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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Schmuddelland

© Michaela Kux


Biba saß in ihrem Zimmer. Wie immer lagen die Klamotten der letzten Tage im Zimmer verstreut. Der Staub auf den Regalen war schon mindestens einen Zentimeter dick. Der Teppich war übersät mit Resten von Kartoffelchips und zerknülltem Papier. Sie hatte die Kopfhörer aufgesetzt und hörte ihre Lieblingsmusik, dabei wippte sie mit dem Fuß im Takt.
Da flog die Tür auf. Bibas Mutter kam herein gestürmt. Sie hatte einen Staubsauger im Schlepptau, einen Müllbeutel unter den Arm geklemmt und den Staublappen in der Hand. Sie riss ihrer Tochter die Kopfhörer von den Ohren und keifte: "Du räumst jetzt dein Zimmer auf, sonst passiert was!", ließ alles fallen und verschwand wieder. "Ja, ja", murmelte Biba der Mutter hinterher und dachte nicht im Traum daran, auch nur einen Finger zu rühren. Sie setzte ihre Kopfhörer wieder auf und starrte an die Decke.
Plötzlich wurde ihr schwindlig. Es zog sie etwas Unsichtbares an ihren Füßen nach oben. Biba hatte das Gefühl auf dem Kopf zu stehen. Alles um sie herum begann sich zu drehen. Ihr wurde schwarz vor Augen. Mit einem dumpfen Schlag landete sie auf einem harten Boden. Bewegungslos lag sie auf dem Rücken, die Augen geschlossen. Langsam kam sie zu sich. Sie hörte eine hämisch lachende Stimme: "Willkommen im Schmuddelland!" Ein gammeliger Gestank nach Essensresten stieg ihr in die Nase. Vorsichtig blinzelte sie. Vom Neonlicht geblendet hielt sie sich den Arm vor die Augen und setzte sich auf.
"Wo bin ich?"
Sie hörte eine tiefe Stimme hinter einem Stapel Kartons sagen: "Hast wohl nicht hingehört, was gerade gesagt wurde?" Eine Gestalt, die wie eine Mischung aus Westerncowboy und Penner aussah, kam langsam auf sie zu.
"Aber wie bin ich hier hergekommen?", fragte Biba verwirrt.
"Hast bestimmt nicht aufgeräumt, oder?", gab der Mann hämisch zurück.
Biba begann zu stottern: "Aber, aber ich wollte doch gerade aufräumen!"
"Kein Aber, zu spät, nun bist du hier." Das Wesen mit dem verschrumpelten Gesicht zeigte ein Lächeln und ein paar verfaulte Zähne waren zu sehen.
"Ich will wieder nach Hause?", bat Biba.
"Wieso? Wenn du die Unordnung liebst, dann bist du doch hier genau richtig. Alle Kinder, die zu Hause einen Schweinestall haben landen hier!"
Biba blieb vor Entsetzen der Mund offen stehen, "das kann nicht sein, ich glaub', ich bin im falschen Film!"
"Nein, nein, hat alles seine Richtigkeit. Und nun geh mal ein Stück beiseite, sonst ..." Der wandelnde Müllhaufen kam auf sie zu und schob sie beiseite. Da passierte es schon. Ein Berg alter Klamotten und Decken fiel genau dahin, wo Biba gerade noch gestanden hatte. An der Decke war eine Luke aufgegangen und dieser Berg Wäsche kam herunter. Biba starrte den Haufen an und fragte: "Was ist das?"
"Siehst du doch."
"Und was nun?"
"Frag nicht so doof, schiebe lieber die Klamotten weg!", schnauzte sie der verschrumpelten Kerl an, der früher vielleicht auch mal ein netter Mensch war.
"Mach schnell, gleich kommt das Essen!" Dabei schob er den Berg Klamotten mit samt dem Mädchen beiseite.
Schon ging die Luke erneut auf und Tüten und Kisten mit Essen fielen herunter. Die Klappe kracht wieder zu und für einen Moment war es still.
Mit einem Mal krochen aus den dunklen Ecken und aufgestapelten Kisten mehrere Kinder hervor. Alle stürmen auf den Essenhaufen zu. Sie kamen mit Tüten und Pappkartons. Jeder nahm sich so viel er tragen konnte.
Einige wühlten in dem Klamottenhaufen und versuchen etwas Brauchbares zu finden. Biba schaut aus ihrer Ecke zu.
Als nur noch ein kleiner Junge die Reste der aufgegangenen Tüten und Taschen aufsammelt, nahm sie allen Mut zusammen und fragte: "Was geht hier eigentlich ab?", denn auch der Pennercowboy hatte sich bereits in seine Kisten zurückgezogen.
"Bist wohl neu hier?", antwortete er in einem Ton wie ein Alter. "Wirst dich schnell dran gewöhnen, es ist ganz einfach. Die Luke", er zeigte mit dem Finger nach oben, "geht auf und alles, was du brauchst, kommt rein. Und alles was du nicht brauchst, schmeißt der Alte da hinaus."
Dabei deutete er auf den runden Deckel an der Wand.
"Aber ich will hier wieder weg!", sagte Biba mit fast weinerlicher Stimme.
"Ich nicht! Hab' alles was ich brauche und muss nie mehr aufräumen. Ist doch cool!" Der Junge ging wieder und setzte sich vor seine Bude aus Decken und Klamotten. Er machte sich über die zwei Tüten Chips her, die er erbeutet hatte.
Biba hingegen hatte überhaupt keinen Hunger. Dieses Szenario hatte ihr kräftig den Appetit verdorben. Sie suchte sich nun auch eine Bleibe. Der riesige Saal schien nur aus Ecken zu bestehen. Sie schaute sich um.
Überall lag Gerümpel. Da entdeckte sie einen alten Sessel, den offensichtlich keiner mehr mochte. Sie schmiss den Beutel, der darauf stand beiseite und fegte mit der Hand ein paar Brotkrümel herunter. Dann setzte sie sich und überlegte, wie sie hier wieder herauskommen konnte.
Obwohl es bei ihr zu Hause auch recht wild aussah, fand sie das hier wirklich abscheulich. Sie hörte, wie die Luke an der Wand geöffnet wurde und sah, wie die Essensreste hinaus geworfen wurden.
Moment mal, sie könnte ja vielleicht ... Sie sprang auf und ging zu der Klappe an der Wand und öffnet sie. Ein beißender Geruch schlug ihr entgegen. Nein, das ging nicht und sie verwarf ihr Vorhaben.
Biba fühlte sich hilflos. Inzwischen hatte sie sich schon etwas an den muffigen Geruch gewöhnt und versuchte das Beste aus der Situation zu machen.
Die Deckenluke öffnete sich erneut. Ein Berg Spielzeug, Bücher und noch ungebrauchtes Spielzeug entlud sich erneut auf den Boden. Sogar ein Fernseher plumpste herab. Wieder kamen die seltsam anmutenden Gestalten wie Ratten aus ihren selbst gebauten Verschlägen gekrochen. Jeder nahm sich was er brauchte.
Biba konnte es nicht mehr länger mit ansehen. Sie musste etwas gegen dieses Chaos tun. Da entdeckte sie einen Besenstiel und zog kräftig daran. Fest entschlossen schob sie, mit dem fast borstenlosen Besen, den Müll zusammen. Dosen, Tüten, Papierverpackungen, alles sammelt sie in einen Karton und dann Klappe auf und weg damit. Sie begann tatsächlich aufzuräumen. Der kleine Junge vor seiner Lumpenbude starrte sie mit offenem Mund an. Dann sprang er auf und hielt Bibas Besen fest.
"He, was machst du da?"
"Das siehst du doch!", antwortete Biba bissig.
"He, das würde ich lieber sein lassen, bis jetzt hat das noch keiner überlebt!", versuchte er Biba zu warnen. Doch sie machte weiter. Hätte sie einen Eimer mit Wasser gefunden, hätte sie sogar noch gewischt. Doch so weit kam es nicht. Wieder begann sich alles um sie herum zu drehen.
Schneller, immer schneller. Der Junge sah, was mit Biba geschah, hob die Schultern und sagte: "Ich hab sie gewarnt. Das hat sie nun davon!", und setzte sich wieder hin.
Biba landete inzwischen wieder in ihrem Zimmer. Diesmal war der Aufprall etwas weicher, denn sie fiel auf ihr Bett.
"Juchu, ich bin wieder zu Hause!", jubelte sie und sprang hoch.
Sie öffnete ihr Fenster und atmet tief ein. Jetzt aber schnell aufräumen, dachte sie und begann die Sachen in den Schrank und die Hefter und Zettel in den Schreibtisch zu packen. Mit dem Staublappen wischte sie über die Regale und stellte Bücher und CDs ordentlich in eine Reihe. Sie schüttelt die Bettdecke auf und legt die Tagesdecke darauf. Mit dem Staubsauger jagte sie durch das Zimmer, bis auch das letzte Krümel verschwunden war.
"Geschafft!", japste sie und lies sich auf ihren Drehstuhl plumpsen.
"Nein, nie wieder Schmuddelland!"



Eingereicht am 16. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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