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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Eine Annäherung (aus einem Bilderbuch)
© Axel Porepp
Das erste Siegel bricht und Monique entscheidet sich ihrem lange gehegten Impuls zu folgen und zur speziellen "Ladies Night" im La Grangè zu sein.
Ihren hellgrünen Kleinwagen parkt sie nahe des Eingangs, setzt ihre Brille ab um sie in das überfüllte Handschuhfach zu quetschen und steigt in ihre hochhackigen Pumps hinein aus. Mit schnellen Handgriffen zieht sie ihr dunkelrotes Lackkleid züchtig herab und ordnet mit geübten Handbewegungen ihre langen, blonden Haare. Hastigen Schrittes eilt sie zum Eingang, zahlt nervös den Eintritt und akzeptiert das blasslilane Stoffband, welches um ihr linkes Handgelenk herum verplombt wird. Der kantige Türsteher und die
vertrauten Klänge von Madonnas "Like a Virgin" aus dem Innenraum stehen im harten Kontrast zu ihrem Betreten von Neuland.
In der Disco ist der erste Eindruck der jungen Studentin von der mit schwarzer Lackfarbe bestrichener Ziegelmauer geprägt, auf der entlang der Tanzfläche der grellrote Schriftzug "La Grangè" prangt. Kleine Sitznischen mit niedrigen Tischen sind durch mit dunkelgrauer Pappmaché verkleidete Säulenkonstruktionen vom Hauptraum abgetrennt und erlauben privatere Unterhaltungen. An einer lang gestreckten Theke zur Linken warten noch gelangweilt drei Serviererinnen.
Wenige Frauen sind bereits angekommen und im Raum verteilt und lehnen teils an den Wänden, teils stehen sie linkisch wirkend im Raum. Monique klammert sich an ihren von dem Tisch rechts neben der Tür genommenen Begrüßungssekt und spürt Augen auf sich gerichtet.
Das zweite Siegel bricht und Monique erwidert den Blick.
Eine etwas untersetzt wirkende Frau Anfang dreißig mit brünettem Topfhaarschnitt in das sich erste weiße Sprenkel schleichen steht zwischen zwei der Pappmachésäulen die den Eingang zu einer der Sitznischen bilden. Über schwarzen Turnschuhen mit weißen Seitenstreifen trägt sie eine schwarz-ausgewaschene, hautenge Jeans und einen sehr weich aussehenden, samtiggrauen und eng anliegenden Wollpullover. Ihre großen aber zur Figur harmonierenden Brüste zeichnen sich offensichtlich halterlos und ein wenig hängend unter
dem Stoff ab. Während die Fremde Monique weiter mustert zeichnet sich langsam ein Lächeln auf ihren vollen, ungeschminkten Lippen ab.
Das dritte Siegel bricht und Monique lächelt ebenfalls und hält nervös den Blickkontakt aufrecht.
Ein Stückchen senkt sich das ovale Gesicht zu einem angedeuteten Nicken, die schmutziggrauen Augen mit einer Spur vom Braun blitzen in den Lichteindrücken des Stroboskops der Tanzfläche auf. Wie eine Marionette an den eigenen Fäden gehalten, ihrer selbst in kribbelnder Deutlichkeit bewusst und doch nicht Gebieterin ihres eigenen Körpers, bewegt sich Monique auf die Unbekannte zu. Ihr Vergessen der hohen Schuhabsätze maskiert sie mit einigen tänzelnden Schrittchen zur Musik, die kurz vor der älteren Frau zu einem
sicherer erscheinenden Hüftschwingen werden. Mit einem unhörbaren Seufzer bleibt Monique stehen und blickt auf die kleinere Gestalt herab.
Lautlos öffnen sich die Lippen der Unbekannten und ihre Zunge leckt über ihre Lippen, den Blick weiter auf Monique fixiert. Die Studentin bemerkt wie ihre Unruhe wächst, ihr Herz schneller schlägt und sich Tränenflüssigkeit in den Winkeln ihrer Augen zu sammeln beginnt. Ihre schweißnasse rechte Hand wird von der Fremden mit beiden Händen ergriffen, ihre Daumen massieren Moniques Handrücken. Auf eine gewisse Weise erscheint es beruhigend, dass auch die Hände der Unbekannten feucht vor Nervosität sind.
Das vierte Siegel bricht und Monique akzeptiert das Händchenhalten, wagt sich sogar den Druck mit ihren Fingern zu begegnen.
Immer noch wurde kein Wort zwischen den beiden Frauen gesprochen, eine Viertelstunde stehen sie einfach am Rand der Tanzfläche, blicken sich in die Augen und halten ihre Hände. Langsam sinkt die Unruhe in Monique ab und macht einer erwartungsvollen Anspannung Platz. Mehrfach möchte sie den Mund öffnen und eine Frage stellen, denn für eine einfache Begrüßung scheint es viel zu spät zu sein, schreckt jedoch immer wieder in letzter Sekunde zurück.
Eben im geeigneten Augenblick, bevor der knisternde Moment zu einer Peinlichkeit wird, zieht die Unbekannte Monique in die Sitzecke. Mit ihren Beinen schiebt sie die Stühle und den Tisch beiseite, bereitet eine freie Fläche an der Wand vor, die von den Lichtern des Disco-Raumes nur sehr schwach beleuchtet ist. Zögerlich geht sie rückwärts zur Wand und zieht Monique mit sich, den Blick nicht einen Moment schwanken lassend. Mit der Mauer an ihrem Rücken zieht sie weiter und nimmt die blonde Frau in ihre Arme, reibt
ihre Wange an Moniques, zieht deren Kopf herab und lächelt als sie einen Kuss auf die geschminkten Lippen über sich gibt hinauf. Abwartend verharrt der Mund der Fremden nur Millimeter vor Moniques Gesicht.
Das fünfte Siegel bricht und Monique beugt sich der Fremden entgegen um ihre Küsse mit Leidenschaft zu empfangen.
Während Monique sich ihrer Unbekannten hingibt nimmt sie mehr ihre Geschmackseindrücke als ihre Gefühle wahr. Der leichte Kirschgeschmack ihrer Lippen, Kräuter und Gewürze auf ihrer Zunge, beides wird zu einer gänzlich weiblichen Empfindung nach kurzer Zeit. Ihr Verstand scheint noch immer von ihrem Körper getrennt, schwebt über dem wild knutschenden Paar, über der Frau deren Rücken und Po im engen, glatten Latexkleid von der anderen Frau gegriffen wird. Behutsam kehrt sie vollen Geistes in ihren eigenen Kopf
zurück, als ihre Hände gerade die Haut ihrer Fremden unter dem Pullover erforschen wollen. Die zarte Haut verspricht einen Geschmack nach Salz und Badeölen, wenn sie ihren Mund diese endlose Strecke entlang bewegen kann.
Die Augen blicken sie wieder von unten an und sie spürt ihren widerstrebende Gestalt mit sanfter Gewalt zurückgeschoben. Geschmeidig tritt die kleinere Unbekannte an ihr vorbei und zieht sie sachte aus der Nische heraus. Der Raum des La Grangè ist mittlerweile mit Frauen gefüllt, wie viel Zeit vergangen ist scheint unbestimmbar. Erneut wird die Studentin durch die anderen Personen und das Licht irritiert, schwebt wie in Watte gepackt und sicher gehalten hinter der Fremden her. Diese scheint genau zu wissen wohin
sie ihre Eroberung führen möchte.
Das sechste Siegel bricht und Monique folgt ihrer Gentlewoman mit ein wenig verbliebener Zurückhaltung zum Taxistand.
Ein alter Mann fährt die beiden zu der von Kerstin genannten Adresse. Sie sitzt vorne und Monique sieht aus den hinteren Seitenfenstern die sich auf der nassen Straße spiegelnden Lichter der Ampeln und Schaufenster durcheinander wirbeln. Bei Kerstins Wohnung angekommen zahlt diese den Taxifahrer und führt Monique zu einem fleckigen Mietshaus und weiter durch ein mintgrün gestrichenes Treppenhaus in ihre Eigentumswohnung.
"Mach es dir ruhig bequem, ich mache mich eben frisch", mit diesen Worten deutet Kerstin auf das den Wohn- und Schlafraum dominierende Bett während sie im Badezimmer verschwindet, in der grellen Beleuchtung eine Spur von Mahagonirot in ihrem Haar. Monique setzt sich unsicher auf das Bett, betrachtet die himmelblauen Wände, den massiven dunklen Kleiderschrank und die allgegenwärtigen Bücherregale. Aus der auf dem Boden verstreuten Kleidung lässt sich Kerstins Vorliebe für hellrosa Unterwäsche ersehen,
zwischen der sich geöffnete weiße Pappschachteln mit Pizzaresten stapeln. Für die Größe der Studentin hängt die dunkelbraune Zimmerlampe ein wenig zu tief von der Decke herab, sie schwankt noch ein wenig weil Monique gegen sie gestoßen war als sie sich auf die lila-rot-gemusterten Laken setzte.
Mit leisem Scharren öffnet sich die beige Tür zum Badezimmer. Kerstin lehnt ihren blassen, nackten Körper in den Türrahmen, im Relief beleuchtet von vom kalten Neonlicht des Badezimmers hinter ihr. "Ich dachte du würdest dich auch schon ausziehen?"
Das siebte Siegel ... bricht?
Eingereicht am 10. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.