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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Der Schlüssel zur Wahrheit

© Marion Schleifer


Hilde saß in der Küche - die Kaffeemaschine brummelte vor sich hin - und hatte die Beine auf den gegenüberstehenden Stuhl gelegt. Sie war vertieft in die neueste Ausgabe einer Modezeitschrift, als plötzlich das Telefon klingelte und sie zusammenzucken ließ.
"Hat man denn nicht mal fünf Minuten Ruhe!", schimpfte sie vor sich hin und meldete sich, zugegeben etwas unfreundlich: "Sandner".
"Hallo, Frau Sandner. Hier spricht Thomas Speck. Ich hatte Ihnen versprochen, mich innerhalb einer Woche zu melden."
"Guten Tag, Herr Speck. Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge, woher kennen wir uns?", erwiderte Hilde.
"Frau Sandner, ich sage nur: Sie können das Haus haben! Sollen wir gleich einen Termin für den Notar vereinbaren? Vielleicht wollen Sie auch erst noch mit Ihrem Mann sprechen. Ich habe ihn leider auf seinem Handy nicht erreicht. Deswegen habe ich die Auskunft angerufen und melde mich jetzt bei Ihnen zu Hause."
"Moment mal, Herr Speck, ähm, entschuldigen Sie, aber wir brauchen kein Haus, wir haben eins."
"Aber Frau Sandner, Sie waren doch letzte Woche ganz entzückt von meinem Besitz. Sie wären doch am liebsten gleich geblieben. Und, unter uns gesagt, wenn Sie nicht schon in festen Händen wären, ich hätte es mir überlegt. Ich erinnere mich an Ihre langen blonden Haare, die durch das flackernde Kaminfeuer traumhaft leuchteten."
Verdattert stand Hilde da und blickte in den Spiegel gegenüber. Ihr schwarzer Fransenkopf musste dringend geschnitten werden und es war keine Spur von einem Schimmer zu entdecken.
"Mir scheint, hier liegt eine Verwechslung vor. Wann habe ich mir denn mit meinem Mann Ihr Haus angesehen und wo soll das gewesen sein?"
Zögernd gab Thomas Speck Antwort. "Letzten Mittwochabend waren Sie bei mir in Kleedorf. Sie erinnern sich?"
"Das sagt mir alles gar nichts."
"Frau Sandner, ich gebe Ihnen vorsichtshalber noch einmal meine Telefonnummer. Am besten, Sie besprechen alles in Ruhe mit Ihrem Mann und geben mir wieder Bescheid. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag."
Die Leitung war unterbrochen. Ein ungutes Gefühl beschlich Hilde. Wer war die Frau mit den blonden Haaren? Diese Antwort konnte ihr wohl nur Gustav geben, ihr Mann. Sie wünschte, es wäre schon Abend. Ihre Ungeduld, begleitet von einem einsetzenden Magendrücken, wuchs von Minute zu Minute. Sie konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen, ihr Herz schlug immer schneller. Sie sank in den Ohrensessel neben dem Telefon. Dort saß sie noch, als das Drehen des Schlüssels in der Wohnungstür zu hören war.
"Hallo, Schatz, was sitzt du denn im Dunkeln, und auch noch im Flur. Bist wohl eingenickt, was?"
Ohne auf diese Frage einzugehen, platzte es aus ihr heraus: "Wer ist diese Frau mit den langen blonden Haaren?"
Gustav schaute sie irritiert an. Er stellte seinen Aktenkoffer ab und löste seine Krawatte. "Welche Frau mit welchen blonden Haaren? Hast du schlecht geträumt?"
"Du brauchst dich gar nicht zu verstellen. Ich weiß alles! Du hast dir mit ihr zusammen letzte Woche ein Haus angeschaut. Und ich weiß auch, wo!"
"Sag mal Hilde, jetzt spinnst du. Warum sollte ich das tun? Wir haben doch ein Haus."
"Was hast du vor mit der anderen? - Wolltest mich wahrscheinlich vor vollendete Tatsachen stellen. Aber dein Plan funktioniert nicht. Früher oder später kommt alles raus."
"Jetzt reicht es aber!" Gustav packte Hilde am Arm, zerrte sie aus dem Sessel und schob sie vor sich her ins Wohnzimmer. Dort drückte er sie aufs Sofa. Er selbst nahm im Sessel gegenüber Platz.
"So, jetzt alles der Reihe nach! Was kommt früher oder später raus? Und was hat es mit dieser Blondine auf sich?"
Hilde stand wieder auf, holte den Zettel mit der Telefonnummer von Speck und warf ihn Gustav in den Schoß. "Kommt dir die Nummer nicht bekannt vor?"
"Woher soll ich die Nummer kennen? Sag du es mir."
Sie setzte sich wieder und erzählte widerstrebend von dem Telefonat mit Speck. Dabei veränderte sich ihre Stimme. War diese anfangs noch fest und zynisch, so wurde sie mit der Zeit immer leiser und gebrochener, zum Schluss weinte Hilde.
"Gustav, warum suchst du ein Haus? Willst du mich verlassen?"
Sie spürte Gustavs Hand auf ihrem Knie.
"Aber Liebes. Red keinen Unsinn. Ich will dich nicht verlassen. Schau dich doch um. Haben wir uns nicht ein schönes Nest gebaut? Ich bin erfolgreich in meinem Job. Warum sollte ich mich beklagen? Wir werden das jetzt gemeinsam klären. Wo ist mir diese Telefonnummer denn vorhin hingerutscht?"
Er bückte sich und hob den Zettel vom Boden auf.
Im Flur nahm er den Telefonhörer von der Station und wählte die Nummer. Hilde beobachtete ihn argwöhnisch.
"Hier spricht Sandner, Gustav Sandner. Sie haben heute mit meiner Frau telefoniert. Es ging um ein Haus, das wir angeblich kaufen möchten. Hören Sie, ich weiß nicht, mit wem Sie letzte Woche verhandelt haben, mit uns jedenfalls nicht. Sie können sich gar nicht vorstellen, in welch peinliche Lage Sie mich gebracht haben. Rufen Sie hier bloß nicht mehr an!"
Gustav legte auf. Hilde sah ihm entgegen - er kam mit hochrotem Kopf auf sie zu, hatte sich immer mehr in Rage geredet. Von seiner anfänglichen Überlegenheit war nicht viel übrig geblieben.
Tief holte er Luft. "So, Hildchen, mein Schatz. Glaubst du mir jetzt? Alles wieder in Ordnung?"
Hilde staunte. So schnell sollte die Geschichte für ihn erledigt sein? Dennoch ließ sie zu, dass er sie vom Sofa hochzog und in die Arme nahm.
"Schätzchen, ich liebe dich doch. Was soll ich mir denn ein Haus anschauen, noch dazu mit einer anderen Frau?"
Sie merkte, wie seine Finger ihren Rücken entlang strichen. Er begann, ihren Hals zu küssen und als seine Lippen ihr Dekolleté streiften, forderte sie ihn mit heiserer Stimme auf: "Bring mich ins Schlafzimmer, ich brauche dich so sehr."
Dass sie damit ihr letztes bisschen Widerstand aufgab, war ihr egal.
Er machte sich an den Knöpfen ihrer Bluse zu schaffen und drückte sie dabei zurück auf die Couch. "Du glaubst doch nicht, dass ich warten kann, bis wir im Schlafzimmer sind. Ich will dich sofort, hier auf der Stelle. Spürst du denn nicht, wie sehr ich dich begehre?" Seine Hände erforschten bereits tiefere Regionen ihres Körpers. Hilde stöhnte auf und ließ sich fallen. Alles um sie herum verschwamm und sie genoss die Berührungen seiner Finger mit voller Intensität.
Mitten in der Nacht wachte sie auf. Sie lag noch immer auf dem Sofa, fürsorglich zugedeckt. Kleidungsstücke lagen verstreut auf dem Boden. Sie erinnerte sich wieder. Sofort begann das angenehme Kribbeln in ihrem Bauch. Sie drehte ihren Kopf, um Gustav anzusehen. Er war nicht da. Sie stand auf, ihr Hals war trocken und zur Toilette musste sie auch. Auf dem Weg zum Bad kam sie am Arbeitszimmer vorbei. Es brannte Licht, die Tür war nur angelehnt. Hilde drückte sanft dagegen, wollte sich leise an Gustav heranschleichen und sich wie eine Katze an ihn schmiegen. Er saß mit dem Rücken zu ihr und telefonierte mit gedämpfter Stimme.
"Ach Schnecke, wir müssen in Zukunft vorsichtiger sein. Speck hätte uns fast alles kaputt gemacht. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er hier anrufen würde. Hatte meine liebe Mühe, das Schlamassel wieder gerade zu biegen. Es kostete mich eine Menge Kraft, ihr meine Liebe glaubhaft zu vermitteln. - Was sagst du? Natürlich empfinde ich nichts mehr für sie. Was glaubst du denn! Die ganze Zeit habe ich mir vorgestellt, du wärst in meinen Armen, es wäre deine Haut, die ich berühre. Ich wünschte ..."
Ein dumpfer Schlag war zu hören. Der Telefonhörer knallte auf den Boden. Die ägyptische Statue, ein Hochzeitsgeschenk der Schwiegereltern, fiel blutverschmiert aus Hildes Hand und blieb neben dem Telefonhörer liegen, aus dem eine weibliche Stimme immer wieder "Gustav" schrie.
Blondinen können aber auch hysterisch sein, dachte Hilde, drehte sich um und ging aus dem Zimmer.



Eingereicht am 17. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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