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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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© C. Klinger


Die Flammen loderten hell und warfen verspielte Schatten an die Wand, wo diese im Rhythmus des Flackerns über bunte Zeichnungen tänzelten. MOMUK streckte seine Arme dem knisternden Feuer entgegen, dessen wohlige Wärme langsam seinen frierenden, durchnässten Körper durchflutete. Er war vorhin vom Regen bei der Jagd überrascht worden und hatte nicht einmal die Zeit gefunden, ausreichend Brennholz nach Hause zu bringen, geschweige denn Nahrung für die nächsten Tage. Zitternd saß er da, den Blick in das Züngeln der Flammen vertieft. Dabei hoffte er, dass der Regen, der mit einer ungewohnten Intensität niedergegangen war - derart heftig, dass er geglaubt hatte, es würde ihm das Fleisch von den Knochen waschen - bald nachlassen würde. So war er gezwungen, Teile seiner Einrichtung zu verbrennen, um zumindest die Kälte aus seinem Körper zu verjagen, wenn er schon seinen Hunger nicht stillen konnte. Sogar den Holzrahmen, den er dazu verwendete, Felle erlegter Beutetiere in der Sonne zu gerben, hatte er bereits dem Feuer geopfert. MOMUK wurde von Ärger beherrscht. Es wurmte ihn, dass es erst wenige Tage her war, wo er den halben Kadaver eines erlegten Wolfes wegtragen hatte müssen, da ihm das Fleisch faulig geworden war. Seit dem Tod von QUAMU, seiner Frau, die so früh gestorben war, dass sie ihm keine Kinder hatte schenken können, passierte es regelmäßig, dass ihm die Nahrung verdarb, bevor er sie aufgezehrt hatte. Eine neue Frau zu suchen hatte er auch bereits aufgegeben, da in dem Tal, wo seine Sippe lebte, keine darunter war, die sich für eine Familiengründung geeignet hätte. Die meisten Mädchen hatten entweder schon einen Mann oder sie waren zu alt zum Kinderkriegen.
So wünschte er sich, dass es zumindest etwas gäbe, das ihm das Fleisch frisch halten würde. Er war sich sicher, dass es möglich sein musste, den mit dem Tod des Tieres beginnenden Verfall aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen. Wie er es bewerkstelligen sollte, das wusste er aber nicht, da sämtliche Versuche, ein Tier so zu töten, dass zumindest dessen Blut noch längere Zeit in Zirkulation blieb, fehlgeschlagen waren. Es war einfach so, dass das Fleisch, sobald das Leben ausgetrieben war, verfaulte.
MOMUK war jetzt warm geworden und er legte das Fell ab. Zumindest hatte er Feuer. Das war eine Gabe, die, wie er von seinen Vätern wusste und diese wussten es wieder von ihren Vätern, noch nicht lange bekannt war. Er betrachtete es als Meilenstein in der Entwicklung seiner Art, als Sieg des Menschen über Kälte und Dunkelheit. Die meisten der Abbildungen an den Wänden handelten davon. Sie zeigten jeden Schritt, der notwendig war, um Feuer zu entfachen und waren damit fast so etwas wie eine Gebrauchsanweisung. Die anderen zeigten Jagdmotive. MOMUK kannte diese Bilder seit seiner frühesten Kindheit, aber immer noch betrachtete er sie gerne, da er sich dann im Kreis der Geister seiner Ahnen nicht ganz so alleine vorkam. Irgendwann rollte er sich, in Gedanken vertieft, zur Seite und schlief ein.
Als er erwachte, war es immer noch Nacht. Aber der funkelnde Stern am Himmel, den er durch die schmale Felsspalte sehen konnte, verriet ihm, dass es aufgehört hatte zu regnen. Er erhob sich von seiner Bettstatt, legte das Fell wieder über, packte dann noch seinen Speer und schritt vor den Eingang der Höhle, die ihm als Behausung diente. Die Luft draußen war frisch und das Sternenfirmament leuchtete hell über ihm. Dort oben, in luftiger Höhe waren aber nicht die einzigen leuchtenden Punkte. Er blickte von der Anhöhe, auf der sich sein Heim befand, hinein in den Talkessel. Dort konnte er sie wieder sehen. Verstreut über Hügel, in den Ritzen der Felsen, in den Wäldern oder auch auf dem freien Feld. Überall brannten die Feuer der Menschen, die damit ihr Heim vor wilden Tieren, vor allem aber den Geistern der Dunkelheit schützen wollten. Lichtpunkte, die sich durch die Landschaft zogen und Beweis dafür waren, dass der Mensch das Tal für sich in Besitz genommen hatte. In diesen Momenten fühlte sich MOMUK besonders einsam. Dann wünschte er sich immer, dass es möglich wäre, dass all diese Menschen untereinander verbunden wären. Nicht nur durch ihre Art oder durch den Zufall, dass sie als Menschen auf die Erde gekommen waren, sondern dadurch, dass sie untereinander in Kontakt treten konnten. Und zwar nicht, wie es bei Versammlungen war, wenn die Ältesten zum Rat einberiefen, wo es Tage dauern konnte, bis alle davon Kunde hatten, sondern immer und zu jeder Zeit. Doch MOMUK musste sich eingestehen, dass dieser Gedanke wohl - wie viele seiner Ideen - nur ein Traum bleiben würde, da es niemandem möglich war, die räumliche Entfernung, die die Menschen voneinander trennte, schnell genug zu überwinden, um alle gleichzeitig zu erreichen. Nicht einmal die schnellsten Vögel konnten gleichzeitig an mehreren Orten sein. Niemand konnte das.
Mit der Zeit begann ihn wieder zu frösteln. Mit einem Gefühl von Sehnsucht, das fast so schwer auf seinem Gemüt lastete, wie der Hunger auf seinem Magen, kehrte er in das Innere der Höhle zurück und schlief einen erwartungsvollen Schlaf bis zum nächsten Morgen. Er träumte, dass er sich aufgemacht hätte und begonnen hatte zu gehen. Zunächst bis zur Wasserstelle im hinteren Teil des Tals, dann weiter zum Berg, der das Ende der ihm bekannten Welt war. Dann war er auf diesen Berg gestiegen und immer weiter gegangen. So weit, wie vor ihm wahrscheinlich noch keiner gegangen war. Er bahnte sich seinen Weg durch das Geröll mit einem Gefühl, das gleichzeitig von Neugier aber auch Angst beherrscht war, weil er fürchtete, dass er den Rand der Erde erreichen und in abgrundtiefe Leere stürzen könnte. Dennoch stieg er weiter hinauf, bis er den Gipfel erreicht hatte. Als er ganz oben gestanden hatte, war er vom Anblick, der sich ihm auftat, überwältigt. Er sah Länder, die sich über unendliche Weite erstreckten, sah Flüsse, Wälder, ausgedehnte Ebenen und tiefe Schluchten. In seinem Traum konnte er sich überall hinwünschen. Kaum hatte er einen Punkt fixiert, war er auch schon dort angelangt, so, als ob er dort schon immer gestanden hätte. Jeder neue Punkt, an den er sich hingewünscht hatte, bot mannigfaltige Überraschungen. Er sah Pflanzen, die er noch nie gesehen hatte. Er roch Düfte, die er noch nie gerochen hatte und er kostete Geschmäcker, die er noch nie geschmeckt hatte. Es zogen auch Tiere an ihm vorbei, die er noch nie gesehen hatte. Soweit das Auge reichte, entdeckte er immer noch weitere Punkte. Dort, so versprach er sich, würde es für ihn vieles zu erkunden geben. Er streckte seine Hand nach einer fremdartigen Frucht aus, die süßlich duftete. Er biss in ihr saftiges Fleisch und spürte die feinen Härchen im Inneren, die seinen Gaumen kitzelten. Es schmeckte köstlich. Er aß weiter davon. Der klebrige Saft rann langsam über seine Hand. Er schleckte ihn vom Handrücken ab. Plötzlich krampfte sich sein Magen zusammen und er spürte einen Stich in der Brust.
Der Schmerz ließ ihn aufwachen. Erschrocken riss er die Augen auf und sah, wie HAKU einen Holzscheit gegen ihn richtete, mit diesem weit ausholte und ihn schließlich auf MOMUK niedersausen ließ. Er konnte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite drehen. Der Schlag verfehlte sein Ziel. Dessen Wucht blieb im sandigen Boden der Höhle stecken. HAKU grunzte laut vor Wut darüber, dass MOMUK dem vielleicht tödlichen Streich, der endlich einen Schlusspunkt unter die lange Feindschaft zwischen den beiden Männern gesetzt hätte, entkommen war. HAKU war einer der Nachbarn in dem Tal und er hasste MOMUK seit der Zeit, als ihm dieser seine Frau QUAMU entführt hatte. Aus diesem Grund machte MOMUK immer einen weiten Bogen um dessen Behausung, denn wenn die beiden sich trafen, kam es fast immer zu einem blutigen Kampf. Doch in seinem Heim hatte er ihn noch nie überfallen. Mit soviel Dreistigkeit hatte MOMUK nicht gerechnet, weswegen er auch so leicht zu überraschen gewesen war. HAKU holte erneut aus, doch diesmal war MOMUK schneller. Er riss den neben ihm am Boden liegenden Speer hoch und trieb ihn mit voller Wucht in die Schulter seines Angreifers. Dieser brüllte vor Schmerz laut auf. Dann riss er sich die Spitze aus seinem Fleisch, stieß einige grunzende, bestialische Laute aus und flüchtete aus der Höhle, noch ehe sich MOMUK zur Gänze erhoben hatte.
MOMUK verzichtete darauf, seinen Widersacher zu verfolgen, um endlich den letzten, klärenden Kampf zu führen. Stattdessen tastete er, immer noch keuchend, seinen Brustkorb dort ab, von wo das Brennen ausging. Er spürte die feuchte, warme Stelle, wo das Steinmesser ihn verletzt hatte und den Schmerz, wenn er sanft dagegen drückte. Er konnte sich nicht erinnern, das Messer bei HAKU gesehen zu haben. Dieser musste ihn verletzt haben, als er noch schlief. MOMUK kniete nieder und ließ seine Hände tastend über den Boden fahren. Dabei entdeckte er bald das Messer. Er hob es auf und betrachtete es eingehend. Es hatte eine präzise geformte Klinge aus Stein, die sehr scharf war. Er dachte sich, dass er Glück gehabt haben musste, dass ihn sein Feind nicht schwerer verletzt hatte, denn dieses Messer würde mit einem Schlag töten können. Er dachte an den rasanten Fortschritt, der den Menschen Waffen und Werkzeug beschert hatte und damit auch deren Überleben sicherstellen konnte. Heutzutage hatte man Speere und Pfeile, weswegen die gefährlichen Treibjagden von früher, die viele Künstler aus diesen Zeiten für die Nachwelt festgehalten hatten, der Vergangenheit angehörten. Er machte sich aber auch Sorgen. Denn je weiter die Technik sich entwickeln würde, desto gefährlicher würde auch der Umgang damit sein, wie das Beispiel der beinahe tödlichen Waffe in seinen Händen zeigte. Aber das war auch nur wieder einer seiner Gedanken, für den seine Mitmenschen kein Verständnis haben würden.
Zufrieden mit seiner Ausbeute steckte er sich das Messer in seinen Gurt, der die Tierhaut um seine Hüften zusammen hielt. Dann wartete er, bis die Blutung seiner Wunde, die nicht sehr tief war, aufgehört hatte und machte sich auf die Suche nach einigen Wurzeln, denn der Hunger war mittlerweile unerträglich geworden.
Er hatte sich auf einer kleinen Lichtung niedergelassen, die im gestrigen Unwetter entstanden sein musste. Der Sturm hatte einige von den alten Bäumen geknickt und der Blitz hatte sogar einen Baum in der Mitte gespalten. Am meisten faszinierte ihn der Baumstumpf, der, innen hohl, in viele Teile zersprengt auf dem Boden lag. Man konnte an manchen Stellen durch ihn hindurch schauen, was er noch nie gesehen hatte. MOMUK fiel wieder sein Traum von letzter Nacht ein, der so unsanft beendet wurde. Er knabberte an den wilden Wurzeln, von denen er wusste, dass sie sättigten und ungiftig waren. Plötzlich hörte er ein Knacken im Unterholz. Blitzartig schoss er in die Höhe. Sofort suchte er, seinen Speer fest umklammert, Deckung hinter einem dicken Baumstamm. Seine Spannung legte sich aber sofort, als er KAM, einen seiner Cousins erkannte. MOMUK verließ sein Versteck und trat vor KAM hin, der ihn freudig begrüßte und nach Neuigkeiten fragte. "Heute hat er es wieder versucht." "Wer hat was versucht?" fragte KAM. "HAKU hat mich zu Hause überfallen. Wahrscheinlich wollte er mich töten." "Ich habe dir schon oft angeboten, mit mir und meiner Familie zu wohnen." MOMUK schüttelte den Kopf. Er sagte: "Nein, du weißt, dass ich an meinem Heim hänge. Ich kenne nichts anderes. Es war schon die Wohnstätte meiner Ahnen und ich kann sie nicht im Stich lassen." "Gut, ganz wie du willst. Ich muss weiter!" KAM drehte sich um und setzte seinen Weg fort. "Eine Frage habe ich noch!" rief MOMUK seinem Verwandten, der an Jahren älter als er selbst war, nach. Kam stoppte seine Schritte. Er fragte: "Was für eine Frage?" MOMUK deutete zum Berg hin, in dessen Schoß das gesamte Tal eingebettet war und der seine steinernen Arme weit ausbreitete. "Weißt du was hinter dem Berg ist?" "Das Ende der Welt!" antwortete KAM mit großer Selbstverständlichkeit. "Wie kannst du das wissen?" "Weil das die Alten sagen." "Aber warst du schon selbst dort?" "Kein Mensch war schon dort." Mit dieser knappen Antwort verließ KAM die Lichtung und verschwand im Dickicht des Waldes. MOMUK aber war von großen Zweifeln beseelt. Wenn noch kein Mensch je dort gewesen war, woher wollte man dann wissen, was wirklich dahinter ist? Er dachte weiter nach. Alle hier, die er kannte, hatten Frauen und Kinder zu versorgen. Das war wahrscheinlich der Grund, warum ihnen die Gelegenheit für Abenteuer fehlte. Das traf aber, so dachte er sich weiter, auf ihn nicht zu. Würde er auf seiner Expedition verloren gehen, so war das für niemanden ein Schaden. Er nahm ein Stück von dem Stamm, der ihn wegen seiner "Durchsichtigkeit" faszinierte, mit sich und machte sich schnell auf zu seiner Behausung.
Dort angekommen stand er am Absatz zu seinem Höhleneingang und betrachtete den Stand der Sonne. In ihrer Laufbahn hatte sie die Tagesmitte schon überschritten, aber es blieben nach MOMUKS Schätzung noch gut ein bis zwei Feuerlängen, bis sich die Dunkelheit über das Tal und seine Welt legen sollte. Wenn es gleich getan werden konnte, so wollte er es auch gleich beginnen! Er löschte das Feuer, packte seinen Speer, nahm den Beutel aus Tierhaut und goss etwas Wasser aus der Knochenschale, die den Tau sammelte, hinein. Er nahm den Beutel, steckte noch zwei Wurzeln als Proviant ein und vergewisserte sich, dass er auch das Messer, welches er heute errungen hatte, mit sich führte.
Wie in seinem Traum war sein erstes Ziel die Stelle, wo aus der Luft Wasser in stetigem Fluss zu Boden stürzte. Dort wollte er sich orientieren und die beste Stelle suchen, die ihn auf den Berg, direkt zum Himmel, führen sollte. Als er seinen Aufstieg begann, waren die Schatten schon sehr lange, aber Licht war noch ausreichend vorhanden. Er bahnte sich seinen Weg über Wurzeln und Geröll, immer weiter vorwärts. Unter einem geeigneten Felsvorsprung würde er dann die Nacht verbringen. Je höher er kam, desto stärker spürte er den kühlen Wind auf seinem Körper, an den Stellen seiner Haut, die nicht vom Fell, das er über den Schultern trug, und nicht von der Tierhaut, die er um die Hüften gebunden hatte, bedeckt waren. Es fröstelte ihn. Die Kälte war vergleichbar der Jahreszeit, in der die Sonne nicht in das Tal kam. Er stieg immer weiter vorwärts, da er bei dieser Temperatur nicht rasten wollte. Die Sonne war schon fast hinter dem Berg versunken, als MOMUK es mit der Angst zu tun bekam. Er blieb stehen und überlegte. Was würde passieren, wenn das Licht verschwunden war und er das Ende der Welt vielleicht nicht sehen konnte und deshalb hinab stürzte? Er dachte an Umkehr. Aber auch der Abstieg war in der Finsternis gefährlich. Letztlich gewann seine Neugier. Jetzt, wo er so weit gekommen war, wollte er den Weg zu Ende gehen. Es war schon fast dunkel, als er die Passhöhe erreichte. Hier erlebte MOMUK das erste Wunder seiner Reise. Die Sonne schien ihm auf einmal wieder ins Gesicht. Es war gar nicht so, das diese, wie er geglaubt hatte, verschwunden war, nur konnte ihr Licht nicht mehr über den Berg dringen. Dafür leuchtete sie ihm jetzt den Blick aus. Er sah hinab und das was er sah, war um vieles schöner, als er es sich erträumt hatte, sodass er zu weinen begann. Er blickte in eine Ferne, die wahrscheinlich vor ihm noch kein menschliches Auge gesehen hatte. Die Welt war hier noch lange nicht zu Ende. Im Gegenteil. Das Ende ließ sich nicht einmal erahnen. Er betrachtete die grünen Hügel, die sich sanft an den Berg, der auf dieser Seite weit weniger steil und schroff war, schmiegten. Davor lag eine weite Ebene. Unendlich im Vergleich zu dem engen Tal, das er bislang als seine Welt kannte. Er legte alle Scheu ab und machte sich auf in dieses neue Universum. Es dauerte aber noch viele Zyklen, in denen sich das Spiel des Wechsels zwischen Tag und Nacht wiederholte, bis er in der Ebene angelangt war. Dort verweilte er dann eine lange Zeit.
Als MOMUK in sein Tal zurückkehrte, hatte die Jahreszeit bereits gewechselt. Die Temperaturen waren gesunken und die Nacht war schon länger als der Tag. Er war voll von den Eindrücken, die er in sich trug. Er hatte fremdartige Tiere gejagt, unbekannte Pflanzen gesehen, hatte längere Zeit in einer ihm unbekannten Umgebung gelebt und wollte nun seiner Sippe davon berichten.
Am Eingang zu seiner Wohnstatt blieb er stehen. Jemand hatte darin ein Feuer angemacht. MOMUK erkannte den Schatten einer Gestalt, die vor dem Feuer saß. Er griff zu dem Messer, das ihm bei der Jagd gute Dienste geleistet hatte und näherte sich den Umrissen der Gestalt. Erst im Schein der Flammen erkannte er HAN, den ältesten Sohn KAMS.
"Was machst du hier?" fragte er ihn. "Mein Vater sorgte sich um dich, weil du lange weg warst. Er hatte Sorge, du könntest zu unseren Vorfahren gegangen sein. Er trug mir auf, dein Heim zu bewachen, damit HAKU sich dessen nicht bemächtige."
MOMUK dankte ihm und schickte ihn weg. Dann breitete er die Mitbringsel seines Abenteuers vor sich auf. Die Felle, die er mitgebracht hatte, waren so anders, als die der Tiere, die er bislang gejagt hatte. Diese Tiere hatten kurze, borstige Haare. Er wollte das Fell zum Trockenen aufspannen, da fiel ihm wieder ein, dass er damals nach dem großen Regen seinen Rahmen verbrennen musste, um sich zu erwärmen. Er ärgerte sich, da es Tage dauern würde, bis er aus Ästen, die er lange dehnen musste, wieder einen Rahmen gespannt hätte. Auch waren besondere Gräser erforderlich, die den Zug beim Zusammenbinden halten konnten, aber um diese Jahreszeit schwer zu finden waren, erforderlich. Er hielt das Fell eines Tieres mit kurzen Hörnern, das er in der Ebene, wo das Gras braun war, erlegt hatte, in Händen. Da fiel ihm der hohle Baumstumpf in die Augen, der ideal war, um das Fell darüber zu ziehen, was MOMUK dann auch tat. Anschließend stellte er den so bespannten Stumpf vor die Höhle, um das Fell in der Sonne zu trocknen. Auch wenn die Tage kürzer geworden waren, hatten ihre Strahlen noch ausreichende Kraft, um das Leder unter dem Fell zu gerben.
Nach einigen Tagen wollte er das Ergebnis betrachten. Er wollte feststellen, ob die Haut fest geworden war. Er nahm einen dicken Stock und hieb auf die Oberseite des mit dem Fell bespannten Baumstückes. Dabei entstand ein mächtiger Laut. MOMUK erschrak. Ein vergleichbares Geräusch gab es immer nur bei starkem Regen, wenn der Himmel seine Blitze auf die Erde schleuderte. MOMUK schlug nochmals hin. Wieder entstand ein dumpfer, grollender Ton. Er wiederholte das Spiel noch öfters, bis er von hinten angesprochen wurde. Es war KAM, der herbei geeilt war. "Was ist passiert? Was ist das für ein Geräusch?" wollte dieser wissen. "Ist es bis zu dir gedrungen?" erkundigte sich MOMUK neugierig. "Bis zu mir und weiter. Wie hätte ich es überhören können?" MOMUK gab KAM den Holzstock und bat ihn zu warten, bis er sich weit genug entfernt hatte. Dann möge er auf die bespannte Fläche schlagen.
MOMUK war schon einige Zeit gelaufen. Seine Höhle lag weit entfernt. Dennoch hörte das Geräusch des Einschlagens auf den Baumstamm ganz laut und deutlich. Zufrieden kehrte er zu KAM zurück. Er verabredete mit KAM fürderhin ein Zeichen, das er immer dann, wenn er in Bedrängnis wäre, ausschicken wollte. Dann versprach er KAM, dass er auch ihm so ein Ding anfertigen würde, damit er das gleiche tun könne, was dann auch geschah. Mit der Zeit vergrößerte sich die Anzahl der vereinbarten Signale, so dass MOMUK und KAM unter Überwindung der sie trennenden Distanz miteinander kommunizieren konnten. Mit der Zeit kamen immer mehr Familien zu MOMUK gepilgert, die ihn ersuchten, ihm ebenfalls so ein sprechendes Rohr anzufertigen. Mehrmals musste er wieder zu einer Reise über den Berg aufbrechen, um die dazu notwendigen Felle zu erjagen. Die Familien, die sich künftig auch über die Ferne unterhalten konnten, dankten es ihm mit vielen Geschenken. So wuchs mit jedem neuen Instrument MOMUKS Ansehen und Reichtum.
Er ging noch oft über den Berg. Seine Neugier trieb ihn in immer neuere Gegenden. Eines Tages blieb seine Höhle aber leer. Er war nicht mehr zurückgekehrt. Er lebte aber in den Geschichten der Alten weiter, die das Andenken an den Mann, der die Trommel vom Ende der Welt gebracht hatte, hoch hielten.
Zehntausende Jahre später: Ich sitze hier vor meinem Computer. Während mich der Cursor provokant anblinkt, überlege ich den Text der Nachricht an meinen Lektor. Dessen Meinung ist mir wichtig, obwohl ich gleichzeitig auch seine Kritik fürchte. Dann entschließe ich mich für eine ganz kurze Version: "wie hat dir denn die geschichte gefallen, die ich unlängst geschickt habe?" Es vergeht aber wieder einige Zeit, bis ich mich durchringen kann, auf "send" zu klicken. Wider Erwarten kommt seine Rückantwort umgehend. Er hat wohl den "Reply-Button" gedrückt. "ich weiß nicht so recht. Irgendwie scheint es mir doch ein wenig weit her geholt, den vorläufer des world wide web in der steinzeit anzusiedeln." Verunsichert frage ich: "hat dir denn die geschichte nicht gefallen?" "gefallen schon, aber sie ist irgendwie anders, ungewöhnlich. ich weiß nicht, ob ich sie dem verlag empfehlen soll." lautet seine prompte Rückantwort. Ich lasse noch nicht locker. Jetzt will ich es genau wissen: "ist das ein endgültiges nein?" "endgültig noch nicht. ich überlege es mir noch. endgültig ist aber nur meine geduld. Ich möchte endlich die 200 Euro, die du mir schon so lange schuldest. wenn ich die nicht bald habe, werde ich überhaupt keine Geschichten mehr von dir annehmen!!!!!"
Verärgert trenne ich die Verbindung mit dem Internet und fahre den Rechner hinunter. Dabei denke ich, dass es manchmal gar nicht so eine gute Idee ist, mit aller Welt zu jeder Zeit verbunden zu sein. Vielleicht waren die Menschen ja früher ohne moderne Technik auch nicht so unglücklich. Außerdem verspüre ich jetzt unbändige Lust wie ein Wilder auf eine Trommel einzuschlagen.



Eingereicht am 16. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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