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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Das Leben des Fib
© Christina Kühnl
Vor nicht allzu langer Zeit gab es ein Eichhörnchen mit dem Namen Fib. Es hatte einen buschigen Schwanz und glänzend rotes Fell, kletterte flink und war recht scheu. Ein Eichhörnchen wie jedes andere auch.
Das kleine quirlige Eichhörnchen Fib wollte es zwar nicht jedem recht, aber doch alles richtig machen und so war es gut, dass Fib viele Artgenossen kannte, die ihm einen guten Ratschlag geben konnten. Eigentlich jeder aus Fibs Umgebung machte auch ungefragt gut gemeinte Verbesserungsvorschläge. Nur einer nicht. Das war Fibs Freundin Merli. Merli mochte Fib, so wie er war.
Merli war ein sehr hübsches Eichhörnchen-Mädchen mit unendlichen Farbnuancen im seidenweichen Fell und unerhört langen Wimpern über den dunklen Augen. Fib und Merli waren entschlossen viele kleine Eichhörnchen-Kinder miteinander zu haben, wollten eine Familie gründen und gemeinsam Futter suchen. Doch es kam anders.
Fib teilte sich mit seinem Vater gerade eine Haselnuss, als dieser zu ihm sagte: "Kleiner Fib, einen Rat möchte ich dir von Mann zu Mann geben. Achte darauf, mit wem du dich umgibst. Die Eichhörnchen deiner Umgebung beeinflussen dich und du musst darauf achten, dass es ein guter Einfluss ist."
Das verstand Fib und er nickte. "Mit wem du dich umgibst, sagt über dich eine ganze Menge aus und was deine Freunde tun, das fällt zurück auf dich."
Auch das verstand Fib und er nickte. "Es fällt auf dich zurück und auf deine Familie, also auf uns. Du hast deshalb einer großen Verantwortung gerecht zu werden, wenn du dir Freunde suchst."
Fib verstand und nickte langsam. Was sein Vater sagte, leuchtete ihm ein und er wollte sich künftig danach richten. Mit gefasstem Vorsatz kletterte er flink auf seinen Spielbaum, wo schon viele andere kleine Eichhörnchen versammelt waren. Sie spielten Fangen und Fib gesellte sich zu ihnen. Doch da entdeckte er Birger, ein etwas älteres Eichhörnchen, das für riskante Aktionen bekannt war. Einmal war Birger, so erzählte er zumindest, ganz nah an einen Menschen auf einer Parkbank herangehoppelt, sodass er dessen
Augenfarbe sehen konnte. Angeblich waren sie blau. Für Fib klang das sehr unwahrscheinlich, hatten doch alle Einhörnchen schwarze Augen. Ein Umgang mit Birger war für ihn sicherlich nicht das Richtige. Und so entfernte er sich wieder von den anderen, wollte er doch nicht mit einem Lügenbaron wie Birger in Verbindung gebracht werden.
So kam es, dass Fib immer kontaktscheuer wurde. Wenn er scharf nachdachte, fielen ihm bei jedem seiner Freunde Eigenschaften oder Verhaltensweisen ein, die ihm missfielen und die nicht auf ihn und seine Familie zurückfallen sollten. Nach und nach distanzierte er sich von seinen Freunden und pflegte nur noch lose Kontakte.
Selbst Merli war nicht perfekt, musste Fib feststellen, doch seine Liebe zu ihr war so groß, dass er gerne bereit war, darüber hinwegzusehen.
An einem sonnigen Tag, den Fib mit seiner Familie verbrachte, nahm Fibs Mutter ihn zur Seite und sagte: "Für dein Leben möchte ich dir eines mitgeben, kleiner Fib. Achte immer darauf, was du sagst und wie du etwas sagst. Was du sagst, zeigt wie du denkst, doch entscheidend ist, wie es dein Gegenüber versteht und das hängt davon ab, in welchem Ton du sprichst."
Fib verstand und nickte. Seine Mutter fuhr fort: "Du kannst mit Worten oft mehr verletzen als mit Taten. Deshalb wähle deine Worte mit Bedacht."
Auch das verstand der kleine Fib und nickte. "Bedenke immer", ermahnte ihn die Mutter, "wie doppeldeutig Worte sind. Wie leicht kann man dich missverstehen."
Fib verstand auch das und nickte langsam. Er begriff, wie wichtig es war, auf seine Worte zu achten, damit ihn die anderen auch so verstanden, wie er es meinte.
Mit gefasstem Vorsatz, die Worte richtig zu setzen, traf er sich mit seiner Freundin Merli, um ihr zu erzählen, was er an diesem sonnigen Tag erlebt und wie sehr sie ihm dabei gefehlt hatte.
Doch als er zusammen mit Merli von der Herbstsonne gewärmt im Laub saß, fragte er sich, ob Merli nicht glauben könne, er würde angeben und sich groß aufspielen, wenn er ihr erzählte, was er heute alles erlebt hatte. Und ob sie nicht, wenn er ihr sagte, wie sehr sie ihm gefehlt habe, dies als Vorwurf verstünde, dass sie nicht dabei gewesen war.
Fib wollte Merli auf keinen Fall verletzen. Also schwieg er und hörte ihr zu. Als sie ihn fragte, wie sein Tag verlaufen war, wurde er rot und wusste nicht recht wie beginnen, was sagen und besonders nicht in welchem Tonfall. Deshalb sagte er nur, er habe einen schönen Tag gehabt und sah Merli furchtsam an.
So ging es auch am nächsten und am übernächsten Tag und es ging so lange, bis Merli sagte, sie habe genug von der Geheimniskrämerei. Fib habe ihr offensichtlich etwas zu verschweigen. Was es sei, wolle sie nicht wissen, aber unter diesen Umständen nicht an einer Beziehung mit ihm festhalten.
"Aber ich will dich doch nur nicht verletzen. Deshalb schweige ich, weil ich nicht weiß, wie ich es dir sagen soll", flehte Fib seine Freundin um Verständnis an.
"Weil du nicht weißt, wie du mir was sagen sollst?", fragte Merli erstaunt.
"Alles. Ich weiß nicht, wie ich mit dir sprechen soll. - Verstehst du?"
"Ich verstehe daraus zweierlei: Du hast mir nichts zu sagen und wenn du doch etwas zu sagen hättest, wäre es etwas Negatives." Und mit diesen Worten verschwand Merli auf einen Baum mit einem Blick, der Tod versprach, falls Fib es wagen sollte zu folgen.
Fib war auch ohne ihr nachzuklettern so gut wie tot, nämlich todunglücklich und das, für mehr als einen Monat, was im Leben eines Eichhörnchens eine lange Zeitspanne ist, besonders in dem kurzen Leben des armen Fib.
Er wurde immer einsilbiger, besonders nachdem er erlebt hatte, dass die wenigen Worte, die er gegenüber Merli gesprochen hatte, alle falsch verstanden, ihm die Liebe seines Lebens entrissen hatten.
So sprach Fib nur noch das Nötigste und verärgerte durch seine Wortkargheit, die letzten Freunde, die ihm blieben, weil sie ihn als schroff und nichts sagend empfanden.
Der kleine Fib war nun sehr einsam, an Gesellschaft kaum gewöhnt, sodass er sehr erschrak, als ihn unverhofft ein Eichhörnchen ansprach: "He, Pfoten weg, das ist meine Haselnuss!"
"Aber ich habe sie doch zu erst gefunden", gab Fib mit kratzender Stimme zurück.
"Das mag wohl sein. Aber du solltest dich zurücknehmen, so jung wie du bist. Du findest noch viele Haselnüsse für den Winter. Ich aber bin schon schwach und muss meine Kräfte schonen."
Das verstand Fib und schob dem alten Eichhörnchen widerwillig nickend die Haselnuss zu.
"Danke, Kleiner. Dafür gebe ich dir einen guten Rat für dein Leben mit: Man darf nie egoistisch sein. Man sollte seine Belange immer hinten anstellen und sich um das Wohl anderer kümmern. Wenn du anderen hilfst, wirst auch du Hilfe empfangen."
Das leuchtete Fib ein und er nickte bedächtig. Diesen Rat beherzigend, wollte Fib nun sein Leben gestalten und bekam dazu auch gleich Gelegenheit:
Fib hüpfte gerade über das Laub zu einem großen, allein stehenden Baum, um sich in seinen Wipfeln zu sonnen, da kam ein Sturm von Eichhörnchen angerast, die in Windeseile, den schmalen Stamm erobernd, ihn auch sogleich erklommen. Fib wartete am Boden, um ihnen, die sich drängten und schupsten, den Vortritt zu lassen und er wartete noch, als er den Grund für die Panik entdeckte. Doch da war es auch schon zu spät und der Fuchs hatte Fib am Schlafittchen.
Fib jammerte und schrie, zeterte und weinte und bat den Fuchs flehentlich ihn zu verschonen. Der lachte nur und sagte: "Nimm dich selber nicht so ernst. Wenn ich dich gefressen habe, geht die Welt weiter wie bisher. Weshalb regst du dich also auf?"
Und Fib erkannte, dass der Fuchs Recht hatte. Dennoch war er sehr erleichtert, als ein unbedachter, dicker Hase vorbeihoppelte und den Jagdinstinkt im Fuchs derart weckte, dass dieser Fib fallen ließ, um der größeren Fleischmasse hinterher zu setzen.
Fib war so froh, dass er noch lebte, dass er auch den Rat des Fuchses beherzigen wollte. Er nahm sich selber nicht mehr wichtig, seine Belange nicht mehr ernst und so vernachlässigte er sich zusehends.
Und so kam es soweit: Der Winter brach herein und Fib hatte keine Vorräte, da er den anderen Eichhörnchen bei der Nahrungssuche den Vortritt gelassen und sogar anderen beim Suchen und Verbuddeln geholfen hatte.
Als der erste Frost kam, kannten die, denen er geholfen hatte, ihn nicht mehr oder konnten sich seiner Hilfe nicht entsinnen. Folgerichtig bestand für sie kein Grund ihre Vorräte mit dem kleinen Fib zu teilen, denn nur wer Hilfe empfangen hat, muss sie erwidern.
Aber der kleine Fib bat auch niemanden um Nahrung in der Sorge, die Eichhörnchen könnten seine Bitte als Forderung begreifen und er wollte sich ja niemandem aufdrängen.
Er schloss sich auch nicht mit anderen Eichhörnchen zusammen, die ebenfalls nichts hatten, aber immerhin bereit waren, das zu teilen, was sie finden konnten. Fib schloss sich ihnen nicht an, weil ihr nicht immer korrektes Verhalten nicht auf Fib und seine Familie, zurückfallen sollte.
Wo seine Familie war, wusste Fib nicht. Er hatte den Kontakt zu ihr abgebrochen, um sie nicht durch den Umgang mit ihm, einem Außenseiter, in Misskredit zu bringen.
So starb Fib im Winter - ohne Nahrung ein leichtes Opfer für die Kälte. Fib starb schweigend, niemanden verletzend und gelassen. - Die Welt geht schließlich auch ohne ihn weiter.
Eingereicht am 21. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.