
Kurz vor zu Hause fiel ihr etwas ein. Am Abend zuvor hatten ihr Mann und sie in einer Runde mit Freunden zusammen gesessen und sich darüber unterhalten, dass Intuition und Ratio - die "Stimme aus dem Bauch" und die aus dem Intellekt - einem oft unterschiedliche Botschaften oder Antworten liefern. "Die Intuition hat immer Recht und ist dem Verstandesdenken überlegen", hatte Gregor gesagt. "Wenn man sie nicht beachtet, ist man übel dran."
Ja, das war es! Christina nickte vor sich hin. Als sie vor dem Losfahren die Räder geholt hatten, hatte sie einen Moment in sich: ,Lass den Schlüssel hier!' Das tat sie manchmal. Sie legte ihn dann in der Garage an eine bestimmte Stelle, die ein anderer so schnell nicht hätte entdecken können. Aber ihr Verstand redete dagegen: "Nein, ich nehme ihn mit." Sie hatte die erste Stimme überhört, also die Intuition außer Acht gelassen und nun die Quittung dafür bekommen. Trotz ihrer nassen Kleidung und des Unwohlseins, das sie dadurch empfand, musste sie lachen, als sie erkannte, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes ein doppeltes Schlüsselerlebnis gehabt hatte.



Eingereicht am 23. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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