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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Eine stürmische Nacht

© Chris Stone


Nun war er wach, und was ihn mehr in seiner Ruhe störte als der draußen tobende Orkan, war das leise Klingeln des Glockenspiels, das aus einem anderen Zimmer zu ihm herüberwehte.
Er lag da und überlegte, wo das Glockenspiel überhaupt hing, und warum es in diesem angeblich so gut isolierten Haus zog wie die sprichwörtliche Hechtsuppe, die seine Großmutter früher immer erwähnte.
Irgendwo hatte er mal gelesen, woher dieses Sprichwort stammte, und was es ursprünglich mit der Hechtsuppe auf sich hatte, aber es gelang ihm nicht, sich dieses wieder in Erinnerung zu rufen.
Er spürte, wie langsam Nervosität in ihm hochstieg und versuchte verkrampft, wieder einzuschlafen, doch inzwischen war er hellwach. Das Glockenspiel hatte Erinnerungen in ihm hervorgerufen, die er für immer zu vergessen gehofft hatte.
Er stand auf, ging in die Küche und starrte dort minutenlang in den Kühlschrank. Dann goss er sich ein Glas kalte Milch ein und trank sie in einem Zug aus. Kurz darauf wurde ihm schlecht. Er rannte ins Bad, wo er die Milch und sein Abendessen in die Toilette spuckte. Nachdem er sich den Mund mit Wasser ausgespült hatte und in den Spiegel sah, dachte er daran, was er getan hatte. Er starrte sich in die dunklen Augen und ihn schauderte. Warum war das alles bloß passiert? Warum war es ihm passiert?
Wieder versuchte er, die Fragen und besonders die daraus resultierenden Antworten zu verdrängen. Er ging zurück ins Schlafzimmer, schaltete das Radio ein und legte sich ins Bett.
Sein Lieblingssender spielte einen Song von Restless Hearts, Wheels.
Sein Körper verkrampfte sich. Dann sprang er mit einem Ruck aus dem Bett und stellte einen anderen Sender ein.
Nach einer Weile schlief er wieder ein.
Er fing an zu träumen.
Er fuhr auf einer breiten Straße entlang, die Sonne schien und die Vögel zwitscherten. Er saß entspannt im Fahrersitz, genoss die schöne Landschaft und die Tatsache, dass keine anderen Autos unterwegs waren.
Plötzlich knallte etwas gegen die Windschutzscheibe. Blut spritzte und der Kopf eines Vogel verhakte sich im Scheibenwischer.
Fluchend stoppte er sein Auto, kramte ein Taschentuch hervor und säuberte die Scheibe.
Nachdem er weitergefahren war, bemerkte er, dass er nicht ordentlich gearbeitet hatte, und so schaltete er die Scheibenwaschanlage ein.
Blut verteilte sich über die ganze Windschutzscheibe, so dass er kaum noch die enge, verschlungene Straße sah. Dennoch nahm er seinen Fuß nicht vom Gas. Im Rückspiegel sah er ein Mädchen und während er sich fragte, woher er sie kannte, schlug etwas auf der Straße vor seinem Wagen ein. Er riss das Steuer herum, machte eine Vollbremsung und stolperte aus dem Auto.
Eine riesige Glocke hatte einen tiefen Krater in die Straße gerissen. Dennoch bimmelte sie unaufhörlich weiter. Von allen Seiten kamen Menschen auf ihn zu und starrten ihn an.
Schweißgebadet wachte er auf und sah auf die Uhr. Er hatte kaum eine Stunde geschlafen. Er massierte sich die Stirn und hoffte, dass er dadurch seine hämmernden Kopfschmerzen etwas besänftigen konnte. Die Musik aus dem Radio dröhnte in seinen Ohren, obwohl sie nur leise spielte. Er stellte das Radio genervt ab und hörte jetzt wieder nur den Wind. Dann warf er sich zurück auf sein Kissen und zog die Decke fest um seinen Körper. Er fühlte sich total ausgelaugt und fragte sich, ob er jemals wieder vernünftig schlafen könnte. Aber einen ruhigen Schlaf hatte er wohl auch nicht verdient. So ein Gedanke war ihm in den vergangenen drei Jahren noch nie gekommen. Hatte er noch ein ruhiges Leben verdient, wo er doch ein anderes zerstört hatte? Was hatte dieses Mädchen denn bloß mitten in der Nacht auf der Straße gemacht? Warum war sie nicht Zuhause in ihrem Bett gewesen? Warum hatten ihre Eltern nicht darauf geachtet? Er wusste noch nicht mal, wie ihr Name war.
Er drehte sich auf die Seite. Er wollte ihn auch gar nicht wissen. Er brauchte dringend Schlaf, doch in seinem Kopf pulsierte alles. Er versuchte, seine Gedanken auf einen Punkt zu fokussieren. Wie war das noch mit der Hechtsuppe? Hechtsuppe ... Hechtsuppe ... Hech... ja, genau das war es. Aus dem Jiddischen. Hech suppa bedeutet so viel wie Sturmwind.
Er verlor den Faden. Draußen hörte er den Sturm und wieder das Glockenspiel. Hing es etwa irgendwo im Garten? Daran müsste er sich doch erinnern! In seinem Garten war es bestimmt nicht. Sabine, die Esoterikerin, wollte ihm mal so was andrehen, doch er hatte abgelehnt. Von diesem übersinnlichen Quatsch hielt er nichts.
Er hätte den Traumfänger annehmen sollen. Ohne diesen Scheißtraum würde er nun friedlich schlummern!
Wieder klimperte das Glockenspiel. Die Kirchturmuhr schlug zwölf. Er schreckte auf. Was? Turmuhr? Jetzt wäre er beinahe wieder eingeschlafen und versaute sich alles. Dass ihn die dämliche Traumuhr so erschrecken konnte!
Sein Herz raste, im Kopf trommelte es und die Finger zitterten. Eine Scheißnacht!
Warum war diese Nacht bloß so beschissen? Was war an dieser Nacht denn anders? Er hatte doch seit Ewigkeiten nicht mehr an den Unfall gedacht! Warum jetzt? Warum ausgerechnet jetzt, wo er doch seinen Schlaf brauchte?
Die Besprechung morgen war die wichtigste seines Lebens. Alles würde sich entscheiden.
Er musste unbedingt noch etwas Schlaf bekommen.
Er wälzte sich im Bett herum und versuchte, an nichts zu denken, was ihm aber nicht gelang.
Immer wieder flitzten Gedanken an das Mädchen und den Unfall durch seinen Kopf.
Irgendwann schlief er wieder ein. Seine Gedanken folgten ihm in den Schlaf. Er träumte lauter wirres Zeug. Autos, Menschen, Glocken, Sturm, der Kühlschrank, seine Augen und Klingeln, lautes, durchdringendes, schrilles Klingeln.
Als er aufwachte klingelte das Telefon.
Er sah auf die Uhr und bemerkte, dass er verschlafen hatte. Er hätte schon längst im Büro sein müssen.
Als das Telefon wieder still war, stand er auf und zog sich an.
Er hatte sich entschlossen, einen Schlusspunkt zu setzen.
Nachdem er das Haus verlassen hatte und auf die Straße trat, bemerkte er das Glockenspiel im Carport der Nachbarn. Er hatte nicht die Kraft hinüberzugehen und es abzureißen.



Eingereicht am 21. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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