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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Tom und Tina
© Marta Bern
Paul saß wie bei jeder Party an der Bar und ich langweilte mich. Als ich Tom und Tina erblickte, langweilte ich mich nicht mehr. Wie beneidete ich die beiden verliebt miteinander turtelnden Täubchen. Wie schrecklich bemitleidenswert erschienen mir Paul und ich dagegen. Wir küssten uns nur noch selten und wenn, dann eher wie Bruder und Schwester.
Tom und Tina kümmerten sich an diesem Abend nicht nur intensiv um sich, sondern auch um mich. Wie nett von ihnen!
Abwechselnd gaben sie mir gut gemeinte Ratschläge. So erfuhr ich beispielsweise, wie ich wieder prickelnde Spannung und erotisches Knistern in unsere müde Beziehung bringen könnte.
Als Paul und ich partymüde gegen Morgen nach Hause wankten, schwärmte Paul von einer Gina und ich von Tom und Tina. Zu Hause angekommen, weigerte er sich kategorisch, mit mir im Bett zu experimentieren. Auch wolle er nicht um Mitternacht aufstehen um zu tanzen, oder im Regen spazieren gehen, oder mich unter Wasser küssen. Ich solle mir ja nicht wagen, solch einen neumodischen Firlefanz einzuführen. Bei uns sei schließlich alles in bester Ordnung.
Paul wünschte definitiv keine Veränderungen. Zerstritten legten wir uns schlafen. In mir tobte und kochte es. Fortan litt ich unter sehr unangenehmen Schlafstörungen.
So kam es, dass ich allein im Dunkeln spazieren zu gehen begann und permanent darüber nachgrübelte, wie ich mehr Spannung in unsere Beziehung bringen könne. Eines Nachts, ein paar Wochen mochten mittlerweile vergangen sein, stieß ich mit einem dürren, ausgemergelten Gespenst zusammen und schrie entsetzt auf. Erst nach einer Weile erkannte ich Tina. Zuerst wollte sie mir nicht sagen, an welch furchtbarer Krankheit sie litt. Aber ich hielt sie fest, weil ich mir ernsthaft Sorgen um sie machte. Schließlich fiel
sie mir schluchzend um den Hals. Ich tröstete sie damit, dass ich einen sehr guten Arzt kennen würde, der ihr ganz sicher helfe. Aber Tina schüttelte nur traurig den Kopf. Natürlich hatte sie kein Vertrauen zu mir, wir kannten uns ja kaum. Aber ich war fest entschlossen, etwas für sie zu tun, ihr Mut zu machen und so redete ich ununterbrochen auf sie ein.
Da schrie Tina plötzlich verzweifelt auf: "Tom hat eine Andere!"
Ich machte spontan einen kleinen Satz rückwärts und schwieg schockiert. Nachdem ich mich wieder gefasst hatte, schüttelte ich ungläubig den Kopf. Das konnte unmöglich sein, denn ich sah Tom und Tina immer noch verliebt schmusend vor mir.
Ein paar brennende, tief liegende Augen starrten mich wie zwei Irrlichter an. Haarsträhnen hingen ihr wie verfilzte Fetzen über das aschfahle Gesicht. Auf einmal rannte Tina wie eine Verrückte los und zerrte mich hinter sich her. Erst jetzt sah ich, dass sie ein Nachthemd unter ihrem Mantel und Hausschuhe an den bloßen Füßen trug. Hinter ein Auto geduckt, zeigte sie auf eine Telefonzelle. "Da, der Beweis!" flüsterte sie. Ich sah keinen Beweis! Ich sah lediglich eine Telefonzelle, in der stand Tom und
telefonierte. Verständnislos blickte ich Tina an. Wieso versteckten wir uns wie zwei Spanner hinter einem kleinen alten schmutzigen Auto und beobachteten Tom, der kurz vor Mitternacht mutterseelenallein in einer Telefonzelle telefonierte? Ich stand auf, um mich zu Tom zu begeben und ihn zu fragen, was hier eigentlich los sei. Aber Tina riss mich zurück. Ich strauchelte. Für Tina war alles absolut offensichtlich und klar!
Wieso schlich er sich aus dem Bett und lief halb bekleidet durch den Ort zu einer außerhalb liegenden Telefonzelle? Wieso telefonierte er hier bibbernd vor Kälte, wenn er im warmen Haus gemütlich mit zwei Telefonen hantieren könnte? Wieso hatte er plötzlich so viele Wochenenden außerhalb zu tun?
Ich suchte nach völlig logischen Erklärungen, aber ehrlich gesagt, etwas seltsam fand ich das ganze Gebaren schon. Tom schlich sich aus dem Haus, damit er ungestört mit seiner Freundin telefonieren kann und Tina schlich hinter ihm her, um ihn dabei heimlich zu beobachten. Komisch!
Wieso schwieg sie ihm gegenüber, wenn sie genau wusste, was er da trieb?
Ich fühlte mich unwohl hinter diesem winzigen Auto und wollte etwas tun. Ich wollte helfen. Also erhob ich mich nochmals und ging entschlossen auf die Telefonzelle zu. Aber Tina verkrallte sich mit erstaunlicher Kraft in meinem Arm und riss mich zurück: "Willst du etwa alles kaputt machen?"
Nein! Das wollte ich ganz sicher nicht. Als Tom aus der Telefonzelle kam und in unmittelbarer Nähe an einen Baum pinkelte, hörte ich auf, ihn zu beobachten, machte mich los und rannte davon.
Verdreckt und außer Atem traf ich zu Hause ein. Als ich Paul völlig aufgelöst diese unglaubliche Geschichte erzählte, spottete er nur; auf so was könne auch nur ich hereinfallen. Aber hernach stand er auf und holte zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank, eine für sich und eine für mich. Er legte seinen Arm um mich und flüsterte: "Siehst du?! Bei uns ist doch alles in Ordnung, oder?" Ich konnte ihm nicht antworten, denn ich hatte schon die Flasche am Hals.
Eingereicht am 10. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
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