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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Aufgewärmt

© Anja Ulbig


Kaltes Fleisch auf einem altmodischen Teller. Übrig geblieben und mitgegeben von Oma Meta, als Dreingabe die üblichen liebevollen Ermahnungen.
Nun iss man schön, essen muss man, bloß Haut und Knochen ist das Kind.
Ich mag kein kaltes Fleisch. Warm würde ich es vielleicht mögen.
Im Ofen warm machen? Wird trocken, dauert lange, macht heute doch keiner mehr.
Eine Mikrowelle müsste man haben. Habe ich aber nicht. Frau Bergmann hat eine.
Hatte eine, sollte man besser sagen. Denn Frau Bergmann ist tot. Die Mikrowelle steht bestimmt noch da, unten in Frau Bergmanns Küche, direkt unter meinem Fußboden. Drei Meter Luftlinie.
Ich gehe zur Tür. Zögere. Kann man das machen? Einfach die Mikrowelle einer verstorbenen Frau benutzen? Aufklappen, Essen rein, wieder aufklappen - so mir nichts, dir nichts? Meine Schritte werden noch langsamer, geraten völlig ins Stocken.
Warum eigentlich nicht? Frau Bergmann hätte es nicht gestört. Na sicher, nur zu, nun kommen Sie doch herein, hätte sie gesagt. Sie brauchte die Mikrowelle ja nun wirklich nicht mehr. Konnte gar kein Interesse mehr daran haben.
Unsinnig, wer hätte denn auch einen Schaden davon.
Meine Schritte werden ein wenig entschlossener, meine Hände nehmen ihren Schlüssel vom Haken, meine Füße gehen tatsächlich die Treppe hinunter.
Den Schlüssel hatte sie mir regelrecht aufgedrängt damals, bitte, bitte, Fräulein Gabi, wenn mal was ist ...
So war es natürlich nicht gemeint gewesen. Bitte, bitte, Fräulein Gabi, wenn Sie mal kaltes Fleisch haben und kaltes Fleisch nicht mögen, bitte, bitte, wenn das mal so ist ... Nein, natürlich, so war das nicht gemeint gewesen.
Ich öffne die Tür. Vertrauter, leicht abgestandener Geruch. Kein bisschen modrig, kein bisschen nach Tod, einfach nur nach ihr. Jetzt kommt sie her, jetzt, wo sie was will, sagt irgendjemand in meinem Kopf. Auf der Frisierkommode im Flur ihr Kamm und ihre Bürste. Haare drin, deren Besitzerin schon unter der Erde. Die Haare noch hier, in ihrem Kamm, in ihrer Bürste, im Flur auf der Frisierkommode. Ein verschrumpeltes Haarnetz auf staubigem Marmor. Überall Osterküken, Osterhäschen, Osterschmuck in allen Formen und Farben. Ostern nämlich war hier die Zeit stehen geblieben.
Inzwischen war November. Ende Oktober ist sie gestorben. Warum nur war Ostern schon die Zeit stehen geblieben? War sie denn da schon bettlägerig gewesen, hatte sie die Ostersachen nicht mehr wegräumen können? Nein, das konnte nicht sein. Sie hatte doch noch immer ihre Zeitung hereingeholt und ihren Kanarienvogel eigenhändig gefüttert. Hätte also auch Küken und Häschen aus dem Regal nehmen, sie in Kartons legen, sie in knisterndes Zellophan betten können.
Ich hätte ab und zu mal nach ihr sehen sollen, das weiß ich, ja. Aber es gab immer so viele Gründe, die mir sagten, heute nicht, ein andermal. Sie war viel allein. Das stimmt, ja. Aber vielleicht wollte sie es ja auch so haben.
Kann doch sein. Warum war Ostern die Zeit stehen geblieben?
Vermutlich gibt es einen Punkt, an dem Küken und Häschen keine Rolle mehr spielen. Plötzlich nur noch lächerlicher Schnickschnack sind. Wo die süßen Schnäbelchen und mümmelnden Schnäuzchen auf einmal dümmlich wirken.
Frau Bergmanns Tumor war nicht viel größer als eines dieser Küken, als eines dieser Häschen gewesen, doch von wesentlich größerer Tragweite. Nicht nur das Röntgenbild des Facharztes hatte dieser Tumor verdunkelt.
Ostern war für Frau Bergmann die Zeit stehen geblieben. Und ich stehe hier in ihrer Küche, in der Hand einen Teller mit kaltem Fleisch.



Eingereicht am 10. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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