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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Zu deinen Füßen

© Heidi Dempe


Es ist ein typischer Winterabend. Draußen fällt der Schnee in dicken, weichen Flocken. Die Luft ist angefüllt mit den herrlichsten Düften nach Zimt, Bratäpfeln und dem Tabak von Herrn Engel. Er sitzt genüsslich an seiner alten Pfeife ziehend auf dem alten Sofa. Der Stoff ist inzwischen ausgeblichen und von dem Blumenmuster ist kaum noch etwas zu erkennen. Leise knackt das Holz im Kamin und wärmt die Bewohner der kleinen Blockhütte. Das Ehepaar genießt die Ruhe und den Frieden.
Ich döse zusammengerollt neben meinem Herrchen, der sich leise mit seiner Frau unterhält und lasse mich zärtlich hinter dem Ohr kraulen. Genau an der Stelle, die ich so mag. Könnte ich schnurren, würde ich es jetzt tun. Doch bekanntlich können wir Hunde dies ja nicht, aber ich zeige meine Zuneigung darin, dass ich meinem Herrchen liebevoll über die Hand lecke, bis er mich wieder mit diesen warmen und herzlichen Augen ansieht. "Weißt du noch wie er damals zu uns kam?" Dabei deutet mein Herrchen auf mich. Das warme Funkeln in den Augen der beiden sehe ich nicht, denn ich hänge meinen eigenen Erinnerungen nach.
Es war vor mehr als 10 Jahren, dass ich und meine 4 Geschwister als kleine flauschige Fellknäuel auf die Welt gekommen sind. Ich erinnere mich immer noch an Mamis warme Zunge, die mich erst einmal überall trocken geleckt und im Leben willkommen geheißen hat. Die meiste Zeit lagen wir an Mamis Milchbar, schliefen oder tobten gemeinsam herum. Es war eine wunderbare Zeit. Als ich endlich alt genug war, kamen Leute, um mich für ihre beiden kleinen Kinder als Weihnachtsgeschenk zu kaufen. Mami stupste mich zum Abschied noch einmal mit ihrer Nase an, leckte mir übers Gesicht und sagte, ich soll immer lieb sein, niemanden beißen, sowie gehorsam und loyal gegenüber meinen Besitzern sein. Das war das letzte Mal, dass ich sie und meine Geschwister sah. Doch ich sollte ja nun ein neues Zuhause bekommen, also brauchte ich nicht traurig zu sein. Ich war fürchterlich aufgeregt. Erst wurde ich in eine kleine enge Kiste gesperrt und zwischen die Sitze des Autos gesetzt. Als wir endlich in dem neuen Haus angekommen waren, wurde mir eine riesige rote Schleife um den Hals gebunden. Ich habe kaum noch Luft bekommen. Wieder wurde ich in einen Karton gesetzt. Er hatte ein paar Löcher, doch sie waren so klein, dass ich nicht nach draußen sehen konnte. Plötzlich wurde ich angehoben und nach kurzer Zeit wieder abgesetzt. Draußen hörte ich auf einmal Lärm. Was würde nun weiter geschehen? War dieser Karton nun mein neues Heim? Der Hunger nagte inzwischen auch an mir und ich wollte zurück zu Mama und meinen Geschwistern. Auf einmal wurde der Deckel angehoben und ich sah in zwei kleine rosige Gesichter. Eines der Kinder, es war der Junge, nahm mich aus der Schachtel, hielt mich jauchzend in die Luft und wirbelte mich umher. Etwas zog nun an meinem Bein. Es war das kleine Mädchen. Ich wurde ihr in die Hände gelegt und dann sah ich ihn endlich. Den Baum! Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sehr meine Blase drückte. Also tat ich das, was Mami mir beigebracht hatte. Ich sprang von den Armen des Kindes und rannte so schnell wie möglich auf den Baum zu, hob meine kurzen Beinchen und erleichterte mich erst einmal. Kaum dass ich fertig war, wurde ich unsanft am Genick gepackt und geschüttelt. Der Vater schrie mich an, was ich für eine dreckige Töle wäre und dass nun alles stinken würde. Das musste gerade er sagen. Wer von uns beiden riecht denn so schlimm, dass mir meine arme Hundenase gleich abfällt? Also tat ich das einzig Vernünftige und leckte ihm spielerisch über sein Gesicht, um ihm zu helfen diesen penetranten Geruch loszuwerden. Ups, das hätte ich wohl doch lieber lassen sollen. Nun ging das Geschüttel und Geschrei wieder los und ich wurde am Ende in eine Besenkammer gesperrt. Mein Hunger wurde immer schlimmer und ich bekam von Minute zu Minute mehr Heimweh, also begann ich zu rufen. Es dauerte gar nicht lange und das Mädchen kam mit etwas Wasser und einem Zipfel Wurst. Als ich mich etwas gestärkt hatte, wurde mir ein Halsband umgelegt und ich durfte raus in den Garten. Dort tobten die Kinder endlich mit mir herum. Es war einfach herrlich. So hatte ich mir mein neues Zuhause vorgestellt.
Ein reichliches Jahr nachdem ich als Geschenk unter dem Weihnachtsbaum gesessen habe, wurde ich weggebracht, weil die Mutter eine Hundeallergie hatte. So lautete zumindest die offizielle Version. Unter uns, sie brachten mich weg, weil ich immer noch nicht stubenrein geworden bin. Wie sollte ich auch?!? Früh gingen alle auf Arbeit und in die Schule. Wenn die Kinder nach Hause kamen, spielten sie an ihren Computern und mit den Puppen. Vergessen war all der Spaß, den wir zusammen hatten, wenn wir durch die Gegend tobten. Auch als die Eltern Feierabend hatten, ging keiner mit mir raus. Kurz vorm ins Körbchen gehen, ließ man mich für 10 Minuten in den Garten. Das war auch immer mehr als nötig.
Also kam ich in den Knast. Die Menschen nennen es glaube ich Tierheim. Es war furchtbar. Schon nach kurzer Zeit lernte ich, dass nur der Stärkere überlebt. Ich büßte zwar mein rechtes Ohr und ein Auge ein, aber ich wurde in den 6 Jahren die ich da war, einer der stärksten und überlebte! Jeden Tag habe ich mit den anderen Hunden neue Kämpfe austragen müssen, um mir mein Recht um genügend Futter und einen Platz zum Schlafen zu erstreiten. Eines Tages kam ein alter, abgerissener Mann an meinen Zwinger, schaute mich Tabak kauend und mit gerunzelter Stirn kurz an und ging fort. Plötzlich kam die Frau, die mir immer mein Fressen gibt, legte mir die Leine um und brachte mich zu dem Alten. Er nahm mich mit zu sich nach Hause. Sein Haus glich einer Müllkippe. Es stapelte sich das alte Geschirr zusammen mit Dingen, die früher vielleicht einmal als Kleidung bezeichnet werden konnte, nun aber sicher nicht mehr. Es stank einfach fürchterlich und dies sollte nun mein neues Heim sein! Die ersten Tage ging es soweit ganz gut. Ich bekam etwas zu fressen, meine Erziehung wurde verfeinert, was im Klartext bedeutet, das ich ständig Tritte bekam und ich wurde einmal täglich um den Block geführt. Nach der zweiten Woche wurde das Futter eingestellt, dafür sein Alkoholkonsum gesteigert und gleichzeitig meine Erziehungslektionen. Auch die Spaziergänge wurden vollkommen eingestellt. Er war einfach zu besoffen, um mit mir Gassi zu gehen. Ich musste all meine Geschäfte nun in der Wohnung verrichten. Dafür bekam ich als "Belohnung" sofort wieder Schläge. Ernährt habe ich mich von den Überresten, die er nicht aufgegessen hat. An einem Tag hat er mich so schlimm verprügelt, dass ich nicht mehr aufstehen konnte. Bei jedem Faustschlag den er mir versetzte, dachte ich zurück an Mamis Worte, dass ich immer schön lieb sein soll und machen was mein Herrchen mir sagt. Doch es war so schwer für mich ihn nicht zu beißen, wenn er wieder seinen Frust auf die Welt an mir ausließ.
Ich lebte nun schon 2 Jahre in diesem Drecksloch. Mein Leben wurde von Tag zu Tag schlimmer, bis zu dem Tag an dem das Schicksal es endlich einmal gut mit mir meinte. Nachdem er mich wieder einmal mit seiner so beliebten Methoden erzogen hatte, ging er aus dem Haus, um sich eine neue Überlebensration Alkohol zu besorgen. Dabei schloss er die Tür nicht richtig. Ich wartete also bis er wirklich weg war und dann schlich im mich vorsichtig aus der Tür, die Treppen runter und als ich trotz der stechenden Schmerzen in meiner Brust die frische Luft tief in meine Lungen sog, bekam ich die Kraft abzuhauen. Ich rannte so schnell meine lädierten Glieder es zuließen die Straße entlang. Mein einziger Gedanke war, nur weg, so weit wie nur möglich. Als ich einige Zeit gelaufen bin, kam ich an einen kleinen Waldbach. Dort brach ich vor Schmerzen bewusstlos zusammen. Wie lange ich da gelegen habe, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich weiß nur noch, dass ich plötzlich in einer Hütte war. Hinter mir prasselte ein wärmendes Feuer. Die Luft war geschwängert von Bratendüften, die aus einem der Nachbarzimmer kamen. Und meine Brust war mit einer Bandage umwickelt. Also war ich wohl doch im Himmel angekommen.
Aus dem Raum mit dem herrlichen Duft kam eine ältere Dame. Sie trug ein Tablett mit einem riesigen Steak drauf. Ich war inzwischen aufgestanden und stand nun knurrend, mit gesträubtem Fell vor ihr. Als sie mich sah, blieb sie abrupt stehen, schaute mir in mein verbliebenes Auge und schmiss mir das Fleisch hin. Ich fragte mich, was das denn solle, als sie langsam rückwärts ging und dabei sagte: "Ist schon gut Junge, friss dich nur erst einmal richtig satt." Ich konnte es nicht glauben. Dieses wunderschöne, saftige Stück sollte wirklich für mich sein? Vorsichtig schlich ich darauf zu, aber ließ sie dabei nicht aus den Augen. Vielleicht war dies alles nur ein Trick, um mich zu schlagen oder mich wieder ins Tierheim bringen zu können. Dann drang der Geruch von frischem, sauberem Fleisch direkt in meine Nase und da hielt ich es nicht mehr aus. Gierig schlang ich es hinunter. Als ich fertig war, setzte sich die Alte in einen Schaukelstuhl und begann mit mir zu reden. Sie hatte eine wundervolle Stimme. So beruhigend, wärmend und hypnotisierend. Äußerst vorsichtig setzte ich mich langsam Richtung Schaukelstuhl in Bewegung. Ich wusste selbst nicht wie es geschehen konnte, doch plötzlich merkte ich, dass sie mir über den Kopf strich. Es war ein schon verloren geglaubtes Gefühl von Liebe und Geborgenheit in mir. Gerade als ich mich so wohl fühlte und entspannt habe, sprang unerwartet die Haustür auf. In der Tür stand ein Mann im Alter der Frau. Unter seinen Armen hatte er viele Päckchen Hundefutter. Langsam kam er herein. Dabei sah er mich an und ich sah in seinen Augen die gleiche Wärme die auch seine Frau ausstrahlte. Er hockte sich vor mich hin, hielt seine Hand vor meine Nase und stupste mich zärtlich an. Da wusste ich, dass ich endlich ein Zuhause gefunden habe, wo ich mich wohl fühlen kann und in dem man mich liebt.



Eingereicht am 18. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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