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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Du heißt doch Bob?

© Heinrich Pfanner


Entschuldige mein schlechtes Englisch, sagte sie leise mit einem stillen Lächeln in den Mundwinkeln. Sorry. Ich habe es von einem alten Japaner, der in Kanada gelebt hatte und mit einem Öltanker vor Bali Schiffbruch erlitten hatte. Er wurde von einem alten Seelenverkäufer aufgefischt und ging hier an Land.
Ich nickte verständnislos. Ah .... sagte ich. Sie lächelte. Sie merkte, dass ich nichts verstanden hatte. Ich war ohnehin zu betrunken um zu begreifen. Du verstehst mein Englisch, Bob? Du heißt doch Bob? Ja, sagte ich. Ich heiße Bob. Ich heiße Bob, weil mein Vater Bill hieß und mein Großvater Ernest. Und meine Mutter meinte: Bill oder Ernest darf der Junge nicht heißen. Er muss anders heißen als die beiden Saufbolde. Deshalb heiße ich Bob - wie unser ehemaliger Pfarrer.
Ich bestellte nochmals zwei Whisky. Es war schon egal. Herr Pfarrer Bob - murmelte ich - es ist mir scheißegal, ich bekomme ihn ohnehin nicht mehr hoch. Heute bekomme ich keinen mehr hoch. Ich prostete ihr zu. Sie sagte: Auf dich, Bob!
Normalerweise hätte ich geantwortet: Trink aus und hau ab. Lass mich in Ruhe. Doch dieses kaum merkliche, sanfte Lächeln gefiel mir. Ich war zwar sehr betrunken, bemerkte es aber doch. Nicht sehr, aber doch. Sie war nicht mehr ganz jung. Ihre Art des Geldverdienens hatte Spuren hinterlassen. So wie mein Säuferleben. Auch mein Leben war ein Hurenleben. Sie war nicht besonders hübsch. Wahrscheinlich nie gewesen. Aber sie schien mich zu verstehen. Sie schien mich zu begreifen. Warum ich mich voll laufen ließ, meine Leber strapazierte, mir selbst ein eher seltenes Vergnügen zunichte machte.
Ah, .... sagte ich. Bist du müde?, fragte sie. Nein, nicht wirklich. Doch konnte ich die Augenlider kaum mehr einen Spalt breit offen halten. Salute, sagte ich. Prost! Skol! Cin cin! Ich gab mich weltmännisch. Sie lächelte. Sie durchschaute mich. Sicher durchschaute sie mich. Sie blickte mich an und wusste alles über mich. Ein psychiatrischer Röntgenblick mit Sekundendiagnose. Es war ein unangenehmes Gefühl. Als ob ich nackt hier stehen würde. Als ob alle Gäste dieser vergammelten, verrauchten, verdreckten Bude einen Roman auf meiner nackten Haut lesen könnten. Meine Biographie. Das Kapitel über mein Sexualleben konnten sie heute auslassen. Das musste man nicht erst lesen.
Rauchschwaden drangen in meine ohnehin schon angorahasenrot gefärbten Augen. Ich musste sie schließen. Sie brannten und tränten. Komm mit, Bob! Sie nahm mich bei der Hand. Nein, ich kann nicht, ich möchte nicht..... versuchte ich zu erklären. Komm mit, sagte sie bestimmt und nahm mich bei der Hand. Ich muss noch bezahlen, wehrte ich mich gegen diese Fremdbestimmung. Gib mir deine Geldtasche, Bob!, sagte sie. Ich mache das für dich, sonst betrügt dich der Gauner.
Niemals in meinem Leben hätte ich meine Geldtasche aus der Hand gegeben. Nicht im größten Rausch. So weit reichte meine Kraft immer noch aus. Doch heute ..... Ah, .... sagte ich und gab ihr die Geldtasche, als wäre mein gegenüber nicht irgendeine Hure in irgendeinem Winkel dieser verfluchten Welt, sondern seit mindestens zwanzig Jahren meine Ehefrau.
Ich hörte sie mit dem Barkeeper sprechen, hielt aber die Augen geschlossen, es war angenehmer so. Dann ließ ich mich von ihr führen wie ein wohlerzogenes kleines Kind. Oder wie ein Blinder. Ich ließ die Augen geschlossen und vertraute mich ihr an. Vollkommen. Vollständig. Ich wusste nicht warum. War es der Tonfall, ihre beruhigende, warme Stimme? War es der sanfte Händedruck? Meine Wahrnehmungen wurden immer indifferenter. Ich ließ sie gewähren.
Ich machte die Augen auch nicht mehr auf, als sie sagte: Setz dich, Bob. Ich öffnete sie auch nicht, als sie meinte: Leg dich jetzt hin. Ich ließ mich fallen und spürte noch, wie sie mir den Schuh vom rechten Fuß streifte. Dann bemerkte ich nichts mehr. Ich fiel in ein riesiges, schwarzes Loch. Ich fiel. Ich fiel spiralförmig. Ich schlug immer wieder gegen die Wand, ohne Schmerz zu verspüren. Bis mich der Schlund verschlang.
Als ich wieder erwachte, war es hell im Zimmer. Es brannte kein Licht, es war Tag. Die Geldtasche!, schoss es mir durch den Kopf. Ich fuhr hoch, musste mich aber gleich wieder hinlegen, so sehr schmerzte der Schädel. Nein, die Geldtasche war da, die Kleidung war da, es fehlte nichts. Ich musste stundenlang geschlafen haben. Und dann musste ich an sie denken. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass ich das Verlangen hatte, eine Frau wiederzusehen. Dass ich den Wunsch verspürte, hier bleiben zu dürfen. Jetzt wirst du alt, Bob, dachte ich, als ich langsam und bedächtig in meine Kleider schlüpfte. Jetzt wirst du alt!



Eingereicht am 22. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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