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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Ein Schlüssel

© Jolander


Ein Schlüssel sollte einmal - in einer lauen Sommernacht - in ein fremdes Schlüsselloch eingeführt werden. Doch der Schlüssel spürte sofort, dass er und das Schloss nicht für einander bestimmt waren. Immer wieder wurde er genötigt, in den ihm fremden Stahl einzudringen. Ein unangenehmes Gefühl, das er bis dahin nicht erlebt hatte. Sein Bart passte nicht an den vielen fremden Stahlstiften vorbei in den Zylinder. Ein, zwei hätte er vielleicht geschafft, jedoch der Widerstand der anderen war zu groß.
Dennoch passierte etwas Sonderbares bei diesen Versuchen. Das unangenehme Gefühl verlor sich allmählich. Mehr noch, es kehrte sich langsam ins Gegenteil. Ihm wurde warm und wärmer, wohl und wohliger. Er mühte sich heftig, mit seinem Bart, in den schmalen Schlitz vorzudringen. Seine Anstrengungen blieben erfolglos. Erfolglos im Sinne seiner bisherigen Bestimmung und die lautete eindeutig, geräuschlos an den vielen wachsamen Stiften vorbei in einen Schlitz zu gleiten, um damit seinem Besitzer eine Tür zu öffnen, und zwar immer dieselbe, ein und dieselbe Tür. Er kannte keine andere. Er hatte von anderen Schlüsseln, in seiner Jugendzeit, als er noch neben den anderen an einem Brett für unfertige Schlüssel gehangen hatte, gehört, dass es viele Türen und Schlösser gab und dass es Schlüssel geben sollte, deren Job es sei, in viele Schlösser einzudringen. Er hatte das damals noch als Aufschneiderei von unfertigen Schlüsseln abgetan. Nun aber erlebte er am eigenen Körper, wie es sein kann, einem anderen Schloss nahe zu kommen. Ein aufregendes Gefühl. Er spürte auch, dass ihm der anfangs sehr ungelenk gestreichelte Zylinder entgegenkam. Je öfter er es nun probierte, desto sicherer hatte er das Gefühl, dass es für den Zylinder auch neu war. Ja, er fühlte, dass es für beide das erste Mal war. Beide hatten das Gefühl als könnten sie zueinander passen. So glitten sie und beiden wurde warm. Der Zylinder schloss sich immer fester um seinen Bart. Nur noch ein Stück. Aber wozu? Es war auch so schön. Er hatte nun seine eigentliche Bestimmung völlig vergessen. Es war um ihn geschehen. Seine bisher gültigen Werte gerieten ins Wanken. Was war das für eine Bestimmung, immer in ein- und dasselbe Schloss ein zu dringen, um ein- und dieselbe Tür zu öffnen und dann ewig lange irgendwo acht- und nutzlos herumzuliegen. Oft im Dunkeln, oft eng an andere Schlüssel gekettet. Das sollte der Sinn eines Lebens, seines Lebens sein? Hier entdeckte er gerade einen neuen Sinn. Sich in neue schöne Zylinder einzugleiten, das war es. Sein Stahl wurde immer wärmer. Er spürte Entgegenkommen. Ein fremdes Schloss, das sich mit ihm oder an ihm erhitzte - welch ein Erlebnis.
Jäh wurde er aus seinen Gefühlen gerissen. Der Zylinder, den er fast durchdrungen hatte, mit dem er sich so wunderschön gerieben hatte, entfernte sich. Er entschwand seinem Blick. Es wurde dunkel um ihn herum. Enttäuschung …
Er konnte nichts tun. Er war nur ein Werkzeug, das wurde ihm unweigerlich klar. Ein Werkzeug in der Hand irgendeiner größeren Macht. Diese Macht interessierte sich nicht für seine Gefühle. Dieser Macht hatte er zu dienen. Er hatte ihr Türen zu öffnen, nicht mehr und nicht weniger.
Und so ahnte er was passieren würde. Es blieb eine Zeit lang dunkel um ihn herum und dann wurde es jäh licht. Es kam, was kommen musste. Er wurde durch die Luft geführt und steuerte erneut auf ein Schloss zu, ein bekanntes Schloss, sein Schloss. Ein ihm wohl bekannter Zylinder näherte sich. Kalt, besonders kalt schien dieser ihm heute. Kurz war der Versuch den Weg durch das Stahl-Labyrinth zu finden. Blind funktionierte das. Eine eingespielte Begegnung. Sie kannten sich zu lange. Es ging schnell, dann war das Schloss geöffnet. Keine Zeit, sich zu erwärmen. Keine Zeit, Gefühle auszutauschen. Es war eine kühle Begegnung - auf der Grundlage einer professionellen Beziehung.
Sekunden später hing er wieder bei den anderen Schlüsseln und in dieser Nacht hatte er viel zu erzählen und er schwärmte und schwelgte und der Kellerschlüssel neben ihm bekam einen großen Bart. Die ganze Nacht erzählte er - immer hin- und her gerissen zwischen Sehnsucht und Begeisterung.
Und alle Schlüssel lauschten andächtig und keiner rasselte dazwischen. Keiner von ihnen hatte bisher über ein anregenderes Schlüsselerlebnis berichten können.



Eingereicht am 20. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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