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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Wolken, Wind und Freiheit

© Philipp Ahr


Wir stiegen schnell immer höher und ich versuchte den Druck, der auf meinen Ohren lastete, durch Runterschlucken meiner Spucke zu mildern. Die Maschine, in der ich saß, war eine von den alten Modellen, in denen man nur einsteigt, wenn einem nichts mehr an seinem eigenen Leben liegt. Die alten Propeller machten einen Heidenlärm, als stände man im Zentrum eines Gewitters und aller Donner und jeder Blitz preschten auf einen ein. Höher und höher, dort lag das Ziel dieses Fluges.
Es ist einfach sich ein Ziel zu setzen, einen Traum zu haben. Schwierig wird es erst, und daran scheitern die meisten Träume, wenn es an die Umsetzung geht. Meist ist es nur ein kleiner Schritt vor dem man so viel Angst hat. Wenn ich die Ausreden meiner Freunde höre, warum sie dieses und jenes noch nie in ihren Leben gemacht haben, kann ich nur sagen, dass es vielmehr Ausflüchte sind, als Gründe, die man akzeptieren könnte. Es fehlt meist nicht an Können oder an den körperlichen Voraussetzungen, sondern an Mut. Mut etwas zu tun, von dem man schon lange träumt und vor dem man dann, wenn es zum Greifen nah ist, Angst bekommt. Angst davor wie es wirklich ist und was es aus einem macht.
Mein Herz schlug schneller, als das Flugzeug aus dem Steigflug ging. Nun war es an der Zeit den Anderen zu beweisen, dass Träume wahr werden können, wenn man will. Es war an der Zeit es Mir zu beweisen. All die Wochen des Trainings sollten nicht umsonst gewesen sein. All die Arbeit die ich hatte um das Geld zusammen zu kriegen, sollte nicht umsonst gewesen sein. Noch zwei Minuten. Die anderen legten nun ihre Fallschirme an und ich tat es ihnen gleich. "Prüfen Sie, ob alle Schnallen fest sitzen und Sie an alle Leinen gut herankommen, nachdem Sie sich den Fallschirm angelegt haben." Noch eine Minute. "Versuchen Sie ruhig zu bleiben, wenn Sie dort oben sind. Die dünne Luft und die Aufregung können leicht zu Schwindelanfällen führen." Noch fünfundvierzig Sekunden. "Gehen Sie noch einmal alle Regeln durch, die Sie beim Sprung beachten müssen." Dreißig Sekunden. "Wenn die Klappe aufgeht, erschrecken sie nicht, wenn es einen Sog gibt und es laut wird." Die letzten Fünfzehn Sekunden. "Wenn die Angst zu stark wird, ist dann der letzte Moment abzubrechen. Springen Sie nicht mit Angst. Angst macht uns unkonzentriert. Angst tötet in diesen Sport." Noch fünf Sekunden. "Wenn Sie vor der Tür stehen, warten sie nicht zu lange. Zählen Sie bestimmt bis drei und dann springen Sie. Wer denkt, hat verloren."
Der Wind packte mich, sobald ich das Flugzeug verlassen hatte. Meine Gliedmaßen streckten sich automatisch von mir ab, als wollte mich die Luft auseinander ziehen. Die Springerkleidung schlackerte stark und machte ein Lärm wie hundert Peitschen, die gleichzeitig auf mich einschlugen. - Es war unglaublich. - Ich versuchte wieder Herr meiner Arme und Beine zu werden und spannte alle meine Muskeln an. Steif wie ein Brett lag ich in der Luft und fiel dem Boden entgegen. Erst jetzt merkte ich, wie hoch wir waren und wie klein von dort alles aussah. Neben, unter und über mir sah ich meine Sprungpartner, wie sie recht unbeholfen versuchten Herr der Lage zu werden. Ich weiß nicht, wie ich mich machte, aber ich fühlte mich in diesen Moment wie ein König, unfehlbar und erhaben über alles und jeden. Vor diesen Sprung versuchte ich mir oft vorzustellen, wie ich mich in diesen Augenblick wohl fühlen und was ich denken werde. Heute weiß ich, dass man an nichts denkt. Niemand existiert in diesem Augenblick für einen und niemand kann einen stören. Es gibt nur dich und die Luft, durch die du unaufhaltsam auf die Erde zustürzt. Ja die Erde. Es gibt Dinge die werden schöner, je weiter sie von einen entfernt sind. Und damit meine ich nicht Frau Trude, unserer Nachbarin. Ich meine die Dinge, die man in ihrer Gesamtheit sehen muss, um zu erkennen, was sie sind. Unserer Erde ist ein Juwel, ein Kunstwerk.
Ich wurde immer schneller und mit jeden Meter, den ich an Höhe verlor, fühlte ich mich freier, geborgener, gebettet im Mantel der Erde. Es fühlte sich an, als sei man schwerelos, nicht an die irdischen Gesetzten von Newton gebunden, als wäre man unsterblich. Man tut etwas, was völlig gegen die menschliche Vernunft verstößt und eröffnet sich dabei eine Welt, die nur wenige Menschen jemals entdecken werden. Die Welt, in der man selbst der Mittelpunkt ist, in der man selbst sagen kann was passiert, in der man selbst darüber bestimmt, wann man die Leine zieht und wie man die Beine auf den Boden setzt. Eine Welt, wo du allein über allem stehst. Doch leider währen solche Welten nicht lange. Ich guckte auf meinen Höhenmesser, die Nulllinie war nun fast erreicht. Ich machte mich bereit. Jetzt wo die Konzentration wieder zurückkehrte, wurde auch meine Anspannung und Nervosität größer. Es war so weit. "Wenn Sie die Leine ziehen und der Fallschirm aufgeht, erschrecken Sie sich bitte nicht, wenn es einen starken Ruck gibt, das liegt an der abrupten Bremsung." Ich spürte, wie sich mein Fallschirm öffnete und mich auf eine sicherere Geschwindigkeit abbremste. Da schwebte ich nun langsam der Erde entgegen. Die Traumwelt hinter mir gelassen, auf den Weg zurück in die Realität. Und während ich dort so hing, freute ich mich schon auf den nächsten Ferienjob, die Argumente meiner Mutter, die mich schon beim ersten Mal davon abbringen sollten zu springen, und auf den nächsten Sprung.
Ich kam dem Boden immer näher und als ich nur noch ein paar Meter über der Realität schwebte, kamen mir die Worte eines Mannes in den Sinn, der eines Nachts etwas, im Grunde genommen, erschreckendes Feststellte: "Das ist es, was mich an den Menschen aufregt. Vor zehn Jahren noch hätte ich alles dafür gegeben mal so ein Auto zu fahren. Einmal das Gefühl zu haben in einen richtigen Wagen zu sitzen. Nun habe ich so einen Wagen, einen viel besseren. Doch wenn ich heute hinter dem Steuer sitze, spüre ich nichts, außer dem dreckigen Gestank der Gewohnheit. Was soll ich tun, um mal wieder dieses Gefühl zu erleben, das ich hatte, als ich das erste Mal hinter diesem Steuer saß. Die Gewohnheit. Auch du wirst das früher oder später einmal erleben. Du wirst etwas finden, was dir völlig neu ist und dich in eine andere Welt verschlägt und eines Tages wirt du aufwachen und dich fragen, wo dieses Gefühl geblieben ist. - Diese Gewohnheit."
"Wenn Sie landen, versuchen Sie die restliche Geschwindigkeit durch schnelles Laufen langsam zu reduzieren, sollten Sie fallen, versuchen Sie sich abzurollen." - Die Erde hatte mich wieder.



Eingereicht am 12. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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