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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Luxus - Erst - Erfahrung

© Johannes Huss


Wofür leben wir? Die Welt ist sich noch nicht ganz sicher, ob sie für Luxus leben soll. Sicher, Österreich als eine der reichsten Nationen der Welt, hat das Maxime des Kapitalismus innerhalb von fünfzig Jahren aufgesogen. In Rumänien beispielsweise, einer der EU-Anwärter, rund fünfzehn Jahre nach dem Fall des Kommunismus, herrschen noch andere Gesetze. Massen von Menschen sehen wir täglich, wie sie am Stadtrand von Bukarest in den Müllbergen nach Essen oder nach Verwertbarem suchen. Zerfallene Möbel, zerrissene Kleidung, welche die Reichen weggeworfen hatten, werden von den Ärmsten der Armen aufgesammelt, sorgsam repariert, um dann wieder in den diversen kleinen Wohnungen zur Geltung zu kommen. Eine Null-Runde quasi. Nur körperlicher Einsatz der Menschen wird gefordert, um aus Altem wieder Neues zu machen.
Bukarester Kinder armer Eltern freuen sich, an einem Tisch zu sitzen, den der Vater eigens vom Müll geholt hat und dem dann mit den Resten seiner Leibeskraft zur Widerauferstehung verholfen hat. In Österreich ist das anders. Österreicher müssen nicht auf Müllbergen nach Möbel suchen. Bei uns gibt es eine Institution, die das für uns übernimmt. Die Caritas. Ob man österreichische Studenten mit rumänischen Menschen vergleichen kann, bleibt aber zu bezweifeln. Gut, beiden Gruppierungen mangelt es wohl an Geld.
Vielleicht sind auch die Wohnsituationen beider Gruppen schlecht. Der kleine Unterschied ist jener, nämlich, dass wir, die österreichischen Studenten zumeist in luxuriösen Wohnungen aufgewachsen sind und dass es wohl den meisten von uns an nichts gemangelt hat. Außer vielleicht die Fähigkeit, die viele von uns nie erworben hatten, und zwar, bescheiden zu sein.
Die Caritas jedenfalls hilft Menschen, die jetzt nicht unbedingt in diversen österreichischen Möbelhäusern eine gesamte Wohnzimmergarnitur erwerben können.
Vielleicht könnten sie es doch, aber in jedem Moment des Lebens lässt die Geldbörse so manches nicht zu. Im Leben eines Studenten ist Geld so etwas wie Mangelware. Bei Vielen zumindest. Drei Jahre lang lebte ich auf 12 Quadratmeter. Diese Jahre sind bei mir nicht in all zu guter Erinnerung geblieben. Die Raumnot machte mich zusehends depressiv, ich beklagte mich bei meiner Mutter stets über meinen üblen Mitbewohner, über die grauenhafte und überraschende Anonymität des Studentenheims. Wie war das noch mit den sozialdemokratisch anmutenden Überlegungen der Sechziger und Siebziger, Studenten sollen doch, wenn sie aus den Bundesländern kommen, fürs erste in ein Studentenheim übersiedeln, um dort Kontakte zu Gleichgesinnten zu suchen, um sich so quasi in das Gefüge der Großstadt einzuleben. Über sozialistisch anmutende Möbelstücke, welche bereits ein Jahrzehnt vorher von Studenten meines Alters abgenutzt und abgewohnt wurden regte ich mich genau so auf, wie über mein quietschendes Bett. Ich ziehe nie wieder in meinem ganzen Leben in die Wiener Brigittenau.
Hässliche Gegend. Lahmes Flair. Einfach belastend.
Natürlich hatte das ganze auch eine andere Seite, manchmal fühlte ich mich wie ein verwöhntes Einzelkind, welches jetzt einfach trotzen musste.
Eigentlich habe ich nichts gegen Sozialismus oder Sozialdemokratie. Ganz im Gegenteil. Hätte ich doch nie studieren können, gäbe es diese Partei nicht. Aus einem reichen Elternhaus komme ich jetzt nämlich auch nicht. So einfach ausziehen war jetzt auch nicht leicht. Während meine Freunde ständig von A nach B übersiedelten war ich immer noch der Gefangene. Ich half ihnen während diverser Umzüge, begleitete sie von diesem zu jenem Möbelhaus und immer sah ich das Funkeln und Leuchten in den Augen, wenn sie von ihren neuen Wohnungen sprachen, während ich noch immer der "Gefangene" war. Neben finanziellen Gründen legte sich auch meine Mutter teils quer. Immerhin bezahlte sie ja meine Unterkunft. Deprimierend.
Nach und nach wurde auch mein Drang größer, mir eine andere Bleibe zu suchen, allerdings spielte sich alles noch in meinem Kopf ab. Wieder einmal war es soweit, dass ich eine gute Freundin zu einem der üblichen Möbelkäufe begleitete. Nur diesmal war es nicht die glorreiche Ankunft in einem schwedischen Diskounter, es war auch nicht der frustrierte Abgang bei einem österreichischen Teuer-Markt, sondern mir erstreckten sich gänzlich neue Welten im fünften Wiener Gemeindebezirk. In einem Hinterhof am Mittersteig befindet sich die Caritas, deren großen Lagerhallen wir betraten. Fasziniert war ich, beim Anblick der ganzen Second-Hand-Möbel. Obwohl ich wusste, dass es so etwas geben muss, habe ich so etwas Vergleichbares noch nie gesehen. "Möbelmassen" aus fünf Jahrzehnten stapelten sich vor mir, viele Raritäten aus den Sechzigern und Siebzigern, teilweise noch einwandfreie Möbel, welche von den ursprünglichen Besitzern auf den Sperrmüll gebracht wurden, priesen sich dem Kunden zum Verkauf. Die niedrigen Preise für das eine oder andere Schmuckstück machten auch mich kribbelig. Bei dem Gedanken an eine neue Wohnung mit neuen Möbeln entwuchs ich meiner Dauerdepression.
Plötzlich vernahmen meine Augen ein seltsames Blinken.
Ich erspähte einen kleinen Glastisch mit Messingbeinen. Bei dem Anblick öffnete sich mein Herz, ich strich mit meinen Händen zitternd über die Glasoberfläche und bemerkte, dass nur ein paar nicht ernstzunehmende Kratzer die Platte zierten, dann umklammerte ich mit beiden Händen die Tischbeine aus Messing. Ein Material, welches sich so gut anfühlte.
Die kalte metallische Farbe suggerierte mir den Hauch von Luxus, nach dem ich mich schon so lang sehnte. Für damals noch 400 Schilling hätte ich dort um den gleichen Preis einen schmucken Kleiderkasten Marke "Retro-Biedermeier" bekommen, doch ich wusste, was ich wollte. Von Anfang an war mir klar, dass es dieser Couchtisch sein würde, der meine tristen und engen Wohnverhältnisse den Glanz verleihen würde, nach dem ich mich schon lange Zeit sehnte. Ich trug ihn zur provisorischen Kassa und bezahlte ihn, eine neue Ära wurde eingeleitet.
Wenn man sich in etwas verliebt, dann ist es doch für gewöhnlich so, dass der jeweilige Mensch oder der Gegenstand im Laufe der Zeit an Strahlkraft verliert.
Vergleiche könnte man zur Partnerwahl ziehen. Wollen wir nicht alle einen Partner, der uns immer wieder aufs Neue überrascht, der uns beschützt, für uns in schlechten und in guten Zeiten da ist? Vor allem wollen wir eines. Wir, die Menschheit, oder sagen wir jeder Einzelne sucht nach einem Partner, der zu Einem passt, aber man kann auch durchaus sagen, wir bleiben bei jemandem, der sich von dem breiten Angebot, in Zeiten des konsumorientierten Kapitalismus, gänzlich abhebt. Hier bläut sich uns das Stichwort des "Besonderen" ein. Letztlich will jeder genau das, was der andere nicht hat. Sicher, ich hätte mir um Hundertfünfzig bei besagtem schwedischem Großmarkt die Markte "Sören" erwerben können. Zirka einhundertfünfzig Millionen andere Menschen haben ihn bereits gekauft. Vermutlich sind mindestens hundert davon mit ihm zufrieden. Was die restlichen fünfzig Millionen damit gemacht haben, will ich auch gar nicht anhand von empirischen Untersuchungen eruieren.
Sprich, es ist mir egal. Ich für meine Begrifflichkeiten, habe einen Messing-Glas-Couchtisch erworben, den ich immer noch über alles liebe. Natürlich bin ich dazwischen auch in meine eigene größere Wohnung gezogen, wo er natürlich, anders als im Studentenheim seinen Zweck wirklich als das erfüllen kann, wofür er eigentlich erbaut wurde.
Er steht jetzt vor meiner roten Couch als Beistelltisch. Er hat nie an Strahlkraft verloren, er hat mich aber auch nie enttäuscht. Viele in meiner Umgebung fragen mich, ob es nicht aufwendig wäre, eben jene Glasfläche jeden Tag mit einem Glasreiniger zu putzen. "Sören" aus dem bekannten nordischen Markt hätte ich wahrscheinlich nur einmal wöchentlich, wenn überhaupt, reinigen müssen. Nein, ich plädiere nach wie vor für meine Individuallösung. Mit erhobenem Haupt reinige ich die rechteckige Glasfläche mit akribischer Genauigkeit. Meist muss ich ihn wirklich jeden Tag reinigen. Man kann aber wirklich davon ausgehen, dass ich mich an diese Tatsache deshalb gewöhnt habe, weil ich, seit in meiner eigenen vierundvierzig Quadratmeter Wohnung in Wien-Ottakring wohne, durchschnittlich jeden Tag Besuch empfange. Zumeist bilde ich mir ein, dass meine Freunde diesen Tisch vielleicht mit meiner Persönlichkeit assoziieren könnten. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich von spartanischem Holz nicht viel halte. Ich halte mich auch nicht für eine rohe Persönlichkeit. Geradlinig bin ich auch nicht unbedingt. Manchmal bin ich genau so wie mein Couchtisch. Die paar Kratzer, die, seit sich der Tisch in meinem Besitz befindet, zeugen von den Kaffee-Eruptionen, von dem Aschenbecher, der unlängst auf dem Tisch zerbrochen ist. Mehrmals ist Kerzenwachs auf den Tisch geflossen, den ich dann später mit zitternder Hand und einem stumpfen Messer wegkratzen musste, wo ich weiß, ich habe wieder einmal zuviel gefeiert. Das hat Spuren hinterlassen. Genau so ist es vielleicht mit meinem Leben. Zu oft hat sich etwas über mich "ergossen", was mich befleckt hat, und ich habe es schließlich jedes Mal geschafft, das "Ergossene" zu beseitigen, wenn auch mit Gewalt. Völlig ohne bleibende Schäden ist dies auch nicht geblieben. Meine Liebe zu dem Tisch ist noch stärker geworden, seit ich ihn habe. Die Konstruktion des Tisches ist eigentlich ungewöhnlich. Stäbe, die ein Messingkreuz bilden, halten die vier aristokratisch anmutenden Tischbeinchen, die nebenbei auch noch mit griechischen Säulen assoziiert werden könnten, zusammen. Zudem bin ich irgendwann draufgekommen, dass man die auf der Glasoberfläche befindlichen Messingteile auch abschrauben kann, um die Glasplatte runter zu nehmen, um sie vielleicht noch akribischer zu reinigen, als ich es ohnehin schon tue.
Früher habe ich nie ganz verstanden, warum es Menschen gibt, die antike Möbel sammeln. Eigentlich verstehe ich sie auch heute noch nicht ganz. Ich habe nur eine außerordentlich positive Affinität zu Messing. Wenn ich eine Metalllegierung sein könnte, dann wäre es Messing. In einem Fachbuch über Metalllegierungen steht, dass Messing meist Spuren von giftigem Arsen enthält. Grundsätzlich ist mir diese Tatsache egal, ich fand es sogar spannend, immerhin kann ich davon ausgehen, dass wenn ich mich schon mit so etwas Abstrusem vergleichen kann, dass auch hinter meiner glanzvollen Hülle manchmal etwas latent giftiges zum Vorschein kommen könnte. Abgesehen davon, passt dieser Tisch bei weitem besser in meine eigene kleine Wohnung, als in das Studentenheim, in dem ich drei Jahre lang wohnte. Die Höhe von umgerechnet Siebzig Zentimeter passt genau in mein Befinden von einem ultimativen Wohngefühl. Kaffeeschalen und Aschenbecher, wie auch ein Kerzenständer einer pseudoindischen Billigkette passen perfekt darauf, wirken darauf einfach noch edler und passender, als hätte ich mir das Modell "Sören" besorgt. Selbst meine Füße, oder auch die meines Freundes tun der Strahlkraft keinen Abbruch. Im Gegenteil, das kalte und metallische Ambiente sorgt für Abkühlung meiner manchmal vom Gehen schmerzenden Beine. Mit Bangen blicke ich der Zeit entgegen, sollte ich in eine größere Wohnung umziehen, womöglich mit meinem Partner zusammen. Niemals mehr werde ich die Gelegenheit erhalten, diesen Tisch, den ich damals mit meinem gesparten Geld gekauft hatte, diese Funktion zuzuschreiben, für die es eigentlich gedacht ist. In letzter Zeit habe ich ihn etwas vernachlässigt. So richtig Zeit für ihn konnte ich mir nicht nehmen.
Zu viel Persönliches ist in der Zwischenzeit passiert.
Ob auch der frühere Besitzer so unsorgsam mit ihm umgegangen ist? In guten, wie in schlechten Zeiten verliert mein Couchtisch nie an seiner magischen Kraft, er hat einen Platz in meinem Leben, einen den ich niemals missen möchte.
Wachsreste haben die Glasoberfläche etwas verunreinigt, ich bin noch nicht dazu gekommen, diese zu entfernen. Ich weiss, dass er es mir verzeihen wird. Gibt er mir doch jene Kraft und jenes Vertrauen zurück, dass ich ihm geschenkt habe, in dem ich ihn vor alten Frauen, die ihn vielleicht als Beistelltisch für Plastikblumen im Eck des Zimmers missbrauchen könnten. Ich glaube, dieser Tisch wollte durchaus ein Revival mit jungen Leuten erleben. Sicherlich muss er etwas mitmachen, denn die Unmengen an Alkoholflaschen und vollen Aschenbechern passen eigentlich gar nicht zu einem typischen Couchtisch aus Glas und Messing. Im Normalfall müsste vielleicht eine teure Vase oder eine kitschige Porzellanpuppe sein Haupt zieren, aber ich habe mich dazu entschlossen, ihn als das zu verwenden, wofür er gedacht ist, nämlich als Beistelltisch einer Couch. Im Gegenzug dazu behandle ich ihn aber weitaus besser, als meinen Esstisch beispielsweise. Wenn ich mit meiner Hand über die Oberfläche streiche, entflammt in mir immer noch das Gefühl, welches ich vor mittlerweile drei Jahren bei der Caritas in mir spürte, nämlich diesen Hauch von Luxus und Lebensqualität, welches ich in meiner damaligen beengenden Tristesse dringend benötigte, um mich aus einer durch räumliche Zustände herbeigeführte Depression zu befreien. Ich habe nicht nur einen persönlichen Bezug zu diesem Tisch, eigentlich half er mir über eine Zeit hinweg, die ich eigentlich nicht mehr heraufbeschwören möchte.



Eingereicht am 22. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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