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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Zwei Frauen

© Sabine Brandl


Eingesperrt. In diesem dunklen Loch. Ausgerechnet mit IHR: meinem personifizierten Hassobjekt. Letzte Woche hatte sie mir meinen Mann weggenommen. Nun würde ich die letzten Stunden meines Lebens mit ihr verleben … Wie konnte es nur dazu kommen? War es nicht schrecklich genug, bald zu sterben?
SIE hieß Lisa und war ein blondes Flittchen. Diese Frau war ein Produkt vieler Eigenschaften, die mir widerstrebten. Lisa war affektiert, charakterlos und übertrieben geschminkt. Mit ihrer üppigen Oberweite und der schmalen Taille ähnelte sie einer Barbiepuppe. Gewiss war ihr IQ nicht viel höher. Diese Blondine war eines vieler Objekte, die auf männliche Schlüsselreize abzielten und damit immer wieder Erfolg hatten. Jedenfalls, bis es den Männern zu langweilig wurde.
Mein Charly jedoch hielt es schon mehrere Wochen mit ihr aus. Und er war kein oberflächlicher Typ. Charly war ein sehr kluger und sensibler Mensch.
Er malte und komponierte. Was er an Lisa fand, konnte ich nicht begreifen.
So sehr ich mich auch in diese Frage hinein steigerte.
Letzten Montag hatten wir uns getrennt. Heute war das neue Pärchen bei mir gewesen. Er hatte seine restlichen Sachen aus der Wohnung holen wollen. Die Blondine war mitgekommen. Um zu helfen. Mein ehemaliger Partner hatte im Schlafzimmer seinen Schrank leer geräumt. Er hatte das Blödchen gebeten, in den Keller zu gehen, um einige Bilder zu holen. Es waren Ölmalereien, die er aus Platzmangel unten deponiert hatte. Lisa war daraufhin sofort losgelaufen und in den Aufzug gestiegen. Sie hatte doch gar keinen Schlüssel dabei!! Wie wollte sie das Lagerabteil aufsperren?! Mit einem Augenaufschlag und einem süßen Lächeln???
So war ich ebenfalls in den Keller gefahren. Ich hatte die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen wollen. Kurz nach Lisa war ich im Keller angekommen. Kaum ging die Tür auf, hatte ich sie bereits erspäht. Die Blondine war ratlos vor verschlossener Tür gestanden. Ich hatte ihr den Schlüssel zugeworfen.
"Versuche es mal damit!", hatte ich gesagt.
Lisa hatte ihn gefangen. Schon hatte sie ihn ins Schloss gesteckt und den düsteren Gang betreten. Vorsichtshalber war ich ihr gefolgt. Schließlich hatte sie nicht gewusst, welches der Abteile mir gehörte. Außerdem hatte ich daran gezweifelt, dass dieses Püppchen kräftig genug war, um die Bilder alleine zu schleppen. Ich konnte arbeiten wie ein Mann, wenn es sein musste.
Lisa war gewiss besser darin, Nägel zu lackieren und sich Farbe ins Gesicht zu pinseln.
Kurz darauf waren wir bei dem Abteil angekommen. Ich hatte Lisa gezeigt, welcher Schlüssel der richtige war.
Und dann war es geschehen … Ein lauter Knall. Die Erde hatte gebebt.
Ohrenbetäubender Lärm … Immer wieder ein Knall, ein Dröhnen … Was war das gewesen?? Bomben? Panzer? Raketen???
Wir wussten es nicht. Das spärliche Licht im Keller war erloschen. Seither saßen wir hier im Dunkeln. Die blonde Lisa und ich. Zur Zweisamkeit gezwungen.
Wie lange war das nun her? Eine halbe Stunde womöglich? Die Decke bröckelte auf uns herab und bald würde die Luft knapp werden. Einen Moment hatte keiner von uns gesprochen. Doch dann musste ich meinem Schrecken Luft machen.
"Verdammt, was war das?!", fragte ich geschockt.
"Weiß nicht", hauchte Lisa ängstlich.
"War das eine Bombe?!", rief ich. "Ist etwa Krieg? Ein Erdbeben? Der Weltuntergang??? Sind wir hier gefangen??!! Verdammt!"
"Bitte nicht!", wimmerte die Blondine.
Etwas Gutes hatte die Dunkelheit immerhin: Ich musste nicht in Lisas dummes Gesicht sehen. So war sie vielleicht leichter zu ertragen.
"Verdammt!", sagte ich ein drittes Mal.
Dann schwiegen wir. Jeder von uns musste erst einmal mit dieser Situation klar kommen. Eingesperrt zu sein, im dunklen Kellerloch, in der wohl unangenehmsten Gesellschaft, die vorstellbar war. Einige Minuten später hörte ich Lisa leise schluchzen. Blöde Heulsuse! Viel mehr als flirten und weinen hatte sie wohl nicht auf dem Kasten!
"Scheiße Mann!", brummte ich. "Jetzt hör´ doch damit auf! Reiß dich mal zusammen!" Lisa schluchzte leise weiter. Von außerhalb hörte man erneut lautes Donnern.
Nein, da oben, wollte ich auch nicht sein. Da war es womöglich in dieser Höhle noch besser. Immerhin war ich am Leben. Ich hing sehr an alledem. Lisa ging es da wohl nicht anders. Auch wenn sie gewiss nie viel nachdachte … Luftiges, unbedarftes Schmalhirn! Kurz darauf kam ein Stück Decke auf uns herab. Es verfehlte meinen Kopf um Haaresbreite. Die Blondine schluchzte nun lauter.
"Jetzt gib doch endlich Ruhe!", herrschte ich sie an. "Oder sage zumindest mal was!! Ich möchte mir nicht die nächsten Stunden deine Heulerei anhören … Vor allem nicht, wenn es meine letzten sind!"
Da endlich erklang ihr dünnes Stimmchen. "Du hasst mich", sagte sie nur.
"Äh ja", erwiderte ich. "Und?"
"Das kann ich verstehen", murmelte sie leise. "Du glaubst, ich habe dir deinen Mann weggenommen."
"Klar!", rief ich. "Hast du ja auch!"
"Wenn du meinst", sagte Lisa. "Ist ja nicht so wichtig. Lass uns jetzt nicht streiten!"
"Doch!", widersprach ich. "Raus damit: Was hast du zu sagen?! Hast du mir meinen Mann nun ausgespannt oder nicht?!"
"Nein", erwiderte sie. "Das habe ich nicht. DU hast es dir selbst verdorben. Dir und zugleich auch ihm … Aber du wusstest es wohl nicht besser."
Ein lauter Knall unterbrach unser Gespräch. Ich hatte Angst … Wie sehr hätte ich nun Charlys starke Schulter gebraucht!! Gut, dass es hier dunkel war. So konnte mir Lisa meine Schwäche nicht ansehen. Es war nicht auszumalen, was oberhalb unseres Kellerloches geschah. So konzentrierte ich mich auf das Unmittelbare.
"Wie bitte?!", fragte ich. "ICH habe es mir verdorben? Wie kommst du denn darauf?!"
"Seine Worte", meinte Lisa. "Charly hat darüber gesprochen. Es war deine Selbstsucht."
"Was?!", rief ich. "Du lügst! Das hat er nie im Leben gesagt!!!"
"Wenn du meinst …", erwiderte die Blonde nur.
"Blödes Flittchen!", schnauzte ich. "Wie kannst du nur so lügen? DU hast ihn mir ausgespannt!! Deshalb hat er mich sitzen lassen! Wenn hier einer egoistisch ist, dann bist DU es!!"
Lisa sagte nun nichts mehr. Ich wurde ebenfalls ruhig. Dachte nach. War es möglich, dass dieser Dummkopf Recht hatte? War ich selbstsüchtig gewesen?
Keine Ahnung, wie lange wir schwiegen. Eine halbe Stunde oder nur wenige Minuten? Außerhalb war es ebenfalls ruhig geworden. Irgendwann hielt ich die Stille nicht mehr aus. Ich hatte zu viele Fragen.
"Erkläre mir das!", forderte ich, diesmal im ruhigeren Ton. "Wo bin ich denn egoistisch gewesen?"
"Nun", erwiderte Lisa. "Dir waren deine Bücher wichtiger, als er. Charly brauchte jemanden, der auch mal zuhört. An dich war kein Herankommen. Er hat es versucht, aber es ging nicht … Charly wollte nicht mehr mit einer Schriftstellerin zusammen sein, sondern mit einer FRAU."
Das hatte eingeschlagen. Nun war ich sprachlos. Diesmal war es Lisa, die kurz darauf das Gespräch suchte.
"Tut mir Leid", sagte sie. "Das verletzt dich. Du bist kein schlechter Mensch … Du bist eben eine Künstlerin!"
"Und du?", fragte ich "Was bist dann DU?"
"Ein Flittchen jedenfalls nicht", erwiderte Lisa. "Charly ist bisher meine zweite Beziehung. Mehr Männer hatte ich noch nicht."
Nur zwei Männer?! Das konnte doch nicht sein!! Ich hatte bisher mindestens acht, neun oder zehn gehabt … Nun gut, ich war auch etwas älter. Vielleicht fünf Jahre?
"Wie alt bist du?", fragte ich.
"28", erwiderte sie.
"Hm", machte ich. "Also, wenn es stimmt was du sagst, bist du wohl kein Flittchen. Ich bin etwa genau so alt und war schon mit wesentlich mehr Männern im Bett."
"Warum sollte ich lügen?", fragte Lisa. "Hier und jetzt? Womöglich werden wir gemeinsam sterben. Zusammen zu sterben ist etwas sehr Intimes zwischen zwei Menschen… Meinst du nicht?"
"Verdammt!", entfuhr es mir. "Das stimmt wohl… Oh mein Gott!!"
"So schlimm?", fragte Lisa. "Die Vorstellung mit mir gemeinsam zu gehen? Also ich bin froh, nicht alleine zu sein. Ich bin froh, dass du hier bist. Wirklich froh."
Das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit war ich sprachlos. Erneut war es Lisa, die das Schweigen durchbrach.
"Weißt du", sagte sie. "Ich habe das Gefühl, dich sehr gut zu kennen. Charly hat viel von dir erzählt … Und ich habe dich immer bewundert und auch beneidet. Es muss toll sein, wenn man ein Künstler ist und so viel Fantasie hat. Die meisten Menschen halten mich für dumm und blond. Na, wenigstens bin ich hübsch anzusehen." Sie seufzte leise.
Erneut schwiegen wir. Ich hatte zunehmend mit meiner Angst zu kämpfen. Lisa ebenso. Jeder war für sich und doch waren wir in unserer Not vereint. Wir hatten nicht mehr viel Zeit. Die Luft wurde knapp und die Decke bröckelte.
Mein Magen verkrampfte sich in Todesangst. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
Gut, dass ich nicht alleine war…
"Ich bin auch froh", sagte ich leise. "Froh darüber, dass du hier bist … Und so dumm scheinst du gar nicht zu sein."
"Danke", hauchte Lisa. "Sehr nett. Aber ist ja egal, wie schlau ich bin, oder nicht… Ich mache mir furchtbare Sorgen um Charly. Immerzu muss ich an ihn denken. Ob er verletzt ist oder gar tot? Es ist eine schreckliche Vorstellung, ihn vielleicht nie wieder zu sehen!"
Charly? Ach ja Charly!! Über sein Befinden hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen.
Mit mir und meiner Wut auf Lisa.
Es mochte wohl stimmen. Ich war eine Egoistin …
Erneut begann Lisa zu schluchzen. Diesmal nervte es mich nicht.
Wieder ein lautes Donnern. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Es war klar, unser Ende nahte. Aber wieso nur?
Warum? Ich war noch nicht bereit!! Ich wollte leben, schreiben, lieben!!!!
Und nie wieder wollte ich egoistisch sein!!
"Lisa?", fragte ich leise. "Darf ich dich in den Arm nehmen? Bitte … Ich habe Angst!"
"Ich auch!", sagte sie nur.
Schon hielten wir uns im Arm. Zu einer ungleichen Einheit verschmolzen. Wir zitterten und weinten. Keine Fragen, keine Worte mehr. Wir spürten das Ende kommen. Die Luft wurde knapp und unser Atem schwer. Das Donnern kehrte wieder.
Und wieder.
Irgendwann würde es das letzte Mal sein.



Eingereicht am 18. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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