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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Carla und der rote Mann

© Eva Quick


Als sie ihn zum ersten Mal sah, war sie erschüttert. Er wankte gehbehindert die Stufen vom Bahnsteig hinunter in den Durchgang. Sein Gesicht: rot wie seine Daunenjacke. Seine Augen fielen fast aus dem Kopf. Carla schaute weg, um ihm die Scham zu ersparen.
Sie hatte sich angewöhnt erste Klasse zu fahren. Weniger Menschen dort, weniger Gefahr dort, verletzt zu werden. Und dann sah sie ihn wieder. Er wankte in ihr Abteil: Regionalexpress, Raucher, erste Klasse. Er kam aus der Gegenrichtung. Ein ganz kleines Abteil hatten sie übrig gelassen für die Menschen, die rauchen. Klein, aber fein. Und da wankte er hinein, mit rotem Gesicht und roter Jacke. Zu besoffen zum Denken.
Und genau das hatte sie vermeiden wollen, deshalb zahlte sie das Doppelte. Normalerweise hatte sie das Abteil für sich allein. Sie wollte Begegnungen vermeiden. Doch sie wollte auch den Rauch einatmen und in sich spüren, langsam wieder raus blasen. Das wollte sie - ganz in Ruhe, an einem Mittwochmorgen um acht. Und jetzt kam er dazwischen.
Der Wunsch zu rauchen siegte. Sie betrat durch die Glastür das Abteil. Er fiel in ein Eck, sie setzte sich in das andere Eck. Mit dem Rücken zu ihm. Und da sagte er: "Ich kann nicht mehr laufen." Er sagte es zu sich selbst. Hektisch kramte sie nach ihrem Diskman. Schnell neue Batterien rein, schnell eine CD rein, schnell aussteigen aus der Situation.
Als Tom Waits endlich sang, kam Carla zur Ruhe, wollte den Mann vergessen. Den roten Mann, der hinter ihr saß und nicht mehr laufen konnte. Und nach Alkohol roch. Den wollte sie vergessen. Doch was, wenn der Schaffner kommt und ihn rausschmeißen will?
Tom Waits konnte das Schnarchen nicht übertönen. Ja, er brauchte Schlaf, er brauchte Ruhe, er brauchte Wärme. Es lag Schnee.
Die Schaffnerin klopfte an die Daunenjacke des roten Mannes: "Hallo, hallo - unverschämt." Er rührte sich nicht, schlief weiter, zumindest tat er so. Carla klopfte an die blaue Jacke der Schaffnerin und hielt ihr den Fahrschein hin. Um Zeit zu gewinnen. Die Schaffnerin schaute sich auf ihre Hand, schüttelte sie aus und wischte sie an ihrer Jacke ab. Sie nahm den Fahrschein und stellte sich neben Carla "Können Sie den Mann nicht da sitzen lassen, er hat doch so gefroren?" Immer noch saß der Diskman auf Carlas Kopf, immer noch sang Tom Waits, nur leiser "Aber auf keinen Fall in der ersten Klasse." Die Schaffnerin überlegte einen Moment "Ich hole jetzt meinen Kollegen." Sie eilte davon.
Dann, wenn sie kämen, würde Carla dem roten Mann ein Ticket kaufen. Erster Klasse bis Endstation. Und zurück?



Eingereicht am 23. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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