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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Das hohe Gericht der Nacht
© Patrick Hehn
Von meinen Peinigern verfolgt lief ich keuchend in den Wald. Ich hörte das Wiehern ihrer Pferde und das im Takt schallende Geräusch, welches ihre Hufe im Galopp auf dem Waldboden entstehen ließen. Tiefer und tiefer rannte ich in den nächtlichen Wald, kaum die Hand vor Augen sichtbar richtete ich mich nach dem fast nicht wahrnehmbaren Mondlicht, es war eine Vollmondnacht, welche die ganze Landschaft in einen gedämpften Schleier hüllte. Noch einige Minuten lief ich so weiter bis ich die Laute ihrer Pferde nicht
mehr vernahm, und zur Ruhe kam. Mein Herz pochte wie wild und ich rang um Luft. "Sie scheinen es wohl aufgegeben zu haben", dachte ich mir und setzte mich auf das Laub und Moos, welches um eine riesige Eiche verstreut lag um mich ein wenig von der Hetzjagd zu erholen. Es war Herbst und die meisten Bäume verloren ihre Blätter, deshalb konnte man vereinzelt auch den Himmel erblicken welcher wolkenlos über mir wachte. Als ich mein Haus verlies schien es als würde bald ein Regenschauer über uns hereinbrechen,
zog deshalb den Radmantel über und setzte den Zylinder auf mein Haupt. Bei meiner Flucht hatte ich den Zylinder wohl verloren, was mich trotz meiner Situation ärgerte da dieser eine stattliche Summe gekostet hat. Langsam erholte ich mich wieder und ein Glücksgefühl überkam mich den Schergen entwischt zu sein. Jedoch war dies Gefühl nicht von Dauer, da mir nicht bewusst war wo ich mich befand und wie ich wieder aus diesem Wald herauskommen sollte. Gänzlich in Unruhe geraten drehte ich mich einige Male um die eigene
Achse, in der Hoffnung doch noch etwas mir bekanntes zu erblicken. Von der neuen Situation bestürzt unternahm ich den Versuch mich nach den Sternen zu orientieren, was die vereinzelten Baumkronen mir jedoch verwährten. Aus einem Gefühl der Angst und innerer Unruhe beschloss ich nun doch eine Richtung einzuschlagen. Stille, man hörte nur noch den Wind durch die Äste pfeifen und das Laub aufwirbeln. Ab und an schallten die Rufe einer Eule durch den Wald und verloren sich in der grenzelosen Hülle des nächtlichen
Azur. Bei dieser gespenstischen Stille lief mir ein Schauer über den Rücken, und jedes Geäst das mit einem Knistern unter meinen Schuhen zerbrach machte mich nervöser und meine Schritte wurden schneller. Kurze Zeit später machte ich eine überraschende Entdeckung: auf dem Laub lag mein Zylinder. Es konnte nun nicht mehr weit sein und ich machte mir schon Gedanken wie ich am besten das Dorf meiner Peiniger umgehen kann wenn ich nun endlich diesen Wald verlassen habe. Ich ging, mein Ziel vor Augen, beherzten Schrittes
weiter. "Bald bin ich hier raus", beschwichtigte ich mich. Es musste ungefähr eine halbe Stunde vergangen sein, als mich meine vergessen geglaubte Besorgnis, mich verlaufen zu haben, wieder packte. Am Firmament zogen schwarze Wolkenberge auf und verdeckten die unzähligen Gestirne. Alsbald merkte ich, dass sich in Höhe meiner Knöchel ein Nebelschleier bildete welcher rasch an Dichte zunahm. Meine Atmung erhöhte sich um ein vielfaches und wurde nervöser. Ich vernahm das leise Geräusch von Hufen, welches
aber intensiver klang als dass meiner Verfolger. Das Geräusch wurde lauter und schneller, ich bekam Panik und rannte. Ein grelles Kreischen, wie von der Errynien Stimme, drang zu mir und Sekunden später galoppierten mehrere in Mäntel gehüllte Reiter, deren dämonische Fratzen mich angeiferten, auf ihren brennenden Pferden an mir vorbei. Es war als wären sie direkt den Pforten der Hölle entflohen um mich zu verdammen. Ich schrie, schlug um mich und rannte so schnell ich konnte. Aus jeder Himmelsrichtung schlugen
grelle Stimmen auf mich ein und riefen meinen Namen. "Aufhören! Aufhören!" schrie ich mit zitternder Stimme. Ich rannte auf einen abgestorbenen Baum zu, so glaube ich es war eine Eiche und plötzlich toten Stille. Auf seinen Ästen saßen in arabeskenhafter Form schwarze Raben und starrten mich unaufhörlich an. Schnaufend stand ich vor ihnen und lies mich von ihren Blicken durchdringen, doch plötzlich schrien sie in hohem Ton "Amalia!", spreizten ihre Flügel und flatterten im Kreise um mich herum.
Von blankem Wahn gepackt rannte ich mit einem lauten schreien weiter und stieß auf einen Bach. Als ich mich ihm näherte färbte sich das Wasser, welches in ihm floss purpurrot. Den Bruchteil einer Sekunde später schoss eine Hand aus dem Wasser, packte mich am Halse und zerrte mich hinab.
Nun, von da an kann ich ihnen, dem Leser, nur noch das mitteilen was mir gesagt wurde. Man fand mich neben dem Brunnen liegend mit der Tatwaffe, dem Dolch welchen ich doch in selbigem versenkt hatte, brachte mich vor einen Richter und... den weiteren Verlauf muss ich ihnen, verehrte Leser, wohl nicht mehr schildern. Nur, so bleibt die Frage, welch unfassbare Macht verrichtete des Nachts im Walde ihr Werk, und was geschah nachdem mich die Hand packte und ich in Ohnmacht viel? Dies würde ich ihnen nur zu gern beantworten,
wüsste ich des Rätsels Lösung und da mir die Zeit fehlt mich der Wahrheit zu bemächtigen, möchte ich meinen Beitrag hier schließen, denn der Henker wartet nicht.
Abriss aus den Gerichtsakten eines Mordprozesses aus dem Jahre 18..
...Der beschuldigte Herr J. T. R. wird des Mordes an Amalia R. angeklagt...in der Nacht zum 21.11.18.. ermordete Herr J. T. R. Amalia R. auf bestialische Weise in deren Gemach...man fand Herrn J. T. R. um 2.30 Uhr neben dem Brunnen Kreuzung Rathsgasse/Schusterweg liegend, mit einem noch blutgetränkten Dolch, der Tatwaffe. Zeugen sagen aus er wiederholte ohne Unterbrechung im Delirium, die Sätze "Ich habe sie getötet. Ich habe Amalia R. getötet"... Das hohe Gericht verurteilt Herrn J. T. R. wegen Mordes
an Amalia R. zum Tode durch den Strang.
Eingereicht am 12. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.