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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Simsabras "Schlüsselerlebnis"
© Alexa Testa
An einem schönen Sommermorgen spazierte die kleine Hexe Simsabra gut gelaunt durch den Wald. Sie war jung und neugierig und hatte noch viel zu lernen. Interessiert betrachtete sie auf ihrem Weg alles, was da kreuchte und fleuchte, wuchs und blühte. Als sie einen großen Ameisenhaufen entdeckte und das emsige Gekrabble darauf sah, machte sie Halt und beobachtete hingerissen, wie die unzähligen Tierchen scheinbar planlos herumwuselten.
Da bahnte sich ein vorwitziger Sonnenstrahl einen Weg durch die dichten Zweige. In seinem Licht glitzerte etwas unter den trockenen Tannennadeln. Simsabra stelle sich auf die Zehen und beugte sich neugierig nach vorne. Mit spitzen Fingern fasste sie das goldene Etwas und zog es rasch heraus. Als sie die wütenden Ameisen, die sofort ihre Finger angriffen, abgeschüttelt hatte, betrachtete sie ihren Fund. Es war ein wunderhübsches goldenes Schlüsselchen, fein ziseliert und mit kleinen roten Steinen besetzt. Wie
kommt dieser Schlüssel hierher? überlegte die kleine Hexe und schaute sich verwundert um. Da bemerkte sie hoch oben in den Tannenzweigen das Nest einer brütenden Elster. Nun war alles klar. Die Elster hatte das Schlüsselchen bestimmt irgendwo entwendet und es wohl fallen lassen, als sie auf dem Baum gelandet war.
Simsabra verstaute den kostbaren Fund sorgfältig in der Tasche ihres Kleidchens und machte sich auf den Rückweg zum Hexenberg. Singend hüpfte sie den steilen Weg nach oben, nicht ohne vorher mit den Fingern geschnippt zu haben, sodass ihre Fußspitzen dabei kaum den Boden berührten. Das und einige andere Zauberkunststücke hatte sie in der Hexenschule schon gelernt. Zunächst behielt Simsabra ihr Geheimnis für sich, doch dann war ihr Plappermäulchen einfach stärker und sie zeigte den Schlüssel schließlich der Mutter.
Die kratzte sich nachdenklich an der haarigen Warze auf der Nase, welche immer dann zu jucken begann, wenn große Ereignisse bevorstanden. Sie konnte sich erinnern, dass der oberste Hexenmeister den Schlüssel zur persönlichen Schmuckschatulle seiner Gemahlin, der schwarzen Rabäa, gesucht und eine große Belohnung für denjenigen ausgelobt hatte, der ihn fände. Könnte das der verlorene Schlüssel sein? Wohl kaum. So viel Glück hat eine gewöhnliche allein erziehende Hexe nicht. Doch es ließ ihr keine Ruhe, die ganze
Nacht grübelte sie, ob sie den Weg zum Meister wagen sollte. Das war sicher nicht ganz ungefährlich, denn wenn es nicht der gesuchte Schlüssel war, konnte es wohl sein, dass der Hexenmeister in seinem Zorn etwas Unüberlegtes tat. Seine Gattin war nämlich, als sie von einem Tag auf den anderen nicht mehr an ihre Geschmeide konnte und auch kein Hexenzauber die Schatulle aufbekam, bitterböse zu ihrer Familie nach Asien zurückgekehrt. Seither war der Meister trübsinnig, streng und manchmal auch ungerecht. Zwei seiner
Dienerinnen hatte er die Zauberkräfte aberkannt, weil er den Verdacht hegte, sie hätten mit dem Verschwinden des Schlüssels etwas zu tun.
Im Morgengrauen weckte die Mutter Simsabra und bat sie, sich ordentlich zu waschen und festlich zu kleiden. Sie selbst trug ihre beste Hexentracht und war nun fest entschlossen, den Weg zum Meister zu wagen. Ihre Warze hatte die ganze Nacht lang wie verrückt gejuckt. Simsabra aber war gar nicht erfreut, als sie erfuhr, dass sie ihren kostbaren Fund möglicherweise nicht behalten durfte. Doch da halfen weder Jammern noch irgendwelche Zaubereien.
Der oberste Hexenmeister saß in Gedanken versunken in seinem Sessel, als die beiden vor ihn hintraten. Die kleine Hexe streckte die Hand aus und hielt dem Meister den Schlüssel unter die Nase.
"Ich hab ihn im Wald gefunden, Meister, in einem Ameisenhaufen. Es war ein glücklicher Zufall, dass gerade in diesem Augenblick ein Sonnenstrahl darauf gefallen ist, sonst hätte ich ihn wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Eine Elster muss ihn gestohlen und fallen gelassen haben."
"Meine Güte, der Schlüssel der Schmuckschatulle", rief der Meister überrascht, nahm das goldene Etwas und eilte davon. Als er wiederkam, hatte er feuchte Augen.
"Ich habe nach meiner Gattin schicken lassen. Jetzt wird sie bereit sein, zu mir zurückzukehren", strahlte er und nahm Simsabra an der Hand. Dann führte er sie zur geöffneten Schmuckschatulle, in der es nur so blitzte und funkelte, und sagte: "Such dir ein Stück aus, das dir gefällt, Kleine"
Simsabra nicht faul, griff nach einem Collier aus Diamanten und Rubinen.
Dann bedankte sie sich artig mit einem Knicks.
"Bist ein pfiffiges Ding", lächelte der Meister. "So was wie dich kann ich hier in meinem Haus gut gebrauchen. Ich werde dich zur persönlichen Zofe meiner Gemahlin ernennen. Und deine Mutter kann bei mir in der Küche arbeiten, wenn sie möchte. Was meinst du?"
Simsabra wurde rot vor Freude, nickte eifrig und steckte das Collier in ihre Tasche.
Dann lief sie zur Mutter, deren Warze noch immer juckte und juckte. Wenige Tage später zogen die beiden in das herrschaftliche Haus des Meisters und bereiteten alles für die Rückkehr der schwarzen Rabäa vor. Der Hexenberg und seine Bewohner rüsteten für ein rauschendes Fest und der Bäcker buk zahllose Schlüssel aus Plunderteig mit kandierten Kirschen verziert, die seither das Lieblingsgebäck des Meisters und seiner nun endlich wieder heimgekehrten Gemahlin waren.
Simsabra hatte in Hinkunft dafür zu sorgen, dass der goldene Schlüssel nie mehr abhanden kam. Vom großen Hexenmeister wurde ihr deshalb der Titel "Schlüsselbewahrerin" verliehen und Simsabra machte ihm alle Ehre.
Jeden Abend vor dem Schlafengehen legte sie den kleinen goldenen Schlüssel sorgfältig unter ihr Kopfkissen und freute sich Tag für Tag von neuem, dass sie sich nun nie mehr von ihrem kostbaren Fund trennen musste.
Eingereicht am 19. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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