Wovon sollte ich es bezahlen? Und außerdem…

Schnell öffnete sie die Tür der Telefonzelle. Sie nahm den Hörer auf, wählte die Nummer und hörte den Rufton. Nervös blickte sie um sich, als ob sie sich verfolgt fühlte. Ein kalter Schauer durchfuhr sie, als sie am anderen Ende die helle Stimme ihrer Kollegin vernahm. "Ja, hallo. Wer ist da?" Zögerlich versuchte Irene ein unbeschwertes "Hi, ich bin's." "Ach, Irene. Toll, dass du mich aus Ägypten anrufst." "Mmm, ja, ich dachte, ich meld mich mal. Und …" "He, das ist Klasse, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sie dich im Büro alle beneiden. Wir sprechen jeden Tag von dir. Du hast es so gut! Kannst dir gar nicht vorstellen, wie schrecklich das Wetter hier ist. Wir wissen schon gar nicht mehr, wie die Sonne aussieht." Irenes Blick streifte abwesend die tiefhängenden, dunklen Wolken, die die Stadt seit Tagen in ein beängstigendes Grau tauchten. "Ja, ja, es ist toll hier. Fast zu heiß." "Und hast du schon Kontakte geknüpft?" So, wie Anna das sagte, wusste Irene, dass sie auf ihr Singledasein anspielte. "Es gibt dort unten doch genug Verehrer für eine schöne Blonde." "Ja, hab schon ein paar nette Jungs kennen gelernt." "Irene, hast du's gut. Vielleicht ist der Richtige dabei!" Eigentlich waren ihre Kollegen alle eher mit sich beschäftigt, als dass sie sich ernsthafte Gedanken um sie machten. Irenes Leben war nicht das, was sie wirklich interessierte. Sie fühlte sich immer ausgeschlossen, wenn ihre Kollegen über exklusive Partys, tolle Kleider oder reiche Verehrer sprachen. Sie konnte einfach nicht mithalten. Wie sollte sie. Ihre Eltern waren wichtiger. Sie waren ihr Leben, für sie war sie verantwortlich. Ihnen galt jede freie Minute. Daher kam ihr der Gedanke vom Urlaub. Von fern vernahm sie wieder Annas fröhliche Stimme. "Na, hast du ja auch mal verdient. Wie du dich immer abrackerst für andere." Irene wusste, dass Anna es nicht wirklich ernst meinte. Mehr als ein "Mmm" brachte Irene nicht heraus. "Sag mal, gibt's in Ägypten nicht auch Haie?" "Nein, glaub nicht. Oder, ja, vielleicht. Weiß nicht so genau. Hab noch keinen gesehen." "He, was ist los mit dir? Du hast das große Los gezogen! Während wir uns hier abrackern, kannst du faul in der Sonne liegen! Oh, wie wir dich alle beneiden." Ich wünschte, Anna hätte Recht mit dem, was sie sagt. "Hör mal, Anna. Ich muss Schluss machen. Es warten schon Leute vor der Telefonzelle. Grüß alle von mir." Laut schnappte der Hörer in die Gabel und ihre Hand umklammerte ihn, als müsse sie sich daran festhalten. Anna ist schuld, dass ich ihr nicht die Wahrheit gesagt habe. Wie soll ich aus diesem Schlamassel wieder heraus kommen? Ein heftiges Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Ein Schreck durchfuhr ihren Körper wie ein Blitz und sie meinte, jeden Moment zusammenzubrechen. Von fern vernahm sie Männerstimmen. "Wollen Sie nich endlich raus kommen?" "Die is nich janz da, sehn Se doch." Irene trat auf die Straße und begann zu laufen. Kalte Schauer durchliefen sie immer wieder. Sie fror. Doch sie schaffte es, sich nach Hause zu schleppen.