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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Eiergeschichte - eine Parabel

©Johanna Schricker


Das Bett, in dem sie liegt, ist endlos lang. Es streckt sich schnurgerade längs der unverputzten Wand hin, schnellt über ihre Füße hinaus, weit, nicht sichtbaren Grenzen entgegen. Das Bett ist aus schnell gewachsenem, schwedischem Kiefernholz gezimmert. Auf dem Lattenrost liegt eine matte Matratze. Darüber ist ein Bettlaken gebunden, sein Gummi wird gedehnt. Auf dem Bettlaken wurde ein Körper abgelegt, der gerade schwitzt und sich unter der Hitze, als ob der Lattenrost ein Grillgitter sei, wie ein gewürztes Hühnchen, krümmt. Immer, wenn sie ihre Gliedmaßen neu zu ordnen beginnt, Arme zu oberst und Beine darunter, krächzt das alte Bettgestell. Die Abstände, in denen sie ihren schmalen Körper im Kreis dreht, werden immer kürzer, währenddessen ihr Geist zu trudeln beginnt wie ein abstürzendes Flugzeug im Krieg. Pfeifend schnappt sie nach Luft, geröstet in ihrem Bett.
Warum plätschert Wasser aus ihrem Körper? Weshalb kreiselt ihr Geist?
Vielleicht gurkt das Gehirn munter durch ihre Schädelschale. Wieso haut das Herz in ihrer Brust so laut?
Weil sie denkt. Sie wird von ihren eigenen Gedanken gemartert, herzlos durchmassiert, denn sie macht sich Vorwürfe. Unglaublich widersinnig wirft sie sich vor, ein schlechter Mensch zu sein, auf einem roten Fahrrad der Gesellschaft voraus zu fahren, aber nie auf die ihr folgenden Massen zurückzublicken. Die rasen nämlich rechts des Weges ab, zu der Lichtung, an deren Rand die Brombeeren schwarze Früchte tragen und nicht geradeaus, wie sie gesteuert hat, bis jetzt ihr ganzes Leben lang. Das ist ihr System über die Gesellschaft. Alle sitzen auf Fahrrädern, selbst die Tiere, die Nutztiere.
Ich bin ein Parasit, schlechter als eine gefleckte Kuh oder ein hurtiges Huhn, denkt sie, während der Schweiß auf der Stirn durch ihre Hand schlitternd zum Stillstand gebracht wird. Aus ihren Augen glaubt sie Flüssigkeit tropfen zu sehen. Und sie denkt noch mehr: Ich nehme nur, Tag ein, Tag aus, nie produziere ich etwas, ich warmblütiger Wurm. Außer Arbeitskraft und Geld kann ich nichts geben. Wasser, Luft, das, was alle brauchen, reiße ich nur so an mich. Schlecht, böse, ich, ein Mensch!
Wie im Fiebertraum schüttelt sie sich. Dann beginnen die Schmerzen. Gestern Nacht rotierte sie zur selben Zeit im Bett und dachte nach. Da schmetterten auch Schmerzen auf sie ein und gestern und vorgestern. Und wie jede Nacht steht sie auf und humpelt in die Toilette. Dort bleibt sie traurig, im Gehirnmatsch versunken, vor dem Klo liegen. Sie versucht ruhig zu atmen und nicht an ihren Unterleib zu denken. Denn sie denkt, dass jetzt ihre Gebärmutter herausrutscht. Wimmernd richtet sie es sich bequem vor der Toilette für ihr mögliches Ende ein. Einen Fuß hat sie an die Wand gedrückt und sie betätigt die Klospülung. Das Wasser aus dem Spülkasten spricht zu ihr, leise und beruhigend. Während es flüstert, wird sie von diesem Geräusch leicht gestreichelt. Grüne Traumbilder tanzen vor ihren Augen.
Am Morgen spürt sie, dass sich etwas in ihrem Körper bewegt, etwas glitscht da, etwas drängt sich vorwärts. Sie drückt, sie schreit, ihr Mund öffnet sich wie ein Garagentor, ein Maibach summt heraus, das Garagentor rattert wieder herunter und plötzlich macht es flutscht. In ihrem eigenen Blut liegt ein Ei. Sie hat ein Ei gelegt! Sie hat etwas produziert! Sie hat nichts der Natur genommen! Erst flitzt ein ungläubiges Lächeln über ihr Gesicht, dann verzieht sich der Mund, wird immer breiter, dann lacht sie. Sie steht auf, nachdem sie sich gewaschen hat und brät das Ei in der Pfanne.
Mit viel Salz.



Eingereicht am 11. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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